KN: Das kommt einem spanisch vor
Kiel. Am Dienstagabend in der ersten Halbzeit der Handball-Bundesliga-Partie gegen den TBV Lemgo Lippe (28:24, siehe THW-Spielbericht), gab es früh einen Moment, in dem die Abwehrspieler des THW Kiel ihre Gegner offensiv weit jenseits der gestrichelten Neunmeter-Linie in Empfang nahmen, an sich abprallen ließen. Harald Reinkind und Domagoj Duvnjak gaben flink und robust den Lieferservice für den weit herausgerückten Hendrik Pekeler in der Mitte, während sich Patrick Wiencek bei sechs Metern um den gegnerischen Kreisläufer kümmerte. Annehmen, weiterreichen, abblocken, klare Abläufe. Das kam einem irgendwie spanisch vor.
Die Zebras spielen in der Deckung ein neues, offensiveres System
Was zwischenzeitlich fast wie eine 3:3-Formation aussah, mitunter ein 4:2-Etikett verdient hätte, im Grunde aber eine offensiv ausgerichtete 6:0-Deckung ist, hat seine Wurzeln in der Tat bei den Iberern. Wer sie erfunden hat, weiß THW-Assistenzcoach Filip Jicha, der für die 6:0-Deckung im THW-Trainerstab verantwortlich zeichnet, zwar nicht genau. Mitgebracht aus Barcelona, wo der 36-Jährige seine Karriere von 2015 bis 2017 ausklingen ließ, hat er die Grundidee trotzdem. "'Copy and Paste' geht natürlich nicht, ich habe das System modifiziert, nach eigenen Wünschen und daran angepasst, welche Spieler wir haben", sagt der ehemalige Welthandballer.
Spanische Abwehr - oder besser: Abwehr à la Jicha. "Der Gedanke dahinter ist, dass es viel Klarheit gibt, wir nicht in unsichere Situationen geraten." Neuzugang Hendrik Pekeler liegt das: "Patrick (Wiencek, d. Red.) kämpft mehr am Kreis hinten, ich kann offensiver stehen. Das Grundziel ist, weiter vorne zu stehen, damit unsere Halben die großen Spieler in die Mitte schicken, wo wir beide mit unseren zwei Metern warten und mit unseren guten Keepern zusammenarbeiten. Das kann eine echte Waffe sein. Die Halben sollen nichts mit dem Kreisläufer zu tun haben, sollen keine einfachen Zeitstrafen kassieren."
In der ersten Halbzeit gegen Lemgo, als Pekeler im Verbund mit Reinkind und Duvnjak einen Zehn-Meter-Sperr-Riegel bildete, entfaltete das Bollwerk seine ganze Kraft. "Nach der Pause", so Pekeler, "standen wir dann zu weit auseinander, sind insgesamt ab und zu noch zu offensiv." Aus der Vogelperspektive ein Anblick für Handball-Feinschmecker: Die Defensiv-Halben sind "befreit" von der Arbeit gegen den gegnerischen Kreisläufer, müssen schnell auf den Beinen die Rückraumspieler in Empfang nehmen, sich mit den Innenblock-Kollegen abstimmen. Klappte mit zunehmender Spieldauer nicht immer. Nikola Bilyk ließ sich hier und da "überlaufen" (THW-Trainer Alfred Gislason), ließ Patrick Wiencek in der Mitte ratlos zurück. Abstimmungsprobleme registrierte auch Linksaußen Rune Dahmke: "Für uns Außen macht die neue Formation keinen großen Unterschied. Man ist nur etwas abhängiger von seinen Mitspielern. Man muss jedem vertrauen, dass er auch das tut, was abgesprochen ist - sonst steht man blöd da. Das war bei mir heute auch ein, zwei Mal der Fall."
Den Gegner nach außen drängen, verdichten, es dem eigenen Torwart leicht(er) machen - das ist das Rezept. "Wir wollen sehr offensiv spielen. Mal gehe ich vor, mal Peke. Wir kennen uns sehr gut", sagt auch Patrick Wiencek. Abwehr-"Lehrmeister" Jicha sieht noch "Luft nach oben" nach gerade einmal zwei absolvierten Bundesliga-Partien. Aber in der ersten Halbzeit gegen Lemgo sieht der Tscheche seine Ideen gut realisiert: "So ist es gedacht. Das war überragend, Andi dahinter auch stark. In der zweiten Halbzeit haben wir dann leichte Fehler gemacht, vier, fünf unglückliche Tore kassiert. Das ist eben ein Prozess, in dem wir stecken."
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 06.09.2018, Foto: Sascha Klahn)
Stimmen zum Spiel in den Kieler Nachrichten
Andreas Wolff, THW-Torwart, in den KN: In der zweiten Halbzeit war ein kleiner Wurm drin. Man hat gemerkt, dass es das zweite Spiel innerhalb von 48 Stunden war. Ich wusste schon vor dem ersten Spieltag, dass ich heute spielen würde und war dementsprechend heiß darauf, meine Chance zu nutzen. Schön, dass ich einige Paraden zum Sieg beisteuern konnte.
Patrick Wiencek, THW-Kreisläufer, in den KN: Gefühlt hätten wir nach der ersten Halbzeit mit zehn Toren führen müssen. Die Deckung stand richtig gut, und wenn wir Fehler gemacht haben, war da noch Andi ( Wolff, d. Red. ). In der zweiten Halbzeit haben wir uns selbst das Leben schwer gemacht.