THW Kiel dreht die Partie in Hannover: 29:27-Erfolg nach packenden 60 Minuten

Bundesliga

THW Kiel dreht die Partie in Hannover: 29:27-Erfolg nach packenden 60 Minuten

Großer Kampf, cool geblieben und einen Vier-Tore-Rückstand gedreht: Der THW Kiel bot am Sonntagnachmittag bei der TSV Hannover-Burgdorf eine großartige Abwehrleistung und gewann vor 6000 lautstarken TSV-Fans in der FAG-Arena von Hannover mit 29:27 (15:13) Toren. Bester Kieler Torschütze war Neuzugang Eric Johansson, der achtmal traf, ihm am nächsten kamen Patrick Wiencek (5) und Harald Reinkind (4 Tore). Für Hannover war Rechtsaußen Maximilian Gerbl mit 8/1 Treffern am erfolgreichsten.

8:2-Lauf in den letzten Minuten

Die Zebras zeigten in einer emotional und hart geführten Partie enorme Nervenstärke und drehten mit einem 8:2-Lauf in den letzten zehn Spielminuten ein Spiel, das eigentlich schon verloren schien. Kapitän Domagoj Duvnjak, der am Donnerstag Vater eines gesunden Sohnes geworden war, sicherte seiner Mannschaft zehn Sekunden vor dem Abpfiff mit einem Traumtor zum 29:27 in den rechten oberen Torwinkel des TSV-Gehäuses den Erfolg. Maßgeblichen Anteil an der Aufholjagd hatte auch Torhüter Tomas Mrkva, der nach 45 Minuten für den guten Niklas Landin gekommen war: Seine fünf Paraden in der Schlussphase halfen dem THW Kiel, zurück in die Partie zu kommen.

Kieler Verletzungspech

Trainer Filip Jicha kämpft zurzeit mit großem Verletzungspech in seinem Team. Miha Zarabec hat's weiter am Rücken, spielte keine einzige Sekunde, und zu den Langzeit-Rekonvaleszenten Sander Sagosen (Sprunggelenk) und Hendrik Pekeler (Achillessehne), gesellte sich kurzfristig auch Rechtsaußen Sven Ehrig, der einen Kreuzbandriss erlitt. Bei den Hannoveranern, mit 6:2 Punkten beachtlich in die Saison gestartet, die die Mannschaft enorm verstärkt haben (Trainer Christian Prokop: "Ich habe meinen Wunschkader zusammenbekommen"), starteten die Zebras konzentriert ins Spiel, begannen in der Abwehr mit der offensiven 3:2:1-Variante und Domagoj Duvnjak als Speerspitze. Das erste Ausrufezeichen im Angriff setzte Kreisläufer Patrick Wiencek, der Quenstedt mit einem Rückhandwurf aus fast aussichtsloser Position zum 1:0 überwand. Niclas Ekberg hatte kurze Zeit später das Glück des Tüchtigen, erwischte seinen verworfenem Strafwurf als Abpraller und versenkte diesen zum 2:1.

Auf und Ab im ersten Durchgang

Brozovic und Gerbl brachten Hannover in Front, Eric Johansson netzte mit seinem ersten Treffer zum 3:3 ein - und so ging es hin und her. Mal lagen die Kieler knapp vorn, mal führte die Mannschaft des ehemaligen Bundestrainers Christian Prokop. Niklas Landin kam schwer ins Spiel, wurde nach seiner Glanzparade gegen Hannes Feise in der 14. Minute dann aber zum gewohnt starken Kieler Rückhalt. Der Doppelschlag von Eric Johansson und Petter Överby brachte Kiel nach 24 Minuten mit 12:11 in Front, ließ Prokop auf den Buzzer drücken: erste Auszeit für Hannover. Sie änderte nichts an Kiels leichter Überlegenheit, Landin parierte kurz vor dem Seitenwechsel zweimal spektakulär gegen Feise und Kuzmanovski, Patrick Wiencek, der vom Kreis traf, und Eric Johansson mit einem Kracher aus dem Rückraum nutzten dann ihre Gelegenheiten zum 15:13. Pausenführung für den Rekordmeister aus dem Norden.

Kieler Fehlstart in Durchgang zwei

Eine Halbzeit, aus der die Hannoveraner dann hellwach zurückkehrten, während die Kieler mit Abschlusspech und Schiedsrichterpfiffen bei angeblichen Stürmerfouls haderten. Die Folge: Hannover glückte der 3:0-Lauf zur eigenen 16:15-Führung. Zweimal Vujovic und Gerbl waren verantwortlich. Schnell verloren die Kieler erneut den Ball, standen aber gut in der Deckung, Rune Dahmke war zur Stelle, glich per Konter zum 15:15 aus. Das Spiel blieb weiter sehenswert, ging hin und her, hatte hohes Tempo, Dynamik, begeisterte die 6000 auf den Rängen. Niclas Ekberg traf in der 38. Minute zum 18:17 und damit zur erneuten THW-Führung. Besonders ärgerlich dann der Siebenmeterpfiff gegen Kiel, als Rune Dahmke angeblich Foul gespielt haben sollte - doch Tomas Mrkva kam erstmals, war zur Stelle, parierte den Siebenmeter von Gerbl. Dennoch: Es kam Sand ins Getriebe der Kieler, Hannover nutzte die Fehler, nach einem 3:0-Lauf legte der TSV erstmals einen Drei-Tore-Vorsprung hin, Karl Wallinius verkürzte in der 47. Minute auf 20:22, aber der Gastgeber machte weiter Druck, lag in der 48. Minute 24:20 vorn, führte durch den Treffer von Vujovic nach 50 Minuten mit 25:21.

All-in nach Vier-Tore-Rückstand

Die Fans, zumindest diejenigen, die zur TSV halten, jubelten, hofften und glaubten an den Triumph über den Favoriten. Filip Jicha reagierte mit der Einwechslung von Tomas Mrvka in der 48. Minute, beorderte seine Abwehr ganz offensiv in die 3-2-1-Formation: "Da sind wir All-in gegangen", sollte Jicha später sagen. Mrkva wurde zwischen den Pfosten zur Wand. Ein weiterer grandioser Rückhandwurf von Patrick Wiencek, der Hammer von Eric Johansson, dazu der Treffer von Petter Överby: Kiel traf dreimal in Folge, der TSV-Vorsprung schmolz in der 52. Minute auf 25:24. Als Mrkva den Ball von Brozovic unschädlich machte, schien der Gleichstand möglich, aber noch hofften die vielen hundert THW-Fans im Rund vergeblich. Dann hatte Gerbl Glück bei seinem Siebenmeter, brachte den Abpraller doch noch an Mrkva vorbei zur 26:24-Führung für den TSV. Alles gelaufen?

Zebras kehren zurück und gewinnen

Mitnichten. Die Kieler 3:2:1-Deckung mit dem unermüdlichen Duvnjak an der Spitze trieb die Gastgeber zu Fehlern, Eric Johansson wuchtete den Ball zum 25:26 in die Hannoveraner Maschen, Patrick Wiencek, glänzend von Domagoj Duvnjak freigespielt, traf zum 26:26, und als Magnus Landin das exakte Johansson-Anspiel zum 27:26 verwertete, lagen die Zebras tatsächlich wieder vorn. 58:14 Minuten waren gespielt, Prokop nahm seine letzte Auszeit. Hannovers folgender Angriff landete dann über dem Kieler Tor, Harald Reinkind antwortete mit Wucht zum 28:26, kurze Zeit später kassierte Magnus Landin eine Zeitstrafe, Kulesh traf dann wenig später zum 27:28. Die Spannung erreichte den Siedepunkt. Filip Jicha nahm 25 Sekunden vor dem Ende die letzte THW-Auszeit, und Domagoj Duvnjak warf wenige Augenblicke später seine ganz Routine und den Siegtreffer zum 29:27 in die Waagschale, riss beide Arme gen Himmel und startete damit den Kieler Jubeltanz.

Donnerstag ist Heimspiel-Tag!

Nach drei schweren Auswärtsspielen in Folge kehren die Zebras am kommenden Donnerstag endlich wieder in heimische Gefilde zurück - und das gleich mit einem absoluten Spitzenspiel in der "Machineseeker EHF Champions League"! Zu Gast ist ab 18:45 Uhr der ungarische Meister Pick Szeged, der in der vergangenen Saison im nationalen Wettbewerb einmal mehr die Nase vor Telekom Veszprem vorn hatte. Das Team von Juan Carlos Pastor ist auf allen Positionen doppelt mit Weltklasse besetzt und wird den Zebras und ihren Fans alles abverlangen. Für die Begegnung gibt es in der THW-FANWELT, bei CITTI und online unter www.thw-tickets.de noch zusammenhängende Sitz- und Stehplätze ab 14 Euro. Weiter geht’s endlich wieder in der Wunderino Arena, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Oliver Vosshage Photography

LIQUI MOLY HBL, 5. Spieltag: TSV Hannover-Burgdorf – THW Kiel: 27:29 (13:15)

TSV Hannover-Burgdorf: Ebner (1 Siebenmeter, 1/1 Paraden), Quenstedt (1.-60., 10/1 Paraden); Vujovic (4), Mävers, Uscins, Pevnov, Kuzmanovski (1), Steinhauser, Michalczik (2), Kulesh (2), Edvardsson, Gerbl (8/1), Brozovic (4), Fischer (3), Feise (2), Büchner (1); Trainer: Prokop
THW Kiel: N. Landin (1.-45., 10 Paraden), Mrkva (45.-60., 6/2 Paraden); Duvnjak (1), Reinkind (4), M. Landin (1), Øverby (2), Weinhold, Wiencek (5), Ekberg (3), Pabst (n.e.), Johansson (8), Dahmke (1), Zarabec (n.e.), Schwormstede (n.e.), Wallinius (1), Bilyk (3); Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Julian Köppl / Dennis Regner
Zeitstrafen: TSV: 3 (Fischer (23.), Uscins (25.), Michalczik (44.)) / THW: 2 (Wiencek (43.), M. Landin (60.))
Siebenmeter: TSV: 2/1 (Mrkva hält Gerbl (38.), Mrkva hält Gerbl, Nachwurf verwandelt (54.)) / THW: 2/0 (Quenstedt hält Ekberg, Nachwurf verwandelt (3.), Ebner hält M. Landin (36.))
Spielfilm: 0:1, 1:2 (3.), 3:2 (7.), 4:5 (10.), 6:5, 9:8 (18.), 9:10, 11:10 (23.), 13:13 (28.), 13:15;
16:15 (33.), 17:16, 17:18 (38.), 19:19 (42.), 22:19 (46.), 22:20, 24:20 (48.), 25:21, 25:24 (52.), 26:25 (55.), 26:28 (60.), 27:29
Zuschauer: 6036 (ZAG-Arena, Hannover)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Wir können sehr froh sein, dass wir heute zwei Punkte mitnehmen können. Es sah definitiv in der zweiten Halbzeit nicht da aus. In der ersten Hälfte haben wir wie Hannover qualitativ guten Handball gespielt, da war es ein sehr gutes Spiel. Das hat Spaß gemacht. Mir wurde aber klar, dass wir heute an unsere absolute Leistungsgrenze gehen müssen, um diese Partie zu gewinnen. Die 0:3-Phase zu Beginn der zweite Hälfte war eine schwere Hypothek, weil es in den Köpfen war, dass wir die schwere Arbeit der ersten 30 Minuten in wenigen Minuten weggeworfen haben. Nach 21:25 konnten wir nur noch all-in gehen, Hannover hat dann zweimal verschossen, wir haben getroffen. Das war ein Spiel, in dem Hannover mehr verdient gehabt hätte. Aus diesem Grund bin ich stolz und froh, dass wir zwei hart erkämpfte Punkte mitnehmen konnten.
Ich möchte diesen Sieg einem unserer jungen Spieler widmen: Sven Ehrig. Die Mannschaft hat ihm versprochen, dass sie ihm zwei Punkte bringt. Wir sind froh, für ihn diesen Sieg geholt zu haben.

TSV-Trainer Christian Prokop: Wir sind heute maximal enttäuscht aufgrund unserer Investition auf dem Parkett und dem, was der Verein mit den Fans auf die Beine gestellt hat. Wir wollten kein zweites Flensburg aus diesem großartigen Rahmen machen, diesen Entwicklungsprozess hat die Mannschaft verinnerlicht. Wir haben als Team gefightet und uns in den gewissen Phasen nicht beeindrucken lassen. Am Ende hatten wir dann aber auch nicht das Wurfglück oder die Abgezocktheit, um die heutige Leistung mit Punkten zu vergolden.

TSV-Geschäftsführer Sven-Sören Christophersen: Ich habe zwei Gefühlslagen: Die Enttäuschung des ehemaligen Leistungssportlers und den Stolz, was die Mannschaft hier vor über 6000 Zuschauern aufs Parkett gebracht hat. Wenn man den Jungs ins Gesicht schaut, sieht man die pure Enttäuschung. Der 2:8-Lauf in den letzten Minuten war auch dem Dauerdruck durch die Kieler 3-2-1 geschuldet, dazu kam ein unglaublich abgezockter Eric Johansson sowie Domagoj Duvnjak, der in Kombination mit Patrick Wiencek die Zügel in die Hand genommen hat.

THW-Torhüter Tomas Mrkva bei Sky: Wir hatten Mitte der zweiten Halbzeit ein Tief, sind aber über die Mannschaftsleistung wieder rangekommen. Am Ende war es ein glücklicher Sieg. Wir wussten, dass wir den Kopf nicht verlieren sollten - und das haben wir auch nicht gemacht.