THW Kiel verliert Tore-Hatz bei der TSV Hannover-Burgdorf mit 33:36
Ein Auswärtsspiel in Hannover. Es gibt leichtere Neustarts nach der Nationalmannschafts-Pause. Das war den Zebras bewusst. Das war aber auch den Niedersachsen klar. Und so strömten 8539 Fans in die ZAG-Arena zu Hannover, wollten den deutschen Meister sehen und hofften in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga auf einen Sieg über Deutschlands Handball-Aushängeschild. Der Wunsch der TSV-Fans ging zum Leidwesen der vielen lautstarken Kieler Anhänger in Erfüllung. Die Zebras verschliefen den Start in die Begegnung komplett, kämpften sich mit einem starken Sieben-gegen-Sechs zurück in die Partie, ehe die Mannschaft von Trainer Christian Prokop und zwei ehemalige Zebras über sich hinauswuchsen: Dario Quenstedt und Ilija Brozovic sorgten am Ende mit dafür, dass die Niedersachsen Kapital aus Kieler Fehlern schlagen konnten und nach 60 intensiven und spannenden Minuten mit 36:33 (20:17) gewannen.
Duvnjak: "Hannover hat verdient gewonnen"
Die Kieler stemmten sich nach schwieriger erster Halbzeit mit viel Kampf und Einsatz gegen das drohende Unheil, konnten aber letztlich die fünfte Niederlage in der laufenden Spielzeit nicht mehr abwenden. Bester Kieler Torschütze war Eric Johansson, der siebenmal ins TSV-Tor traf, beim Sieger waren Büchner mit acht und Steinhauser mit sieben Treffern beste Schützen ihres Teams. Klar, dass die Enttäuschung im Kieler Lager groß war. "Hannover hat verdient gewonnen", stellte THW-Kapitän Domagoj Duvnjak unmissverständlich klar. "Wir hatten in der zweiten Halbzeit eine gute Phase, kommen zum Ausgleich und hätten auch in Führung gehen können. Dann aber unterliefen uns einige leichte Fehler. Die hat Hannover konsequent in Tore umgemünzt." Den Unterschied, stelllte Duvnjak fest, machte am Ende auch Hannovers Spielmacher Marian Michalczik, der leicht angeschlagen erst in der zweiten Halbzeit ins Spiel kam und seine zwischenzeitlich hilflose Mannschaft mit überragenden Anspielen auf den sechsfachen Torschützen Brozovic zurück in die Spur brachte. Den Hannoveraner Regisseur bekam die THW-Abwehr einfach nicht in den Griff. Stark auch Dario Quenstedt: Der ehemalige Kieler Schlussmann kam in der 36. Minute für Simon Gade, fand gegen seine Ex-Kollegen sofort ins Spiel und hatte mit insgesamt elf Paraden großen Anteil am Sieg der Gastgeber.
Kieler Fehlstart
THW-Trainer Filip Jicha verzichtete nach der Länderspielpause zunächst auf Rune Dahmke, der weiterhin Probleme mit seinem Oberschenkel hat. Außerdem starteten die Kieler erstmals mit Eduardo Gurbindo auf der Linkshänderposition im Rückraum, weil Harald Reinkind erst am Spieltag nachreisen konnte. Der Norweger war am Dienstag Vater einer Tochter geworden. Elias Ellefsen á Skipagötu übernahm zunächst auf der Spielmacherposition Verantwortung. Doch die Anfangsphase stand ganz im Zeichen der Gastgeber, den starken Paraden von Torhüter Gade und der Kaltschnäuzigkeit der TSV-Angreifer. Kapitän Steinhauser traf wie er wollte, der junge Kreisläufer Fischer traf auch. So überrannte der TSV den THW Kiel, der im Angriff selbst beste Möglichkeiten ungenutzt ließ. 2:6 stand es aus Kieler Sicht nach sieben Minuten, beim 3:8 durch Büchner nach elf Minuten hatte Hannover fünf Tore zwischen sich und dem THW gelegt. Als Steinhauser wenig später gar zum 10:4 für seine Farben einwarf, drückte Filip Jicha auf den Buzzer, nahm die erste Auszeit.
Sieben-gegen-Sechs bringt Zebras zurück ins Spiel
"Ich brauche von jedem, aber auch jedem Spieler mehr Körpersprache", forderte Kiels Trainer. Und tatsächlich, die Trainerworte fanden Gehör: Der THW steigerte sich in der Abwehr, Petter Överby und Domagoj Duvnjak verkürzten auf 6:10. Jicha setzte auf seinen bewährten Rückraum, Duvnjak spielte in der Mitte, Reinkind und Johansson auf den Halbpositionen. Außerdem gingen die Kieler im Angriff ins Sieben-gegen-Sechs. Das spielten sie überragend, trafen auch - allen voran Johansson - doch anfangs stimmte der Rückzug nicht. Das Kieler Tor war leer und Hannover konterte nach Gegentoren sofort durch Fischer. 16:10 lautete der Spielstand nach 20 Minuten. Doch dann wurde auch der Rückzug klar gespielt, und die Zebras ließen einen 4:0-Lauf folgen: Zweimal Johansson mit Urgewalt, Överby und Hendrik Pekeler netzten ein, der THW Kiel war beim 14:16 in der 25. Minute wieder im Spiel. Edvardsson erzielte fast mit dem Pausenpfiff das 20:17 für die Gastgeber, aber trotzdem war nach dem Fehlstart wieder alles möglich für die Schwarz-Weißen.
THW drückt der Partie nach der Pause den Stempel auf
Den ersten Minuten der zweiten Hälfte drückte dann der THW Kiel den Stempel auf. Samir Bellahcene war im Kieler Tor mehrfach zur Stelle, Magnus Landin traf zum 18:20, Patrick Wiencek wenig später zum 19:20. Und als Pekeler in der 35. Minute einen Tempogegenstoß im TSV-Tor versenkte, hatten die Kieler zum 21:21 ausgeglichen, nahmen die Partie in ihre Hände. Büchner brachte Hannover zwar erneut in Front, aber nach dem 22:22 von Ekberg und dem von Mrkva entschärften Gerbl-Siebenmeter hatten die Zebras beide Hände am Drücker. In Überzahl verpassten sie es allerdings mehrfach, der TSV weitere Nadelstiche zu versetzen.
Hannover wie entfesselt zum Sieg
Zudem griff TSV-Coach Prokop zur Auszeit, brachte Michalczik und Quenstedt. Maßnahmen, die griffen: Während Michalczik seinen Angriff mit traumhaften Anspielen - vor allem auf Kreisläufer Brozovic - wieder in die Spur brachte, nagelte Quenstedt seinen Kasten geradezu zu. Ekberg, Överby, Reinkind, á Skipagötu, Duvnjak und Johansson scheiterten am ehemaligen Kieler - es schien wie verhext. Die Kieler Angriffseffektivität sank auf unter 60 Prozent - zu wenig, um gegen die jetzt wie entfesselt agierenden Gastgeber bestehen zu können. Als Hanne nach 53 Minuten zum 33:28 traf, schien bereits eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Magnus Landin ließ den Kieler Anhang mit dem 30:34 in der 57. Minute noch einmal kurz hoffen, doch das erneute Michalczik-Anspiel auf Brozovic, der zum 35:30 traf, machte wenig später alles klar. Die Messe war gelesen, die ZAG Arena stand Kopf. "Wir müssen nach vorne schauen, die Niederlage akzeptieren und weiter an uns arbeiten", sagte ein enttäuschter Domagoj Duvnjak inmitten des grün-weißen Tollhauses mit tieftrauriger Miene in seinem Gesicht.
Herkulesaufgabe am Sonntag in Mannheim
Nach dann sechs Auswärtsspielen in sieben Partien kehren die Zebras in der kommenden Woche endlich wieder in die heimische Wunderino Arena zurück: Am Donnerstag gastiert Aalborg Handbold zum Topspiel der Machineseeker EHF Champions League in Kiel. Anpfiff zur Partie gegen die Mannschaft von Superstar Mikkel Hansen, zuletzt unter anderem mit den beiden ehemaligen Kielern Niklas Landin und Lukas Nilsson verstärkt, ist am 16. November um 18:45 Uhr. Eintrittskarten für die Partie gibt es in der THW-FANWELT, bei CITTI und online unter www.thw-tickets.de. Zuvor müssen die Zebras allerdings noch zu einer weiteren Herkulesaufgabe reisen: Am Sonntag empfangen die Rhein-Neckar Löwen in der erstmals in dieser Spielzeit mit 13.200 Zuschauern ausverkauften SAP Arena den THW Kiel zum heißen Duell um wichtige Bundesliga-Punkte. Anpfiff in Mannheim ist um 14:05 Uhr, Dyn und der Free-TV-Sender SWR übertragen live. Weiter geht’s in Mannheim, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Jan Guenther/TSV Hannover-Burgdorf
LIQUI MOLY HBL, 12. Spieltag: TSV Hannover-Burgdorf – THW Kiel 36:33 (20:17)
TSV Hannover-Burgdorf: Gade (1.-36., 8 Paraden), Quenstedt (36.-60., 11/ Paraden, 1 Tor), Vujovic (3), Uscins, Steinhauser (7/1), Michalczik, Kulesh (1), Strmljan, Edvardsson (2), Gerbl, Hanne (4), Brozovic (6), Fischer (4), Feise, Ayar, Büchner (8); Trainer: Prokop
THW Kiel: Mrkva (1.-12., 48.-60., 7/1 Paraden), Bellahcene (12.-48., 4/1 Paraden); Ehrig, Duvnjak (1), Reinkind (4), Landin (4), Øverby (4), Wiencek (3), Ekberg (2), Johansson (7), Dahmke, Gurbindo, Wallinius (1), Bilyk (1), Pekeler (5), á Skipagøtu (1/1); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Ramesh Thiyagarajah / Suresh Thiyagarajah
Siebenmeter: TSV: 4/1 (Bellahcene hält Steinhauser (23.), Mrkva hält Gerbl (38.), Steinhauser an die Latte (57.)) / THW: 2/1 (Quenstedt hält Ekberg (36.))
Zeitstrafen: TSV: 3 (Michalczik (8.), Vujovic (38.), Hanne (51.)) / THW: 3 (2x Landin (23., 40.), Pekeler (57.))
Spielfilm: 0:1, 3:1 (4.), 3:2, 6:2 (6.), 6:3, 9:3 (12.), 10:4, 10:6 (14.), 12:8, 14:8 (18.), 16:10 (19.),16:14 (25.), 18:16 (28.), 20:17;
2. Hz.: 20:19 (33.), 21:19, 21:21 (35.), 22:22, 24:23 (42.), 27:23 (44.), 27:25 (47.), 29:26 (49.), 30:28, 33:28 (53.), 36:31, 36:33.
Zuschauer: 8539 (ZAG Arena, Hannover)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Herzlichen Glückwunsch an Christian Prokop und seine Mannschaft zu diesen zwei verdienten Punkten. Es war eine hart umkämpfte Partie, in der wir den Beginn leider komplett verschlafen haben. Dadurch haben die Hannoveraner, die eine klasse Saison spielen und längst in der Gruppe der Spitzenmannschaften angekommen sind, noch mehr Energie getankt. Der hohe Rückstand war eine große Hypothek für meine Mannschaft. Danach haben wir Schritt für Schritt versucht, das Spiel wieder umzubiegen. Wir haben das Sieben-gegen-Sechs gut auf den Punkt gespielt. Wir haben uns dabei auch in den drei Situationen, wo wir einen Treffer mit der Schnellen Mitte ins leere Tor kassieren, nicht aus der Ruhe bringen lassen. So sind wir rangekommen, beim 22:22 haben wir dann dreimal die Möglichkeit, in Führung zu gehen. Da hatten wir das Momentum, haben uns aber nicht belohnt. Dario kam, hielt einen Siebenmeter, blieb drin, hielt weitere Würfe. Einige meiner Spieler haben heute Lehrgeld bezahlt, trotzdem habe ich Situationen gesehen, die in Ordnung waren. Nicht in Ordnung war, wie wir das Spiel gestartet haben. Das rächt sich gegen eine Spitzenmannschaft wie Hannover.
TSV-Trainer Christian Prokop: Ich bin sehr aus dem Häuschen und glücklich, dass wir es endlich gepackt haben, den THW Kiel auch zu bezwingen. In der Endphase, als Mrkva den einen oder anderen Ball hielt, habe ich versucht, nicht an das Heimspiel im letzten Jahr zu denken, bei dem wir nach einer guten Ausgangssituation doch noch als Verlierer da standen. Heute hatten wir die bessere Torhüterleistung auf unserer Seite, und das ist auch ein Hauptgrund für den verdienten Sieg. Wir haben eine enorme Teamleistung aufs Parkett gebracht. Wir sind durch eine starke Abwehrleistung, Simon Gade und das Tempospiel über Steinhauser sehr gut ins Spiel gekommen. Da haben wir den THW Kiel empfindlich getroffen. Bei den Sieben-gegen-Sechs-Situationen stellen wir uns zu passiv an, da hat jeder gespürt, dass das Momentum kippt. Ich bin sehr stolz, dass nach dem Unentschieden die Wechsel alle gefruchtet haben. Das in Summe war heute verdient und gibt uns für den November einen richtigen Boost. Jetzt gilt es erst einmal, den Tag zu genießen. Das ist für uns ein besonderer Erfolg.
THW-Kapitän Domagoj Duvnjak bei Dyn: Glückwunsch an Hannover, die TSV war über 60 Minuten das bessere Team. Wir haben richtig schlechte erste zehn Minuten gespielt, liegen früh mit sechs Toren hinten. Dann haben wir ein richtig gutes Sieben-gegen-Sechs gespielt, was uns geholfen hat, wieder heranzukommen. Dann haben wir haben in der zweiten Halbzeit eine richtig gute Phase, kommen zum Ausgleich. Wir waren da in dieser Phase, spielen dann aber eine richtig schlechte Überzahl. Wir verlieren diese, dann macht Hannover drei, vier leichte Tore. Die Stimmung in der Halle war wieder da, und unsere Köpfe waren nicht mehr frisch. Unsere technischen Fehler und die ausgelassenen 100-prozentigen Chancen waren nicht gut. In der Schlussphase kommt dann Michalczik, der das mit „meinem“ Ilija Brozovic überragend löst. Und natürlich war auch Dario überragend. Jetzt fahren wir nach Hause und fliegen Sonnabend nach Mannheim. Das wird dort ein unfassbar brutal schweres Spiel am Sonntag. Wir müssen aufstehen und die Köpfe wieder hochnehmen. So ist Sport. Die Saison läuft bislang nicht gut für uns. Wir akzeptieren das, aber müssen weiter daran arbeiten, dass sie besser wird.
TSV-Rückraumspieler Marian Michalczik bei Dyn: Das war eine annähernd perfekte Leistung von uns, viel von unserem Plan ist aufgegangen. Wir haben anfangs nicht viel verkehrt gemacht in der Abwehr, hatten dann aber Schwierigkeiten, das Kieler Sieben-gegen-Sechs zu lösen. Da kommt ungeheure Kieler Wurfkraft auf einen zu, und dann ballert ein Eric Johansson die Bälle reihenweise ins Tor. Wir haben es aber gemeistert, heute den Kielern nicht das Momentum zu geben, die Partie noch drehen zu können. Wir haben nicht die technischen Fehler gemacht, die Kiel mit leichten Toren hätten wieder zurück ins Spiel bringen können. Vorn hat das Zusammenspiel mit dem Kreisläufer gut funktioniert, und wenn dann ein Martin Hanne so zündet, ist das der Bonus. Der Typ ist einfach nicht zu stoppen, wenn er heiß läuft.
TSV-Torhüter Dario Quenstedt bei Dyn: Dieses Datum und dieses Ergebnis müssen wir uns dick anstreichen. Denn ein Sieg gegen den THW Kiel gibt es nicht alle Tage. Wir wussten, dass wir mit den über 8000 in der Halle richtig Druck machen können. In der zweiten Halbzeit konnten wir gut rotieren, sodass eine gute Symbiose zwischen Abwehr und Torwart entstehen konnte. Und irgendwann war da dann der Flow.