
Starke Aufholjagd kam zu spät: Zebra-Serie reißt bei der HSG Wetzlar
Nach wettbewerbsübergreifend zwölf Spielen ohne Niederlage hat es den THW Kiel erwischt: Bei der HSG Wetzlar ließ sich die junge Zebraherde von der dort üblichen Hektik anstecken und leistete sich zu viele Fehler, die am Ende in einer ärgerlichen 25:27 (12:13)-Niederlage mündeten. Die eindrucksvolle Aufholjagd, die die Schwarz-Weißen in den letzten zehn Minuten von einem Fünf-Tore-Rückstand wieder in Schlagdistanz gebracht hatte, war letztlich nicht mehr von Erfolg gekrönt: Am Ende fehlte dem THW Kiel die Zeit, um noch etwas Zählbares aus Mittelhessen mit auf die lange Heimreise zu nehmen.
Gebrauchter Nachmittag aller Zebras
Es war ein insgesamt gebrauchter Nachmittag der Kieler, die zuletzt immer wieder über sich hinausgewachsen waren. Doch in Wetzlar sorgten vor allen Dingen viele technische Fehler und Fehlwürfe für die Niederlage: Eine Angriffseffizienz von unter 50 Prozent ist in der "stärksten Liga der Welt" nicht genug. Eric Johansson war mit acht Treffern bester Torschütze der Zebras, zog allerdings wie seine jungen Nebenleute auch jede Menge Fahrkarten. An der Niederlage ändern konnte auch eine freudige Nachricht vor dem Anpfiff nichts: Nikola Bilyk stand erstmals seit dem 30. November und dem Hinspielsieg über Wetzlar nicht mehr auf der Verletztenliste der Kieler. Nach zweieinhalb Monaten ohne Spiel und nur zwei Trainingseinheiten mit der Mannschaft war allerdings mehr als ein Kurzeinsatz für Bilyk nicht drin. Weiterhin schmerzlich vermisst wurde die Erfahrung und Routine von Kapitän und Anführer Domagoj Duvnjak. Er fehlte als ruhige, ordnende Hand vor allem in den wichtigen Phasen, als die Zebras mehr vom Spiel hatten, sich aber von der allgmeinen Hektik anstecken ließen und aber viele Chancen mit der Brechstange heraufbeschworen und ungenutzt ließen.
Wiencek früh mit zwei Zeitstrafen belastet
Der Start in Wetzlar glückte: Filip Jicha setzte in der Abwehr auf seinen bewährten Mittelblock mit Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek, im Angriff sollte und musste das junge Trio aus Johansson, Elias Ellefsen á Skipagötu und Emil Madsen die THW-Geschicke aus dem Rückraum lenken. Nach der ersten Parade von Andreas Wolff brachte „Skippy“ seine Farben nach gelungenem Solo in Front, Patrick Wiencek erhöhte nah Tempogegenstoß und langem Pass von Johansson auf 2:0. Sechs Minuten mussten die HSG-Fans auf den ersten Treffer ihrer Mannschaft warten. Cavor traf zum 2:1, dem Johansson die schnelle Antwort zum 3:1 folgen ließ. Nach dem HSG-Anschlusstreffer von Vranjes war Johansson erneut zum 4:2 zurstelle. Es folgte eine fragwürdige Zeitstrafe gegen Patrick Wiencek, die die Kieler aber nicht aus dem Rhythmus brachte: Magnus Landin traf zum 5:3, Mappes ließ das 5:4 folgen. Dann die Szene, die einen großen Einfluss auf das Spielgeschehen haben: Wiencek trabte zurück aufs Parkett, das Kampfgericht entschied indes, dass der Kieler ein paar Sekunden zu früh dran war. Wiencek kassierte prompt die nächste Hinausstellung, wurde bis auf die letzten zehn Minuten der Partie nicht mehr eingesetzt. Der "Emotional Leader" war nahezu aus dem Spiel, den Innenblock Pekeler/Wiencek gab es nicht mehr.
Hektik und Klimpke
Müller glich zwar zum 5:5 aus, doch á Skipagötu sorgte für die 6:5-Führung und Emil Madsen vollstreckte einen Tempogegenstoß zum 7:5. Jetzt begann das übliche Spiel: Wetzlar setzte in der Folge auf langen Ballbesitz-Handball und schürte die Hektik in der Halle. Durch einen Doppelschlag von Novak glichen die Gastgeber aus, ehe der THW sich durch Madsens raffinierten Dreher und Johanssons Tempogegenstoßtor erneut auf 10:8 absetzte. Wie schon zuvor hatten die Kieler mehrfach Gelegenheiten, ihren Vorsprung auszubauen: Doch die Zebra-Angreifer verzettelten sich, hatten Pech mit Holztreffern, scheiterten mit unvorbereiteten Aktionen zudem immer wieder auch an Klimpke im Tor der Gastgeber. Hinzu kam, dass der sonst so sichere Strafwurfschütze Bence Imre patzte, zweimal von der Siebenmeterlinie an Klimpke scheiterte. Die sechste Parade des HSG-Keepers war dann gleichzeitig die "Vorarbeit" für die erste HSG-Führung durch Petersen in der 26. Minute zum 11:10. Mappes erhöhte wenig später auf 12:10. Lukas Becher sorgte für das 13:11, das Eric Johansson fast mit dem Pausenpfiff auf 12:13 abmilderte. Kiel war die bessere Mannschaft, scheiterte aber an eigenen Unzulänglichkeiten im Abschluss.
Doppelte Unterzahl verhagelt den Neustart
Das sollte sich nach dem Willen der schwarz-weißen Fans und Trainer in den zweiten 30 Minuten ändern. Doch einfach hatten es die Kieler nicht, denn nachdem Harald Reinkind kurz vor dem Wechsel und Petter Överby kurz nach Wiederanpfiff jeweils eine Zeitstrafe kassierten, begannen die Zebras die zweiten 30 Minuten in doppelter Unterzahl. Wetzlar nutzte die HSG-Überzahl zur schnellen 15:12-Führung, die erste Drei-Tore-Führung der Partie. Als Rune Dahmke HSG-Schlussmann Klimpke in der 37. Minute von Linksaußen überwand, auf 15:16 verkürzte, sah es nach der Wende aus. Jetzt scheiterte aber Madsen zweimal, wurde einmal beblockt, einmal hielt der HSG-Keeper großartig. Auf der Gegenseite ließ es Mappes krachen, der zum 19:15 einwarf, nach 45 Minuten mit 116 km/h die 22:18-Führung für Wetzlar erzielte.
Mit taktischen Kniffen kommen die Zebras wieder heran
Die letzten Minuten waren nichts für schwache Nerven: Beim 25:20 sahen die Gastgeber schon wie der sichere Sieger aus, doch die Kieler warfen noch einmal alles in die Waagschale. Andreas Wolff, kurz nach der Halbzeit ausgewechselt, kehrte ins THW-Tor zurück. Seine Paraden halfen bei der folgenden Aufholjagd. Mit einer doppelten Manndeckung gegen die überragenden Spielmacher Dominik Mappes (8 Tore) und Justin Müller (4) wurden die sichersten Wetzlarer Akteure aus dem Spiel genommen. Ihre Teamkollegen leisteten sich Fehler, die den THW Kiel wieder herankommen ließen - auch wenn die Zebras ihrerseits wie im gesamten Spielverlauf ihre zuletzt so hohe Angriffseffizienz nicht erreichen konnten.
Kieler starten grandiose Aufholdjagd
Aber: Lukas Zerbe verwandelte per Strafwurf, Emil Madsen traf. Und als Patrick Wiencek ins Team zurückkehrte, einen Ball eroberte, war Zerbe per Tempogegenstoß zum 23:25 erfolgreich. Nach perfekt vorgetragenem Sieben-gegen-Sechs erzielte Dahmke den 24:25-Anschluss (58.), der die lautstarken THW-Anhänger wieder von einem Punktgewinn träumen ließ. Doch nach einer Wolff-Parade gegen Vranjes war es HSG-Torhüter Till Klimpke, mit 16/2 Paraden überragender Mann der Partie, der mit einem vereitelten Wurf von Dahmke den verdienten Ausgleich verhinderte. Domen Novak traf zum vorentscheidenden 26:24, Emil Madsens postwendende Antwort kam zu spät: Justin Müller traf gegen die offene Kieler Manndeckung zum 27:25-Endstand.
Dienstag das nächste wichtige Spiel gegen Porto
Viel Zeit zum Ärgern blieb den Kielern allerdings nicht: Der Spielplan bleibt unerbittlich, und so machte sich die enttäuschte Zebraherde nach der Partie schnurstracks auf den Weg nach Hause. Denn zur Vorbereitung auf die nächste wichtige Partie bleiben nur wenige Stunden: Bereits am Dienstagabend empfängt der THW Kiel zum Heim-Auftakt in der EHF European League den portugiesischen Spitzenclub FC Porto, der gleich mit sieben WM-Teilnehmern des Deutschland-Bezwingers Portugal an die Förde reist. Die Kieler wollen gemeinsam mit ihren Fans das Heimspiel unbedingt gewinnen, um weiterhin den direkten Viertelfinaleinzug in den eigenen Händen zu haben. Los geht’s um 20:45 Uhr in der Wunderino Arena. Tickets gibt es bei CITTI, in der THW-FANWELT und rund um die Uhr online unter www.thw-tickets.de. DYN und DAZN übertragen live. Weiter geht’s gegen Porto, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: HSG Wetzlar / Jenniver Röczey / Oliver Vogler
DAIKIN Handball-Bundesliga, 19.Spieltag:HSG Wetzlar – THW Kiel: 27:25 (13:12)
HSG Wetzlar: T. Klimpke (1.-60., 17/2 Paraden), Suljakovic (n.e.); Ejlersen, Mappes (8), Norberg (2), O. Klimpke, Krakovszki, Vranjes (3), Becher (1), Ahouansou, Schoch, Müller (4), Löwen (2), Lubbadeh, Novak (6), Cavor (1); Trainer: Carstens:
THW Kiel: Mrkva (43.-60., keine Parade), Wolff (1.-43., 51.-50., 9 Paraden); Reinkind, Landin (2), Överby, Wiencek (1), Johansson (8), Dahmke (3), Zerbe (3/1), Kutz (n.e.), Madsen (4), Bilyk, Pekeler, á Skipagötu (4), Imre; Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Frederic Linker / Sascha Schmidt
Zeitstrafen: HSG: 1 (Ejlersen (51.)) / THW: 4 (2x Wiencek (9., 11.), Reinkind (30.), Överby (31.))
Siebenmeter: HSG: 0 / THW: 3/1 (T. Klimpke hält 2x Imre (12., 19.))
Spielfilm: 0:2 (5.), 1:3 (7.), 3:5 (9.), 5:5 (12.), 5:7 (14.), 7:7 (16.), 8:8 (19.), 8:10 (24.), 12:10 (27.), 13:11 (29.), 13:12;
2. Hz: 15:12 (33.), 15:14 (35.), 16:15 (38.), 19:15 (42.), 21:17, 22:19 (45.), 24:19 (49.), 25:20 (51.), 25:24 (58.), 26:25 (60.), 27:25.
Zuschauer: 4421 (ausverkauft) (Buderus Arena, Wetzlar)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich möchte zuerst Frank Carstens und die HSG Wetzlar zu einem verdienten Sieg beglückwünschen. In mir brodelt es ein wenig, weil wir heute nicht das zeigen konnten, was wir uns eigentlich vorgenommen hatten. Wir haben erst relativ spät in unser Spiel gefunden. Das 12:13 zur Pause war angesichts unserer Angriffseffizienz von 40 Prozent beinahe noch milde, leider konnten wir uns auch in der zweiten Halbzeit nicht großartig steigern. Selbst Situationen, die wir gut gespielt haben, haben nicht zum Erfolg geführt, weil wir an Till Klimpke gescheitert sind. Und wir haben in einer wichtigen Phase viel mit der Brechstange versucht. Ich kann das verstehen, weil wir mit drei jungen Rückraumspielern agiert haben, das muss man in unserem Prozess, in dem wir uns befinden, wegstecken. Wetzlar war schlauer, wir haben es mit Manndeckung versucht und hatten so sogar noch die Möglichkeit auf einen Punkt, doch Wurfquote und technische Fehler haben das insgesamt über das Spiel gesehen verhindert. Das ist sehr ärgerlich, weil unsere sehr gute Serie dadurch beendet ist. Jetzt ist es an der Zeit, eine neue Serie zu starten.
HSG-Trainer Frank Carstens: Wenn Filip unzufrieden ist, bin ich natürlich zufrieden. Wir sind in vielen Phasen über uns hinausgewachsen. So muss ein Spiel gegen den THW Kiel laufen. Man braucht ein paar Helden: Till ist gerade schon genannt worden, Dominik Mappes und Justin Müller sollten auch genannt werden, die in wichtigen Situationen sehr stabil waren. Der Kern aber, um dieses Spiel zu gewinnen, war die Abwehrleistung. Unsere Abwehr hat hervorragend funktioniert und war auch ein Grund für die mangelnde Angriffseffektivität der Kieler. Und wenn das mal nicht funktioniert hat, hatten wir heute auch den besseren Torwart. Eine Wahnsinnsleistung von Till. Das war unglaublich. Das hat uns Flügel gegeben, aber nach der Fünf-Tore-Führung war die Hand gegen die offensive Deckung des THW Kiel auf einmal fest. Aber ich möchte nicht über negative Dinge sprechen, sondern meinem Team für eine tolle Leistung danken.
THW-Linksaußen Rune Dahmke: Wir hatten gute Chancen, aber haben auch viel zu viel verworfen. Klimpke geht mit 17 Paraden aus dem Spiel, wir hatten eine Effektivität von unter 50 Prozent. Dann wir es natürlich schwer, ein Spiel zu gewinnen – gerade auch hier in Wetzlar. Eigentlich ist es gut, dass wir sehr bald die Gelegenheit bekommen, es besser zu machen. Aber das Programm mit dem Spiel am Dienstag und dann gleich wieder am Donnerstag ist natürlich Wahnsinn. Wir müssen jetzt zusammenhalten und unsere Aufgaben besser erledigen, auch wenn diese Niederlage sehr weh tut.
THW-Rechtsaußen Lukas Zerbe bei Dyn: Wir kommen eigentlich gut ins Spiel, machen dann aber zu viele Fehler, verwerfen zu viele freie Würfe, um hier etwas mitzunehmen. Dann kommen wir nicht gut in die zweite Hälfte, gehen von minus eins auf minus fünf und lassen uns von der Hektik anstecken. Trotzdem hatten wir immer wieder die Chance, heranzukommen, machen dann aber wieder Fehler. Und zum Ende geht uns dann die Zeit aus. Unsere personelle Situation darf keine Ausrede sein, wir haben trotzdem einen guten Kader. Wir müssen anders auftreten, hätten ruhiger bleiben müssen. Es hat uns die letzten Monate ausgezeichnet, dass wir immer nur auf uns geschaut und die Ruhe bewahrt haben. Das haben wir heute leider nicht geschafft.
HSG-Toptorschütze Dominik Mappes bei Dyn: Es war fast ein bisschen unnötig, dass es noch so spannend wurde. Wir hatten das Spiel eigentlich voll unter Kontrolle, hatten einen überragenden Torwart und haben vorn immer wieder Lösungen gefunden. Dann schaffen wir es aber lange Zeit nicht mehr, ein Tor zu machen. Am Ende sind wir jetzt einfach nur glücklich. Kiel hat immer wieder etwas Neues ausprobiert, wie die doppelte Manndeckung, aber wir haben immer wieder Antworten gefunden. Wir haben ohne Ende an einen Sieg gegen den THW Kiel geglaubt und waren richtig heiß auf das Spiel.
HSG-Torhüter Till Klimpke bei Dyn: Die ganze Mannschaft hat den THW Kiel gern als Gegner, wir haben in den vergangenen Jahren immer mindestens ein Spiel gewonnen. Das Hinspiel ging an den THW, also waren wir heute dran. Gegen den THW Kiel muss man hinten hart und vorne clever agieren - das haben wir heute getan.