THW deklassiert Wetzlar
Nach zuletzt drei Niederlagen aus vier Spielen hat der THW Kiel am Donnerstagabend nach einem verrückten Spielverlauf die HSG Wetzlar deklassiert: 10.285 Fans in der ausverkauften Sparkassen-Arena rieben sich in der ersten Hälfte zunächst verdutzt die Augen, weil die Zebras zunächst mit fünf Treffern zurücklagen. Bis zur Pause hatten die Schwarz-Weißen,bei denen die Außen Magnus Landin (7) und Niclas Ekberg (7/3) insgesamt die erfolgreichsten Torschützen waren, egalisiert. Im zweiten Durchgang machten sie dann mit einer fantastischen Abwehrarbeit und einem konsequenten Angriff schnell alles klar. Am Ende feierten die Fans beim 29:19 (12:12) einen Kantersieg, bei dem der ehemalige Kieler Emil Frend Öfors mit sechs Treffern auffälligster HSG-Akteur war.
THW mit klassischem Fehlstart
Kurios: Hendrik Pekeler warf auch ohne Durchblick ins Tor
Die HSG war ersatzgeschwächt an die Förde gereist, und auch beim THW Kiel fehlten mit Marko Vujin (Operation) und Steffen Weinhold, der sich im Abschlusstraining am Mittwoch eine Oberschenkelblessur zugezogen hatte, zwei wichtige Akteure. Harald Reinkind wurde so zum Alleinunterhalter im rechten Rückraum, während sich auf der Bank eine weitere Lücke auftat: Assistenz-Trainer Filip Jicha verpasste die Begegnung, weil er beim DHB-Lehrgang für die A-Lizenz unabkömmlich war. So etwas, was in den ersten Minuten der Partie passierte, dürfte aber auch er noch nicht erlebt haben: Die Zebras begannen das Unternehmen "Revanche" gegen die Hessen hypernervös, produzierten im Angriff Fehler am Fließband und waren ohne Weinhold in der zuletzt so starken 3-2-1-Defensive zahnlos. Die Folge: Wetzlar zog durch Gegenstöße und Würfe von Außen auf 5:0 davon. Gislason reagierte früh, brachte Patrick Wiencek für die Abwehr und beorderte diese komplett an den Sechs-Meter-Kreis zurück. Und doch sollte es satte 8:28 Minuten dauern, bis die Fans auf den Tribünen erstmals laut jubeln durften: Magnus Landin traf im Gegenstoß und eröffnete damit die große Aufholjagd, die knapp viereinhalb Minuten, Ekbergs Siebenmeter-Heber, Landins Konter, Wienceks Traumtor und Ekbergs Gegenstoß nach feinem Rausspielen von Reinkind später das 5:5 brachte. Wetzlar reagierte mit der Auszeit.
Ausgleich noch vor der Pause
Brachte Ordnung und Geschwindigkeit: Miha Zarabec
Und diese Auszeit hatte Folgen: Mit einem weiteren 5:0-Lauf durch Gegenstöße von Weißgerber und Frend Öfors, die gleich viermal nacheinander mustergültig direkt von den Zebras angespielt wurden, zogen die Mittelhessen wieder auf 10:5 davon (16.). Auch den bisherigen Fünf-Tore-in-Folge-Rhythmus durchbrachen zuerst die Grün-Weißen: Nach Duvnjaks kraftvollem 6:10 bekam Lindskog einen Abpraller in die Hände und netzte ein. Gut, dass die Kieler trotzdem nicht die Nerven verloren. Reinkind reagierte mit einem tollen Wackler nach Schneller Mitte, Niklas Landin hielt einen Frend-Öfors-Wurf aus dem Rückraum, was Duvnjak mit dem 8:11 veredelte. Dann zeigte Torhüter Landin dem frei vor ihm auftauchenden Lindskog die Grenzen auf, was Linksaußen Landin nach Traumpass des nach 22 Minuten eingewechselten Miha Zarabec zum 9:11 nutzte. Die Einwechslung des quirligen slowenischen Mittelmannes war einer der weiteren Schlüssel zum Erfolg: Zarabec ordnete den Angriff und brachte Tempo in die Partie - wie bei seinem Pass auf Hendrik Pekeler, der den THW beim 10:11 wieder in Reichweite der HSG warf. Längst war da die Arena zum Tollhaus geworden - die Zuschauer unterstützten ihre Mannschaft lautstark und emotional, quittierten die sich immer mehr in die Länge ziehenden Wetzlarer Angriffe mit Pfiffen und übten so Druck auf die Hessen aus. Die schafften es nicht, ihre Führung in die Pause zu retten: Magnus Landin und Hendrik Pekeler nach eigenem Steal glichen noch vor dem Wechsel zum 12:12 aus.
Zehn-Tore-Erfolg
Der Kieler Innenblock wurde für die HSG zum beinahe unüberwindbaren Hindernis
Zarabec war es dann überlassen, kurz nach Wiederanpfiff mit einem 102-km/h-Schlagwurf die erste Kieler Führung überhaupt zu erzielen, die nach einer weiteren Landin-Co-Produktion aus Traumpass und kompromisslosem Abschluss sogar auf 14:12 ausgebaut werden konnte. Noch einmal begehrte die HSG auf, glich aus. Doch dann drehten die Zebras auf. Die immer stärker werdende 6-0 und ein kaum noch zu bezwingender Niklas Landin stellten den Schalter auf Express: In zwölf Minuten kassierten die Kieler nur drei Gegentore, erzielten aber durch Landin, Ekberg, Pekeler und Zarabec ihrerseits sechs Tore: Beim 20:15 (42.) nahm die HSG ihre Auszeit, stoppen konnte Kai Wandschneider den THW Kiel aber dadurch nicht. Denn die Kieler Abwehr zwang die weiter auf Tempo-Drosselung bedachten Grün-Weißen zu Fehlern, die konsequent in schnellen Gegentoren mündeten. Als Niklas Landin dann auch noch einen Siebenmeter von Holst parierte, Wiencek auf der anderen Seite eine von Ekberg verwandelten Strafwurf herausholte und Duvnjak Pekeler mit einem grandiosen No-Look-Pass zum 25:17 bediente, war die Messe zehn Minuten vor Ultimo gelesen. Auch wenn Cavor mit einer einstudierten Freiwurf-Variante ein toller Treffer gelang und der inzwischen 42 Jahre alte Torhüter Nikola Marinovic noch mehrfach seine Klasse unter Beweis stellte - die Zebras hatten sich freigespielt. Bilyks Doppelschlag, Magnus Landin mit Treffer Nummer sieben nach eigenem Steal und der kurz vor Schluss gekommene 19-jährige Isländer Gisli Kristjansson nach schönem Solo schraubten das Endergebnis noch auf 29:19.
Sonnabend bei den Rhein-Neckar Löwen
Sieben Tore aus sieben Versuchen: Magnus Landin
Für die Kieler begann direkt nach der Begegnung gegen die HSG Wetzlar die Vorbereitung auf das Spitzenspiel der DKB Handball-Bundesliga am Sonnabend: Nicht einmal 45 Stunden nach dem Schlusspfiff in Kiel wollen die "Zebras" in Mannheim ihre Klasse unter Beweis stellen. Die Partie bei den Rhein-Neckar Löwen, die von den beiden Unparteiischen Robert Schulze und Tobias Tönnies um 18:10 Uhr angepfiffen wird, ist live in der ARD-Sportschau im Free-TV und wie gewohnt auch bei Sky zu sehen. Im Vorfeld der Begegnung beleuchtet die ARD die Rückkehr von Hendrik Pekeler an seine alte Wirkungsstätte, im Nachgang wird THW-Trainer Alfred Gislason am Sonntag zum Studiobesuch beim NDR Sportclub erwartet. Die Sendung ist um 22:30 Uhr im NDR-Fernsehen zu sehen. Zuvor aber stehen 60 Minuten spannender und hoffentlich packender Handball auf dem Programm: "Das ist ein extrem wichtiges Spiel für uns", sagt Gislason. "Ich hoffe, dass wir aus unseren Niederlagen in Magdeburg und Flensburg gelernt haben. Uns und die Handball-Fans in Deutschland erwartet ein gutes Spiel, in dem es auf Kleinigkeiten ankommen wird. In Mannheim zu punkten, wäre ein großes Ding für uns!" Für THW-Fans, die ihre Mannschaft live vor Ort unterstützen möchten, gibt es noch Tickets (direkt zum Online-Ticketshop), außerdem wird der mobile THW-Fanshop ebenfalls vor Ort sein. Auf geht's ins Topspiel, Zebras!
Statistik: DKB Handball-Bundesliga, 9. Spieltag, 11.10.18: THW Kiel - HSG Wetzlar: 29:19 (12:12)
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 13/1 Paraden), Wolff (n.e.); Duvnjak (3), Reinkind (2), M. Landin (7), Firnhaber (n.e.), Kristjánsson (1), Wiencek (1), Ekberg (7/3), Rahmel (n.e.), Dahmke (n.e.), Zarabec (2), Bilyk (2), Pekeler (4), Nilsson; Trainer: Gislason
HSG Wetzlar: Klimpke (1.-30., 4 Paraden), Marinovic (31.-60., 6 Paraden); Hermann (1), Kneer, Ferraz, Mirkulovski, Schreiber, Torbrügge, Weißgerber (3), Frend Öfors (6), Holst (1/1), Schevfert, Lindskog (4), Cavor (4); Trainer: Wandschneider
Schiedsrichter: Hartmann/Schneider
Strafminuten: THW: 0 / HSG: 3 (Hermann (7.), 2x Schefvert (15., 28.))
Siebenmeter: THW: 3/3 / HSG: 2/1 (Landin hält Holst (47.))
Spielfilm: 0:5 (7.), 1:5 (9.), 5:5 (13.), 5:10 (16.), 6:11 (20.), 10:11 (26.), 10:12, 12:12;
14:12 (32.), 14:14 (33.), 17:15 (40.), 21:15 (43.), 22:27, 25:17 (50.), 27:18 (53.), 27:19, 29:19.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Sparkassen-Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Alfred Gislason: Das war ein sehr verrücktes Spiel, solche Riesen-Unterschiede habe ich selten erlebt. Da liegst du 0:5 hinten, hast Probleme in der Abwehr, spielst vorne sehr nervös und machst eigentlich nichts, außer Bälle ohne Vorbereitung wegzuwerfen. Eine Katastrophe. Dann kommst du nach diesem 0:5 zurück, gleichst aus, um dann nach gefühlten zwei Minuten 5:10 zurückzuliegen. Das war schon sehr schwer anzusehen. Ich hätte vielleicht nach den zwei Fehlpässen eine Auszeit nehmen sollen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir noch zwei dieser Fehler machen. Aber: Ich möchte meiner Mannschaft ein Riesen-Kompliment machen, wie sie sich in die Partie gekniet hat. Der Innenblock hat sehr gut gedeckt, Niklas Landin kam dann immer besser rein. Ein besonderes Lob hat sich Miha Zarabec verdient: Er hat Struktur und Tempo ins Spiel gebracht. Nach seiner Einwechslung war es ein ganz anderes Spiel.
HSG-Trainer Kai Wandschneider: Wir sind gut reingekommen, haben gegen die ansonsten richtig starke 3-2-1 der Kieler sehr gute Lösungen gefunden und deren Anfangsnervosität nutzen können. Das hat man vor allem in der Überzahlsituation der Kieler gesehen. Alfred hat dann die Defensive sehr schnell umgestellt, und mit der 6-0 hatten wir dann Riesen-Probleme. 40 Minuten sah es dennoch ganz gut aus, in den letzten 20 Minuten waren wir dann absolut chancenlos. Wir sind nur noch hinterhergelaufen. Das, was wir da gemacht haben, war einfach nicht gut. Man kann hier mit zehn Toren Unterschied verlieren, aber ich wäre gerne einstellig geblieben.
Viktor Szilagyi, Sportlicher Leiter THW Kiel: Die erste Halbzeit war kurios. 0:5, 5:0, 0:5 - das war schon speziell. Aber unsere gesamte Mannschaft hat da gezeigt, was für einen Charakter sie hat, sie hat sich sehr gut zurückgekämpft. Beide Außen hatten heute eine Top-Quote, und die zweite Halbzeit lief dann so, wie wir es uns erhofft hatten. Das war ein schöner Sieg, jetzt freuen wir uns auf die Löwen. Dass sich Steffen Weinhold am gestrigen Tag im Training am Oberschenkel verletzt hat, ist vor so einem Spiel natürlich keine ideale Konstellation. Das tut weh, er wird uns sicherlich fehlen.