KN: Aus der letzten Kurve geflogen
Zwei Wochen später wirkt Dahmke aufgeräumt. Am ersten Trainingstag nach der WM ist er nachdenklich, fokussiert, zwischendurch fröhlich. Im Gespräch schildert er ruhig, besonnen seine Sicht auf die Dinge, die sich da in Rouen abgespielt haben. Er bringt dieses Kapitel seiner Karriere irgendwie zu Ende. Was das Finale dieses Kapitels nicht ist: Nachtreten, Groll gegen den Bundestrainer, Verbitterung. Weil der Sportler und Mensch Rune Dahmke so einfach nicht ist. Er nennt die Dinge beim Namen, relativiert sie, ordnet sie ein, tritt einen Schritt zurück, nutzt den Abstand. „Jetzt ist die Sache erledigt, und ich denke nicht mehr ständig daran“, sagt er, der sich während seiner Abreise aus Frankreich „unvollendet“ gefühlt habe. In Kiel wurde Dahmke aufgefangen: zuerst von seiner Familie, Freunden und natürlich Freundin Shirin. „Ich habe mich mit Freunden getroffen, wir haben die Sache nicht an die große Glocke gehängt. Ich hatte schon das Gefühl, dass meine Familie und Freunde fast enttäuschter waren als ich. Irgendwann musste ich dann sagen: ,Jetzt ist auch mal gut’.“ Vor einer Woche stieg er wieder bei THW-Coach Alfred Gislason ins Training ein. „Rune war schon sehr enttäuscht. Das hätte man auch anders lösen können“, sagt der Isländer. Was er meint, ist die Art und Weise, für die sein Landsmann Dagur Sigurdsson kritisiert wurde. Nach dem Weißrussland-Spiel teilte Sigurdsson seinem Linksaußen die Entscheidung zwischen Tür und Angel mit. „Auf dem Weg zum Essen nahm er mich zur Seite, da wusste ich schon, dass etwas los ist. Ich war sehr überrascht, hatte vorher nichts gewusst. Das war ein Dämpfer“, so Dahmke. Für den „absoluten Notfall“ hatte sich Pekeler bereitgehalten, doch nun brachte ihn Sigurdsson auch ohne personelle Misere ins Spiel, opferte den Kieler für einen weiteren Abwehrspieler. Zum zweiten Mal fühlte es sich nun für Dahmke an wie „aus der letzten Kurve geflogen“, denn schon nach der aufreibenden Olympia-Vorbereitung im Sommer sah sich der Europameister kurz vor dem Start nach Rio de Janeiro ausgebootet, weil der deutsche Bundestrainer mit Uwe Gensheimer nur auf einen Linksaußen setzte. Er, der „Bad Boy“, der den Deutschen im EM-Halbfinale gegen Norwegen mit seinem Tor erst die Verlängerung gerettet hatte, der sich im zweiten WM-Spiel in Rouen gegen Chile mit sieben Treffern in Gala-Form präsentiert hatte, packte jetzt wieder seine Koffer und reiste ab. Am Dienstag, genau ein Jahr nach dem triumphalen EM-Finale von Krakau, ist Rune Dahmke „nicht mehr sauer“. Ja, er habe sich „zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten undankbar abgeschoben“ gefühlt. Und ja, es sei in Frankreich „alles ein bisschen unglücklich gelaufen“ und er könne sich nicht daran erinnern, dass es eine solche Situation schon einmal gegeben habe. Aber Dahmke ist Teamsportler durch und durch. Das liegt bei dem Sohn des ehemaligen THW-Bundesligaspielers Frank Dahmke in der Familie. „Wenn es der Bundestrainer für richtig hält...“, sagt Dahmke, dessen Ausbootung hinter vorgehaltener Hand Kritik in Reihen des Deutschen Handballbundes (DHB) hervorrief und auch von DHB-Vize Bob Hanning nach der WM „kritisch hinterfragt“ wurde. Dahmke hatte sich riesig auf die WM gefreut, das hatte der Kieler Publikumsliebling immer wieder betont. Das jähe Aus der Deutschen gegen Katar habe ihm „für die Jungs leidgetan“, doch danach war auch für ihn die WM erst so richtig abgeschlossen, standen nach einigen Tagen wieder die Ziele mit dem THW Kiel im Fokus. Nach 26 Länderspielen (60 Tore) sei das Thema Nationalmannschaft nun allerdings keinesfalls erledigt. „Man muss sehen, wie meine Rolle bei dem neuen Bundestrainer aussieht“, sagt Dahmke. Der wird aller Voraussicht nach Christian Prokop heißen und in Zukunft auch auf den Kieler Linksaußen Rune Dahmke setzen. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 01.02.2017, Foto:Archiv/Sascha Klahn)