Remis in Hamburg: Zebras fehlt nach starker Partie am Ende die Coolness im Abschluss
Fünf Siege gegen teils hochkarätige Gegner hatte der immer selbstbewusster auftretende HSV Hamburg zuletzt gefeiert, sich in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga in sichere Tabellenregionen gehievt. Eine harte Nuss also für den THW Kiel vor der HSV-Saison-Rekordkulisse von 10137 Zuschauern in der Hamburger Barclays Arena. Die Zebras standen am Freitagabend kurz davor, diese zu knacken. Die starken Kieler agierten über weite Strecken der Partie souverän, kämpften erbittert mit den Gastgebern und lagen bis in die Schlussphase hinein stets in Führung. Am Ende aber fehlte ihnen die Coolness, den Sieg auch nach Hause zu bringen. Weil Johannes Bitter sich in einen Rausch steigerte, seine Leistung zwölf Sekunden vor dem Ende mit einem gehaltenen Siebenmeter krönte. Und weil Frederik Bo Andersen die Steilvorlage seines Keepers von Rechtsaußen nutzte und den Hanseaten das nicht mehr für möglich gehaltene Unentschieden sicherte: 28:28 (15:16) nach einem Spiel, das an die großen Zeiten des „kleinen Derbys“ erinnerte.
HSVH feiert das "Momentum"
So gab es im "kleinen Nordderby" nach einer mitreißenden Partie keinen Sieger, die Fans in der schmucken Arena aber waren genau wie die HSV-Spieler nach diesem Krimi mit Hamburger Happy-End völlig aus dem Häuschen. "Wir hatten in der Schlussphase das Momentum auf unserer Seite. Kiel ist eine Weltklasse-Mannschaft, aber mit unserer großartigen Mentalität und den tollen Fans haben wir noch einen Punkt gerettet“, sagte der 41-jährige Torhüter Bitter, der mit insgesamt 16 Paraden zum Schreckgespenst für die Kieler Angreifer avancierte. Bester THW-Werfer war Niclas Ekberg, der die Zebras in der Schluss-Viertelstunde nahezu allein auf die Siegerstraße gebracht hatte, dann aber mit dem entscheidenden Strafwurf scheiterte. "Jogi hat großartig gehalten, das hat sicher eine wichtige Rolle gespielt", sprach Kiels Schwede in die Mikrofone des Handballsenders DYN. "Aber mein Siebenmeter muss einfach rein, dann gewinnen wir dieses Spiel!"
Kieler kommen schwer ins Spiel
THW-Trainer Filip Jicha musste erneut auf Linksaußen Magnus Landin (Handbruch) verzichten. Ein besonderes Match war es natürlich für THW-Kapitän Domagoj Duvnjak, der vor seiner inzwischen zehn Jahre andauernden Zebra-Zeit das HSV-Trikot trug. "Dule" war entsprechend motiviert, hechtete nach Bällen, erzwang Hamburger Fehler und war vor allem in der Abwehr ein Kieler Leistungsträger. Allerdings kamen die Zebras nur schwer in die Partie. Rune Dahmke scheiterte zweimal am HSV-Schlussmann, Eric Johansson traf das Tor nicht. So lagen die Hanseaten nach vier Minuten mit 3:0 in Front: Ilic, Mortensen und Tissier waren die HSV-Schützen. Kiels anfängliche Torflaute überwand dann der besonders in der ersten Hälfte auffällige Johansson mit seinem Treffer zum 3:1 aus dem Rückraum. Ilic erhöhte auf 4:1, dann hatte Bitter seine Hände am Ball. Weil aber auch Samir Ballahcene eine 100-prozentige Chance von Baijens aufhielt, verkürzte Harald Reinkind im Gegenzug auf 2:4. Ilic war erneut zur Stelle, ehe Dahmke per Tempogegenstoß das 5:3 erzielte. Kiels Linksaußen ließ sich von seinen ersten beiden Fehlversuchen gegen Bitter nicht beirren.
Zebras gewinnen die Oberhand
Zwei geniale Solo-Einlagen von Johansson und der abgeklärte Abschluss von Ekberg sorgten in der 16. Minute dann für den Kieler Ausgleich zum 7:7. Jetzt hatten sich die Zebras auch in der Abwehr gefunden, verschoben, übergaben und trieben die Hamburger vor sich her. Vorne zogen Nikola Bilyk, Elias Ellefsen á Skipagötu und Co ein fintenreiches, schnelles Spiel auf, gewannen langsam die Oberhand in dieser von beiden Seiten mit hohem kämpferischen Aufwand betriebenen Partie. Es blieb trotzdem eng. Baijens brachte die Hamburger erneut in Front, nach 20 Minuten führte der HSV mit 11:9. Dann zauberten die Zebras einen 3:0-Lauf aufs Parkett: Zweimal á Skipagötu und Bilyk waren die Torschützen, brachten den THW Kiel in der 23. Minute beim 12:11 erstmals in Front. Bis zum Pausenpfiff des schwachen, am hektischen Geschehen nicht unbeteiligten Schiedsrichtergespanns Hannes/Hannes wechselte die Führung, ehe Bilyk seine Farben nach einem erneuten Ballgewinn von Duvnjak mit 16:15 in die Halbzeit warf.
THW Kiel glänzt
Aus der kamen die Kieler gestärkt und mit viel Selbstbewusstsein heraus. Dahmke erzielte die erste Kieler Zwei-Tore-Führung, und in der Folge nahmen die Zebras das Heft fest in ihre Hände. Die Abwehr um Duvnjak, Pekeler und Wiencek oder Överby kämpfte bravourös. Tomas Mrkva wurde zum guten Rückhalt zwischen den Torpfosten, und so setzten sich die Kieler langsam ab. Ekberg verwandelte seinen Steal zum 22:19, war kurz darauf bei einem Abpraller reaktionsschnell und netzte in der 42. Minute zum 23:20 ein. Wenig später war Patrick Wiencek vom Kreis zur Stelle, verwandelte das gekonnte Anspiel von Dahmke über das halbe Spielfeld zum 24:20-Zwischenstand. Der Doppelschlag von Ekberg nach glänzendem Anspiel von Duvnjak und dem folgenden verwandeltem Strafwurf ließ die Zebras nach 47 Minuten gar auf 26:21 enteilen.
Hamburg kämpft sich wieder heran
Eine Vorentscheidung? Mitnichten. Hamburg kämpfte sich wieder heran, profitierte dabei auch von etlichen fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen gegen den THW Kiel. "Krönung" dessen war die Zeitstrafe gegen Nikola Bilyk: Der Österreicher versuchte sich am gegnerischen Kreis mit einer Drehung durchzusetzen, wurde behindert, was allerdings als Stürmerfoul angesehen wurde. Aus der extrem dynamischen Bewegung warf er noch aufs Tor - und kassierte selbst eine Zeitstrafe! Die lautstarken, zu hunderten nach Hamburg gepilgerten Kieler Fans rauften sich die Haare. Auch in der Folge, in der Bitter zum immer unüberwindbaren Hindernis für die Kieler Werfer wurde.
Bitteres Ende nach einem über weite Strecken starken Auftritt
Dahmke, Ekberg, Weinhold, Johansson - die Zebras erspielten sich Riesen-Möglichkeiten, doch Bitter hatte vor großer Kulisse offenbar Lust auf sein bestes Saisonspiel. Wie auch immer: Die Hamburger nutzten die ins Spiel gebrachte Hektik und die Situation. Mit dem Selbstbewusstsein von fünf Siegen in Folge, der Unterstützung von den Rängen und dem Mut der Verzweiflung warf der HSV alles nach vorn. Nach einem 5:0-Lauf waren die Gastgeber in der 56. Minute durch das 25:26 von Tissier unverhofft wieder auf Tuchfühlung. Der Rest war Spannung pur: Johansson brachte den THW Kiel mit 27:25 in Front, nach Tissiers Anschluss, erhöhte Hendrik Pekeler 62 Sekunden vor dem Ende auf 26:28. Dann traf Hamburgs Weller vom Kreis, Pekeler holte einen Siebenmeter für die Schwarz-Weißen heraus - und der Rest ist bekannt...
Zwei weitere schwere Auswärtsspiele vor der Brust
Die Kieler führt die Auswärts-Tournee im April am kommenden Wochenende in die Bundeshauptstadt: Am Sonntag, 21. April, treffen sie dort auf den Meisterschafts-Aspiranten Füchse Berlin. Die Partie in der Max-Schmeling-Halle ist bis auf wenige Resttickets (jetzt im Füchse-Ticketshop kaufen!) ausverkauft. THW-Fans können ihrer Mannschaft aber auch vor dem TV die Daumen drücken. Neben dem Handball-Streamingsender Dyn überträgt auch das Free-TV das Duell an der Spree: Der RBB geht ab 14:05 Uhr ebenfalls live. Nach dem Berlin-Spiel bleibt den Zebras nicht viel Zeit zur Vorbereitung auf das Viertelfinal-Hinspiel in der Machineseeker EHF Champions League: Die Partie bei Montpellier HB in Südfrankreich wird am Mittwoch, 24. April, um 20:45 Uhr angepfiffen und live bei Dyn und DAZN zu sehen sein. Für das Rückspiel in Kiel am Donnerstag, 2. Mai (18:45 Uhr) gibt es noch Karten bei CITTI, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de. Weiter geht’s in Berlin, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Fishing4 /Thorge Huter
LIQUI MOLY Handball-Bundesliga, 25. Spieltag: Handball Sport Verein Hamburg - THW Kiel 28:28 (15:16)
HSV Hamburg: Bitter (1.-60., 16/1 Paraden), Vortmann (n.e.); Mortensen (9/3), Tissier (3), Weller (3), Corak, Andersen (2), Hartwig, Severec, Risom (1), Bergemann, Ilic (7), Valiullin, Baijens (3); Trainer: Jansen
THW Kiel: Mrkva (26.-60., 7 Paraden), Bellahcene (1.-26., 6 Paraden); Ehrig (n.e.), Duvnjak, Reinkind (1), Øverby, Weinhold (1), Wiencek (2), Ekberg (7/1), Johansson (5), Dahmke (4), Szilagyi (n.e.), Wallinius (1), Bilyk (2), Pekeler (1), á Skipagøtu (4); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Christian Hannes / David Hannes
Siebenmeter: HSVH: 2/2 / THW: 2/1 (Bitter hält Ekberg (60.))
Zeitstrafen: HSVH: 1 (Weller (44.)) / THW: 5 (Pekeler (7.), Weinhold (34.), 2x Wiencek (40., 53.), Bilyk (56.))
Spielfilm: 1. Hz. 3:0 (4.), 4:1 (5.), 6:3 (11.), 7:5 (13.), 7:7 (17.), 9:9, 11:9 (21.), 11:12 (23.), 13:12 (25.), 15:14 (27.), 15:16,
2. Hz.: 15:17 (31.),17:19 (34.), 19:20, 20:22 (42.), 20:24 (43.), 21:24, 21:26 (48.), 23:26 (52.), 25:26 (56.), 27:28 (60.), 28:28.
Zuschauer: 10173 (Barclays Arena, Hamburg)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin nach diesem Spielverslauf enttäuscht, dass wir den Sack nicht zumachen konnten. Wir haben die letzte Phase der Partie mit einem 2:7-Negativlauf beendet, obwohl wir uns gute Chancen erarbeitet haben. Wir hatten bis dahin das Spiel gut strukturiert und hatten es auch in der Hand. Aber dann lassen wir uns von Jogi den Mut nehmen. Man muss Hamburg gratulieren zu diesen grandiosen letzten zehn Minuten. 47 Minuten der Partie kann ich akzeptieren, die ersten drei und die letzten zehn Minuten nicht. Da hatten wir zu großen Respekt vor Jogi, und ich habe sogar ein wenig Arroganz in unseren Abschlüssen gesehen. Wir haben uns anstecken lassen von der Hektik in den letzten Minuten, da fehlte ein stückweit auch die Coolness. Aber zuvor haben die Jungs gearbeitet, haben sich brutal angestrengt und reingehängt.
HSVH-Trainer Torsten Jansen: Filip hat mir authentisch gratuliert direkt nach dem Spiel, das ist nach solch einer Schlussphase nicht selbstverständlich. Der THW Kiel steht für mich über allem. Die letzten Minuten waren aber geprägt davon, dass der THW Kiel klarste Chancen nicht im Tor unterbringen konnte. Wir haben den Mut der Verzweiflung am Schopf gepackt und haben dann noch diesen Punkt geholt. Auch wenn Jogi in den letzten Minuten überragend gehalten hat, hat die gesamte Mannschaft immer an sich geglaubt. Und deswegen gratuliere ich allen. Der THW Kiel macht eigentlich alles richtig, auch vorn. Aber die letzte Situation nutzt er nicht, wir haben dann das Momentum auf unserer Seite und spielen das euphorisiert zu Ende. Ein packenderes Spiel als heute konnten sich die Fans nicht aussuchen.
THW-Kapitän Nikola Bilyk: Wir machen ein gutes Spiel, erarbeiten uns auch am Ende Riesen-Möglichkeiten, kommen aber einfach nicht an Jogi vorbei. Es ist eines dieser Spiele, in denen man sich nicht erklären kann, warum man nicht zwei Punkte mit nach Hause nimmt.
THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi: Jogi hat in den letzten zehn Minuten überragend gehalten. Es ist ja nicht so, dass wir uns keine Möglichkeiten mehr herausspielen in dieser Phase. Aber uns fehlte im Abschluss die letzte Konsequenz. Wir machen bis zu dem Zeitpunkt, bei dem wir nicht mehr an Jogi vorbeikommen, ein richtig gutes Spiel. Es gibt daher auch viele positive Dinge, die wir heute mitnehmen können. Der Wille war da, der Kampfgeist war da, und wir machen 50 Minuten lang ein souveränes Spiel. Deshalb sind wir auch so enttäuscht, heute nur einen Punkt mitnehmen zu können. Auch wenn man sagen kann, dass der HSV sich diesen Punkt verdient hatte, weil sich die Mannschaft nie aufgegeben hat.