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THW steht vor der schwersten Auswärtsreise seiner Geschichte

Champions League

THW steht vor der schwersten Auswärtsreise seiner Geschichte

Am Wochenende muss der THW Kiel die wohl schwerste Auswärtsreise seiner Geschichte antreten - und das vor allem nicht im sportlichen Sinne. Als der Titelfavorit Paris Saint-Germain am 12. November in Kiel den Erfolg in der Gruppenphase der "VELUX EHF Champions League" feierte, freuten sich die "Zebras" auf die Möglichkeit, diese Niederlage im Rückspiel am kommenden Sonnabend (20:45 Uhr, live in Sky Sport und im Ticker auf der THW-Homepage) sportlich ausbügeln zu können. Dann überzog der Terror die französische Hauptstadt, erschütterten die Anschläge vom 13. November die Welt. Jetzt muss die junge Mannschaft des THW Kiel in eine Stadt reisen, die sich seitdem - wie die gesamte "Grande Nation" - im Ausnahmezustand befindet.

"Sport gerät in den Hintergrund"

Dann kam Freitag, der 13. November. Jetzt muss der THW Kiel in eine Stadt reisen, die seit den Terroranschlägen am vergangenen Freitag nicht zur Ruhe kommt, in der schwer bewaffnete Polizisten und das Militär das Straßenbild bestimmen. In eine Stadt, die Trauer trägt und gleichzeitig Angst vor neuem Terror hat. In ein Land, in dem erstmals seit 55 Jahren der Ausnahmezustand verhängt wurde. "Ganz ehrlich: Wer kann sich in den heutigen Tagen auf ein Spiel in der Champions League konzentrieren?", fragt THW-Geschäftsführer Thorsten Storm. "Da gerät der Sport in den Hintergrund. Und auch, wenn wir uns nicht bestimmen lassen wollen von diesem Terror, sind die Gedanken daran allgegenwärtig." 

Zwei wichtige Punkte

Sportlich geht es für die Kieler am Sonnabend gegen die französische Star-Truppe, in der mit Nikola Karabatic, Thierry Omeyer, Daniel Narcisse sowie dem Trainer-Gespann Noka Serdarusic/Staffan Olsson gleich fünf Aktive eine erfolgreiche Kieler Vergangenheit haben, um zwei ganz wichtige Punkte in der Gruppenphase. Schiedsrichter der Partie sind die beiden Mazedonier Slave Nikolov und Gjorgji Nachevski, als Delegierter wird der Spanier Tono Huelin dabei sein. Nach den Niederlagen in Zagreb und Veszprem sowie der Heim-Niederlage gegen Paris haben die "Zebras" bereits vier Punkte Rückstand auf den Tabellenführer PSG. "Schon vor der Saison habe ich gesagt, dass Paris mit diesem Kader der große Favorit auf den Titel ist, das hat sich nicht geändert", erklärte THW-Trainer Alfred Gislason nach dem 26:30 (siehe Spielbericht) am vergangenen Donnerstagabend.

"Mulmiges Gefühl"

Das bestätigt Mannschafts-Kapitän Rene Toft Hansen: "Natürlich haben wir in den vergangenen Tagen die schlimmen Berichte verfolgt und viel über die Situation in Paris gesprochen. Und natürlich reisen viele von uns mit einem mulmigen Gefühl an." Es sei schwer gewesen, dabei die Konzentration auf den Handball zu richten, gesteht der Däne. "Wir wissen nicht, was uns jetzt am Wochenende abseits des Handballfeldes erwartet." Thorsten Storm: "Von einem unbelasteten Wettbewerb kann tatsächlich keine Rede mehr sein." 

Fans geben Tickets zurück

Die Fans des Rekordmeisters haben sich bereits entschieden: Nur ganz wenige Anhänger werden die Mannschaft nach Paris begleiten, ein Großteil der bereits georderten Karten wurde inzwischen zurückgegeben. Die Halle "George Carpentier", die rund acht Kilometer vom Haupt-Anschlagsort "Bataclan" entfernt liegt, soll am Wochenende zum Hochsicherheits-Trakt werden. Zudem soll die Mannschaft des THW Kiel von der Ankunft bis zum Abflug von Sicherheitsleuten begleitet werden. EHF-Präsident Jean Brihault wird vor der Partie sprechen. Seine Botschaft: "Der Handball steht zusammen für Paris. Unsere einzige Möglichkeit, mit diesen Umständen zurecht zu kommen, ist es, sich dagegen zu wehren, terrorisiert zu werden. Es ist ein Privileg und eine Verantwortung, dass Menschen beim Sport zusammenkommen können, um Ball zu spielen - egal, wer sie sind, was sie sind und woher sie kommen."

KN: Spiel im Schatten

Paris. Es hätte so leicht sein können, vorauszuschauen auf das Mega-Duell in der Handball-Champions-League heute Abend (20.45 Uhr) in Paris. Kein Duell im Welthandball in dieser Saison steckt so sehr voller spannender Geschichten wie das zwischen dem THW Kiel und Paris St. Germain. Kein Duell steckt so sehr voller Leben. Dann kam der Terror, und jetzt ist alles anders. Jetzt ist die Geschichte eine andere. Paris gegen den THW, das ist Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Das sind die Ex-Zebras Thierry Omeyer, Nikola Karabatic, Daniel Narcisse, Staffan Olsson. Und natürlich Trainer Noka Serdarusic, der einst sportlich verantwortete, dass der THW zu dem wurde, was er heute ist. Und dennoch: Diese Historie aus Spielern und Spielen, Toren und Taktik, Angriff und Abwehr, Siegen und Niederlagen - sie liegt im Schatten begraben. Als die Spieler von THW-Coach Alfred Gislason am Freitag aus Frankfurt am Main am Pariser Flughafen Charles de Gaulle eintreffen, am Nachmittag noch eine Trainingseinheit in der französischen Hauptstadt absolvieren, umreißt eine Nachricht der Behörden den Rahmen dieser Auswärtsreise: "Auf Antrag des Polizeipräsidiums", heißt es, seien "verstärkte Leibesvisitationen" für die Begegnung vorgesehen. Jeder Besucher müsse seinen Pass oder Personalausweis mitbringen, um sich zu identifizieren. Zudem sei es verboten, Helme, Taschen oder Rucksäcke mit in die Halle zu bringen. "Es ist die Frage, ob es der richtige Zeitpunkt und Ort ist, jetzt in einer Stadt im Ausnahmezustand, für dieses Spiel", sagt THW-Geschäftsführer Thorsten Storm. "Aber die Verantwortlichen sehen die Sicherheit gegeben." Auch Storm, der anders als die Mannschaft nicht in Wetzlar geblieben war und am Freitag nachreiste, fühle sich "nicht wohl". Man habe mit dem Europäischen Handballverband EHF gesprochen, das eigene Unbehagen zum Ausdruck gebracht. "Aber", so Storm, "die EHF hat entschieden, wir konnten nicht wählen, auch wenn sicher einige Spieler nach dem Wetzlar-Spiel lieber nach Hause gefahren wären." Storm sagt auch: "Wir hätten keinen Spieler gezwungen." Weil es die EHF (und offenbar auch PSG) so will, wird nun heute Abend in der 4200 Zuschauer fassenden Halle Georges Carpentier im 13. Arrondissement gespielt, fünfeinhalb Kilometer südlich vom Konzertsaal "Bataclan", in dem am 13. November beim Konzert der US-Rockband Eagles of Death Metal mehr 89 Menschen von Terroristen getötet wurden. Und weil die Stadt im Ausnahmezustand vibriert, stehen die Zebras unter besonderem Schutz der Sicherheitskräfte staatlicher Behörden, "sicht- und unsichtbar", wie THW-Pressesprecher Christian Robohm am Freitag bestätigt. So wird der Tross am Flughafen ebenso in Empfang genommen wie später Manager Thorsten Storm. Alfred Gislason hatte noch vor der Abreise von einem "mulmigen Gefühl" gesprochen. Am Freitag während der Fahrt zum Hotel ist der Isländer gelassen, hat aber sensible Antennen für seine Spieler: "Der eine oder andere ist schon gestresster als sonst." Am Donnerstag habe es in Wetzlar Gespräche innerhalb der Mannschaft gegeben, seitdem sei die Stimmung den Umständen entsprechend normal. "Da müssen wir jetzt durch. Ich bin leider nicht der, der entscheidet", sagt Gislason und gibt zu, das Spiel gern schnell hinter sich lassen zu wollen. "Unter den Umständen kann man sich auf so eine Partie kaum freuen. Aber fairerweise muss man auch sagen: Wenn die Pariser spielen können, können wir das auch." (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 21.11.2015) EHF-Präsident Jean Brihault hat das Duell zum „Spiel der Woche“ erkoren, wird heute Abend in der Halle sein. Es sei „ein Privileg und eine Verantwortung, dass die Menschen im Sport zusammenkommen und Ball spielen können“, sagt der Franzose. Die Unsicherheit im Kieler Team kann auch Brihault nicht wegzaubern. Igor Anic, Franzose im THW-Dress, legt den Fokus zwar voll auf Handball, will „nicht zu viel nachdenken“, sagt am Abend: „Heute war alles sehr ruhig, die Leute gehen zur Arbeit wie an einem normalen Pariser Tag.“ Doch sogar der Kieler Kapitän René Toft Hansen, ansonsten die personifizierte Gelassenheit, gibt zu: „Wir wissen nicht, was uns erwartet, viele reisen mit einem mulmigen Gefühl an.“Sky hat aus diesem Grund keine Reporter vor Ort, wird die Partie, die exklusiv auf dem Bezahlsender übertragen wird, von München aus kommentieren. Auch ein Großteil der Kieler Fans hat seine Tickets storniert, nur 22 reisen nach Paris, haben ihre Eintrittskarten zumindest abgeholt. PSG-Pressesprecherin Louise Cosnard rechnet nicht damit, dass alle 4200 Plätze besetzt sein werden. Das Gefühl bleibt: Ein Spiel im Schatten. Zur falschen Zeit. Am falschen Ort.