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KN: „Ich habe Ägypten mit sehr viel Wehmut verlassen“
Kiel. Seit Jahren wünschte sich Alfred Gislason einen Co-Trainer. Doch entweder fehlte dem Handballmeister THW Kiel das Geld, oder der Isländer fand keinen passenden Kandidaten. Seit dem 1. Juli hat er einen: Mit Jörn-Uwe Lommel (56), der zuletzt die ägyptische Nationalmannschaft trainierte, wurde er gemeinsam im Trikot des TuSEM Essen 1986 Deutscher Meister.
Herr Lommel, warum sind Sie Co-Trainer in Kiel geworden?
Weil Alfred das so wollte, aber ohne die Revolution in Ägypten wäre das sicher nicht passiert. Der 25. Januar 2011 hat auch für mich alles verändert. Ich hatte in Kairo eine sehr interessante Arbeitsstelle mit einer langfristigen Perspektive.Was ist passiert?
Nach der Revolution war in Ägypten alles anders, die Verbands-Funktionäre wurden ausgetauscht, die Unterstützung für die Handballer stark reduziert. Deshalb bin ich im Juni 2012 nach Berlin zurückgekehrt.Mit welchen Gefühlen haben Sie Ägypten verlassen?
Mit sehr viel Wehmut. Ich hatte einen tollen Job, die Bedingungen hätten nicht besser sein können. Für einen Vollprofi wie mich war es dort ein Paradies. Außerdem habe ich viele Freunde zurückgelassen.Sie hatten einen Vertrag bis 2013 mit dem ägyptischen Handballverband. Welche Ziele wurden Ihnen gesetzt?
Wir sollten und wollten uns für die Olympischen Spiele 2016 in Rio qualifizieren. Ich bin im Dezember 2009 nach Ägypten zurückgekehrt und war dort für den Nachwuchs und die Männer-Mannschaft zuständig. Wir hatten viele Erfolgsmomente, so gewannen wir bei den 1. Olympischen Jugendspielen 2010 in Singapur erstmals Gold. Die Junioren wurden bei der WM 2011 Vierter, die Jugend Fünfter in Argentinien – mit den Jahrgängen 1992/1990 gewannen wir die Afrika-Meisterschaft, mit der 1. Mannschaft die ALL African Games und die Arabische Meisterschaft in Katar. Wir waren auf einem guten Weg.Und jetzt?
Mein Eindruck ist, dass der Verband deutlich weniger Geld für die Handballer ausgibt. Viele sind in die Golfstaaten abgewandert, weil sie dort besser bezahlt werden. Zu meiner Zeit konnten die Spieler von den Gehältern gut leben, so dass keiner gehen musste.Ist der Kontakt mittlerweile abgerissen?
Nein. Ich spreche noch via Skype mit vielen Freunden und bemühe mich gerade intensiv darum, für die Nationalmannschaft im Juni/Juli kommenden Jahres ein zehntägiges Trainingslager in Deutschland zu organisieren.Sie haben zuletzt in Berlin als Hotelier gearbeitet. Hatten Sie sich mit einem Ende der Trainerkarriere abgefunden?
Ja, aber in einem positiven Sinn. Ich wäre gerne noch einmal ins Ausland gegangen, das war mein Fokus. Aber es gab kein entsprechendes Angebot. Das Hotel war ein perfektes Auffangbecken für mich.Wie kam die Verbindung zum THW zustande?
Zu Alfred Gislason ist der Kontakt seit unserer gemeinsamen Zeit in Essen nie abgerissen. Ich habe diesen uralten Draht im November letzten Jahres wieder aufleben lassen. Aber nicht mit dem Hintergedanken, sein Co-Trainer zu werden.Sondern?
Mario Meier, der für mich in Ägypten gearbeitet hat, wohnt in Magdeburg. Er erzählte mir, dass der Verein einen neuen Cheftrainer sucht. Da habe ich Alfred angerufen.Warum?
Er hat den SC lange trainiert, er kennt das Umfeld sehr gut. Ich wollte seine Einschätzung der Situation haben, um vorbereitet zu sein, falls die Verantwortlichen mich tatsächlich als Kandidaten in Betracht ziehen. Haben sie nicht, aber Alfred wusste nun, dass ich wieder Lust hatte, in dem Beruf zu arbeiten. Und dann rief er mich im Mai an...... um was zu sagen?
Ob ich mir vorstelle könne, sein Co-Trainer zu werden. Er hätte zwar kein Geld, aber großen Bedarf. Die Zusage habe ich ihm sofort gegeben. Mit ihm und dieser Super-Mannschaft zu arbeiten – das ist perfekt. Ich bin hier, um Alfred zu entlasten. Ich mache einfach, was er ohne Bauchweh abgeben möchte. Am 1. November bin ich in meine Wohnung eingezogen und hoffe, dass ich sie lange bewohnen kann.Können Sie sich vorstellen, wieder als Cheftrainer zu arbeiten?
Ja, aber nicht in Kiel. Das, was Alfred hier leistet, ist unglaublich. Dieses Pensum schaffe ich wahrscheinlich nicht mehr. Meine Zeit in Kiel ist unmittelbar mit ihm verknüpft. Geht er, gehe ich auch.Bisher kannten Sie den THW nur von außen, was hat Sie am meisten überrascht, als Sie das Innenleben kennenlernten?
Die Trainingsbedingungen. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass ein Verein, der so professionell aufgestellt und erfolgreich ist, so schwierige Rahmenbedingungen hat. Wir trainieren an drei verschiedenen Orten. Der Unterbau mit der Zweiten Mannschaft und der A-Jugend hat keine zeitliche Abstimmung mit unseren Trainingszeiten und das Krafttraining muss in einem öffentlichen Fitnesskomplex durchgeführt werden. Soweit ich weiß, soll diese Situation aber geändert werden. Ich hoffe, dass diese Bemühungen erfolgreich sind und wir noch effektiver arbeiten können.(Das Gespräch führte Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 07.11.2014)