KN: Eine Reise ins Ungewisse

Bundesliga

KN: Eine Reise ins Ungewisse

Wetzlar. Keine Zeit für eine Rückkehr nach Kiel: Die Handballer des THW blieben am Donnerstag in Wetzlar, nachdem sie am Mittwochabend bei der HSG beim 30:26-Triumph zwei wichtige Punkte in der Bundesliga eingefahren hatten. Nun gilt es, die Form des guten Auftritts nach Paris mitzunehmen, wo die Zebras am Sonnabend in der Champions-League-Gruppe A gefordert sind.

THW Kiel bereitet sich in Wetzlar auf den Gang nach Paris vor

"Wir sind Wetzlar sehr dankbar, dass wir die Gelegenheit bekommen, hier zu trainieren", sagte THW-Trainer Alfred Gislason, der seine Mannschaft am Vormittag zur Einheit in die Arena bat. Die 15-köpfige Zebraherde verbrachte den gesamten Donnerstag in Hessen, fliegt heute von Frankfurt nach Paris – mit gemischten Gefühlen. Einerseits waren alle Beteiligten zufrieden und zurecht stolz auf die Leistung beim Favoritenschreck in Wetzlar, andererseits löst die anstehende Reise in die französische Hauptstadt verständlicherweise nicht gerade Jubelstürme aus. "Wir verfolgen natürlich, was in Paris geschieht, das geht nicht an einem vorbei", sagte Steffen Weinhold. "Andererseits sind die Sicherheitsvorkehrungen dort sehr hoch, und Anschläge können überall passieren." Die Aussage des Linkshänders steht exemplarisch für die Ambivalenz der Zebra-Gefühle: Wir spielen, wenn wir müssen, schließlich sind wir Profis - aber wohl ist uns dabei nicht. "Wir fliegen ein bisschen ins Ungewisse", sagt auch Gislason. Da hilft es auch nicht, dass die Pariser Kollegen unbedingt spielen wollen, um ihrer Stadt, ihrem Land und der Sportwelt zu demonstrieren, dass es weitergeht und sie sich vom Terror nicht einschüchtern lassen. Und noch weniger hilfreich ist wohl die Tatsache, dass der aus Frankreich stammende Präsident des Europäischen Handballverbandes (EHF), Jean Brihault, angekündigt hat, das Spiel am Sonnabend live in der Halle zu verfolgen. Auf das Live-Erlebnis verzichten werden dagegen die meisten Kieler Fans, die sich Tickets für das Rückspiel in Paris gesichert hatten. Viele von ihnen haben ihre Karten bereits zurückgegeben.

Konzentration auf den Sport nicht einfach

Auch wenn das Sportliche angesichts des Terrors nicht oberste Priorität hat, muss der THW ein Handballspiel bestreiten, sich auf die Partie konzentrieren. Das gelingt einigen besser als anderen, THW-Kapitän René Toft Hansen versucht, die Aufgabe anzunehmen. "Klar ist es schwierig, sich auf den Sport zu konzentrieren. Aber wir haben uns gefangen, und ich glaube, es ist jetzt sicher in Paris", sagt der Däne und leitet gleich über zum Handball. "Wir haben jetzt ein gutes Momentum nach dem Wetzlar-Spiel. In Paris müssen wir die Heimniederlage kompensieren." Den Fokus also auf PSG legen, nicht auf ganz Paris. Toft Hansen ist sichtlich heiß auf das Spiel, will Wiedergutmachung für das 26:30 in der Sparkassen-Arena betreiben. Für eine erste Halbzeit in Kiel, die so gar nicht nach Geschmack des THW war und die Niederlage beinahe schon besiegelte. Vielleicht auch für seine Rote Karte gegen Wetzlar, "die ganz eindeutig war", wie er selbst sagt, und die ihn wohl wegen einer Sperre schon für das nächste Bundesliga-Spitzenspiel gegen die MT Melsungen am kommenden Mittwoch aus dem Verkehr ziehen wird. Eine Rote Karte, die das Spiel auch in eine andere Richtung hätte lenken können. "Ich hatte ein bisschen Sorge, was passiert, wenn René in der Deckung nicht mehr da ist", gab sein Coach zu. Doch Joan Canellas übernahm Toft Hansens Platz in der Kieler 3:2:1-Abwehr und löste die Aufgabe bravourös. In Abwehr und Angriff stark spielte drei Tage nach seinem 24. Geburtstag Christian Dissinger. Seine erste Aktion: eine Mischung aus Block und Steal, die den ersten erfolgreichen Tempogegenstoß der Zebras einleitete. In den folgenden 59 Minuten legte er neun Tore und zahlreiche gute Anspiele nach, deckte auf Halblinks gut und verdiente sich bei Trainer und Mitspielern das Prädikat "überragend". "Er entwickelt sich zu einem kompletten Spieler. Manchmal überdreht er noch ein bisschen, aber im Moment spielt er sehr gut", lobte Gislason. Mit einem solchen Dissinger, einem erneut starken Weinhold, Kämpfer Domagoj Duvnjak, Niklas Landin im Tor und den starken Spielen gegen den HSV und in Wetzlar - sollte da nicht ein Sieg in Paris drin sein? "Das ist leider leichter gesagt als getan", sagt Gislason schmunzelnd, wird aber gleich wieder ernst: "Wir müssen alles geben und sehen, für was es am Ende reicht." (Von Niklas Schomburg, aus den Kieler Nachrichten vom 20.11.2015, Foto: Angela Grewe)