THW zeitweise wie im Rausch
Mit einem bärenstarken Andreas Wolff im Tor hat der THW Kiel am Sonntagnachmittag einen klaren Heimsieg eingefahren: Beim 39:19 (19:10)-Erfolg über GWD Minden spielten sich die Zebras vor 10285 begeisterten Zuschauern phasenweise in einen Rausch, der ihnen am Ende nicht nur zwei Punkte, sondern auch eine gehörige Plus-Portion im Torverhältnis einbrachte - und irgendwie auch den leisen Traum vom Meistertitel am Leben erhielt. Bester Torschütze im 600. Pflichtspiel mit Trainer Alfred Gislason auf der Bank war Lukas Nilsson, der neunmal traf.
Nervensache am Anfang
Antreiber, Motor, Vollstrecker: Steffen Weinhold spielte überragende 30 Minuten
Der Alltag nach dem EHF-Pokaltriumph hielt erst einmal keine gute Nachrichten für die Zebras bereit: Nikola Bilyk musste mit Rückenproblemen passen, und Niclas Ekberg ging angeschlagen in die Partie. Und doch wurde es ein grandioser Nachmittag in der Sparkassen-Arena, der alles andere als Alltag war. Doch der Anfang geriet zur Nervensache: Hin und Her flog der Ball in den ersten Minuten, nach vier Zeigerumdrehungen gelang dem agilen, stark auftrumpfenden Steffen Weinhold der erste Kieler Treffer. Minden hielt dagegen, fand Lücken in der offensiven Kieler Deckung und konnte so nach Domagoj Duvnjaks fantastischem Rückhand-Pass auf Hendrik Pekeler und dem THW-5:2 auf 4:5 verkürzen. Nach elf Minuten drohte den Zebras wieder ein spannender Verlauf - auch weil der Ex-Kieler Kim Sonne Hansen einen großartigen Tag im GWD-Tor erwischt hatte.
Kieler 5:0-Lauf verunsichert Gäste
Mehr als 50 Prozent gehaltener Bälle: Andreas Wolff
Auf der gegenüberliegenden Seite spielte sich hingegen Andreas Wolff immer mehr in die Hauptrolle der Partie hinein. Der Kieler Keeper hielt in dieser Phase freie Würfe von Gullerud, Savvas und Padshyvalau - und zog GWD Minden damit den Zahn. Denn gleich zweimal trafen die Schwarz-Weißen in Überzahl nach Wolff-Paraden in den verwaisten GWD-Kasten und zwangen mit dem 8:4 Mindens Trainer Frank Carstens zur Auszeit. Doch diese hatte nur kurzfristigen Erfolg: Nach Zvizejs verwandeltem Siebenmeter spielte nur noch der THW Kiel: Mit einer jetzt stabilen 6-0-Deckung, einem weiterhin grandiosen Wolff und einem starken Mittelblock verunsicherten die Zebras ihre Gegner zusehends, kassierten sechs Minuten lang keinen Gegentreffer und zogen durch Tore von Ekberg, der nur für die Strafwürfe aufs Feld kam, Pekeler, Lukas Nilsson, Rahmel und erneut Nilsson auf 14:5 davon. Nach Weinholds Traumpass auf Rune Dahmke und einer unglaublichen Staffette von Weinhold über Dahmke zu Nilsson stand es wenig später sogar 17:7 - ein Vorsprung, den der THW beim 19:9 mit in die Pause nahm.
Wie in Ekstase: 15:2-Lauf der Zebras
Vier Volltreffer: Ole Rahmel
Was dann nach Wiederanpfiff passierte, war wie ein Rausch: Die Kieler kamen mit viel Leidenschaft und Durchsetzungsvermögen aus der Kabine und drehten richtig auf: Aus dem Rückraum traf Harald Reinkind, Nilsson bediente Dahmke auf Außen, Miha Zarabec fand Pekeler am Kreis - und immer wieder Wolff. Satte zwölf Minuten lang machte der Keeper seinen Kasten zur unbezwingbaren Festung, musste in dieser Phase nur einmal hinter sich greifen. Und auch seine Vorderleute waren aufmerksam. Steal um Steal gelang der THW-Abwehr, und das nutzten die Zebras zu rasend schnellen Treffern. Nilsson, Dahmke, Nilsson: Beim 28:10 nach gerade einmal 37 Minuten nahm Carstens die letzte Auszeit, die aber im Kieler Tore-Rausch verpuffte: Nilsson, Rahmel mit einem Riesen-Tor und Pekeler legten weiter nach, Korte traf zum 11:31 (43.) - dem wieder drei schnelle THW-Tore zum 34:11 folgten. Den Mindenern drohte eine historische Schlappe an der Förde.
Höchster Saisonsieg
Hendrik Pekeler war fünf Mal erfolgreich
Historische Dimensionen verhinderten die Ostwestfalen mit einem eigenen Zwischenspurt: Der THW Kiel machte jetzt offensiv einige Fehler, ließ bei einigen Chancen den letzten Willen vermissen. Das wurder konsequent bestraft. So "verkürzte" GWD von 14:37 auf 18:37 (56.), ehe die Kieler im Schlussspurt durch Firnhaber und den siebenfachen Torschützen Rune Dahmke doch noch einmal nachlegte. Gefeiert von 10285 Fans hatten die Zebras im Fern-Duell mit dem Tabellenführer ihre Hausaufgaben eindrucksvoll erledigt: Mit dem höchsten Saisonsieg hielten sie den Druck auf den Titelverteidiger aus Flensburg hoch und feierten gemeinsam mit ihren Anhängern einen tollen Handballnachmittag der alles war - nur nicht Alltag.
Mittwoch beim TBV Lemgo Lippe
Schon Mittwoch wieder gefordert: Domagoj Duvnjak und die Zebras
Der Endspurt für den THW Kiel geht am Mittwoch beim TBV Lemgo Lippe weiter: Um 18:30 Uhr wird die Mannschaft von Florian Kehrmann die Zebras herausfordern. Rund um die ausverkaufte Partie in der Phoenix Contact Arena haben die Gastgeber ein großes Programm zusammengestellt: Vor dem Anpfiff werden American-Football-Spieler für beide Teams Spalier stehen, in der Halbzeit gibt es eine Tanzshow, ehe nach der Begegnung die scheidenden Patrick Zieker, Tim Hornke, Dominik Ebner und Robin Hübscher verabschiedet werden. Danach lädt der TBV Lemgo Lippe seine Fans zur Saisonabschluss-Feier in der Arena ein. Zuvor wollen die Ostwestfalen, die zuletzt zu Hause unglückglich gegen den SC Magdeburg (22:23) knapp verloren, den Kielern einen heißen Tanz liefern. "Wir müssen beim TBV alles abrufen, um die zwei Punkte wieder mit nach Kiel nehmen zu können", sagt Steffen Weinhold. Weiter geht's, Kiel!
Statistik: DKB Handball-Bundesliga, 32. Spieltag, 26.05.19: THW Kiel - GWD Minden: 39:19 (19:10)
THW Kiel: N. Landin (n.e.), Wolff (1.-60., 21/1 Paraden); Duvnjak (3), Reinkind (2), M. Landin (n.e.), Firnhaber (2), Weinhold (3), Wiencek (1), Ekberg (3/3), Rahmel (4), Dahmke (7), Zarabec, Pekeler (5), Nilsson (9); Trainer: Gislason
GWD Minden: Christensen (39.-60. und 1 Siebenmeter, 5 Paraden), Sonne-Hansen (1.-39., 10 Paraden); Mansson (1), Savvas (1), Rambo (3), Korte (4), Padshyvalau, Strakeljahn, Pusica, Gullerud (3), Michalczik (2), Kister, Staar (1), Cederholm (1), Gulliksen (2), Zvizej (1/1); Trainer: Carstens
Schiedsrichter: Fabian Baumgart / Sascha Wild
Strafzeiten: THW: 1 (Wiencek (14.)) / GWD: 1 (Michalczik (12.))
Siebenmeter: THW: 3/3 / GWD: 2/1 (wolff hält Zvizej (41.))
Spielfilm: 1:0 (4.), 2:2 (7.), 5:2 (10.), 5:4 (11.), 9:4 (14.), 9:5, 14:5 (21.), 15:7 (23.), 18:7 (28.), 18:9, 19:9;
22:9 (33.), 22:10, 31:10 (42.), 34:11 (46.), 35:13 (51.), 37:14 (53.), 37:17 (55.), 38:18, 39:19.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Sparkassen-Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Alfred Gislason: Man hat gesehen, dass dieses Spiel für uns vielleicht wichtiger als für Minden war. Trotzdem hat GWD in der Anfangsphase gute Lösungen gegen unsere 3-2-1-Abwehr gefunden. Da hilft uns Andi mit drei, vier Paraden gegen freistehende Gegner enorm. So steht es statt 8:8 eben 8:4 für uns. Danach lief in vielerlei Hinsicht alles in unsere Richtung. Die 6-0 stand gut, Andi hatte einen super Tag hinter einem starken Mittelblock. So konnten wir viele leichte Tore machen und etwas für das Torverhältnis tun. Ich bin froh darüber, wie fokussiert meine Jungs heute waren.
GWD-Trainer Frank Carstens: Glückwunsch an den THW und Alfred zum DHB-Pokalsieg, zum EHF-Pokalsieg und zum Sieg im 600. Pflichtspiel. Zum Spiel kann ich nicht viel sagen, außer, dass wir uns hochgradig blamiert haben. Wir sind mit anderen Erwartungen hierher gefahren, in den letzten Jahren haben wir in Kiel vernünftige Leistungen gezeigt. Wir hatten uns überlegt, wie wir gegen den THW bestehen können. Und dann scheitern wir reihenweise am Torwart und werfen mies. Ab diesem Zeitpunkt sind wir aufgetreten wie eine Jugendmannschaft, wobei viele Jugend-Mannschaften couragierter und mutiger gewesen wären. Unsere Torhüter muss ich von dieser Kritik ausnehmen, sie haben dafür gesorgt, dass wir hier nicht noch mehr untergehen.
Viktor Szilagyi, Sportlicher Leiter THW Kiel: Es war ein fantastisches Spiel mit toller Abwehr und tollem Torhüter. Wenn man überkritisch sein möchte, könnte man die Chancenverwertung kritisieren. Aber trotzdem haben wir uns im Torverhältnis einen schönen Vorsprung herausgearbeitet, dass war das, was unsere Jungs noch tun können.
GWD-Geschäftsführer Frank von Behren: Ich denke, der Sieg im EHF-Pokal hat mit dafür gesorgt, dass die Kieler heute mit großem Selbstverständnis und Selbstvertrauen aufgelaufen sind. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass 60 Minuten so lange dauern können. Wir waren froh, als das Spiel endlich vorbei war. So kann es hier auch laufen, auch wenn das eine gewisse Fassungslosigkeit hinterlässt.
THW-Torhüter Andreas Wolff bei Sky: Die kämpferische Einstellung hat bei der gesamten Mannschaft gestimmt. Wir wussten, dass wir auch etwas für unser Torverhältnis machen mussten, denn das ist unsere letzte Chance, deutscher Meister zu werden, wenn Flensburg doch noch ein Spiel verlieren sollte. Mit 20 Toren zu gewinnen, macht man nicht jeden Tag.