KN: Das Wort mit M
THW nimmt zwei Punkte und ein gutes Gefühl mit
Eine Viertelstunde nach dem Abpfiff war die besondere Bedeutung dieses Abends an den weit geöffneten Augen (und dem Glückwunsch-Handshake eines Schweißers) von THW-Trainer Alfred Gislason noch immer abzulesen. Als habe jemand das Ventil für überbordendes Adrenalin einfach geschlossen, strebte der Isländer nach dem Abpfiff irgendwann in die Kabine und kam einige Minuten später mit einer sehr klaren, aufgeräumten Analyse wieder heraus. Weniges löste er aus kollektivem Lob (und Stolz) heraus. "Im Angriff haben wir teilweise neue Sachen ausprobiert, die super geklappt haben. Wir haben gut den Ball laufen lassen." In der Tat verkörperten insbesondere die ersten 30 Minuten in Kassel einen in spielerischer Hinsicht gewaltigen Schritt in die richtige Richtung. Die Zebras hatten Melsungen zuweilen schwindelig gespielt, die Außen noch mehr in das taktische Gefüge eingebunden, was seine Krönung in einem Pass/Abschluss-Finale von Domagoj Duvnjak und Niclas Ekberg in der 17. Minute zur 9:5-Führung fand. Eine Entwicklung, die Linksaußen Raul Santos – das liegt in der Natur der Sache - sehr begrüßte. "Wir haben gerade erst neue Spielzüge einstudiert, wollen die Außen mehr in Aktion bringen. Es fühlt sich immer besser an, an meiner Chancenauswertung muss ich noch weiter arbeiten", sagte der Österreicher. 30 Minuten lang war Melsungen, als erneuter Geheimfavorit in die Saison gestartet, schlicht chancenlos, präsentierte sich der THW homogen, kompromisslos, kreativ. "Ja, ich denke, das war ein besonderer Schritt in die richtige Richtung", musste schließlich auch Alfred Gislason eingesehen. Der 57-Jährige hatte seine Spieler schon vor dem Kasseler Duell ins Gebet genommen, wie Torhüter Andreas Wolff (auch einer dieser Erfolgsgaranten) nach der Partie verriet: "Alfred hat uns vor dem Spiel gesagt, dass das hier ein Meilenstein Richtung Meisterschaft sein würde. Wir haben die Gunst der Stunde bei einer angeknacksten Top-Mannschaft genutzt." Das M-Wort, es fiel am Mittwoch nicht nur einmal. Der Schritt in die richtige Richtung - eine Richtung, die jetzt auch einen Namen hat. "Wir haben untermauert, dass wir Meister werden wollen", gab Marko Vujin zu Protokoll, der eher als druckvoller Passgeber denn als Vollstrecker glänzte. Ebenso glänzte wie Kiels "Doppelte 20" - die 20-jährigen Nikola Bilyk und Lukas Nilsson, die nach einer erwartbaren Talsohle sowohl als Schützen im halblinken Rückraum überzeugten, aber in Halbzeit zwei mit dem Österreicher als Strippenzieher und dem Schweden auf Halblinks ebenfalls zu harmonieren wussten. Das war auch MT-Trainer Michael Roth, der mit seinen Spielmachern ("Vuckovic und Fahlgren haben das Spiel nicht so geleitet, wie man es muss") ebenso haderte wie mit seinen Kreisläufern ("Maric und Danner traten nicht in Erscheinung"), aufgefallen: "Wie Bilyk und Nilsson gespielt und aus neun, zehn Metern getroffen haben, war das ein himmelweiter Unterschied zu unserem Rückraum." Nilsson und Bilyk würden eben, so Gislason, "immer besser zusammenspielen", da sei es "kein Risiko, sie im Rückraum zusammen aufzustellen. Und Bilyk ist die Zukunft in der Rückraum-Mitte." Während also die MT "ins offene Messer und dem Glück hinterher" lief (MT-Nationalspieler Michael Müller), war auf Seiten der Zebras jedem Spieler bewusst, "wie wichtig dieses Spiel" war (THW-Geschäftsführer Thorsten Storm). Das bekam auch der Ex-Kieler Dener Jaanimaa zu spüren: "Ich habe zum ersten Mal so viele Spielanteile bekommen, habe gebrannt, wollte unbedingt gegen den THW gewinnen. Aber wir hatten einfach keinen guten Tag. Es war schön, die Kieler Jungs wiederzusehen." Melsunger Verunsicherung traf auf das neue alte Kieler Selbstverständnis. Gemischte Gefühle. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 02.12.2016, Foto: Sascha Klahn)