Bundesliga-Spitzenspiel am Mittwoch in Göppingen
Göppingen mit schwacher letzter Spielzeit
Linksaußen Marcel Schiller ist in dieser Saison mit bislang 71/35 Treffern bester Schütze bei Frisch Auf.Hinter dem neunfachen Meister aus Göppingen liegt eine rabenschwarze Saison: In der zehnten, bereits zuvor feststehenden letzten Spielzeit unter der Ägide von Trainer Velimir Petkovic sollte es nach einem schwächeren elften Platz wieder nach oben gehen. Mit „Heimkehrer“ Michael Kraus und Kreisläufer Evgeni Pevnov wurden dafür gleich zwei Champions-League-erprobte Kräfte nach Göppingen gelotst. Doch obwohl Kraus zumindest sein altes Potential mehrfach andeutete und sich zudem Mittelmann Tim Kneule in die Nationalmannschaft spielte, erlebte Frisch Auf die schlechteste Spielzeit seit 2003/04. Bereits Anfang Dezember 2013 wurde die Reißleine gezogen und Petkovic beurlaubt: „Frisch Auf Göppingen hat Velimir Petkovic sehr viel zu verdanken. Er hat Frisch Auf in der Handball-Bundesliga als feste Größe etabliert und darüber hinaus den Club unter anderem zu zwei Europapokalsiegen geführt. Er wird als Erfolgstrainer in die Frisch-Auf-Historie eingehen. Um den derzeitigen negativen Trend jedoch stoppen zu können, ist es an der Zeit eine Veränderung herbeizuführen,“ sagte Göppingens Geschäftsführer Gerd Hofele und beförderte Aleksandar Knezevic, langjähriger Spieler und zuvor Trainer des Frauen-Bundesligisten, bis Saisonende zum Interimscoach. Unter Knezevic gab es immer mal wieder Erfolgsmomente, doch letztlich sprang mit nur 26 Punkten und Platz 12 dennoch eine indiskutable Saisonleistung heraus.
Frischer Wind mit Magnus Andersson
Unter Magnus Andersson kehrt der Erfolg nach Göppingen zurück.Doch im Sommer machte sich Aufbruchstimmung breit bei den Baden-Württembergern, als der bereits im November 2013 vorgestellte Magnus Andersson seit Traineramt bei Frisch Auf antrat. Der 48-jährige Schwede, einst Trainer des dänischen Spitzenteams AG Kopenhagen, kündigte bereits damals an, den Verein mittelfristig zurück ins obere Tabellendrittel führen zu wollen. Dass ihm dies womöglich schon in seiner ersten Saison bei den Grün-Weißen gelingen könnte, überrascht aber auch viele Experten. Andersson gelang es in Rekordzeit, aus den guten Individualisten wieder eine erfolgreiche Mannschaft zu formen – und das, obwohl der Trainer zu Saisonbeginn nicht auf Michael Kraus zurückgreifen konnte. Dieser wurde im Juli nach drei Verstößen gegen die Meldepflicht von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) gesperrt, Ende August aber von der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Handballbundes freigesprochen.
Neuzugänge schlagen ein
Zurück zu alter Stärke: Zarko Sesum.Personell hat sich auf dem Parkett hingegen kaum etwas geändert bei den Göppingern, denn nur drei Spieler wurden ausgetauscht. Mit Momir Rnic verließ sogar einer der größten Leistungsträger der vergangenen Jahre den Verein Richtung Melsungen. Für ihn wurde sein serbischer Landsmann Zarko Sesum unter Vertrag genommen, der beim Landesrivalen Rhein-Neckar Löwen nach überstandenem Kreuzbandriss in der vergangenen Vizemeister-Saison nur noch sporadisch zum Einsatz kam. Doch bei Frisch Auf blüht der 28-Jährige wieder auf, spielt bislang eine äußerst konstante Saison und erzielte bereits 56 Treffer. Für die andere Halbposition war den Göppingern im April einer der größten Transfercoups der jüngeren Vereinsgeschichte gelungen: Mit Alix Kévynn Nyokas wurde ein amtierender Europameister verpflichtet, der ebenfalls 28-jährige Franzose spielte zuletzt für Chambéry. Und der sprung- und wurfgewaltige Linkshänder begeisterte – zusammen mit Zwillingsbruder Olivier, der in dieser Saison für Balingen spielt – die Handball-Bundesliga. Bereits in seiner ersten Spielzeit in der „stärksten Liga der Welt“ hat sich Nyokas einen Namen gemacht, mit 51 Treffern ist er zweitbester Feldtorschütze seiner Mannschaft. Das Feld der Neuverpflichtungen komplettiert der Schwede Anton Halén. Der 24-Jährige ersetzt auf Rechtsaußen den Serben Mitar Markez und teilt sich die Position mit Kapitän Christian Schöne.
Göppingen mit erst zwei Saison-Niederlagen
Ein Europameister in Göppingen: Linkshänder Kévynn Nyokas.Trotz starker Angriffsreihen ist aber die Abwehr momentan das Prunkstück bei Frisch Auf Göppingen, hinter der sich der slowenische Torhüter Primoz Prost sich zuletzt in einer blendenden Verfassung präsentierte. Auch ihm ist es zu verdanken, dass die Mannschaft bislang erst zwei Pflichtspiele in dieser Saison verloren hat und sich damit inmitten der Champions-League-Teilnehmer auf dem derzeit dritten Tabellenplatz einreiht. Die Niederlagen setzte es allerdings ausgerechnet gegen die Platzhirsche: Bei den Rhein-Neckar Löwen war man beim 20:26 (9:10) letztlich chancenlos, und bei der 26:34-Heimpleite gegen die SG Flensburg-Handewitt am 25. Oktober wurden die Göppinger hart auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Aber es spricht für das Team, dass es sich danach sofort wieder berappelt hatte und sich zuletzt beim starken VfL Gummersbach (31:27) und beim TBV Lemgo (26:22) keine Blöße gab und auch den HSV Hamburg nach zuletzt sechs Ligasiegen in Serie beim 26:23 (15:8) entzauberte. Gerade beim letzten Heimspiel gegen die Hansestädter war auch der sonst auch bei Siegen gerne kritische Magnus Andersson verzückt: „Wir haben eine unglaublich gute erste Halbzeit gemacht“, so der Schwede nach dem Schlusspfiff, der vor allem dem nach einer Schulterverletzung zurückgekehrten fünffachen Torschützen Tim Kneule ein Extralob verteilte: „Tim hat ein unglaublich gutes Spiel gemacht. Er hat in den letzten sechs Wochen fast nie mit der Mannschaft im Angriff trainiert.“
THW ohne Jicha und Palmarsson
Sport1 überträgt live
KN: „Die Mannschaft“: Vor dem Göppingen-Spiel gingen die Zebras ins Kino
Kiel/Stuttgart. Müde, aber mit einem 27:25-Sieg bei Paris St.-Germain im Gepäck erreichte der THW Kiel am Montagmorgen ums sechs Uhr Stuttgart. Gerhard Wirths, der eigentlich Star-Geiger Andre Rieu durch Europa kutschiert, hatte den Handballmeister mit seinem Bus abgeholt, in dem 28 Liegeplätze dem THW-Tross eine halbwegs angenehme Anreise zum Liga-Gipfel bei FA Göppingen (heute, 20.15 Uhr/Sport1) bescherte. „Das war eine gute Idee“, sagte Trainer Alfred Gislason, „auch wenn ich in solchen Bussen nie sonderlich gut schlafe.“ Bei der ersten Trainingseinheit am Montag in Kornwestheim habe, so Gislason, der eine oder andere Spieler noch über müde Beine geklagt. Allerdings schien das Team am Abend schon wieder fit genug zu sein, um sich „Die Mannschaft“ anzusehen, den Kinofilm zum WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Währenddessen studierte Gislason Videos der Schwaben, die ihn bislang sehr beeindruckt haben. „Das Spiel wird für uns genauso schwer wie das bei den Rhein-Neckar Löwen.“ In Mannheim siegte der THW nach einem dramatischen Spielverlauf mit 29:28. „Ich traue Göppingen durchaus zu, am Ende einen der drei Champions-League-Plätze zu belegen.“ Mit Zarko Sesum (Löwen) und Kevynn Nyokas (Chambery) habe sich der Gegner hervorragend verstärkt. Sesum sei zum ersten Mal seit langer Zeit von schweren Verletzungen verschont geblieben und die Schlüsselfigur bei den Göppingern. „Und Nyokas erinnert mich in seinen Bewegungsabläufen an Daniel Narcisse.“ Letzterer hatte vier Jahre lang die Fans des THW Kiel mit seinen Wacklern und Flugeinlagen verzaubert. Am Sonntag war er einer der wenigen Pariser, die im Abwehrbollwerk der Kieler gelegentlich eine Lücke fanden. Gislason setzt darauf, dass seine Mannschaft auch in der mit 5600 Zuschauern ausverkauften EWS-Arena in der Deckung stabil steht. Möglicherweise wird erneut Mittelmann Rasmus Lauge von Beginn an auf dem Feld stehen – so wie in Paris. (von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 19.11.2014)
KN: „Neue Atmosphäre im Verein“
Göppingen. Gerd Hofele wirkte so, als könne er das alles gar nicht fassen: „Wir dominierten das komplette Spiel, haben jetzt 20:6 Punkte. Das ist einfach sensationell“, sagte der Geschäftsführer des Handball-Bundesligisten Frisch Auf Göppingen nach dem 26:22 beim TBV Lemgo. Dadurch verteidigte die Mannschaft von Magnus Andersson den dritten Platz. „Unser Team hat Substanz, und nach 13 Spieltagen hat die Tabelle auch eine gewisse Aussagekraft“, sagte Hofele, „aber wir bleiben auf dem Teppich.“ Zu sehr sind die vergangenen drei enttäuschenden Spielzeiten noch in Erinnerungen. 2012 konnte zwar der EHF-Pokal-Titel verteidigt werden, in der Bundesliga rutschte der elffache deutsche Meiste aber auf Platz acht ab. Es folgte in der Saison 2012/13 Rang elf, und im Vorjahr kamen die Grün-Weißen sogar der Abstiegszone bedrohlich nahe. Unter Interimstrainer Aleksandar Knezevic kam man mit einem blauen Auge davon – und schloss die Saison auf Platz zwölf ab. Im Dezember 2013 war Velimir Petkovic beurlaubt worden. Der jetzige Coach des ThSV Eisenach hatte an der lange Zeit sehr positiven Entwicklung seit seinem Amtsantritt 2004 großen Anteil, Petkovic hatte jedoch spätestens nach dem zweiten EHF-Pokal-Titelgewinn den Zeitpunkt für den richtigen Absprung verpasst. Inzwischen ist Knezevic neben seiner Tätigkeit als Trainer und Geschäftsführer der Göppinger Bundesliga-Handballerinnen auch offiziell sportlicher Leiter des Männerteams. Unter Petkovic wäre dies undenkbar gewesen. Die gebürtigen Bosnier hatten sich nichts zu sagen. Kein Wunder, dass Knezevic betont: „Es herrscht eine ganz neue Atmosphäre im Verein.“ Vor allem der neue Trainer Magnus Andersson brachte frischen Wind unter den Hohenstaufen. Der ehemalige Weltklasse-Spielmacher vermittelt allen Spielern das Gefühl, wichtig zu sein. Selbst nach einem Klasse-Spiel von Stammkeeper Primoz Prost lässt er in der nächsten Partie überraschend Nikola Marinovic beginnen. Zuletzt in Lemgo wechselte Andersson das Urgestein Dragos Oprea, das davor zweimal nicht im Kader stand, früh für Linksaußen Marcel Schiller ein - Oprea warf fünf Tore. Auch am Kreis lässt Andersson rotieren. Mal spielt Manuel Späth, mal Evgeni Pevnov, mal Bojan Beljanski. Damit hält der Schwede nicht nur alle Mann bei Laune, was sich positiv auf den Teamgeist auswirkt, die Mannschaft hat so die nötige Kraft, um enge Spiele zu gewinnen. Zudem hat Athletik-Trainer Dieter Bubeck mehr Möglichkeiten, sportwissenschaftliche Aspekte einfließen zu lassen. Die Göppinger Mannschaft ist auf allen Positionen doppelt besetzt – zuletzt in Lemgo warfen neun verschiedene Schützen die 26 Tore. Ein Mann spielt in dem ausgeglichen besetzten Team dennoch eine Schlüsselrolle: Zarko Sesum. Der Neuzugang von den Rhein-Neckar Löwen ist die lange gesuchte Führungspersönlichkeit in Angriff und Abwehr. „Zarko behält in kritischen Situationen den Kopf oben und bestimmt den Rhythmus unseres Spiels“, lobt Kapitän Christian Schöne den serbischen Nationalspieler. Nach viel Pech in seiner Karriere scheint Stehaufmännchen Sesum sein Glück zu finden. Auch zwei andere Zugänge fühlen sich pudelwohl: Linkshänder Kevynn Nyokas hat die Qualität im rechten Rückraum deutlich erhöht, denn dort war Felix Lobedank bisher auf sich allein gestellt. Und auch der schwedische Rechtsaußen Anton Halen macht seine Sache in seiner ersten Bundesligasaison sehr ordentlich. Die Göppinger Zwischenbilanz ist umso beachtlicher, da die Mannschaft nie alle Mann zur Verfügung hatte. Spielmacher Michael Kraus fehlte zu Saisonbeginn, weil er wegen des Verstoßes gegen die Doping-Melderichtlinien suspendiert war. Neuerdings lässt eine Oberschenkelverletzung einen Einsatz des Weltmeisters von 2007 nicht zu. Und der zweite Mittelmann, Tim Kneule, konnte lange wegen Schulterproblemen nur in der Abwehr eingesetzt werden. „Wir haben noch gar nicht alle unsere Potenziale genutzt“, findet Hofele. Die Fans sind jedenfalls vom Saisonverlauf begeistert. Auch wenn der Härtetest gegen die SG Flensburg-Handewitt am 25. Oktober grandios schiefging. Bei der 26:34-Heimschlappe klappte bei Frisch Auf gar nichts, bei der SG so gut wie alles. Das Positive aus Göppinger Sicht: Das Misserfolgserlebnis gegen Flensburg steckte das Team erstaunlich abgebrüht weg. Aber ist das Team stabil genug, um zumindest das Rennen um den Titel „best of the rest“ zu gewinnen, sprich den vierten Platz hinter dem THW, den Löwen und Flensburg zu holen? Diese Platzierung wäre gleichbedeutend mit der Rückkehr auf die internationale Bühne. „Soweit wollen wir jetzt noch nicht denken“, sagt Hofele und dämpft die Euphorie bei den Schwaben. (von Jürgen Frey, aus den Kieler Nachrichten vom 19.11.2014)