Zebra-Journal: Alfred Gislason: Das etwas andere Porträt

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Zebra-Journal: Alfred Gislason: Das etwas andere Porträt

Alfred Gislason ist vom Handball-Magazin zum Trainer des Jahres gewählt worden, einmal mehr. Ein Fachmann also. Einer, der den SC Magdeburg und den THW Kiel zu Champions-League-Siegern machte. Der in Kiel in die groĂŸen FuĂŸspuren von Noka Serdarusic trat und die unglaubliche Erfolgsgeschichte der Zebras nahtlos fortsetzte. Der auf Island längst eine lebende Legende ist. Aber wer ist Alfred Gislason eigentlich? Das Zebra-Journal hat fĂ¼nf Menschen befragt, die den 54-Jährigen bestens kennen und eine besondere Begegnung mit ihm schildern.

Piet Krebs - Mannschaftskollege von Alfred Gislason bei TuSEM Essen

Meine erste Begegnung mit Alfred Gislason: Es war 1982. Ein Vorbereitungsspiel irgendwo im kalten Niedersachsen. GWD Minden gegen Knattspyrnufelag Reykjavik. Der Name dieses Vereins war unaussprechbar, der Kerl auf halblinks unaufhaltbar. "Vielleicht braucht der als Dämpfer einfach mal einen auf die Schnauze", dachte ich mir. Ja, genau so war das beim Handball der 80-er Jahre. Gesagt - getan. Einer muss es ja tun. Der Kerl schĂ¼ttelt anschlieĂŸend nur den Brummschädel und spielt ohne Meckern weiter. Wenige Minuten später die schnelle Rache am anderen Halbkreis. Mein Kiefer schmerzt - und dieser hundsgemeine Ur-Wikinger lächelt verschmitzt und verlässt schnell den Tatort. Mein spontaner Gedanke im Sinne der Völkerverständigung: Das ist Einer. Monate später sitze ich TUSEM-Manager Klaus Schorn gegenĂ¼ber und unterschreibe meine Wechselpapiere und den neuen Arbeitsvertrag. Ab sofort also Essener. AnschlieĂŸend zieht Schorn ein Foto aus der Jackentasche und präsentiert mir stolz einen weiteren Neuzugang: Das isländische Kantholz ist ab sofort mein Mitspieler. Unglaublich. Gislason und Krebs auf einem Mannschaftsfoto. Im ersten Sommer-Trainingslager biete ich ihm spontan meine Hand zur Versöhnung und mein Doppelzimmer zur Beherbergung. Alfred lächelt und schlägt ein. FĂ¼nf Jahre teilten wir auf unseren Sportreisen das Hotelzimmer. Und die Mini-Bar. Und während ich kurz vor der Bettruhe den Flaschenöffner und die Fernbedienung verwaltete, machte Alfred sich noch schnell Notizen von besonders guten Ăœbungen und erfolgreichen Taktiken. Schon damals war klar: Der Typ wird seinen Weg gehen. Auch als Trainer. Ein Handballer mit Haut und Haaren. Und Herz.

Johann-Ingi Gunnarsson - Trainer des Jahres in Deutschland 1987 und erster isländischer Trainer des THW Kiel.

Auch mir ist meine erste Begegnung mit ihm besonders präsent. Ich betreute damals die Junioren-Nationalmannschaft Islands und hörte davon, dass es im Norden, in Akureyri, einen besonders starken Typen geben sollte. Aus ihm, so wurde mir zugetragen, könne einmal ein ganz GroĂŸer werden. Ich nahm ihn also mit zur Weltmeisterschaft 1979 in Dänemark. Wir spielten damals unter anderem auch gegen Deutschland mit Uwe Schwenker. Alfred war aber in 1:1-Situationen nicht so stark, besonders die sogenannte "polnische Finte", das Ausweichen nach auĂŸen, beherrschte er nicht besonders gut. Ich habe ihm gesagt, dass er daran stark arbeiten mĂ¼sse, wenn er wieder einmal zur Nationalmannschaft kommen möchte. Jahre später traf ich seine Eltern, die mir erzählten, dass Alfred unmittelbar nach seiner RĂ¼ckkehr von der WM damit begann, diese Finte zu Ă¼ben. Im Wohnzimmer! An dem Ort, an dem die schönsten Möbel standen. Er setzte seinen Vater in die Verteidigung und Ă¼bte. Ich bin mir sicher, dass er dabei im Wohnzimmer alles kaputt gemacht hat. Von Alfred könnte ich 200 Geschichten erzählen, aber diese erste ist mir besonders präsent.

Uwe Schwenker - ehemaliger Manager des THW Kiel, dessen Trauzeuge Alfred Gislason vor zwei Jahren war - an dessen 53. Geburtstag.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich damals zum ersten Mal mit ihm verhandelt habe. Ich wusste, dass Alfred ein Haus in Magdeburg besitzt, in das er sich immer zurĂ¼ckzieht, um Ruhe zu finden, neue Kraft zu sammeln. Ein ehemaliges Kutscherhaus, das er Stein fĂ¼r Stein selbst umgebaut hat. Dass er dort entspannt, in seinem Garten, bei seinen Rosen. Ich wollte aber nicht mit meinem Kieler Kennzeichen nach Magdeburg fahren, weil ich dachte, dann wĂ¼rde es schnell aufliegen, dass wir uns getroffen haben. Dass der THW Kiel Interesse an ihm hat. In Magdeburg, einer Handballstadt, hätte das gut passieren können. Als ich Alfred davon am Telefon erzählte, lachte er nur und meinte, dass diese Gefahr nicht bestĂ¼nde. Er sagte, ich könne ihn jederzeit besuchen, es wĂ¼rde niemandem auffallen. Als ich schlieĂŸlich sein Haus gefunden hatte, wusste ich auch, dass meine Sorge wirklich unbegrĂ¼ndet war. Mein Navi teilte mir schon 30 Kilometer vor Magdeburg mit, dass ich jetzt die Autobahn verlassen soll. Der Weg fĂ¼hrte mich direkt in die Pampa. Irgendwann sollte ich dann links auf einen 1,5 Kilometer langen Feldweg abbiegen. Am Ende standen sechs Häuser, mehr als 20 Menschen leben hier bestimmt nicht. Auch heute nutzt Alfred jede freie Minute, um dort zu sein.

Uwe "Casey" Brandenburg, der sich als Physiotherapeut seit mehr als 30 Jahren um die Zebras kĂ¼mmert

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir uns zum ersten Mal getroffen haben. Alfred hatte damals seinen ersten oder zweiten Arbeitstag in Kiel. Wir - Mannschaftsarzt Dr. Detlev Brandecker, Manager Uwe Schwenker und ich - saĂŸen mit ihm in einem italienischen Restaurant zusammen. Detlev und ich wollten von Alfred erfahren, wie er sich unsere kĂ¼nftige Zusammenarbeit vorstellt. Uns war es ein dringendes Anliegen, dass die Spieler im athletischen Bereich besser auf die extremen Belastungen vorbereitet werden. Unter Noka (Serdarusic, Vorgänger von Gislason in Kiel, d. Red.) wurde zwar im konditionellen Bereich sehr gut gearbeitet, aber die Athletik, der ganzkörperliche Ansatz, kam etwas zu kurz. Ich kannte Alfred bis dahin nur als Spieler vom TuSEM Essen, wusste nichts Ă¼ber seine Arbeitsweise als Trainer. Ich hatte damit gerechnet, mit ihm um die Erweiterung der therapeutischen Betreuung ringen zu mĂ¼ssen. Und dann sagte er, dass das fĂ¼r ihn ganz selbstverständlich sei, und er sich selbst darum kĂ¼mmern wĂ¼rde. Ich erlebe ihn als einen Trainer, der immer offen fĂ¼r Neues ist. Als Marcus (Ahlm, der ehemalige Kapitän, d. Red.) einmal sehr detaillierte Fragen zum Thema Ernährung hatte, die wir alle nicht beantworten konnten, rief Alfred einen Professor aus Berlin an und gab, als er ihn erreicht hatte, das Handy an Marcus weiter, der sich von ihm alle Fragen beantworten lieĂŸ, während ich ihn behandelte.

Filip Jicha - Kapitän des THW Kiel

Mir ist die letzte Trainingseinheit in der Saison 2009/2010 besonders gut in Erinnerung geblieben. Wir hatten einige Wochen zuvor ein wichtiges Spiel in Hamburg (33:31, d.Red.) gewonnen, kurz darauf auch noch das "Final4" der Champions League in zwei Spielen gegen Ciudad Real (29:27, d. Red.) und den FC Barcelona (36:34, d. Red.), in denen wir zurĂ¼ckgelegen hatten. Ich fand, wir hatten in diesen Tagen einen richtig guten Job gemacht. Uns fehlte noch ein Sieg beim TV GroĂŸwallstadt im letzten Saisonspiel, um die Meisterschaft perfekt zu machen. Wir hatten eine gute Phase und waren uns sicher, dass wir auch da beide Punkte machen wĂ¼rden. Entsprechend gut war die Stimmung, zumal es eben die letzte Trainingseinheit der Saison war. Unsere gute Laune hat Alfred ganz offensichtlich nicht gepasst. Er hat uns einen Spielzug Ă¼ben lassen, bei dem ich den Kreisläufer anspielen sollte, der zwischen den Positionen "1" und "2" stand. Ich habe dreimal auf Igor Anic gepasst, aber er konnte den Ball nicht fangen. Alfred hat gesagt, dass das meine Schuld gewesen sei, dass ich diesen Spielzug nicht richtig spielen könne. Aus meiner Sicht war es so, dass ich alles richtig gemacht hatte, nur Igor den Ball eben nicht gefangen hatte. Ich fĂ¼hlte mich ungerecht behandelt und habe vor Wut gegen die Wand getreten, ich war richtig sauer. Wir hatten alle den SpaĂŸ verloren und sind entsprechend schlecht gelaunt auch nach GroĂŸwallstadt gefahren. Ich habe diesen Anschiss noch immer nicht vergessen, inzwischen aber verstanden, warum er es gemacht hat - wir sind deshalb nicht zu locker in das letzte Spiel gegangen. Entschuldigen wĂ¼rde Alfred sich zwar nie, aber die Art und Weise, wie er mich nach dem Sieg (27:24, d. Red.) auf diese letzte Trainingseinheit angesprochen hat, habe ich als solche verstanden. Er lächelte, als er sagte, dass wir diesen Spielzug in der kommenden Saison aus dem Programm streichen werden, weil ich ihn ja nicht beherrsche. (Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014)