KN: Zwei Riesen, zwei Knie, ein Ziel
Toft Hansen und Wiencek schuften für ihr Comeback
Heute Die Trainingshalle in Wellsee ist nicht ganz verwaist. Es ist früh am Morgen, und auf den hellgrauen Pullovern bilden sich dunkle Schweißflecken wie Kontinente auf einer Weltkarte. Patrick Wiencek (27) quält sich an den Thera-Bändern, beißt die Zähne zusammen. René Toft Hansen (31) ist wie ein Packesel in dieses elastische Folterinstrument gespannt. Er zieht Athletiktrainer Hinrich Brockmann hinter sich her, macht kleine, macht große Schritte. Er kann noch lachen. "Mir geht es super, ich habe kaum noch Beschwerden und habe mit dem Laufen angefangen. Endlich nicht mehr nur Radfahren", sagt der Däne. Und: "Ein schönes Gefühl." Auf den ersten Blick fällt auf: Der Abwehrchef der dänischen Nationalmannschaft hat einige Kilogramm abgenommen. Patrick Wiencek ist schon weiter, längst auf die Zielgerade eingebogen. "Alfred (THW-Trainer Gislason, d. Red.) gibt mir die Zeit, die ich brauche", sagt der deutsche Nationalspieler. "Ein Monat noch." Wiencek trainiert schon wieder in der Halle, hat den Ball wieder in der Hand. Damals Wienceks Kreuzband riss am 3. Oktober im Derby gegen die SG Flensburg-Handewitt, ausgerechnet bei einer Abwehraktion gegen den Ex-Kollegen Rasmus Lauge. Toft Hansen verletzte sich am 27. Dezember in Köln im Spiel gegen den Bergischen HC. Wiencek hat somit bereits mehr als sechs Monate Reha hinter sich, sein dänischer Kollege erst gut drei. Das tiefste Tal "In meinem Kopf hat sich sofort alles gedreht", erinnert sich Toft Hansen. "Was verpasse ich? Die EM, die Spiele mit dem THW, Olympia. Das war hart." Erst nach der Operation konnte der Kieler Kapitän wieder nach vorne schauen. Ähnlich war es bei Patrick Wiencek: "Am Anfang hatte ich viel mit mir selbst zu tun. Nach der OP habe ich nur gedacht: 'Ich will so schnell wie möglich zurückkommen.' Der Arzt musste mich immer wieder bremsen." Trotzdem habe sich der verhinderte Chef der deutschen Defensive für das EM-Märchen seiner Teamkollegen Christian Dissinger und Steffen Weinhold gefreut. "Für jeden Einzelnen! Aber ich wäre auch gern dabei gewesen." Das große Ziel Schon einmal 2007 kam René Toft Hansen nach einem Kreuzbandriss zurück - nach nur sieben Monaten. "Die Olympischen Spiele sind mein Ziel", sagt er mit einem Funkeln in den Augen. In Rio will er mit Bruder Henrik auflaufen. "Ich hoffe, dass ich im Sommer noch zeigen kann, dass ich wieder fit bin. Die Qualifikation Dänemarks hat mir noch einmal einen Riesenschub gegeben." Patrick Wiencek hat dasselbe Funkeln, aber einen zurückhaltenderen Ton, wenn er sagt: "Jeder Sportler möchte dorthin. Aber ich weiß nicht, ob der Bundestrainer bis Rio noch etwas ändern muss. Ich will fit werden und meine Leistung bringen, weiß aber aber auch: Die anderen im Kader haben es auch verdient." Der Rückhalt "Ich fiel in ein Loch", sagt Toft Hansen. Aber dann war da kurz nach der OP Töchterchen Julie (1), die eine Woche lang krank in seinen Armen auf dem Sofa lag und Papas Aufmerksamkeit brauchte. Der 31-Jährige schwärmt von der Zeit mit Julie und Ehefrau Kathrine. Und von der Reha für seinen ganzen Körper: "Ich war müde, ich war tot, ich überlegte, die EM abzusagen." Keine Auswärtsspiele, die kleine Lotta (1) jeden Tag bestaunen - auch Patrick Wiencek schöpfte Kraft durch seine Tochter und Freundin Fabiane. "Ich habe nicht so viel gegrübelt, schnell nach vorn geschaut. Und es ist ein positiver Nebeneffekt, dass man seinen Körper wieder auf Vordermann bringen kann." Die Schlüsselmomente Vor zwei Wochen stand Patrick Wiencek wieder im Training, trainierte mit Kontakt zum Gegenspieler. "Das hat mich unglaublich beflügelt." Toft Hansen schöpft "neue Energie" aus der dänischen Olympia-Qualifikation und hat nur ein Datum im Blick: "Den 6. August 2016 - dann sind genau sieben Monate und eine Woche seit meinem Kreuzbandriss vergangen." (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 12.04.2016, Foto: Archiv/Sascha Klahn)