
38:37 gegen Hamburg: Zebras drehen in der "Ostseehölle" ein unfassbares Spiel
Das "kleine Derby" in der DAIKIN Handball-Bundesliga hat abgeliefert: Lange Zeit sah der Handball Sport Verein Hamburg gegen ausgepumpte Kieler wie der Sieger aus. Erst in einer atemberaubenden Schlussphase drehten die Zebras die Partie, gewannen den Handball-Krimi in ihren blau-weißen Kieler-Woche-Trikots in der komplett ausverkauften "Ostseehölle" mit 38:37 (16:18). 10285 Zuschauer machten die Arena in den letzten Minuten zum Tollhaus und explodierten förmlich, als Eric Johansson quasi mit dem Schlusspfiff den erlösenden Siegtreffer für den THW Kiel erzielte. Der Schwede schmetterte das Spielgerät nach einem Freiwurf unhaltbar in den rechten oberen Winkel des HSV-Gehäuses. Abpfiff, Jubelorgie, Sieg für den THW Kiel!
Vierter Kraftakt innerhalb von acht Tagen
Die Hamburger trotteten Schulter zuckend von der Platte, verstanden die Handball-Welt nicht mehr. "Wir hätten heute mindestens ein Remis verdient gehabt", kommentierte HSV-Spiel Jacob Lassen, schüttelte nach einer starken Vorstellung seiner Mannschaft enttäuscht den Kopf. THW-Linkshänder Emil Madsen haderte mit den fehlenden Kräften nach den Kraftakten der vergangenen Tage. "Unsere Beine waren nicht frisch, es fiel uns schwer, die HSV-Aktionen zu unterbinden. Als wir dann aber mit vier Toren zurücklagen, ging ein Ruck durchs Team, wir haben noch einmal alles versucht und es hat zum Glück geklappt." Kapitän Domagoj Duvnjak lobte vor allem die Angriffsleistungen von Madsen, der zehnmal ins Schwarze traf und die von "Matchwinner" Johansson, insgesamt neunfacher Torschütze für die Zebras. Duvnjak: "Wer wie Eric in der letzten Aktion, die zum Sieg führte, Verantwortung übernimmt und solch' ein irres Tor erzielt, das ist toll, das gelingt nur einem ganz großen Spieler."
Kieler liefen im einzigartigen Kieler-Woche-Trikot auf
Das schmucke blaue Kieler-Woche-Trikot präsentierte Rune Dahmke der Öffentlichkeit bereits im Vorfeld der Begegnung, auch weil dem THW-Linksaußen die außergewöhnliche Ehre zuteil wird, das Kieler Sommerfestival und Segel-Event 2025 eröffnen zu dürfen. Gegen den HSV saß das Kieler Eigengewächs allerdings erneut nur auf der Bank, Achillessehnen-Probleme ließen seinen Einsatz im "kleinen Derby" nicht zu. Verzichten musste Trainer Filip Jicha gegen den Nordrivalen zudem auf Harald Reinkind (Mittelhandbruch), Hendrik Pekeler (Knie) und Henri Pabst (Handprellung). Vier Verletzte, eine schwere Hypothek drei Spieltage vor dem Saisonende.
HSV geht früh in Führung
Doch die Kieler starteten gut in die Partie. Andreas Wolff war von Beginn an präsent, hielt nacheinander gegen Magaard und Tissier, sorgte so für THW-Ballbesitz. Patrick Wiencek eröffnete den Torreigen der ersten Halbzeit, war wie schon am Mittwoch gegen Leipzig am Kreis nicht zu bremsen. Der Kapitän traf zum 1:0 und nach dem Ausgleich durch Andersens Siebenmeter auch zur erneuten Kieler Führung nach fünf Minuten zum 2:1. In der Folge blieb es eng, und in der sechsten Minute traf Jacob Lassen zum 3:4 und der ersten HSV-Führung. Die Gäste spulten ihr Pensum in der Folge routiniert herunter, attackierten permanent den Zebra-Mittelblock und legten jeweils vor und waren nach zwölf Minuten sogar auf 9:6 enteilt.
Wolff hält Zebras im Rennen
Und die Zebras? Fanden in der Abwehr nicht die gewohnte Sicherheit, waren oft einen Schritt zu spät und hatten Pech mit etlichen Abprallern, die irgendwie wieder bei den Hamburger landeten. Die Kieler durften sich bei Torhüter Andreas Wolff bedanken, dass der Rückstand nicht noch höher ausfiel. Zehn Paraden brachte der deutsche Nationaltorhüter in den ersten 30 Minuten auf sein Konto. Dennoch netzten die Gäste fleißig ein, führten nach 15 Minuten durch den Treffer von Linksaußen Hartwig mit 11:8. Den Zebras fehlte einerseits die Frische, andererseits stand mit Robin Haug ebenfalls ein Könner seines Faches zwischen den Hamburger Torstangen. Mehrfach staunten die THW-Fans, wenn Haug frei vor ihm auftauchenden Zebras allerbeste Chancen abkaufte, zweimal sogar mit einer Doppelparade für Aufsehen sorgte.
Hamburger führen zur Pause
Als Andreas Wolff nach 20 Minuten Lewin Unbehaun mit einer Glanzparade ausbremste, Duvnjak vorne seine Chance eiskalt verwandelte, waren die Kieler wieder auf 10:11 herangerückt. Die "weiße Wand" machte Krach, peitschte ihre Zebras nach vorne. Hamburg aber blieb ruhig, stand weiter gut in der Abwehr und arbeitete vorne gute Chancen heraus. In der 25. Minute waren die Rothosen wieder auf drei Tore enteilt, führten nach dem Treffer von Sauter mit 15:12. Torgefahr ging praktisch von jedem Hamburger Spieler aus. Magaard, Tissier und Lassen hatten am Ende allesamt sechs Tore auf ihrem Konto angesammelt. Hartwig war es dann, der kurz vor dem Seitenwechsel zum 18:15 für die Hansestädter vollendete. Madsen verkürzte noch einmal, und Andreas Wolff sicherte mit einer Glanzparade gegen Ilic den knappen 16:18-Halbzeitrückstand.
Nach Vier-Tore-Rückstand zünden die Fans den Turbo
Nach der Halbzeitpause machten beide Teams zunächst so weiter wie in der ersten Halbzeit. Der HSV verteidigte seine Führung mit couragierter Angriffsleistung, Leif Tissier brachte seine Farben in der 37. Minute mit 23:20 in Front. 22:25 lautete das Ergebnis nach dem Tor von Magaard in der 40. Minute. Sauter reagierte nach einem technischen Fehler der Zebras wenig später blitzschnell, beförderte den Ball vom eigenen Kreis ins leere THW-Tor. Erstmals lagen die Zebras in der 42. Minute mit vier Toren zurück. 23:27! Auf den Rängen löste das die letzten Bremsen: Frenetisch feuerten die Fans ihre Zebras an, Filip Jicha brachte Tomas Mrkva für den gewiss nicht schlechten Wolff ins THW-Tor. Außerdem schickte es Bence Imre für Lukas Zerbe auf die Rechtsaußen-Position. Zunächst einmal kassierte Petter Överby aber eine Zeitstrafe. Ausgerechnet in Unterzahl verkürzte der THW Kiel durchMadsen und Imre (Siebenmeter) auf 25:27.
Zebras sind zurück im Spiel
Die Hamburger konterten noch einmal, zogen in der 47. Minute durch den Treffer von Andersen auf 29:26 davon. Die Zebras aber schlugen zurück, holten mit einem 3:0-Lauf (zweimal Imre, Madsen) die Spannung in eine mitreißende Schlussphase. Andersen erzielte das 30:29, dann stoppte Tomas Mrkva das Solo von Tissier, Johansson ließ es krachen, und in der 51. Minute eroberten die Kieler die Führung zurück. Emil Madsen traf zum 31:30, jetzt ging es Schlag auf Schlag: Magaard traf in der 54. Minute zum 33:33, dann schmetterte Emil Madsen den Ball ins Netz, war nach HSV-Stürmerfoul am schnellsten unterwegs, brachte den Tempogegenstoß zum 35:33 an Haug vorbei. Der HSVH gab sich nicht geschlagen, kämpfte sich durch den Doppelschlag von Lassen zurück ins Spiel. 35:35 nach 57 Minuten. Als Madsen ein überragendes Solo dann mit einem frechen Dreher zum 37:36 verwandelte, waren noch 54 Sekunden bis zum Schlusspfiff zu spielen: 49 Sekunden davon nahmen die Hamburger für ihren letzten Angriff von der Uhr: Valiullin wuchtete den Ball ins THW-Netz.
Der Rest ist Jubel
Jicha drückte auf den Buzzer, besprach die letzten Aktionen. Doch der Weg zum HSV-Tor schien versperrt - dann der letzte Freiwurf drei Sekunden vor dem Ende. Der Ball landete bei Eric Johansson, der Rest war THW-Jubel. Jetzt gehen die Zebras ein letztes Mal in dieser Saison auf Reisen. Die letzte Tour der Spielzeit ist eine verhältnismäßig kurze – es geht nach Hannover, wo am Mittwochabend in der ausverkauften ZAG-Arena das Spitzenspiel bei der TSV Hannover-Burgdorf auf die Zebras wartet. Anwurf ist um 19 Uhr, Dyn überträgt die Partie live. Zum letzten Mal zu Hause sind die Kieler am Pfingstsonntag, 8. Juni, aktiv: Zu Gast ist dann der ThSV Eisenach. Für das Spiel, das um 15 Uhr angepfiffen wird, und die offizielle Verabschiedung von Tomas Mrkva, Henri Pabst und Linus Kutz gibt es in der THW-FANWELT und unter www.thw-tickets.de noch Restkarten. Für das Abschiedsspiel von Patrick Wiencek am 25. Juli sind dort ebenfalls noch Karten erhältlich. Weiter geht’s in Hannover, Kiel!
DAIKIN Handball-Bundesliga, 32. Spieltag: THW Kiel – Handball Sport Verein Hamburg 38:37 (16:18)
THW Kiel: Mrkva (41.-59., 3 Paraden), Wolff (1.-49., 59.-60., 11/1 Paraden); Duvnjak (2), Landin (2), Överby (1), Wiencek (4), Johansson (9), Zerbe (2), Kutz (n.e.), Szilagyi (n.e.), Madsen (11), Bilyk (n.e.), á Skipagötu (2), Imre (5/4); Trainer: Jicha
Handball Sport Verein Hamburg: El-Tayar (51.-60. und 1 Siebenmeter, 2 Paraden), Haug (1.-51., 11/1 Paraden); Magaard (4), Tissier (6), Lassen (6), Botta, Weller (2), Levermann, Bo Andersen (3/1), Hartwig (4), Unbehaun (2). Sauter (5), Ilic, Mortensen (3/2), Valiullin (1); Trainer: Jansen
Schiedsrichter: Ramesh Thiyagarajah / Suresh Thiyagarajah
Zeitstrafen: THW: 2 (2x Överby (44., 53.)) / HSVH: 4 (Tissier (17.), 2x Weller (21, 46.), Sauter (45.))
Siebenmeter: THW: 5/4 (Haug hält Zerbe (10.)) / HSVH: 4/3 (Wolff hält Bo Andersen (18.))
Spielfilm: 1.Hz.: 1:0, 3:2, 3:4 (7.), 5:5, 6:7 (11.), 6:9 (13.), 8:11 (15.), 10:11 (20.), 12:13, 12:15 (24.), 14:15 (26.), 15:16, 15:18 (29.), 16:18;
2. Hz: 16:19, 18:21 (36.), 21:24 (39.), 23:25 (41.), 23:27 (42.), 25:27 (45.), 26:29, 29:29 (50.), 31:30 (51.), 31:32 (53.), 33:32 (54.), 35:33 (56.), 35:35 (57.), 37:37 (60.), 38:37.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Intensität, Wille, die Qualität beider Mannschaften - ein super Spiel. Ich war richtig angetan von meinen Jungs, gerade von Eric und Emil, welche nach so viel Verantwortung in dieser Saison soviel Willen und Intensität draufpacken konnten. Wir hatten nicht mehr viel im Tank, hatten unglaubliche Probleme gegen schlau spielende Hamburger, die permanent unseren Mittelblock – eigentlich unser Prunkstück – attackiert haben und ihn müde spielen wollten. Wir haben trotzdem alles investiert, um unser Heimspiel noch zu gewinnen – heute dürfte jeder Zuschauer zufrieden nach Hause gehen. Bei den Fans möchte ich mich bedanken, sie waren bombastisch und haben unsere Jungs die letzten zehn Minuten getragen. Den letzten Freiwurf wollten wir ohne eigene Mauer ausführen, um das breiter aufzuziehen. Diese Leistung heute, dieser Willen, dieser Elan machen mich stolz.
HSVH-Trainer Torsten Jansen: Glückwunsch an Filip und den THW Kiel zum Sieg. Was war das bitte für ein Handballspiel? Intensität, Kampf, Tempo - das war kaum zu überbieten. So eine Leistung meiner Mannschaft hätte ich nicht für möglich gehalten, umso stolzer bin ich auf den Kampf meiner Mannschaft und das enge Spiel, das in den letzten drei Sekunden entschieden wurde, weil die Schiris offenbar Mitleid mit dem THW Kiel hatten und ihm mit dem Timeout die Chance zum Torwurf gegeben haben. Aber Spaß beiseite: So ein Spiel so lange gegen den THW Kiel offen zu halten – chapeau an meiner Mannschaft!
THW-Rückraumspieler Eric Johansson: Patrick und Dule haben Emil und mir mit ihren Sperren extrem geholfen, so sind wir zu guten Chancen gekommen. Insgesamt haben wir im Angriff sehr gut gespielt, aber mit 37 Gegentoren waren wir in der Abwehr nicht gut genug. Aber wir wollten unbedingt noch gewinnen, und wir haben den Glauben und das Vertrauen in uns, dass wir das auch können.