Andi Wolff beim Torhüter-Spektakel obenauf: THW Kiel schlägt die Rhein-Neckar Löwen 29:24

Bundesliga

Andi Wolff beim Torhüter-Spektakel obenauf: THW Kiel schlägt die Rhein-Neckar Löwen 29:24

Das war eine fantastische Werbung für die Sportart Handball: 60 Minuten Tempo, Rasse, Klasse, dazu überragende Torhüter auf beiden Seiten. Der THW Kiel und die Rhein-Neckar Löwen begeisterten am Sonntagnachmittag die 10.285 Fans in der ausverkauften Kieler Wunderino Arena, die am Ende völlig aus dem Häuschen waren. Vor allem, weil ihre Zebras mit einer klasse Darbietung im zweiten Durchgang für eine großartige Stimmung in ihrem Wohnzimmer sorgten. Mit dem verdienten 29:24 (12:12)-Triumph hielten die Kieler Anschluss an die oberen Tabellenränge. Dabei revanchierte sich die Mannschaft von Trainer Filip Jicha für die 27:32-Niederlage beim Saison-Auftakt in Mannheim und gewann erstmals seit dem 22. Oktober 2022 wieder ein Heimspiel gegen die Rhein-Neckar Löwen.

Keeper auf beiden Seiten sorgen für Spektakel

Bester Kieler Torschütze war Emil Madsen, der siebenmal ins Löwen-Tor traf, in der zweiten Hälfte mit seinen Durchbrüchen, Würfen und gekonnten Anspielen zum wichtigsten Angreifer auf dem Parkett avancierte. Für die Gäste zeichnete sich Kreisläufer Jannick Kohlbacher aus, der achtmal ins Schwarze traf. Die alles überragenden Spieler aber standen zwischen den Pfosten beider Teams. Bei Rekordmeister Kiel begeisterte Andreas Wolff mit insgesamt 18 Paraden, zweimal hielt der Kandidat für den "Welthandballer des Jahres" Strafwürfe von More und Knorr auf. Auf der anderen Seite stand mit Mikael Appelgren allerdings ein Torhüter auf Augenhöhe. Der Schwede machte 15 Kieler Großchancen zunichte, später kam David Späth, der ebenfalls noch vier Paraden auf sein Konto brachte. Die Zebras ließen sich beim Torhüter-Spektakel trotzdem nicht aufhalten, sorgten in der zweiten Halbzeit mit einer großartigen Moral und Steigerung im Angriff für die erhofften Punkte.

Viel Tempo in Schwarz-Weiß

Die Kieler mussten einmal mehr ohne Rückraum-Ass Nikola Bilyk (Muskelprobleme im Oberschenkel) auskommen, Kapitän Domagoj Duvnjak saß nach seiner im Training erlittenen Knöchelverletzung aber auf der Bank, kam auch zu kurzen Einsätzen. Das Aufeinandertreffen stand vor allem unter dem Vorzeichen eines direkten Vergleichs des aktuellen Torhüter-Gespanns in der deutschen Handball-Nationalmannschaft. Andreas Wolff stand dann auch von Beginn an zwischen den Pfosten der Kieler, bei den Gästen aber gab Trainer Sebastian Hinze dem Routinier Mikael Appelgren den Vorzug vor David Späth. Ein Schachzug, der in den ersten 40 Minuten voll aufging. Der 35-jährige Schwede entpuppte sich schnell als Stoppschild für Kiels Angreifer. Die Zebras, die auf Linksaußen nach kurzer Verletzungspause wieder mit Rune Dahmke starteten, boten durchaus attraktiven Tempohandball, waren in der Abwehr mit dem starken Mittelblock Hendrik Pekeler/Patrick Wiencek auch äußerst stabil, trugen gewonnene Bälle schnell nach vorne.

Wolff hält THW im Spiel

Dort aber scheiterten die Kieler ein ums andere Mal an Appelgren: Elf Paraden brachte der "alte Schwede" in der ersten Halbzeit auf sein Konto, darunter zwei gehaltene Siebenmeter gegen Bence Imre und Emil Madsen. Das raubte dem jungen Kieler Angriff den Mut und sorgte in der Folge auch für eine Vielzahl technischer Fehler im Spielaufbau. Nur gut, dass auf der anderen Seite ebenfalls ein Teufelskerl zwischen den Pfosten stand. Wolff glänzte vor allem mit gehaltenen Bällen in direkten Duellen, ließ der Reihe nach Kohlbacher, Groetzki oder Lindenchrone verzweifeln. Am Ende der ersten 30 Minuten hatte Kiels Schlussmann zehn Paraden gesammelt, einen Strafwurf von Juri Knorr inklusive. Die Kieler starteten mit einer 4:2-Führung und hatten auch in der Folge stets die Nase knapp vorne. Madsen traf, Dahmke schnappte sich geistesgewärtig einen Abpraller, netzte in der 14. Minute zum 6:5 ein.

Zebras fehlt im ersten Durchgang die Geduld

Nach dem 7:7 von Jannick Kohlbacher rief Filip Jicha zur ersten Auszeit. "Bleibt geduldig", forderte Kiels Trainer. Die Gäste kamen aber immer besser in die Partie, legten durch Kohlbacher und Lindenchrone eine 9:7-Führung vor, zogen beim 11:8 (23. Minute) durch Schefvert gar auf drei Tore davon. Dabei leisteten die Kieler Schwerstarbeit in der Abwehr, gewannen Bälle, verspielten ihre Chancen aber zum Teil überhastet. Domagoj Duvnjak übernahm die Regie, brachte Ruhe ins THW-Spiel. Folge war der wichtige 3:0-Lauf kurz vor der Pause: Harald Reinkind, "Dule" und Lukas Zerbe mit verwandeltem Strafwurf glichen zum 11:11 aus, der starke Hendrik Pekeler traf dann kurz vor dem Pausenpfiff zum 12:12-Halbzeitstand. "Wir waren im Abschluss nicht konsequent genug", erklärte Eric Johansson in der Pause. "Aber wir machen viel richtig, müssen in der zweiten Halbzeit so weitermachen."

7:0-Lauf reißt die Fans von den Sitzen

Die ersten Minuten der zweiten Hälfte gehörten abermals den Gästen: Nothdurft und Lincenchrone erzielten die schnelle 14:12-Führung, die Madsen und Johansson mit Rückraumkrachern ebenso schnell egalisierten. Kohlbacher brachte die Löwen dann ein letztes Mal in Front, ehe das großartige THW-Tempospiel mit voller Wucht über die Rhein-Neckar Löwen hereinbrach. Die Zebras hatten offensiv wieder Mut gefasst und gingen nun ohne Umschweife direkt Richtung Tor: Emil Madsen war dabei die Kieler Speerspitze - alles was der Däne anpackte, war in dieser Phase von Erfolg gekrönt. Magnus Landin erzielte in der 35. Minute den Ausgleich zum 15:15, per "Schmetterball" in den kurzen Winkel traf Madsen zum 16:15. Diese beide Treffer waren der Aufgalopp zu einem unwiderstehlichen 7:0-Lauf der Zebras, der die Fans zum Toben brachte und durch Pekelers Leger vom Kreis in der 43. Minute zum 21:15 sein Ende fand. Eine gewisse Vorentscheidung: Die Löwen bekamen keinen Zugriff mehr auf das Spiel, zerschellten am Kieler Abwehrbeton und dem großartigen Wolff.

Kieler packen den Deckel drauf

Ein wenig Hoffnung kehrte bei den Löwen-Fans dann doch zurück, Schefvert verkürzte in der 47. Minute auf 18:22. Das kleine Zwischenhoch der Gäste beendete Filip Jicha dann mit einer Auszeit zur rechten Zeit. Wolff hielt gegen Groetzki, Madsen und Landin ließen die Zebras wieder auf 24:18 enteilen.Und als erst Pekeler nach furiosem Anspiel von á Skipagötu und dann Zerbe nach einer weiteren Wolff-Glanzparade per Tempogegenstoß zum 27:20 einnetzte, war binnen Sekunden die Partie entschieden. Die Zuschauer hatte es längst von den Sitzen gerissen, sie hatten den Zebras durch das Tal der ersten Hälfte geholfen und feierten nun mit den jubelnden Zebras gemeinsam einen ganz wichtigen Sieg.

Zebras auf dem Weg zu den Nationalmannschaften

Die Zebraherde zerstreute sich nach dem letzten THW-Heimspiel im März in alle Winde: Bis auf Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler, Domagoj Duvnjak, den pausierenden Petter Överby und den verletzten Nikola Bilyk machten sich alle Kieler zum Teil noch am Abend auf den Weg zu den jeweiligen Nationalmannschaften. Die Qualifikation zur EHF Euro 2026 steht bei den meisten auf dem Spielplan. Deutschland mit Andreas Wolff, Rune Dahmke und Lukas Zerbe trifft dabei zweimal auf Österreich. Am Donnerstag, 13. März, tritt die DHB-Auswahl zunächst um 18 Uhr in Wien an, am Sonnabend, 15. März, 16.30 Uhr, haben die Deutschen in Hannover dann das Heimrecht. Nach der Rückkehr stehen für die Zebras dann zwei wahre Herkules-Auswärtsaufgaben an: Am 22. März (live auch im NDR) sind sie in Flensburg, eine Woche später in Melsungen gefordert. Weiter geht‘s nach den Nationalmannschaften, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

DAIKIN Handball-Bundesliga, 22. Spieltag: THW Kiel – Rhein-Neckar Löwen: 29:24 (12:12)

THW Kiel: Mrkva (n.e.), Wolff (1,.-60., 18/2 Paraden); Duvnjak (1), Reinkind (1), Landin (2), Överby, Wiencek (1), Johansson (2), Dahmke (1), Zerbe (4/1), Kutz (n.e.), Madsen (7), Pekeler (6), á Skipagötu (3), Imre (1/1); Trainer: Jicha
Rhein-Neckar Löwen: Appelgren (1.-45., 15/2 Paraden), Späth (45.-60., 4/1 Paraden); Nothdurft (4), Plucnar Jacobsen (1), Knorr, Moré, Davidsson (1), Groetzki (2), Forsell Schefvert (5), Michalski, Lindenchrone (3/1), Jaganjac, Kohlbacher (7); Trainer: Hinze

Schiedsrichter: Fabian Baumgart / Philipp Dinges
Zeitstrafen: THW: 0 / RNL: 0
Siebenmeter: THW: 5/2 (Appelgren hält Imre (10.) und Madsen (26.), Späth hält Zerbe (54.)) / RNL: 4/1 (Moré an die Latte (7.), Wolff hält Knorr (26.) und Moré (41.))
Spielfilm: 1:0., 2:2 (5.), 4:2 (11.), 5:3 (11.), 5:5 (13.), 7:6 (16.), 7:9 (19.), 8:11 (23.), 11:11 (28.), 12:12;
2. Hz: 12:14 (32.), 14:14 (34.), 14:15, 21:15 (43.), 22:16, 22:18 (47.), 24:18 (48.), 27:20 (54.), 28:21, 28:23 (59.), 29:24.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Vor ein paar Monaten hätten wir dieses Spiel noch verloren. Wir haben uns in der ersten Halbzeit sehr schwer mit Appelgren getan. Gleich der erste Wurf von Madsen war Weltklasse, die Parade von Mikael aber auch. Ich habe dann die zunehmende Verunsicherung gespürt, und meine Jungs haben den Mut verloren, den uns Appelgren weggenommen hat. Die Rhein-Neckar Löwen haben es dann sehr schlau gemacht, und wir haben nach Ballgewinnen den Ball oft auch direkt wieder weggegeben. Gegen Ende der ersten Hälfte haben wir uns gewehrt gegen diese Situation, und der Mut kehrte Stück für Stück zurück. In der zweiten Halbzeit sind wir viel wuchtiger auf die Abwehr gegangen, und ich bin froh, dass die Jungs weiter an sich geglaubt haben, sich zu mehr Wuchtigkeit schrauben und gewinnen konnten. Es war ein Torwart-Spektakel auf beiden Seiten, Andi hat über 60 Minuten sehr konstant gehalten. Er hat uns im Spiel gehalten, als wir mutlos waren. Und ich freue mich über meine beiden Rückraum-Mitte-Spieler: Elias war erkältet, Dule ist im Training umgeknickt und ich hatte am Freitag keine Vorstellung, wie er es aufs Feld würde schaffen können. Ich bin auch heute noch ratlos, wie er das macht – aber beide haben heute in der Spielsteuerung viel geleistet. Jetzt ist erstmal Pause, und ich hoffe, dass alle gesund von den Nationalmannschaften zurückkehren. Das wäre sehr wichtig. 

Löwen-Trainer Sebastian Hinze: Wir haben eine sehr gute erste Halbzeit gespielt mit einem Torwart, der den Kielern sehr viele Würfe weggenommen hat. Wir haben es zudem geschafft, ein sehr gutes Tempospiel aufzuziehen, haben allerdings vor der Pause ebenfalls ein paar Würfe liegengelassen. Beide Teams hattten gute Abwehrreihen und gute Torhüter, und wir spielen eigentlich bis zum 15:20 auch gut, scheitern aber oft aus sechs Metern. Kiel hat es so geschafft, Distanz aufzubauen, die Rückraum-Achse zum Kreis hat hervorragend funktioniert und insgesamt hatten die Kieler eine hohe Stabilität im Positionsangriff. Schade, dass wir uns nicht belohnt haben, es war gefühlt mehr drin als ein minus fünf.

Löwen-Torhüter Mikael Appelgren bei Dyn: Andi Wolff hat viele freie Bälle gehalten, das hat was mit uns gemacht. Wir haben dann viele Fehler gemacht, Kleinigkeiten spielen dann im Handball auch eine Rolle. Es ist immer etwas ganz Besonderes in dieser Arena zu spielen. Die Halle war ausverkauft, und die Fans erzeugen eine ganz besondere Stimmung, das animiert auch mich immer zu besonderen Leistungen.

THW-Torhüter Andreas Wolff bei Dyn: Wir wollten unbedingt eine Revanche für die Hinspiel-Niederlage, dann haben wir in der zweiten Halbzeit enorm aufs Tempo gedrückt, unsere Fehlerquote gesenkt und die Chancen besser verwertet. Das ist ein wichtiger Sieg in einem sogenannten Vier-Punkte-Spiel gewesen. In den kommenden Wochen stehen schwere Aufgaben auf dem Programm, wir dürfen und wollen uns keine Ausrutscher mehr erlauben.