THW Kiel holt mit großartiger Abwehr zwei wichtige Punkte beim Meister aus Magdeburg

Bundesliga

THW Kiel holt mit großartiger Abwehr zwei wichtige Punkte beim Meister aus Magdeburg

Die Favoriten-Rolle lag vor dem Aufeinandertreffen des dezimierten Rekordmeisters THW Kiel mit dem Deutschen Meister SC Magdeburg klar auf Seiten der Gastgeber. Die hatten in der DAIKIN Handball-Bundesliga zuletzt im November 2022 ein Heimspiel im Hexenkessel Getec-Arena verloren. Dem 33:34 gegen die Zebras 2022 folgten 28 zum Teil deutliche Liga-Heimsiege in Folge - bis der THW Kiel am Sonntagabend wieder zuschlug: Die Zebras lieferten mit reduziertem Kader ein Paradebeispiel dafür ab, dass Wille und Zusammenhalt im Sport Berge versetzen können. Sie zauberten und kämpften Handball von der ersten Minute an, stellten eine unfassbare Abwehr und spielten den SC Magdeburg vor dem eigenen Anhang phasenweise an die Wand. In der 54. Minuten waren sie auf einen Acht-Tore-Vorsprung weggezogen, um beim Schlusspfiff den großartigen 29:24 (16:15)-Sieg mit ihren wenigen mitgereisten Fans zu feiern.

Verdienter Erfolg

Sehr früh in der gerade begonnenen Saison der DAIKIN Handball-Bundesliga stand am Sonntagabend in der rappelvollen Magdeburger Getec-Arena der Handball-Klassiker den Traditionsvereinen auf dem Programm. Und der Handball-Kracher zwischen dem SC Magdeburg und dem THW hielt vor 6600 anfangs gewohnt heißblütigen Fans, was er versprach: Tempo, Kampf, Rasse, Handball-Feinkost. Der Kieler Triumph fiel hochverdient aus. In der sonst so stimmgewaltigen Arena wäre es mucksmäuschenstill gewesen, hätten die ein paar Dutzend zählenden Kieler Fans ihre Mannschaft nicht so euphorisch gefeiert.

Madsen trifft neun Mal

"Das ist ein großer Moment, hier gewonnen zu haben", freute sich Kiels Neuzugang Emil Madsen. Der Däne ragte aus der komplett starken schwarz-weißen Mannschaft, bei der im Kern acht Zebras durchspielten, noch heraus: Er war mit neun Treffern bester Schütze auf dem Parkett und neben dem bärenstarken Torhüter Andreas Wolff einer der Sieggaranten im "neuen" THW-Team. "Es ist großartig, in dieser Mannschaft zu spielen. Sie hilft mir extrem, ins Spiel hineinzufinden", fügte der 22-jährige, bescheidene Teamplayer hinzu. Dabei waren die Vorzeichen vor der Partie ähnlich schwierig wie zuletzt: THW-Trainer Filip Jicha musste - wie erwartet - weiterhin auf wichtige Stammspieler verzichten. Harald Reinkind (Fersen-OP), Elias Ellefsen á Skipagötu (Knie) und Nikola Bilyk (Muskelfaserriss Oberschenkel) waren gleich ganz zu Hause geblieben. Aber Torhüter Tomas Mrkva (Meniskus) und Karl Willinius (Muskelfaserriss Oberschenkel) konnten am Sonnabend leicht angeschlagen in den Bus steigen und stellten sich in den Dienst der dezimierten Mannschaft.

Mrkva und Wallinius bereit für Kurzeinsätze

Mehr als Kurzeinsätze waren bei beiden allerdings nicht geplant. Tomas Mrkva musste noch nicht ran, denn Wolff lief im Tor der Kieler schon früh zur Hochform auf. Er hielt in den ersten 30 Minuten neun Bälle, knöpfte dabei Omar Ingi Magnusson auch noch zwei Siebenmeter ab. Am Ende standen 16 Paraden auf dem Konto des deutschen Nationaltorhüters, auch ein Kopftreffer konnte den 33-Jährigen nicht bremsen. Karl Wallinius indes musste in den letzten sechs Minuten der ersten Hälfte tatsächlich für Eric Johansson in die Bresche springen. Dieser war nach einem Schlag ins Gesicht liegengeblieben und brauchte eine Behandlung. Da es keine Bestrafung für den Magdeburger Abwehr-Übeltäter gab, musste Johansson für drei Angriffe pausieren. Eine Phase, in der Wallinius dringend gebraucht wurde, und der den Zebras unter anderem mit einem fantastischen Anspiel auf Rune Dahmke half. Es war aber auch die Phase, in der der SCM die kurfristige Unordnung im Kieler Spiel nutzen konnte, um zum Ausgleich zu kommen.

Zebras fanden schnell in die Partie

Doch von Anfang an: Der Rekordmeister fand schnell in die Partie, übernahm das Spielgeschehen, auch weil die Abwehr um Defensiv-Boss Hendrik Pekeler und Domagoj Duvnjak energisch zupackte. Die Kieler Abwehr war hervorragend eingestellt auf das Eins-gegen-Eins der Gastgeber. Auf schnellen Beinen stopften die Kieler Löcher, übergaben die einzelnen Magdeburger Angreifer, halfen sich in jeder Szene. So kam der SCM-Angriff nicht auf Touren, auch wenn die Gastgeber durch Omar Ingi Magnusson den Torreigen mit einem der insgesamt neun (!) Siebenmeter für die Grün-Roten eröffnete. Duvnjak hatte im Gegenzug Pech mit einem Pfostentreffer, doch Wolff war bei O'Sullivans Wurf zur Stelle. Der starke Eric Johansson glich aus. Bis zum 4:3 in der fünften Minute hatten die Gastgeber knapp die Nase vorn. Dann netzte Dahmke nach glänzender Johansson-Vorarbeit ein, Madsen traf zum 5:4 und damit zur ersten THW-Führung. Musche glich nach feiner Einzelleistung von Linksaußen noch einmal aus, dann aber nahmen die Kieler das Heft in die Hand, und zogen Tor um Tor davon.

Fast fehlerlose Kieler in Hälfte eins

Per Doppelschlag brachte Eric Johansson seine Farben mit 7:5 in Front, in der 14. Minute stellte Emil Madsen das Zwischenergebnis auf 10:7. Die Magdeburger Fans legten erstmals ihre Stirn in Falten, erlebten eine bärenstarke Kieler Mannschaft, die weiter konzentriert in der Abwehr rackerte, vorne die meisten Chancen sicher nutzte und sich nur ganz wenige Fehler erlaubte. Mit einem Kracher in den linken oberen Torwinkel erzielte Madsen in der 20. Minute die erste Kieler Vier-Tore-Führung. Ein Vorsprung, der der Mannschaft Sicherheit gab, der das Team auch nach dem Anschluss zum 12:13 durch O'Sullivan nicht aus der Ruhe brachte. Die Zebras blieben in der Hitze Magdeburgs cool. durften sich hinten auf die Paraden von Wolff verlassen. Vorne kurbelten Johansson, Duvnjak oder Madsen das Angriffsspiel an, die zudem die Außen gut in Szene setzten. 

Pausenführung hätte deutlicher sein können

Einmal noch, in der 25. Minute, jubelte Magdeburgs Anhang über ein Ausgleichstor. Emil Madsen fand die passende Antwortmit einem Hüftwurf zum 15:14, wenig später wurde der schwarz-weiße Linkshänder von Bergendahl in Wrestling-Manier brutal zu Boden gerissen. Nach Videobeweis entschieden die Unparteiischen auf Zeitstrafe - vertretbar. Und dennoch hätte der Schwede sich nicht über "Rot" beschweren dürfen. Dahmke traf zum 16:14, Zehnder stellte mit einem zumindest zweifelhaften Siebenmeter dann den 15:16-Pausenstand für den SCM her.

Souveräne Zebras bleiben bis zum Ende cool

Und die zweite Halbzeit? Statt der von den SCM-Fans erhofften Wende geriet sie zum energieintensiven Schaulaufen der wie entfesselt aufspielenden Kieler Mannschaft. Emil Madsen traf per Doppelschlag und in Bedrängnis zum 18:15. Magnus Landin veredelte ein Johansson-Anspiel zum 19:16. Und als Madsen seine Farben in der 42. Minute mit einem Solo auf 22:18 in Front warf, hoffte SCM-Coach Benett Wiegert noch auf die Wirkung seiner Auszeit. "Wir spielen auf Sieg", rief er seinen Mannen zu. Vergeblich. Wiegert hatte seine Rechnung ohne die stabile Kieler Abwehr gemacht, Wolff stoppte den Sololauf von Magnusson mit einer Glanzparade, Madsen und Landin warfen den THW bis zur 49. Minute mit 24:18 in Front. Stille auf den Rängen, auch wenn die Erregungskurve der Heim-Fans bei der Bankstrafe gegen den SCM wegen des Dauer-Protests der Verantwortlichen schnell wieder in hohe Regionen aufstieg. Nur einmal wurde noch gejubelt: Als Patrick Wiencek sich kurz gegen verbale Attacken auf den zuvor von Serradilla umgemähten Johansson wehrte, kassierte er eine Zeitstrafe. 

Wiegert: "Der THW Kiel war einfach zu stark"

Den Zebras war das aber egal: Souverän spielten sie die Uhr herunter, waren bereits auf 28:20 enteilt. Lukas Zerbe, Hendrik Pekeler und Petter Överby hatten für den entscheidenden 3:0-Lauf gesorgt, der die Partie spätestens in der 54. Minute entschied. Der Rest war ein kleines, aber hoffnungsloses Aufbäumen der Gastgeber. Den Schlusspunkt setzte dann Lukas Zerbe mit seinem Treffer zum 29:24, es war der Auftakt für eine kleine Kieler Jubelfeier auf dem Parkett. Der THW Kiel hatte den SC Magdeburg überrascht, hatte ohne drei Rückraumspieler beim großen Titelfavoriten gewonnen. Großes Lob für die überragende Vorstellung kassierte der THW Kiel von Magdeburgs Trainer Bennet Wiegert. Man könne dem THW nur gratulieren, wie er diese Leistung vollbracht habe, sagte der SCM-Coach. "Wir haben es nicht geschafft, aus einer Negativspirale herauszukommen. Der THW war einfach zu stark." Andreas Wolff blickte gleich nach dem Abpfiff nach vorne. "Wir haben eine phantastische Mannschaft, es macht einfach Spaß, hier zu spielen. Und wenn alle gesund sind, ist mit diesem Team noch viel mehr möglich." 

Heimspiel gegen Top-Gegner Melsungen voraus

Für die Kieler geht es bereits am Donnerstag weiter -  und das wieder gegen einen Top-Gegner: Zu Gast in der Wunderino Arena ist dann die MT Melsungen.Jene Mannschaft, die wie der THW Kiel in der EHF European League spielt und sich vor der Spielzeit wieder einmal verstärkt hat – unter anderem mit Rückraum-Linkshänder Aaron Mensing, der einst in Flensburg spielte und von Emil Madsens Ex-Club GOG zur MT wechselte, Mittelmann Mohamed Amine Darmoul von GWD Minden und Alexandre Calvacanti aus Nantes. Vom FC Barcelona kam der junge Außen Ian Barrufet nach Melsungen, Sohn von Barca-Legende David. Für das Spiel gibt es noch Tickets in allen Kategorien. Diese sind rund um die Uhr online unter www.thw-tickets.de sowie in der THW-FANWELT und bei CITTI erhältlich. Weiter geht’s gegen Melsungen, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

DAIKIN HBL, 3. Spieltag: SC Magdeburg - THW Kiel: 24:29 (15:16)

SC Magdeburg: Hernandez (1.-20., 3 Paraden), Portner (20.-60., 11/1 Paraden); Persson, Musche (8/2), Zehnder (2/1), Zechel, Kristjansson (3), Pettersson (5), Magnusson (3/3), Serradilla, Lagergren (2), Mertens, Saugstrup (1), O’Sullivan (1), Damgaard, Bergendahl; Trainer: Wiegert
THW Kiel: Mrkva (n.e.), Wolff (1.-60., 16/2 Paraden), Bellahcene (n.e.); Duvnjak (1), Landin (2), Överby (3), Wiencek, Pabst (n.e.), Johansson (4), Dahmke (2), Zerbe (4), Kutz (n.e.), Madsen (9), Wallinius, Pekeler (4), Imre; Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Marcus Hurst / Mirko Krag
Zeitstrafen: SCM: 3 (Bergendahl (28.), Serradilla (56.), Bankstrafe (56.)) / THW: 2 (Zerbe (11.),Wiencek (56.))
Siebenmeter: SCM: 9/6 (Wolff hält 2x Magnusson (11., 29.), Zehnder überweg (39) / THW: 1/0 (Portner hält Madsen (40.))
Spielfilm: 2:1 (2.), 4:3 (5.), 4:5 (6.), 5:5, 5:7 (9.), 7:8, 7:10 (14.), 9:11, 9:13 (20.), 12:13 (22.), 14:14 (26.), 14:16 (28.), 15:16;
2. Hz: 15:18 (33.), 16:20 (36.), 18:21 (41.), 18:24 (49.), 20:25 (51.), 20:28 (54.), 23:28 (58.), 24:29
Zuschauer: 6600 (ausverkauft) (Getec Arena, Magdeburg)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Ich tue mich schwer mit einer tiefgreifenden Analyse, ich möchte in diesem Moment eigentlich mehr den Emotionen freien Lauf lassen, die in mir stecken. Ich bin unglaublich stolz auf meine Mannschaft. Wir wollten Magdeburg mit unserer Abwehr vor Aufgaben stellen in der Hoffnung, dass unsere Qualität reicht, um den SCM nerven zu können. Und genau das haben wir geschafft. Ich habe großen Respekt vor Benno, den Leistungen des SCM und wie er das Team zusammengestellt hat. Wir haben heute mit acht Mann durchgespielt, haben mit großer Bereitschaft schnell umgeschaltet. Es ist etwas ganz Besonderes, bei dieser Mannschaft in dieser Halle mit einem Sieg nach Hause zu fahren. Es war ein Spiel in der stärksten Liga der Welt, beim amtierenden Deutschen Meister. Und es war alles drin, was man sich für solch ein Spiel wünscht: Emotionen und Weltklasse-Leistungen individueller und gemeinschaftlicher Natur.

SCM-Trainer Bennet Wiegert: Das Spiel hatte heute einen absolut verdienten Sieger: Filip und der THW Kiel. Wir hatten schon in der ersten Hälfte Probleme, unsere freien Chancen zu verwerten. Andi hatte da schon annähernd eine Paraden-Quote von 43 Prozent. Dass wir trotzdem nur mit einem Ein-Tore-Rückstand in die Pause gehen, war da schon ein gutes Ergebnis, weil wir in Schlagdistanz waren. Mit der zweiten Halbzeit sollten alle bei uns Probleme haben. Bei aller Qualität, die wir in unserem Kader haben, reichen neun Tore in den zweiten 30 Minuten gegen keine Mannschaft der Welt, um zu gewinnen. Ich hatte das Gefühl, dass wir heute sogar deutlicher hätten verlieren können. Wir haben einiges zu tun, denn Kiel war nicht nur Torhüterleistung. Die Leistung von Kiel, die ich sehr wertschätze, war heute abgezockt. Aber wir haben uns auch nicht mit Ruhm bekleckert. Wir haben nicht die Ruhe ausgestrahlt, die des braucht, um einen Rückstand aufzuholen. Ich habe deshalb beim THW Kiel keinerlei Stress mehr verspürt.

THW-Toptorschütze Emil Madsen: Wir haben ein fast perfektes Match gespielt, die Taktik von Filip und Sprengi war überragend. Und wir waren in der Lage, diese Taktik großartig umzusetzen. Meine neun Tore waren nur wichtig, um unserer Mannschaft zum Sieg zu verhelfen. Ich bin nur ein Teil des Teams, das wichtigste ist für mich der Erfolg der Mannschaft.

THW-Abwehrchef Hendrik Pekeler: Wir haben im Kollektiv ein unglaublich starkes Spiel gemacht. Andi hat sensationell gehalten, und ich fand, dass wir auch in der ersten Halbzeit bereits besser waren als es der Ein-Tore-Vorsprung aussagt. In der zweiten Hälfte stellen wir dann ein unfassbares Bollwerk, sodass Magdeburg keine Lösungen mehr gegen unsere Abwehr gefunden hat. Der SCM hat vieles probiert, aber wir haben sie vor immer neue Aufgaben gestellt. Vorn haben wir sehr ruhig und diszipliniert auf unsere Chancen gewartet, von daher bin ich megaglücklich, hier gewonnen zu haben. Gegen Melsungen wird es am Donnerstag aber genauso schwer. Die Mannschaft hat sich unglaublich entwickelt in den vergangenen Jahren, in der letzten Saison haben wir zu Hause gegen die MT verloren. Das wollen wir besser machen und die zwei Punkte bei uns in Kiel behalten.

THW-Rückraumspieler Eric Johansson: Gegen Magdeburg ist es immer unfassbar schwer zu spielen. Heute war es in der zweiten Halbzeit vielleicht nicht so ein schönes Spiel, weil wir immer für ein Tor gekämpft haben, für eine Parade gekämpft haben und Ballverluste erzwungen haben. Am Ende haben wir gut gespielt, die Abwehr heute war heute unglaublich, und Andi hatte sehr viele Paraden dahinter.