Energieleistung in Aalborg: THW holt ersten Gruppenphasen-Auswärtssieg
Schon vor dem Anpfiff in der mit 5020 Zuschauern ausverkauften Sparkassen-Arena von Aalborg war klar: Der Sieger im Spiel der Machineseeker EHF Handball Champions League zwischen Aalborg Handbold und dem THW Kiel, den jeweils frischgebackenen Tabellenführern in der dänischen Eliteliga und der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga, würde einen Riesenschritt Richtung Achtelfinale machen. Am Ende einer lange Zeit packenden und hochklassigen Begegnung jubelten die Kieler Zebras und ihre rund 250 lautstarken Fans, die die 380 Kilometer lange Reise bei Schneefall nach Nordjütland auf sich genommen hatten: Der THW feierte einen 30:26 (16:14)-Sieg, den ersten doppelten Punktgewinn in Gegners Halle in der diesjährigen Gruppenphase, festigte in der Tabelle Rang vier und rückte dem Dritten, HBC Nantes, sogar gehörig auf die Pelle.
Sagosen bester Torschütze
Basis des verdienten Kieler Sieges war einmal mehr die starke Abwehrleistung mit dem großartigen Niklas Landin als letzte Instanz zwischen den Pfosten. "Sehr gut, Männer", lobte Trainer Filip Jicha seine Spieler während einer Auszeit. "Wichtig ist unsere Aktivität in der Abwehr. Und das funktioniert wunderbar. Weiter so!" Seine Männer hielten sich an die Anweisungen ihres Trainers, machten auch vorne viel Druck, verteilten die Tore auf viele Schultern. Bester Kieler Schütze war am Ende Sander Sagosen, der sechsmal am dänischen Nationaltorhüter Simon Gade vorbei ins Schwarze traf, Harald Reinkind war fünfmal erfolgreich. Und: Auch Nachwuchsmann Henri Pabst bekam in der ersten Halbzeit das Vertrauen seines Trainers, der junge Linkshänder nutzte es, traf zweimal frech aus dem Rückraum und erzielte damit seine ersten beiden Königsklassen-Tore. Überragender Angriffsspieler bei den Dänen war Rechtsaußen Kristian Björnsen, der achtmal in die Kieler Maschen traf.
Ekberg musste kurzfristig passen
Filip Jicha musste auch in Nordjütland auf die verletzten Eric Johansson, Steffen Weinhold und Sven Ehrig verzichten, außerdem fehlte Rechtsaußen Niclas Ekberg, der jetzt ebenfalls vom Grippevirus erwischt und flachgelegt wurde, am Mittwoch nicht in den Bus gestiegen war. Kiel startete dennoch selbstbewusst, zudem war Niklas Landin von der ersten Minute an voll da, der Welthandballer demonstrierte an seiner künftigen Wirkungsstätte seine Klasse. Bruder Magnus Landin brachte den THW in Front, Ex-Zebra Aaron Palmarsson glich aus und Patrick Wiencek - glänzend von Harald Reinkind freigespielt - traf zum 2:1. Dann war es wieder Palmarsson, der Landin überwand - 2:2. Der folgende Kieler 3:0-Lauf durch Sander Sagosens Rückraumgeschoss, seinem verwandelten Siebenmeter und dem Treffer von Rechtsaußen Yannick Fraatz ließ Kiel nach neun Minuten auf 5:2 davonziehen.
THW Kiel von Beginn an in Führung
Die Zebras hatten jetzt Oberwasser, Patrick Wiencek erzielte bei seinem dritten Versuch sein drittes Tor: 7:4 nach elf Minuten. Übrigens sah sich Domagoj Duvnjak das Geschehen zu diesem Zeitpunkt vorsichtshalber von der Bank aus an, der Zebra-Kapitän hatte bereits nach acht Minuten zwei Zeitstrafen erhalten. Die erste gleich beim ersten Angriff, als "Dule" Torhüter Gade unglücklich am Kopf traf, wenig später verwies ihn das portugiesische Schiedsrichtergespann wegen einer Abwehraktion erneut auf die Strafbank. Doch auch in Unterzahl hielten die Zebras dagegen, bauten ihren Vorsprung sogar aus. 8:4 stand es nach zwölf Minuten, Harald Reinkind hatte aus dem Rückraum Maß genommen. Dann wieder Niklas Landin: Mikkel Hansen, sein Nationalmannschaftskollege, wollte von der Siebenmeterlinie verkürzen, doch Teufelskerl Landin war erneut zur Stelle. Kopfschütteln bei Hansen, triumphierendes Schmunzeln von Landin. Nikola Bilyk nutzte die nächste THW-Möglichkeit, netzte zum 9:4 in der 13. Minute ein. Sandell und Barthold verkürzten, doch per Einläufer von Yannick Fraatz nach prima Anspiel von Sander Sagosen stand es 10:6 für Kiel.
Henri Pabst erzielt erste Königsklassen-Tore
Filip Jicha, der die Belastung auf viele Schultern verteilen wollte, brachte seinen Youngster Henri Pabst, ließ auch Karl Wallinius aufs Feld, wechselte munter durch, suchte nach Pausen für Sagosen, Reinkind, Bilyk und Co. Henri Pabst war hellwach, traf aus dem Rückraum zum 11:6, in der 21. Minute mit einem Kracher in den Winkel zum 13:9 für die Zebras. Doch Aalborg erwischte jetzt eine bessere Phase, machte weniger Fehler, durfte sich im Abschluss vor allem auf Björnsen verlassen. So kämpften sich die Dänen Tor um Tor heran, Möllgaard verkürzte in der 29. Minute auf 14:15, und als Barthold wenig später den Ausgleich in Händen hielt, fischte Landin dem Aalborger Linksaußen die Riesenchance aus drei Metern weg. Mit grandiosem Solo tankte sich dann Nikola Bilyk durch die rote Abwehrwand, erzielte das 16:14 für Kiel und den Halbzeitstand.
Zebras starten mit Feuerwerk in den zweiten Durchgang
Den besseren Start in die zweite Halbzeit legten zunächst die Rothemden hin, kamen durch Björnsen auf 15:16 heran. Die Kieler Antwort? Ein Feuerwerk mit einem fantastischen 4:0-Lauf. Reinkind setzte einen Hammer unter die Latte, Hendrik Pekeler verwandelte vom Kreis, Rune Dahmke veredelte das großartige Zuspiel von Sander Sagosen, wenig später war Kiels Linksaußen erneut zur Stelle, traf nach dem Pass von Nikola Bilyk zum 20:15. Gespielt waren 35 Minuten. Die Mannschaft von Trainer Madsen stemmt sich gegen die drohende Niederlage, traf aber auf eine THW-Abwehrwand, an der sich Madsens Spieler mehr und mehr die Zähne ausbissen. Mal in defensiver 6:0-Formation, mal offensiver: Die Zebra-Abwehr wurde für Aalborgs Angreifer zum Albtraum.
Starke Kieler machen den Deckel drauf
Grandios auch die Rettungsaktion von Rune Dahmke, der in der 45. Minute einen Pass fast wie ein Vogel im Flug abfing. Die "weiße Wand" tobte, die Aalborger Zuschauer schüttelten ihre Köpfe. Sander Sagosen erzielte die erste Sechs-Tore-Führung des THW Kiel zum 23:17, in der 46. Minute war der nach seiner schweren Verletzung erstaunlich tatenhungrige Norweger erneut zur Stelle: 25:19! Die Zebras öffneten die Tore zum ersten Auswärtserfolg - und waren nicht mehr aufzuhalten. Harald Reinkind hatte sichtlich Spaß am Torewerfen, erzielte in der 51. Minute das 26:20, als Hendrik Pekeler dann kühlen Kopf bewahrte, das leere Aalborger Tor in der 56. Minute anvisierte und traf, war die Entscheidung gefallen. Viele enttäuschte Aalborg-Fans verließen vorzeitig die Arena, Sander Sagosen und Yannick Fraatz kannten kein Erbarmen, machten den Deckel zum 30:25 aufs Spiel und läuteten mit ihren Teamkameraden und der "La Ola" die fröhliche Rückfahrt ihrer begeisterten Fangemeinde ein.
Derby am Sonntag
Die Kieler blieben nach der Partie in Aalborg, um eine möglichst umfangreiche Regeneration im Hotel zu gewährleisten. Denn nur etwa 65 Stunden nach dem Anpfiff in Aalborg sind die Zebras erneut auswärts gefordert – und wie: Bei der SG Flensburg-Handewitt steigt am Sonntag zum Abschluss der Hinrunde in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga das 107. Derby zwischen den beiden schleswig-holsteinischen Erzrivalen. Anwurf in der seit Wochen ausverkauften Flens-Arena ist um 14 Uhr, Sky überträgt das „Spiel der Spiele“ des Handballs live. Weiter geht’s in Flensburg, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Friederike Lehmann/THW
Machineseeker EHF Champions League, 10. Spieltag: Aalborg Handbold - THW Kiel: 26:30 (14:16)
Aalborg Handbold: Gade (1.-60., 17 Paraden), Aggefors (n.e.); Jakobsen, Palmarsson (4), Klöve, Barthold (4), Claar, Sandell (3), Hoxer, Björnsen (8), Flodman, Möllgaard (1), Antonsen (1), Hansen (4/4), Termansen, Ladefoged; Trainer: Madsen
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 14/1 Paraden), Mrkva (1 Siebenmeter, keine Parade); Duvnjak, Sagosen (6/2), Reinkind (5), M. Landin (1), Øverby, Wiencek (4), Pabst (2), Fraatz (3), Dahmke (3), Zarabec, Wallinius (1), Bilyk (3), Pekeler (2); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Ricardo Fonseca / Duarte Santos
Zeitstrafen: Aalborg: 2 (Barthold (7.), Klöve (57.)) /THW: 5 (2x Duvnjak (1., 8.), M. Landin (12.), Wiencek (58.), Dahmke (59.))
Siebenmeter: Aalborg: 5/4 (Landin hält Hansen (12.)) / THW: 2/2
Spielverlauf: 0:1, 2:2 (4.), 2:5 (8.), 4:6, 4:9 (13.), 6:9 (16.), 6:11 (17.), 8:11, 9:13 (21.), 11:13 (23.), 12:15; 14:15 (30.), 14:16;
15:16, 15:20 (37.), 17:20, 17:23 (42.), 19:25 (46.), 22:28 (56.), 25:28 (58.), 26:30.
Zuschauer: 5.020 (ausverkauft) (Sparekassen Danmark Arena, Aalborg)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich muss zugeben, dass ich richtig glücklich für meine Jungs bin. Wir hatten wieder eine Menge Trouble vor dem Spiel, heute morgen hat Niclas Ekberg erkrankt abgesagt. Aber die Jungs, die hier waren, haben es geschafft. Ich habe gesehen, dass jeder für jeden gearbeitet hat. Diese Energie in dieser für uns so wichtigen Woche hat mir richtig gefallen. Und ich habe viele sehr gut herausgearbeitete Möglichkeiten meiner Mannschaft gesehen, wir hatten allerdings einige Phasen, in denen wir nicht getroffen haben. Jetzt reisen wir mit breiter Brust nach Flensburg, obwohl uns so viele namhafte Spieler fehlen. Es sind noch drei Spiele bis Silvester - jetzt heißt es nur noch: All in!
THW-Rückraumspieler Sander Sagosen: Es war schön, zurückzukommen. Mindestens genauso schön ist es, dass wir heute zwei Punkte mit nach Hause nehmen. Es war ein hartes Match, und wir sind mit viel Respekt in die Partie gegangen, weil Aalborg so ein starkes Team hat. Aber wir haben gut gekämpft, haben hart in der Abwehr und im Angriff gearbeitet. Vor allen Dingen war unsere Abwehr in Zusammenarbeit mit Niklas Landin richtig stark: Aalborg hatte Probleme im Sechs-gegen-Sechs und im Sieben-gegen-Sechs. Das war ein großer, wichtiger Sieg für uns. Jetzt geht's weiter!
Aalborgs Trainer Stefan Madsen: Unsere zweite Halbzeit war nicht gut genug, wir haben nicht das Tempo und die Sicherheit gefunden, haben zu viele Fehler gemacht . So gewinnst du nicht gegen Kiel.
Aalborgs Rechtsaußen Kristian Björnsen: Wir hatten in beiden Halbzeiten Probleme mit dem Start, haben uns in der ersten Hälfte aber gut zurückgekämpft. Aber nach dem Fünf-Tore-Rückstand in der zweiten Halbzeit war es hart, wieder zurückzukommen. Wir hatten unsere Chancen, das Spiel zu gewinnen. Aber Kiel hat ein gutes Spiel gezeigt, es war ein solider Sieg für den THW.
Königsklassen-Tordebütant Henri Pabst: Filip hat mir gesagt, ich solle genau das machen, was ich sonst auch im Training mache. Dann habe ich mir den Ball genommen, und bin einfach voll draufgegangen. Da ist etwas Gutes bei herumgekommen, und ich konnte der Mannschaft helfen. Darauf kommt es an. Es braucht aber noch ein bisschen, bis ich das Erlebte heute verarbeitet habe. Wie ich mich fühle? Wow, einfach nur wow.
THW-Rückraumspieler Nikola Bilyk: es ist gut für uns gelaufen. Wir sind überglücklich, dass wir mit diesen zwei wichtigen Punkten nach Hause fahren dürfen. Jetzt genießen wir erst einmal den Moment, und dann haben wir ein sehr wichtiges Spiel am Sonntag. Das Derby ist jetzt nach dem Abpfiff schon im Hinterkopf, es ist ein sehr, sehr besonderes Spiel für uns alle. Wir sind alle richtig motiviert und freuen uns auf Sonntag.