KN: Handball paradox

DHB-Pokal

KN: Handball paradox

Hannover. Der Titelverteidiger ist ausgeschieden. In einem kuriosen, wenig hochklassigen, am Ende spannenden Achtelfinale des DHB-Pokals muss sich der krisengeschüttelte THW Kiel bei der TSV Hannover-Burgdorf mit 22:24 (10:13, siehe Spielbericht) geschlagen geben. Die Zebras gehen dabei durch ein Wechselbad der Gefühle, drehen einen 0:8-Rückstand in eine zwischenzeitliche 17:15-Führung und schleichen am Ende wie geschlagene Hunde aus der Tui Arena. "Der erste Titel ist futsch", resümiert ein konsternierter Abwehrchef Patrick Wiencek.

Katastrophenstart und kein Happy End

Alfred Gislason entscheidet sich in Hannover für eine im Vergleich zum 20:20-Nordderby vom vergangenen Sonntag veränderte Zebra-Formation. Der Isländer setzt gegen die Recken auf den quirligen Miha Zarabec auf der Spielgestalter-Position. Und er schenkt Linksaußen Emil Frend Öfors das Vertrauen. Für die Länderspiele gegen Spanien nicht nominiert, beim THW nicht in der Anfangsformation - Europameister Rune Dahmke erlebt einen düsteren Herbst. Doch es geht noch düsterer: Nach etwas mehr als zehn Minuten liegen die Zebras in der nicht ausverkauften Tui Arena mit 0:8 hinten.

Null zu acht. Wann hat es das einmal gegeben? Das erste Kieler Tor fällt nach elf Minuten und 13 Sekunden, das erste Feldtor nach fast 13 Minuten. Es erzielt: der eingewechselte Rune Dahmke! Zarabec ist längst nicht mehr auf dem Feld - zu ideen- und drucklos agierte der Slowene. Es droht ein dem Rekordpokalsieger unwürdiges Desaster, in dem sich auch das Schiedsrichtergespann mit einer unterdurchschnittlichen Leistung anpasst. Kiel droht zu kentern, wären da nicht besagter Rune Dahmke und ein - mit Verlaub - Handball-"Senior". Nicht nur sind es fast ausschließlich Dahmke (3 Tore vor der Pause) und der 36-jährige Christian Zeitz (4), die ihre Mannschaft wieder ins Spiel werfen. Da, wo andere in diesen ersten 30 Minuten Nerven zeigen, Fehler und Fehlwürfe produzieren, zaudern oder mit dem Kopf durch die Wand wollen, den Gegner zu Steals und Tempogegenstößen einladen. Da, wo die Abwehr Räume lässt, beispielsweise für Nationalspieler Kai Häfner im TSV-Dress, da gehen Dahmke und Zeitz, die beide vom jetzt klugen, ruhigen Aufbauspiel Steffen Weinholds profitieren, voran, leben vor, initiieren Einzelaktionen.

Einzelaktionen, die den THW wieder in Schlagweite bringen. In erster Linie, weil die umgestellte Deckung in ihrer offensiven 3:2:1-Formation mit Christian Dissinger an der Spitze zündet. Zur Pause nur ein 10:13, Zeitz muss schwer atmen, alles ist wieder möglich. Und es wird sogar noch besser. Der eingewechselte Andreas Wolff zeigt einige starke Paraden, jetzt keimt endlich so etwas wie Struktur im Positionsangriff. Lukas Nilsson gelingen schöne Tore, unterlaufen aber auch wieder einige dumme Fehler. Wolff pariert gegen Morten Olsen (36.), gegen Torge Johannsen (37.), gegen den alten Kollegen Ilija Brozovic (48.), Ekberg trifft zur 18:17-Führung (49.). "Jetzt haben die Abwehrreihen das Spiel dominiert. Kiel wollte seinen Titel verteidigen, wir haben bravourös gegengehalten", sagt Kai Häfner nach der Partie.

Gegen die bewegliche TSV-Abwehr mit Brozovic, Pavnov, Christophersen tun sich die Kieler schwer, haben das Spiel dennoch im Griff. Dann gelingt TSV-Coach Carlos Ortega der entscheidende Schachzug. Er bringt den siebten Feldspieler, zwingt die offensive Kieler Abwehr immer wieder zurück Richtung Sechs-Meter-Kreis. Es ist ein Kampf auf Biegen und Brechen. Hier ein unnötiger Wurf (21:20 für Hannover/53.), da ein schlechter von Lukas Nilsson (57.). Dem Schweden unterläuft ein weiterer Fehler, und jetzt ist Hannover da, ist kaltschnäuzig. Ein Steal, Häfners 24:22 (59.), Niclas Ekberg dreht den letzten Kieler Ball an den Pfosten. Aus! Der Titelverteidiger ist raus, wird beim Final Four in Hamburg nur zuschauen dürfen. Am Ende: Ein Spiel, das nachdenklich stimmt.

(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 19.10.2017, Foto: Angela Grewe)