KN: Trainingslager-Qualen auf einer einsamen Insel
Zebras schwitzen mit dem TSV Altenholz in Herzogenaurach
Nach zehn Stunden Busfahrt aus Kiel in die mittelfränkische Stadt, die eigentlich nur dadurch bekannt ist, dass die Sportartikel-Riesen Adidas und Puma dort ihr Zuhause haben, geht es am Sonnabend erst einmal mit einem Snack los und dann auf direktem Wege auf den Adi-Dassler-Sportplatz auf dem abgeriegelten Gelände mit den markanten drei Streifen. Athletik-Trainer Hinrich Brockmann leitet auf dieser ersten Insel das Aufwärmen - barfuß geht es über kleine Hütchen, und alle schwitzen. "Wir arbeiten in diesem Jahr verstärkt mit individuellen Übungen für jeden einzelnen Spieler", sagt der Chef der Abteilung "Body". Soll heißen: Während Spieler A dringend Stabilität im Fuß benötigt, müssen Spieler B und C eher an Rumpf oder Schulter arbeiten. Klingt logisch. Alle lachen, die Stimmung ist ausgelassen, laute Musik dröhnt über den Platz, und Raul Santos schaltet in den Playback-Modus, als die Playlist von "Musikwart" Niclas Ekberg beim HipHop angelangt ist. "Noch geht es uns allen gut", sagt Interims-Kapitän (und dienstältestes Zebra) Christian Sprenger. "Aber frag mich doch am Mittwoch oder Donnerstag noch einmal." Training, das ist in der Vorbereitung von Kiels Chefcoach Alfred Gislason immer auch Qual. So endet Tag eins auf Insel Nummer zwei, dem Novina-Sporthotel im Ortsteil "Herzo Ba se". Ein steinaltes Ehepaar im (nicht ganz so alten) Porsche 911 kommt vorgefahren. Das Kennzeichen des belgischen Oldtimers zeigt nur ein "U", bei so viel Understatement kann selbst der Kieler Teambus (KI- EL 1) nicht mithalten. Wer oder was oder woher der THW ist, wissen die Belgier freilich nicht. Michael Menzel hängt noch schnell den Tagesplan für Sonntag an den Fahrstuhl: Wecken um 7.15 Uhr, Frühstück 7.30 Uhr, Abfahrt zum Training 8.30 Uhr, Training 9 bis 11.30 Uhr. Auf dem wirklich piekfeinen Sportplatz des städtischen Gymnasiums ordnet Gislason 30-Meter-Sprints mit vorgegebenen Zielzeiten an. Routinier Christian Sprenger macht dabei keiner so recht etwas vor, weswegen die anderen am Ende Sit-ups machen müssen. Einige 20, einige 40, einige ... 80. Anschließend geht es endlich in die Halle, in der endlich Bälle und Linien und Tore und der typische Schulsporthallenmief warten. Und die Handballer des Drittligisten TSV Altenholz. Die sind nämlich auch da. Also "da" ist natürlich relativ, denn im Gegensatz zum THW Kiel und den vier Sternen des Novina-Hotels haben sich die Altenholzer Wölfe für eine Jugendherberge im benachbarten Nürnberg entschieden. "Vierer-Zimmer, spartanisches Flair, das ist gut fürs Team", sagt Mirko Baltic. Der 37-Jährige ist seit 1. Juli - gleichberechtigt neben Mannhard Bech - TSVA-Trainer und will die Kooperation mit dem "großen Bruder" aus der Landeshauptstadt unbedingt vorantreiben. "Unsere Spielzüge werden mehr und mehr auf den THW ausgerichtet, die Spieler lernen hier in Herzogenaurach die Systeme. Mir macht es Spaß, junge Leute zu entwickeln, das habe ich vorher beim VfL Bad Schwartau auch gemacht. Genau das hat mich hier gereizt. Was gibt es Besseres, als von einem solchen Weltklasse-Trainerstab zu profitieren." Baltic macht in diesem Jahr seine A-Lizenz, wird bei Alfred Gislason hospitieren und rennt auch ansonsten bei dem Isländer offene Türen ein: "Nur wenn die Systeme synchronisiert sind, macht die Kooperation Sinn", sagt der 56-Jährige. In der Vergangenheit habe "das mit dem Doppelspielrecht" selten so richtig funktioniert. Das solle sich unbedingt ändern. "In Magdeburg damals hat das auch funktioniert. Voraussetzung für Einsatzzeiten bei uns ist allerdings, dass sich die betreffenden Spieler zuerst beim TSV Altenholz durchsetzen." Diese Spieler sind die Firnhaber-Brüder Sebastian (22) und Lucas (19), Alexander Williams (19) sowie Torwart Tom Landgraf (20). Das Quartett wird auch nach Dienstag, wenn der TSVA-Tross bereits abgereist sein wird, in Herzogenaurach bleiben. Und auch den Wink mit dem Zaunpfahl von Alfred Gislason hat Alexander Williams sofort verstanden: "Ich war nicht zufrieden mit der vergangenen Saison", sagt der Rückraumspieler, der bereits seit einem Jahr zwischen den Welten pendelt. "Ich bin in Altenholz schwer reingekommen. Ich hoffe, dass diese Saison besser wird und freue mich auch auf die größere Konkurrenz durch die Neuzugänge. Diese Konkurrenz ist gesund und gut." Führungsspieler beim TSVA will Williams werden, die "Liga rocken", hat sich zudem für ein BWL-Studium an der Kieler Uni beworben. Bis Dienstag heißt sein Alltag Jugendherberge und Kamillentee in Nürnberg, danach die üblichen Qualen der THW-Saisonvorbereitung. Mittelfranken - hier ist auch der Uranus eine einsame Insel. Natürlich nicht der Planet, sondern der gleichnamige Hotel-Konferenzraum. Meistens steht hier das gislasonsche Videostudium auf dem Tagesplan. Am Sonntag schließt sich das gemeinsame olympische Fernsehvergnügen an. Nach sieben Minuten der Partie Deutschland gegen Schweden geht ein erschrockenes Raunen durch den Raum, als sich das schwedische Zebra Lukas Nilsson verletzt und ausgewechselt werden muss. "Sieht nach Bänderriss aus", befürchtet Gislason. Geht die neue Saison etwa gleich so los wie die alte aufgehört hat? In Herzogenaurach seien einige Spieler in "überragender Form" (Gislason), beispielsweise Neuzugang Nikola Bilyk oder Rune Dahmke. "Von anderen", sagt der Coach, "hätte ich mir mehr gewünscht." Daran wird Gislason arbeiten. Und daran, die Neuen (dazu zählt er auch Dener Jaanimaa und Blazenko Lackovic, die erst im Verlauf der Vorsaison zum Team stießen) zu integrieren. Das sind dann auch Qualen - auf den einsamen Inseln. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 08.08.2016)