Charakter gezeigt: THW Kiel macht gegen Stuttgart nächsten Schritt

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Charakter gezeigt: THW Kiel macht gegen Stuttgart nächsten Schritt

Zwischen den beiden Viertelfinal-Spielen in der Machineseeker EHF Champions League drückte der Spielplangestalter der LIQUI MOLI Handball-Bundesliga den Zebras die lange Reise nach Stuttgart auf den Plan. Der THW Kiel steckte diese schwierige Aufgabe weg, kämpfte sich am Sonnabendabend nach turbulenten Anfangsminuten auch beim Tabellen-14. der Liga durch, besiegte den TVB Stuttgart in der mit 6200 Zuschauern prall gefüllten Porsche-Arena mit 37:30 (16:13) Toren und festigte seine Tabellenführung in der deutschen Handball-Eliteklasse. Es war ein schwieriges Spiel, weil die Kieler schnell in Rückstand gerieten, Petter Överby nach fünf Minuten durch eine fragwürdige Schiedsrichterentscheidung mit der Roten Karte verloren und die Niederlage gegen Paris im Reisegepäck mitbrachten. Doch die Zebras steckten alle Probleme weg, bestiegen gleich nach der Partie ihren Flieger, um keine Zeit für die Vorbereitung auf das Rückspiel in Paris zu verlieren.

Abwehrarbeit legt Grundlage für Sieg

Die Kieler Abwehr steht.

„Das war ein ganz wichtiger Sieg, es war erneut wie ein Finale“, sagte Kapitän Domagoj Duvnjak, „jedes Spiel ist brutal schwer, aber wir sind konzentriert und wissen, was wir wollen.“ Bester Torschütze beim Sieger war Miha Zarabec, der Slowene wirbelte die Stuttgarter Abwehr durcheinander, traf sechsmal für den THW. Wichtig waren zudem die Torhüterleistungen von Niklas Landin und Tomas Mrkva. Überhaupt die Abwehrleistung: Überragend spielte einmal mehr Kapitän Domagoj Duvnjak, der in der offensiven 3:2:1-Variante an vorderster Front ackerte und den Stuttgarter Angreifern den Nerv raubte. „Wir hatten einen guten Start, aber dann wurde es schwer gegen diese Kieler Abwehr, aus der Dule herausragte“, sagte Stuttgarts Max Häfner: „Es gibt im Handball keinen besseren Spieler als Duvnjak in der 3:2:1-Formation. Er ist einfach überragend.“

Kieler Personalsorgen

Drei Tage nach der Niederlage gegen Paris fehlten THW-Trainer Filip Jicha weiterhin seine Dauerverletzten Sven Ehrig (Kreuzband), Steffen Weinhold (Schulter) und Eric Johanssen (Mittelhandbruch), außerdem gingen Nikola Bilyk (Adduktoren), Sander Sagosen (Finger) und Miha Zarabec angeschlagen ins Spiel. Keine leichte Hypothek für den deutschen Rekordmeister, der aber auf die Zähne biss, sich mit viel Energie in das Spiel hineinkämpfte.

Stuttgart startet verheißungsvoll

Die Schwaben waren nach dem Überraschungserfolg gegen Berlin optimistisch, wollten nach 16 Niederlagen gegen Kiel endlich das erste Erfolgserlebnis gegen den Rekordmeister feiern und starteten auch verheißungsvoll. Nach zwei Minuten und 20 Sekunden lagen die Kieler mit 0:3 zurück. TVB-Torhüter Miljan Vujovic war gegen Niclas Ekberg und Petter Överby zur Stelle, auf der anderen Seite nutzten Maric und Hanusz (2) ihre Chancen gegen Niklas Landin eiskalt, brachten den Außenseiter überraschend deutlich in Front.

Frühe rote Karte gegen Överby

Petter Överby fand dann die erste Antwort, erzielte das 1:3 für Kiel – und musste das Parkett wenig später verlassen. Nach einer Abwehraktion entschieden die Unparteiischen Blümel/Loppaschewski aus Berlin auf Rote Karte. Ein zu harte Entscheidung, die ohnehin geschwächten Zebras hatten plötzlich einen Mann weniger auf der Bank. Die Schiedsrichter blieben zunächst bei ihrer knallharten Linie, die auch Stuttgart ins Mark traf. In den ersten 15 Minuten wurden fünf TVB-Akteure mit Zeitstrafen auf die Bank geschickt. Die Kieler kämpften sich währenddessen Minute um Minute heran. Harald Reinkind, Hendrik Pekeler und Sander Sagosen waren die Torschützen beim frühen 3:0-Lauf, glichen in der neunten Minute zum 5:5 aus. Überragend spielte Miha Zarabec, der in der Porsche-Arena von der Stuttgarter Abwehr nie zu kontrollieren war, der seine Mitspieler glänzend in Szene setzte und selbst überzeugend im Abschluss war. Dreimal traf der Slowene in der ersten Halbzeit, drei weitere Treffer ließ er in den zweiten 30 Minuten folgen.

THW mit 6:0-Lauf vor der Pause

Stuttgart, das in Kiel bei der 23:36-Hinspiel-Niederlage völlig chancenlos war, hielt in der eigenen Arena lange dagegen, legte durch Hanusz und Maric nach 15 Minuten beim 9:7 erneut eine Zwei-Tore-Führung vor, führte auch mit 10:8, Patrick Wiencek und Sander Sagosen glichen aber erneut aus. Dann reagierte Filip Jicha, stellte Tomas Mrkva zwischen die Kieler Pfosten. In der 22. Minute jubelten die TVB-Fans dann über die letzte Stuttgarter Führung, Pfattheicher traf von Rechtsaußen zum 13:12. Fortan stand Tomas Mrkva im Brennpunkt, hielt sein Gehäuse bis zum Halbzeitpfiff komplett sauber. Vorne kamen die Zebras ins Rollen: Hendrik Pekeler düpierte Vujovic mit einem Dreher, Sander Sagosen hämmerte den Ball aus dem Rückraum zum 14:13 und der ersten Kieler Führung ins Netz, Yannick Fraatz und Sander Sagosen bauten den THW-Vorsprung bis zum Pausenpfiff dann auf 16:13 aus. Und die Zebras machten weiter: Miha Zarabec war hellwach, schnappte sich einen Abpraller, traf zum 17:13, und als Patrick Wiencek per sehenswertem Heber zum 18:13 einnetzte, war der Kieler 6:0-Lauf perfekt, Stuttgart blieb zwölf Minuten ohne Torerfolg – die Partie war gedreht.

Souveräner Start in die zweite Halbzeit

Flying Rune.

Truchanovicius beendete die lange TVB-Durststrecke dann mit seinem Treffer zum 18:14, aber die Kieler ließen sich nicht beirren, bekamen Gegner und Spiel endgültig unter Kontrolle. Auch, weil das Rückzugsverhalten stimmte, Rune Dahmke zum Beispiel mit einer spektakulären Flugeinlage einen Stuttgarter Tempogegenstoß verhinderte, Hendrik Pekeler einen Kempa-Trick-Versuch aufmerksam vereitelte und „Dule“ Duvnjak Kiels Abwehr zur Festung umbaute. Auf der anderen Seite verwandelte Magnus Landin den fälligen Strafwurf in der 38. Minute zur 22:16-Führung, der 3:0-Lauf durch die Tore von Miha Zarabec, Yannick Fraatz und Patrick Wiencek bescherte den Zebras in der 42. Minuten die 26:18-Führung, alles schien vorzeitig in trockenen Tüchern.

TVB lässt nicht locker

Stuttgart aber raffte sich noch einmal auf, kämpfte sich bis zur 51. Minute auf 30:27 heran. Filip Jicha reagierte mit einer Auszeit, setzte im Tor wieder auf Niklas Landin, und innerhalb weniger Minuten rauschte der THW-Express wieder davon. Spätestens mit dem 34:28 durch Hendrik Pekeler nach großartigem Anspiel von Harald Reinkind stand der Sieger fest. Die Zebras tanzten ihren Siegertanz,  Stuttgart wartet weiter auf das erste Erfolgserlebnis gegen das Star-Ensemble aus dem hohen Norden.

Rückspiel in Paris und Public Viewing am Mittwoch

Die Zebras reisten noch in der Nacht zurück an die Kieler Förde, um die kurze Regenerationszeit vor der nächsten wichtigen Partie optimal zu nutzen. Denn bereits am Dienstag macht sich der THW Kiel wieder auf den Weg: Es geht nach Paris, wo am Mittwochabend um 20:45 Uhr das Rückspiel im Viertelfinale der Machineseeker EHF Champions League angepfiffen wird. Nach dem 27:31 im Hinspiel brauchen die Kieler einen Sieg mit fünf Toren Unterschied, um sich ihren Traum vom Truckscout24 EHF Final4 in Köln doch noch erfüllen zu können. Fans in Kiel können live beim Public Viewing in der Lille-Brauerei mitfiebern: Tickets (10 Euro) gibt es in der THW-FANWELT. Weiter geht’s in Paris, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Marco Wolf, Bernd Dunstheimer

LIQUI MOLY HBL, 30. Spieltag: TVB Stuttgart - THW KIEL: 30:37 (13:16) 

TVB Stuttgart: Vujovic (1.-26., 5 Paraden), Heinevetter (26.-60., 9 Paraden); M. Häfner (3), Serrano, Fernández (2), Hanusz (3), Schöttle n.e., Truchanovicius (3), Lönn (5), Röthlisberger, Nicolaus (1), Forstbauer, Laube (1), Zieker (4/3), Pfattheicher (5), Maric (3); Trainer: Schweikardt
THW Kiel: N. Landin (1.-14., 50-60., 4 Paraden), Mrkva (14.-50., 8 Paraden); Duvnjak (1), Sagosen (6), Reinkind (3), M. Landin (3/3), Øverby (1), Wiencek (4), Ekberg (3/2), Fraatz (3), Dahmke (2), Zarabec (6), Schwormstede, Wallinius, Bilyk (n.e.), Pekeler (5); Trainer: Jicha 

Schiedsrichter: Nils Blümel / Jörg Loppaschewski
Zeitstrafen: TVB 7 (2x Nicolaus (4., 7.), Hanusz (7.), Truchanovicius (11.), 2x Röthlisberger (11., 19.), Serrano (46.)) / THW: 4 (Duvnjak (4.), M. Landin (8.), Wiencek (36.), Reinkind (47.))
Rote Karte: Øverby (grobes Foulspiel (4.))
Siebenmeter: TVB: 3/3 / THW: 6/5 (Ekberg an die Latte (27.)) 
Spielverlauf: 3:0, 5:2 (6.), 6:6, 10:8 (17.), 13:12 (22.), 13:16; 
15:21, 18:23 (40.), 19:27, 22:30 (47.), 27:30, 28:33 (55.), 28:36, 30:37 
Zuschauer: 5593 (Porsche-Arena, Stuttgart)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin sehr erleichtert und unglaublich stolz auf meine Mannschaft, die viel Charakter gezeigt hat. Wir waren enorm gewarnt vor der Leistung, die Stuttgart in letzter Zeit zeigt. Daher war die gesamte Vorbereitung und das ganze drumherum für mich nicht einfach. Hier her zu kommen und zu denken, du wirst das Spiel auf jeden Fall gewinnen, ist längst vorbei. Wir hatten einen etwas verdünnten Kader, viele waren angeschlagen. Mein Plan war ein bisschen anders aber Peter Overby hat in der dritten Minute eine rote Karte bekommen. Aber heute zählt, dass wir wirklich starke Stuttgarter besiegt haben. Das macht mich wahnsinnig stolz.

TVB-Trainer Michael Schweikardt: Glückwunsch an den THW zum am Ende wahrscheinlich auch verdienten Sieg. Wir haben uns vorgenommen, wieder mal „einen Großen“ zu ärgern. Zwei Mal innerhalb von zehn Tagen die zwei Topmannschaften zu schlagen, ist für uns natürlich eine Monsteraufgabe, klar. Wir kommen super ins Spiel rein, sind einen Großteil der ersten Halbzeit auch in Führung. Durch viele Zeitstrafen kommt ein bisschen Unruhe in der ersten Halbzeit rein, was uns ein bisschen wehtut. Dadurch konnten wir nicht mit unserer ersten Zentrumsverteidigung agieren. Aber auch die Leute, die dann reingekommen sind, haben versucht, so hart und kompakt wie möglich zu verteidigen. Dass das gegen den THW nicht immer möglich ist, ist auch ganz klar. Da ist einfach eine extreme Klasse auf dem Feld. Vor allem im 7-gegen-6 haben wir Probleme gehabt. Man sieht es Woche für Woche, dass der THW das 7-gegen-6-Spiel einfach sehr sehr gut macht. Hier haben wir ein bisschen den Zugriff auf das Spiel verloren. Ich muss den Charakter meiner Mannschaft aber wieder loben. Wir sind Mitte zweite Halbzeit schon mit acht Toren zurück, kämpfen uns aber auf minus drei nochmal ran, acht Minuten vor Schluss. Dann geht es leider wieder zu schnell auf minus acht, was dann weh tut. Aber insgesamt muss ich sagen, dass wir eine gute Leistung gezeigt haben. Ich bin mit dem Fight, den wir geliefert haben, zufrieden. Wir sind diesen Weg, den wir in den letzten Wochen gegangen sind, heute weiter gegangen und das freut mich.

THW-Rückraum Sander Sagosen: Wir haben Stuttgart gegen Berlin ohne Ende kämpfen gesehen. Wir wussten also, dass das ein sehr schweres Spiel wird. Aber ich bin sehr stolz auf die Mannschaft heute: Welchen Charakter wir gezeigt haben, wie ruhig wir geblieben sind und uns Schritt für Schritt die zwei Punkte erarbeitet haben. Und das haben wir am Ende geschafft.

THW-Rückraum Miha Zarabec: Es war auf jeden Fall das erwartet schwere Spiel. Stuttgart hat das hat von Anfang an richtig gut gemacht, wir hatten ein paar Probleme in der Abwehr. Kurz vor der Halbzeit sind wir aber zurückgekommen und haben mit dem plus drei Sicherheit und Lockerheit bekommen. Schritt für Schritt, Tor für Tor haben wir so dann mit acht Toren geführt und am Ende verdient gewonnen. Es war wirklich nicht so einfach, wie es ausgeschaut hat. Auf jeden Fall haben wir eine bessere Leistung gezeigt heute, aber das müssen wie so schnell wie möglich abhaken. Mittwoch geht es gegen Paris und auch da wollen wir alles reinhauen und das Spiel gewinnen.