Ein Abend der großen Emotionen: THW Kiel schlägt Paris Saint-Germain und bleibt oben
Das Heimspiel des THW Kiel gegen Paris Saint-Germain in der Machineseeker EHF Champions League war einer dieser magischen Königsklassen-Abende, die es so wohl nur in der Wunderino Arena gibt. Ein Abend der Emotionen, bei dem die Zebras ihre 8204 entfesselten Fans nach nahezu perfekter erster Hälfte doch noch durch ein Auf und Ab der Gefühlswelten schickten. Am Ende war dann nur noch Jubel: Jubel über ein starkes Comeback der Kieler, Jubel über ein großartiges Torhüter-Team. Und Jubel über eine bärenstarke Mannschaftsleistung, die den 26:24 (15:10)-Erfolg der Kieler gegen die Weltklasse-Mannschaft aus Frankreichs Hauptstadt möglich machte.
Bilyks Verlängerung und Nikola Karabatics würdiger Abschied
Emotional war es schon weit vor Anpfiff der Partie: Nikola Bilyks Vertragsverlängerung sorgte für Riesen-Jubel auf den Tribünen, später wurde Nikola Karabatic, der in seinen vier Jahren beim THW Kiel unter anderem vier Mal die Meisterschaft geholt und die Zebras zum Champions-League-Sieg 2007 geführt hatte, von THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi unter tosendem Beifall der Zuschauer verabschiedet. Während beim 27-jährigen Bilyk die Karriere mit unvermindertem Tempo weitergeht, wird Karabatics nach dann 24 Jahren auf Weltklasse-Niveau im kommenden Sommer nach den Olympischen Spielen in Paris enden. "Er ist für mich der beste Handballer aller Zeiten", sagte THW-Trainer Filip Jicha, "deshalb möchte ich mich bei unseren Fans bedanken, wie würdig sie Nikola verabschiedet haben."
Entflammte Kieler Handballherzen
Draußen Minusgrade, drinnen entflammten die Kieler Handballherzen: 8204 Fans erlebten am Donnerstagabend ein Handball-Spektakel der besonderen Art. Nach klarer 15:10-Halbzeitführung dank einer fantastischen Torhüterleistung von Samir Bellahcene verlor die Mannschaft von Trainer Filip Jicha mit Beginn der zweiten 30 Minuten ihren Faden. Paris arbeitete sich Tor um Tor heran, glich aus, ging selbst mit zwei Toren in Führung. Doch mit einer unglaublichen Energieleistung fanden die Zebras zurück ins Spiel und hatten in den letzten zehn Minuten mit Tomas Mrkva einen weiteren Zauberer zwischen den Pfosten. So drehten sie den Spieß um und gewannen das nervenaufreibende Spiel vor ihren begeisterten Fans verdient.
Zebras verteidigen Tabellenführung
Damit verteidigte der Deutsche Meister die Tabellenführung in der Gruppe A und - beinahe wichtiger in dieser extrem engen und spannenden Gruppenphase - hielt die Franzosen auf Distanz. Bester Werfer beim Sieger war Niclas Ekberg, der fünfmal ins PSG-Tor traf. Nikola Bilyk war viermal erfolgreich. Der Ex-Kieler Andreas Palicka im PSG-Kasten war bester Spieler des französischen Meisters. Während der französische Serienmeister ohne seinen verletzten Kreisläufer Syprzak auskommen musste - der polnische Kreisläufer war beim Kieler 34:28-Hinspiel-Triumph mit acht Treffern bester PSG-Torschütze gewesen - musste Kiels Trainer Filip Jicha weiterhin auf den an der Wade verletzten Harald Reinkind verzichten, der in Paris mit sieben Treffern bester THW-Schütze gewesen war.
Bellahcene on fire
Die ersten Minuten indes wurden zur Bühne für THW-Torhüter Samir Bellahcene, der gegen seine Landsleute eine grandiose Anfangsphase aufs Parkett brachte. Egal, wer vor dem THW-Keeper auftauchte, Bellahcene hatte immer einen Körperteil am Ball. Nach sieben Minuten feierte er unter den Ovationen der THW-Fans bereits seine siebte Parade. Ein Traumstart für Kiels Kurzfrist-Neuzugang, der die Basis den Traumstart der Mannschaft legte: Domagoj Duvnjak, Ekberg per Siebenmeter, der gleichsam frech wie stark startende Elias Ellefsen á Skipagötu, nochmals Duvnjak und Hendrik Pekeler sorgten für den lupenreinen 5:0-Start der Kieler. Sole brach schließlich den Pariser Bann, erzielte das erste Tor für die früh entnervten Gäste in der siebten Minute. Bereits nach sechs Minuten drückte PSG-Trainer Raul Gonzales aufgeregt auf den Buzzer, versammelte sein Team zu einer Auszeit. Die Standpauke des Trainers wirkte, die Pariser Abwehr stand offensiver und besser in der Abwehr, machte aus dem 0:5 innerhalb von fünf Minuten ein 5:6.
Kieler am Drücker
Die Zebras aber ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, der junge Färinger á Skipagötu traf mit einem unglaublichen Wurf unter die Latte zum 7:5, glänzte zudem mit vielen guten Anspielen, von denen Patrick Wiencek eines zum 8:5 verwandelte. Dennoch blieb es zunächst eng, die offensive Pariser Deckung störte Kiels Angriff erfolgreich, Elohim Prandi war nach 19 Minuten zur Stelle, verkürzte auf 8:9. Aber die Kieler hatten eben einen Bellahcene zwischen den Pfosten, der gewiss schon gute Spiele für sein neues Team abgeliefert hatte, am Donnerstag aber eine gigantische erste Halbzeit ablieferte: 60 Prozent lautete die Quote der gehaltenen Bälle in der 20. Minute. 14 Paraden standen nach 30 Minuten auf dem Zettel des erst 28 Jahre alten Kieler Schlussmannes - darunter der gehaltene Strafwurf gegen Dominik Mathe. Prandi, Grebille, Luka Karabatic - egal, wer es versuchte, Bellahcene war schon da.
Halbzeitführung schmilzt dahin
Ekberg, Petter Överby und Eric Johansson mit einem Hammer unter die Latte nutzten den daraus resultierenden Kieler Ballbesitz zu Toren und dem 3:0-Lauf, der die Zebras bis zur 23. Minute wieder auf 12:8 enteilen ließ. Överby brachte die Zebras beim 14:9 dann erneut mit fünf Treffern nach vorn, Grebille verkürzte, doch Bilyk wuchtete den Ball fast mit dem Halbzeitpfiff zum 15:10 in die Pariser Maschen. Ein Ruhepolster war das aber nicht. Hellwach waren mit Beginn der zweiten Hälfte nur die Gäste, für die jetzt auch Nikola Karabatic auf der Platte stand. Karabatic wurde zum Fels in der PSG-Abwehr, an der sich die Zebras jetzt die Zähne ausbissen. Ein 3:0-Lauf führte Paris auf 13:15 heran, á Skipagötu nahm sich ein Herz, erzielte das 16:13. Doch Paris übernahm die Spielregie, Karabatic und Prandi trafen, sorgten für den 5:1-Start der Gäste in die zweite Hälfte.
Nervenaufreibende Schluss-Viertelstunde
Filip Jicha griff zur frühen Auszeit. Johansson traf auch zum 17:15, Luca Karabatic verkürzte, dann war Bilyk zum 18:16 erfolgreich. Spielerische Lösungen suchten die Zebras in dieser Phase der Partie aber vergeblich. Paris nutzte Kiels offensive Auszeit zu einem 4:0-Lauf, lag erstmals in dieser Partie selbst vorn: Nikola Karabatic traf nach 45 Minuten zur 20:18-Führung. Es blieben 15 Minuten, die zum absoluten Handball-Krimi wurden, die die THW-Fans erst erstarren ließen und sie in der Folge von den Sitzen rissen. Palicka war in der 46. Minute gegen Överby zur Stelle, glänzte mit seiner zwölften Parade, wollte den Ball dann direkt ins leere Kieler Tor werfen. Doch er verfehlte das THW-Gehäuse, im Gegenzug verkürzte Hendrik Pekeler nach einem No-Look-Pass von Johansson auf 19:20, Rune Dahmke kurz darauf zum Ausgleich.
Mrkva schraubt mit den Zebras den Deckel drauf
Jetzt ging es hin und her, Paris legte vor, Kiel glich aus. Sehenswert vor allem durch den Dreher von Niclas Ekberg zum 23:23 in der 51. Minute. Technische Fehler schlichen sich in der spannnungsgeladenen Schlussphase ebenfalls ein. Auf beiden Seiten. Und dann beorderte Filip Jicha Tomas Mrkva ins Kieler Tor: Den ersten Ball von Balaguer musste der Tscheche passieren lassen, dann nagelte Mrkva seinen Kasten zu, hielt unter anderem einen Kempa-Versuch von Mathé. Nikola Bilyk veredelte eine Parade seines Torhüters mit grandiosem 124 km/h-Schlagwurf in den Winkel in der 58. Minute zum 24:23. Die Kieler hatten das Spiel gedreht. Rune Dahmke war hellwach, brachte seinen Ballklau wenig später zum 25:23 im leeren Pariser Tor unter. Nach der dritten Mrkva-Glanztat gegen den freien Balaguer nahm Jicha 30 Sekunden vor dem Schlusspfiff die letzte Auszeit, Eduardo Gurbindo war dann - wie besprochen - zur Stelle, verwandelte zum 26:23. Der Rest war Kieler Jubel: auf dem Spielfeld und auf den Rängen.
Zwei weitere Heimspiele in den kommenden Tagen
Die Zebras können in den kommenden Tagen noch zweimal auf die Unterstützung ihrer Fans setzen: Am Sonntag kommt der Bergische HC zum Kampf um wichtige Ligapunkte in die Wunderino Arena. Anpfiff am 1. Advent ist um 16:30 Uhr. Für dieses Spiel ist der Ticket-Zweitmarkt von Fans für Fans bereits geöffnet. Eintrittskarten gibt es bei CITTI, unter www.thw-tickets.de und in der THW-FANWELT, die am Sonntag ab 13:30 Uhr geöffnet hat. Ebenfalls noch freie Plätze gibt es für das Top-Spiel in der Machineseeker EHF Champions League: Am Nikolaustag, 6. Dezember, kommt das norwegische Millionenprojekt Kolstad Handball um Ex-Zebra Sander Sagosen nach Kiel. Das nächste Guppenphasen-Finale. Anwurf ist um 18:45 Uhr. Weiter geht’s Sonntag gegen den BHC, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
Machineseeker EHF Champions League: THW Kiel – Paris Saint-Germain 26:24 (15:10)
THW Kiel: Mrkva (48.-60., 3 Paraden), Bellahcene (1.-48., 17/1 Paraden); Ehrig, Duvnjak (2), M. Landin, Øverby (2), Wiencek (1), Ekberg (5/2), Pabst (n.e.), Johansson (3), Dahmke (2), Gurbindo (1), Wallinius, Bilyk (4), Pekeler (2), á Skipagøtu (4); Trainer: Jicha
Paris Saint-Germain: Palicka (1.-60., 16/1 Paraden), Green (1 Siebenmeter, keine Parade); Marchan, Steins (1), N’Tanzi, Keita, Sole (1), Tönnesen (1), Balaguer(3), Grebille (6), L. Karabatic (3), Mathé (2/1), Holm (1), N. Karabatic (2), Peleka, Prandi (4); Trainer: Gonzales
Schiedsrichter: Lars Jorum / Havard Kleven (NOR)
Siebenmeter: THW: 3/2 (Palicka hält Ekberg (55.)) / PSG: 2/1 (Bellahcene hält Mathé (18.))
Zeitstrafen: THW: 3 (Gurbindo (18.), Wiencek (27.), Pekeler (43.)) / PSG: 1 (Marchan (23.))
Spielfilm: 5:0 (7.), 6:1 (9.), 6:5 (11.), 8:5 (13.), 9:6, 9:8 (20.), 12:8 (23.), 14:9 (28.), 15:10;
2. Hz.: 15:13 (34.), 16:15 (36.), 18:16 (39.), 18:20 (44.), 20:20 (47.), 22:23 (52.), 24:23 (58.), 26:23 (60.), 26:24.
Zuschauer: 8204 (Wunderino Arena)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha:Ich bin extrem glücklich über diesen Sieg. In der Halbzeit habe ich zu meinen Spielern gesagt, dass es eigentlich unentschieden steht. Samir hatte da schon 14 saves, ohne diese Paraden hätten wir nicht mit fünf geführt. Dann hat sich Paris zurückgekämpft und wir waren ein wenig überrascht. Palle hat seiner Mannschaft dann auch sehr geholfen. Deshalb bin ich sehr stolz, was wir dann in der Crunchtime geleistet haben. Ich freue mich riesig für unsere Fans, dass wir hier solch einen Abend erleben durften. Ich möchte mich bei ihnen aber auch dafür bedanken, wie würdig sie Nikola Karabatic verabschiedet haben. Nikola ist für mich der beste Handballer aller Zeiten, der vieles in diesem Club auf ein neues, höheres Niveau gebracht hat.
PSG-Trainer Raul Gonzales: Glückwunsch an den THW Kiel, der einen guten Job gemacht hat. Die Kieler standen gut in der Defense und waren gut im Angriff. Wir haben gerade zu Beginn eine Menge Fehler gemacht, wodurch Kiel im fastbreak Tore erzielen konnte. Wir haben dieses Spiel in der ersten Hälfte verloren. In der zweiten Halbzeit haben wir viel besser gespielt, haben sehr stark verteidigt und auch gut angegriffen. Am Ende machen wir im eins gegen eins gegen die Torhüter zu viele Fehler.
PSG-Kreisläufer Luka Karabatic: Es war ein richtig enges Spiel. Wir hatten in der zweiten Halbzeit unsere Chance, haben aber letztlich für den Start bezahlt. Wenn du dann erst einmal vor dieser Crowd hinten liegst, wird es schwer, zurückzukommen. Aber wir haben es geschafft. Wir haben in der zweiten Halbzeit viel besser gespielt, haben bessere Lösungen gefunden und waren sogar vorn. In den letzten zehn bis 15 Minuten haben wir dann zuviele Würfe liegen gelassen. Das ist der Grund dafür, warum wir verloren haben. Wir sind enttäuscht, aber die Saison geht weiter.
THW-Torwart Samir Bellahcene: Es war ein großer, wirklich großer Champions-League-Abend in einer großartigen Atmosphäre. Wir hatten eine starke Mentalität, haben als Mannschaft zusammengestanden. Jeder hat für jeden gekämpft, und deshalb haben wir gewonnen. Jetzt bin ich einfach nur glücklich, aber Sonntag geht es für uns bereits weiter.