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Spielbericht Heimspiel Melsungen

Bundesliga

Spielbericht Heimspiel Melsungen

60 Minuten Kampf, 60 Minuten Dramatik - und am Ende endlich auch einmal Glück: Der THW Kiel hat in der DKB Handball-Bundesliga nach zuletzt drei Ein-Tore-Niederlagen in Folge zwei ganz wichtige Punkte geholt. Marko Vujin bewies vier Sekunden vor dem Ende Nervenstärke und verwandelten einen Siebenmeter zum 32:31 (20:16)-Endstand. Der Linkshänder gehörte neben Raul Santos, der ein glänzendes Comeback nach zehn Monaten Verletzungspause feierte, und "Mr. 100 Prozent" Lukas Nilsson zu den besten Kieler Torschützen - alle drei erzielten sechs Treffer und waren nicht nur deshalb die auffälligsten Akteure der "Zebras". Ebenfalls stark: Ole Rahmel mit vier Treffern und einer guten Deckungsleistung. 10.285 Fans hatten zuvor ein Wellenbad der Gefühle durchlitten - am Ende jubelten die THW-Spieler und ihre Fans befreit über einen Erfolg mit Riesen-Herz und Charakter.

Auch Dahmke kann nicht mitwirken

Begeisterndes Comeback: Raul Santos erzielte sechs Treffer

Die Partie gegen Melsungen sollte viele Geschichten schreiben - die erste gab es bereits vor dem Anpfiff, als Niclas Ekberg via Videowürfel seine Vertragsverlängerung bekannt gab, die mit großem Jubel quittiert wurde. Beim Blick aufs Feld gab es dann die nächste Story. Beide Mannschaften hatten mit großen Personalsorgen zu kämpfen: Bei der MT fehlten neben Torhüter Simic auch Finn Lemke und Tobias Reichmann, beim THW Kiel hatte Alfred Gislason neben Domagoj Duvnjak, Rene Toft Hansen und Steffen Weinhold auch Rune Dahmke nicht zur Verfügung: Der Linksaußen laboriert an einer Schambeinentzündung. Und so kam Geschichte drei ins Rollen: Mehr als zehn Monate nach seiner schweren Knie-Operation kehrte Raul Santos aufs Feld zurück - keine zwei Minuten waren gespielt, da traf der Österreicher zum ersten Mal. Weitere fünf Tore sollten folgen - Santos legte ein Comeback ohne Fehl und Tadel aufs Parkett. Und so starteten die "Zebras" unbeeindruckt ins Spiel, führten 3:0, 4:1 und 5:2 (7.), während sich die Gäste mit ihrer - freundlich ausgedrückt - robusten Gangart in der Deckung früh keine Freunde auf den Rängen machten. Doch stabil war der THW nicht, immer wieder konnte Melsungen dranbleiben und glich nach zehn Minuten erstmals aus.

Vujin tankt Selbstbewusstsein

Marko Vujin traf sechs Mal - unter anderem mit dem entscheidenden Strafwurf

In Ãœberzahl gelang es den Kielern, wieder Luft zwischen sich und den Gegner zu bringen: Ekberg mit einem verwandelten Siebenmeter, Santos mit einem Wurf ins leere Tor und erneut Ekberg, der nach einem von Sjöstrand parierten Siebenmeter im Flug den Balls ins Tor "boxte", erhöhten auf 10:7. Rassig und mit viel Tempo ging es weiter: Der starke Lukas Nilsson erzielte das 12:9, Allendorf mit dem Anwurf auf den leeren Kieler Kasten direkt den Anschluss, Johannes Golla verkürzte nach einem erneuten THW-Ballverlust ebenfalls mit einem Wurf ins leere Tor auf 11:12, ehe Michael Müller der erneute Ausgleich gelang. Wiencek legte nach, und Vujin drosch den Ball zum 14:12 in die Maschen. Zurück auf der Bank wurde der Linkshänder, der von den eigenen Zuschauern einmal mehr bei jeder seiner Aktionen extrem kritisch begleitet wurde, von seinen Mitspielern und Alfred Gislason geherzt: Zuspruch, der das Selbstbewusstsein beim bis dato bereits stark agierenden Vujin steigerte. Mit einem Traumpass bediente der Linkshänder Wiencek zum 17:14, fand aber auch seinen Meister in Sjöstrand: Michael Müller brachte seine Farben beim 16:17 wieder heran. Doch zwei ganz starke Minuten sollten den THW mit einem guten Gefühl in die Pause gehen: Bilyk tankte sich im Eins-gegen-Eins durch, Santos klaute sich den Ball und verwandelte mit einem spektakulären Dreher zum 19:16, und nach einem erneuten MT-Ballverlust traf Nilsson mit dem Halbzeitpfiff zum 20:16 - frenetisch von den Rängen gefeiert. 

Gäste gehen in Führung

Hatte einen schweren Stand: Miha Zarabec

Die zweite Halbzeit begann für die Schwarz-Weißen optimal: Christian Dissinger holte sich mit einem Monsterblock gegen den überragenden MT-Torschützen Julius Kühn den Ball, und Nilsson legte vorn das 21:16 ins Netz. Doch mit zwei schnellen Gegentoren war dieser Moment beinahe genauso schnell verpuff wie Miha Zarabec' genialer Heber (22:18) oder Zarabec' Traumpass auf den sicheren Ole Rahmel zum 23:19. Denn immer dann, wenn der THW Fehler machte, war die MT da. Mit einem 3:0-Lauf verkürzten die Nordhessen auf 22:23 - die Wellebewegungen im Spielstand setzten sich fort. Rahmel mit einem genialen Null-Winkel-Schuss, Bilyk mit einer starken Abwehraktion und Vujin mit der folgenden zweiten Welle, Wiencek nach erneutem Traum-Anspiel von Vujin - der THW lag wieder mit 26:22 vorn. Weil Vujin dann aber unglücklich an der Latten-unterkante scheiterte, konnte Haenen wieder verkürzen. Jetzt waren wieder die Rot-Weißen am Drücker: In Unterzahl erzielte Kühn das 28:29, ein rüdes Philipp-Müller-Foul an Zarabec, der genauso wie Nilsson nach einem rabiaten P.-Müller-Stoß im Sprung lange behandelt werden musste, wurde nicht geahndet: Boomhouwer glich im Gegenstoß aus, Zarabec scheiterte nach einer wichtigen Parade von Niklas Landin, der es zuvor wie Andreas Wolff schwer hinter einer nicht immer sattelfest agierenden Abwehr hatte, an Sjöstrand, und urplötzlich waren die Gäste nach Haenens Konter vorn: 30:29 für die MT, dem Kühn nach Nilssons 105-km/h-Fackel zum Ausgleich das 31:30 folgen ließ. Der THW wankte, auch weil Sjöstrand einen Ekberg-Siebenmeter gehalten hatte.

Nervenstarker Vujin

Zuspruch und endlich wieder lächelnde Kieler: Alfred Gislason und Christian Dissinger

Doch dieses Mal sollte er nicht fallen, weil alles Zebras um jeden Zentimeter Boden fighteten, weil Landin in der entscheidenden Phase gegen den frei vor ihm auftauchenden Haenen parierte, und weil Vujin Verantwortung übernahm: In der 57. Minute verwandelte er einen Siebenmeter zum 31:31, und brachte seine "Zebras" mit einem Steal in der Abwehr in die Position, doch noch zwei Punkte zu holen. Gislason nahm 25 Sekunden vor dem Ende die Auszeit, Nilsson tankte sich durch die Abwehr und konnte nur durch ein Foul gestoppt werden. Fünf Sekunden waren da noch zu spielen - es gab Siebenmeter. Was folgte, war die wohl schönste Geschichte des Abends: Ohne Schnörle verwandelte Vujin auch diesen Strafwurf. 32:31. Abpfiff. Der Rest war befreiter Jubel. Auf dem Feld fielen sich die "Zebras" in die Arme, alle gemeinsam herzten Vujin nach dessen sechstem Tor. Und auf den Rängen wurde gefeiert - nach drei Ein-Tore-Niederlagen in Folge hatten sich die leidenschaftlich kämpfenden Kieler endlich wieder für ihren Aufwand belohnt und den direkten Verfolger in der Tabelle auf Abstand gebracht!

THW Kiel jetzt in Paris gefordert

Für den THW Kiel geht es jetzt in der VELUX EHF Champions League weiter - und das mit einer Partie beim Titelanwärter Paris Saint-Germain. Obwohl die Favoritenrolle im Duell mit der Millionen-Mannschaft aus der französischen Hauptstadt klar verteilt sein dürfte, wollen die "Zebras" alles in die Partie legen. "Wir wissen, was wir in Paris zu tun haben", kündigte Ole Rahmel kämpferische Kieler an. Denn klar ist: Holt der THW Kiel an der Seine mindestens einen Punkt, hat er Platz vier in der Vorrunden-Gruppe B sicher und damit automatisch das Heimrecht für das Rückspiel. Gegner wäre in diesem Fall der ungarische Vizemeister Pick Szeged, gespielt werden würde in Kiel voraussichtlich am Osterwochenende (31. März/1. April). Gelingt den "Zebras" in Paris kein Punktgewinn und gewinnt Kielce sein letztes Vorrunden-Spiel gegen Brest, würde der THW Kiel die Vorrunde auf Platz fünf beenden. In diesem Fall müssten die Kieler das Hinspiel in der Sparkassen-Arena bestreiten. Die Zustimmung der EHF und der Fernsehanstalten vorausgesetzt, würde diese Partie am 21./22. März ausgetragen. Gegner wären nach derzeitigem Stand in dieser Konstellation die Rhein-Neckar Löwen. Der Vorverkauf für das Achtelfinal-Heimspiel hat bereits begonnen (siehe Extra-Artikel), Karten im freien Verkauf gibt es auch im Online-Ticket-Shop. Auf geht's nach Paris, Kiel!

Fotos: Sascha Klahn

DKB Handball-Bundesliga, Statistik, 23. Spieltag, 01.03.18: THW Kiel - MT Melsungen: 32:31 (20:16)

THW Kiel: Landin (1.-38., 47.-60., 11/1 Paraden), Wolff (38.-47., 1 Parade); S. Firnhaber, Dissinger, Wiencek (4), Ekberg (2/1), Frend Öfors (n.e.), Rahmel (4), Dahmke (n.e.), Zarabec (2), L. Firnhaber (n.e.), Vujin (6/2), Bilyk (2), Nilsson (6), Santos (6); Trainer: Gislason

MT Melsungen: Sjöstrand (1.-60., 11/2 Paraden), Lenz (n.e.); Maric (4), Kühn (7), Golla (3), Mikkelsen (3/2), Danner (n.e.), P. Müller (1), Boomhouwer (1), Schneider, Allendorf (3/2), M.Müller (6), Haenen (2), Langhans; Trainer: Roth

Schiedsrichter: Peter Behrens / Marc Fasthoff

Strafzeiten: THW: 2 (Bilyk (15.), Dissinger (18.)) / MT: 4 (2x P. Müller (12., 47.), Golla (17.), M. Müller (22.))

Siebenmeter: THW: 5/3 (Sjöstrand hält 2x Ekberg (16., 33.)) / MT: 5/4 (Landin pariert Allendorf (11.))

Spielfilm: 3:0 (3.), 4:1, 5:2 (7.), 5:4 (8.), 6:4, 6:6 (10.), 7:7, 10:7 (15.), 12:9 (19.), 12:12 (21.), 15:12 (24.), 17:14 (26.), 17:16 (28.), 20:16;
21:16 (31.), 21:18 (33.), 23:19 (35.), 23:22 (39.), 26:22 (42.), 26:24 (43.), 28:25, 29:27 (47.), 29:30 (53.), 30:31 (55.), 31:31 (57.), 32:31 (60.))

Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Sparkassen-Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel:

THW-Trainer Alfred Gislason: Es war das extrem schwere Spiel, das wir erwartet hatten. Beide hatten mit verletzungsbedingten Ausfällen zu kämpfen. Gestern ist Rune auch noch ausgefallen. Deshalb bin ich extrem froh über diese Superleistung von Raul. Insgesamt haben wir ganz gut gespielt, auch wenn es in der Abwehr auch mal Riesen-Löcher gab, hinter denen es unsere Torhüter nicht leicht hatten. Die zweite Halbzeit fing dann ganz gut an, aber zum Ende hin wurde es immer enger und hätte kippen können. Dieses Mal waren wir die etwas glücklichere Mannschaft. Angesichts unserer Probleme war das eine sehr gute Teamleistung, die Mannschaft hat einen Riesen-Charakter gezeigt.  Marko war ganz wichtig, Ole hat stark auf Außen gespielt, und Lukas hatte nicht einen Fehlwurf. Ich bin stolz auf meine Jungs, dass sie diese zwei Punkte gewonnen haben.

MT-Trainer Michael Roth: Glückwunsch an den THW Kiel. Wir haben alles rausgehauen, was wir hatten. Wir sind extrem gehandicaped gewesen, aber alle, die da waren, haben alles gegeben. In der Crunchtime machen wir dann aber die entscheideden Fehler, vergeben einen Hundertprozentigen, und Julius Kühn macht einen technischen Fehler, was Kiel natürlich sofort bestraft. Es ist sehr bitter und schade, dass wir nichts mitnehmen konnten. Aber auf diesem Spiel können wir aufbauen und daran glauben, unsere Ziele zu erreichen.

MT-Geschäftsführer Axel Geerken: Ich bin enttäuscht, aber nicht ratlos. Wir haben eine super kämpferische Leistung gezeigt und alles gegeben. Ein Punkt wäre verdient gewesen, aber wir machen am Ende den einen oder anderen Fehler zuviel. Heute möchte ich mich nicht am Ergebnis orientieren, sondern an unserer Leistung.

Viktor Szilagyi, Sportlicher Leiter des THW Kiel: Wir haben in 60 kampfbetonten Minuten alls reingehauen und am Ende das Quäntchen Glück gehabt, das uns zuletzt oft gefehlt hat. Der verwandelte Siebenmeter von Marko Vujin war ein emotionaler Höhepunkt in dieser sehr schweren Phase, in der wir erstens ersatzgeschwächt und zweitens mit drei Ein-Tor-Niederlagen im Gepäck angetreten sind. Ich bin froh über das Erfolgserlebnis, ich bin sehr zufrieden. Respekt vor unserer Mannschaft! Besonders gefreut habe ich mich heute für Marko, der sich unglaublich reingehängt und für diesen Sieg alles gegeben hat. An den Reaktionen seiner Mitspieler hat man gesehen, wie sehr sie sich über Markos tolle Leistung und seine Nervenstärke gefreut haben. Deshalb finde ich es richtig schade, dass von Teilen der Zuschauer diese starke Leistung erst sehr spät honoriert wurde.