Auch das 92. Derby zwischen der SG Flensburg-Handewitt und dem THW Kiel wurde zu einem wahren Handball-Krimi. Nach 60 ausgeglichenen Minuten jubelten am Mittwoch in der ausverkauften Flens-Arena aber die Gastgeber über einen 30:29 (13:14)-Erfolg. Durch die dritte Saison-Niederlage liegen die Zebras in der Meisterschaft nun mit drei Punkten hinter dem Nordrivalen zurück. Beste Torschützen waren Kentin Mahé für Flensburg mit 8/2 Treffern und Domagoj Duvnjak mit sieben Toren.
SG ohne Jakobsson und Karlsson
Was für eine Rückkehr in die DKB Handball-Bundesliga! 6.300 Zuschauer in der seit Monaten ausverkauften Flens-Arena bekamen also nicht "nur" das 92. Landesderby, sondern auch das Spitzenspiel des Tabellenführers gegen den direkten Verfolger zu sehen. Allerdings konnten beide Trainer personell nicht aus dem Vollen schöpfen. Während Alfred Gislason weiterhin auf Steffen Weinhold verzichten musste, ergaben sich die beiden Ausfälle auf Seiten der SG Flensburg-Handewitt eher kurzfristig. Linkshänder Johan Jakobsson muss aufgrund von Nachwehen einer in einem Test-Länderspiel zugezogenen Gehirnerschütterung vermutlich weiterhin zwei bis drei Monate pausieren. Eine ähnliche Ausfallzeit droht auch Kapitän und Abwehrchef Tobias Karlsson; der Schwede hatte sich am Vortag beim Abschlusstraining einen Sehnenanriss im Oberschenkel zugezogen.
Doch die SG startete selbstbewusst: Ex-Zebra Rasmus Lauge tankte sich zum 1:0 durch, und nachdem ein Zeitz-Anspiel an Patrick Wiencek beim Gegner landete und zudem Kiels Kreisläufer einen Heber über das Tor setzte, erhöhten Lasse Svan und Anders Eggert per Siebenmeter schnell auf 3:0. Christian Zeitz, der sorgte per schönem Dreher zwar anschließend für das erste Kieler Erfolgserlebnis, doch nach einem weiteren Lauge-Treffer und einem schnellen Gegenstoß nach Andersson-Parade und Svan-Abschluss stand die Flens-Arena nach fünf Minuten beim 5:1 erstmals Kopf.
THW mit 5:0-Lauf zurück im Spiel
Indes: Der THW zeigte sich unbeeindruckt. Zeitz antwortete trocken mit seinem zweiten Treffer, und nach einem ersten Ballgewinn in der 6:0-Deckung legte Domagoj Duvnjak im Gegenstoß nach. Als dann Thomas Mogensen ein Stürmerfoul unterlief, Duvnjak Bilyk zum 4:5-Anschluss bediente und Eggert nach einem unschönen Ellenbogen-Check gegen den Kieler Kapitän mit einer Zeitstrafe noch glimpflich davon gekommen war, nutzten die Zebras die Überzahl, um die Partie zu kippen: Niklas Landin bestrafte eine Ungenauigkeit der Flensburger und traf ins leere Tor zum Ausgleich, ehe Duvnjak nach einer Parade des Kieler Keepers gegen Kentin Mahé das 6:5 für den Rekordmeister nachlegte.
Das Derby und vor allem seine Keeper nahmen nun Fahrt auf: Landin parierte einen Eggert-Strafwurf, auf der Gegenseite war Andersson gegen den nervös startenden Bilyk zur Stelle. Weil Wiencek über das Tor warf und Zeitz ein Stürmerfoul unterlief, konnte der THW in dieser Phase zwei weitere Landin-Paraden sowie eine Zeitstrafe gegen Glandorf nicht in etwas Zählbares verwandeln. Im Gegenteil: Frisch von der Strafe zurückgekehrt sorgte Glandorf für den 7:7-Ausgleich.
Bilyk sorgt für Pausenführung
Es blieb ein Duell auf Augenhöhe, bei dem die Zebras durch Dahmke und Duvnjak zunächst weiter vorlegten. Doch das Blatt wendete sich sofort: Jim Gottfridsson erzielte das 10:9 für die SG, die durch Henrik Toft Hansen und einen Glandorf-Durchbruch auf 12:10 erhöht wurde. Doch die Endphase des ersten Durchgangs gehört wieder den Gästen: Duvnjak reagierte nach einem parierten Schlagwurf gedankenschnell und verkürzte im Nachsetzen zum 11:12, nach einem Mogensen-Ballverlust egalisierte Wiencek per Konter. Und obwohl die Zebras in der Schlussphase mehrfach gute Chancen gegen Andersson liegen ließen, gingen sie dank zweier Bilyk-Treffer mit einer 14:13-Führung in die Pause.
Nach dem Wiederanpfiff holte Wiencek den ersten Kieler Siebenmeter heraus, den Ekberg zur ersten Zwei-Tore-Führung für den THW nutzte. Mit einem ansatzlosen Schlagwurf legte Zeitz auch das 16:14 nach, doch Lauge und ein Mahé-Gegenstoß brachten ein weiteres Mal den Ausgleich. Der französische Weltmeister holte sich jedoch eine Zeitstrafe ab; in Überzahl bediente Duvnjak einmal Dahmke und einmal Vujin, die souverän verwandelten. Doch Flensburg ließ nicht locker, und nach einem Schrittfehler des Kieler Kapitäns stand es nach einem Svan-Gegenstoß nach 36 Minuten 18:18.
Aus dem gebundenen Spiel heraus hingegen hatten die Gastgeber weiterhin ihre liebe Not. Und da Nikola Bilyk weiter aufdrehte, das 21:19 durch Wiencek mit einem Traumpass vorbereitete und das 22:20 selbst erzielte, konnten sich die Kieler weiterhin berechtigte Hoffnung auf den ersten Liga-Derby-Auswärtssieg seit über fünf Jahren machen - zumal Niklas Landin in dieser Phase zwei spektakuläre Paraden gegen Mahé zeigte.
Der THW schaffte es allerdings nicht, einmal drei Tore zwischen sich und der SG zu bringen. So scheiterte Ekberg - erneut von Bilyk in Szene gesetzt - frei vom Kreis an Andersson, und bei drohendem Zeitspiel konnte auch Vujin keinen Treffer erzielen. Stattdessen trafen Mahé per Siebenmeter und Svan per Gegenstoß nach Stürmerfoul Bilyks zum 23:23. Spätestens nach diesen 47 Minuten war klar, dass dieses 92. Landesderby erst in den Schlussminuten entschieden werden würde.
Nach einer Auszeit Gislasons ging es rasant weiter: Nach schönem Doppelpass mit Vujin scheiterte Duvnjak an Andersson, auf der Gegenseite aber auch Glandorf an Landin. Dann versenkte Vujin bei drohendem Zeitspiel einen Hüftwurf zum 24:23. Niclas Ekberg kassierte die erste (!) Zeitstrafe für den THW, doch mit eingewechseltem sechsten Feldspieler und Unterzahltreffern von Vujin und Duvnjak hielten die Zebras ihren knappen Vorsprung. Als die Kieler gerade wieder auffüllen konnten, krachten Glandorf und René Toft Hansen zusammen und blieben beide liegen. Nach langer Beratung entschieden die Schiedsrichter Geipel/Helbig auf eine rote Karte für den Kieler Abwehrchef. Lasse Svan traf in Überzahl zum 26:26, und nachdem Vujin für den THW scheiterte, traf Mahé ins leere Tor zur ersten Flensburger Führung im zweiten Durchgang.
Flensburg mit besserem Ende für sich
Mittlerweile waren die letzten sechs Minuten angebrochen, und Duvnjak und Bilyk drehten den Spieß noch einmal um. Per schneller Mitte egalisierte Flensburg aber postwendend, und nachdem Bilyk an Andersson scheiterte, sorgte Mahé für das 29:28. Alfred Gislason nahm seine letzte Auszeit, nach der einmal mehr Duvnjak Verantwortung übernahm und das 29:29 erzielte. Eineinhalb Minuten waren noch zu spielen, als Glandorf per Durchbruch nur den Innenpfosten traf, der Ball aber bei Mahé landete, der den Ball ins verwaiste Tor zum 30:29 warf. 90 Sekunden verblieben dem THW noch, um zumindest einen Punkt aus der "Hölle Nord" zu entführen. Im Angriff schwächte Marko Vujin allerdings seine Mannschaft, indem er sich von Mahé provozieren ließ und eine Zeistrafe kassierte. Die Uhr lief runter, sieben Sekunden vor Schluss bekam der THW bei angehaltener Zeit noch einen Freiwurf. Doch Duvnjaks Wurf wurde von Glandorf geblockt, ein verzweifelter letzter Versuch Bilyks landete in Anderssons Händen.
Schaffhausen und Veszprem im Champions-League-Doppelpack
So jubelten am Ende die Gastgeber in einem Landesderby, das keinen Verlierer verdient gehabt hätte. Für den THW ist diese Niederlage ein herber Rückschlag im Kampf um die deutsche Meisterschaft, ist man nun doch bereits auf zwei Ausrutscher des Nordrivalen angewiesen. Viel Zeit, diese ärgerliche Niederlage zu verdauen, bleibt indes nicht: Schon am Samstag sind die Kieler in der VELUX EHF Champions League bei den Kadetten Schaffhausen in der Schweiz gefordert, ehe sie am kommenden Mittwoch ebenfalls in der Königsklasse den ungarischen Serienmeister Telekom Veszprem empfangen.