Derbysieger! THW Kiel gewinnt nach langer Zeit endlich wieder in Flensburg
Der THW Kiel schwimmt auf der Welle des Erfolgs: Drei Tage nach dem 33:32-Triumph über Paris Saint-Germain und dem damit verbundenen Einzug ins EHF Final4 von Köln gewannen die Zebras am Sonntagnachmittag auch das 106. Nordderby in der mit 6300 Zuschauern rappelvollen Flens-Arena bei der SG Flensburg-Handewitt. Die Zebras siegten in einem engen Duell mit 28:27 (13:12) Toren und feierten nach einem erneut hochdramatischen Spiel den 64. Erfolg beim Nordrivalen und ihren ersten LIQUI MOLY HBL-Auswärts-Derbysieg seit Dezember 2017.
Sander Sagosen trifft zehnmal
Damit legten die Kieler vier Punkte zwischen sich und Flensburg, machten im Duell um den so wichtigen Rang zwei in der LIQUI MOLI Handball-Bundesliga einen großen Schritt Richtung Teilnahme an der EHF Champions League 2022/23. Bester Kieler Torschütze war Sander Sagosen, der sich zehnmal in die Scorerliste eintrug, Flensburgs Rechtsaußen Marius Steinhauser traf siebenmal für die Gastgeber. Überragend agierten auf beiden Seiten die Torhüter: Niklas Landin stoppte 12 Bälle der SG-Angreifer, Kevin Möller, der den zuletzt so starken Benjamin Buric nach 15 Minuten im Flensburger Tor ablöste, hielt insgesamt 13 schwere Bälle von Kieler Angreifern. Am Ende eines spannenden, dramatischen und angesichts der Belastung am vergangenen Donnerstag hochklassigen Derbys entschied ein über das Tor gezogener Wurf von Jim Gottfridsson dieses Duell der Nordrivalen.
Ausgelassene Zebras feiern mit ihren Fans
Nach dem Schlusspfiff tanzten die Zebras ausgelassen, während die SG-Spieler um ihren starken Spielmacher Jim Gottfridsson ihre Köpfe hängen ließen. Die kleine, aber lautstarke Schar von gut 150 mitgereisten Kieler Fans sorgte - wie schon während der 60 Minuten - für Heimspiel-Gefühle bei den Schwarz-Weißen, die den Sieg mit der "La Ola" gemeinsam mit ihren Anhängern feierten. THW-Trainer Filip Jicha strahlte derweil übers ganze Gesicht. Der Sieg fühle sich sehr gut an, erklärte Kiels Trainer. „Nach dem Sieg über Paris haben meine Jungs heute eine tolle Woche krönen können. Das lag auch daran, dass sie immer weitergemacht haben, auch, wenn es mal nicht wie geplant lief. In Flensburg zu gewinnen, ist immer großartig. Jetzt freuen sich die Spieler auf ein Belohnungs-Bier im Bus, und morgen ist trainingsfrei.“
Horak rückt in den Abwehrverbund
Weil Kiels Abwehrchef Hendrik Pekeler, der gegen Paris einen Achillessehnenriss erlitt, dem THW mehrere Monate fehlen wird, musste Jicha seinen Abwehrverbund umstellen: An der Seite von Patrick Wiencek stopfte Pavel Horak die Lücke im Mittelblock, der 39-jährige Tscheche löste seine Aufgabe über weite Strecken mit Bravour. Im Angriff setzte der Kieler Trainer in der ersten Halbzeit überraschend auf Nikola Bilyk als Spielmacher. Eine taktische Umstellung, die Flensburgs Abwehr gehörig ins Schwimmen brachte, auch, weil der Österreicher sich überragend ins Kieler Spiel einbrachte, als Passgeber glänzte und auch im Abschluss überzeugte: Dreimal traf der 25-Jährige in den ersten 30 Minuten ins Schwarze, wurde in der zweiten Halbzeit von Miha Zarabec abgelöst, der ebenfalls eine großartige Partie ablieferte.
Lange Kieler Torflaute zum Start
Flensburg fand zunächst besser in die Partie hinein, legte durch Wanne per Siebenmeter und Einarssons Rückraumkracher die 2:0-Führung vor. Fünf Minuten und 28 Sekunden mussten die Kieler Fans warten, bevor Patrick Wiencek den Anschluss herstellte. Niclas Ekberg traf wenig später von Rechtsaußen zum 2:2, beide Male war Sander Sagosen der Passlieferant. Einarsson und Golla stellten auf 4:2, das Rune Dahmke und Sander Sagosen erneut egalisierten. Niklas Landin hatte mit frühen Glanzparaden die Vorarbeiten geleistet. Nikola Bilyk ließ mit seinem Treffer zum 5:5 erstmals aufhorchen, bediente Magnus Landin bei dessen Treffer zum 6:6, und Sander Sagosen traf nach großartigem Anspiel von Harald Reinkind in der 14. Minute zur ersten THW-Führung.
Kieler Pausen-Führung
Es wurde leiser in der Flens-Arena, erst recht, als Nikola Bilyk die Show seiner Spielkunst startete, seine Mitspieler gekonnt in Szene setzte oder selbst traf. So, als er sich einen verloren geglaubten Ball schnappte, das Leder im Nachwurf zur 9:8-Führung ins Flensburger Netz schmetterte. Patrick Wiencek stellte in der 19. Minute mit verwandeltem Tempogegenstoß auf 10:8 für Kiel, führte die erste Zwei-Tore-Führung herbei, Bilyk erzielte per "Stemmer" in der 25. Minute das Kieler 12:10, aber statt einer Kieler 14:11-Führung, die kurz vor der Halbzeitpause möglich gewesen wäre, nutzte SG-Kreisläufer Golla einen THW-Fehler im Abschluss zum 12:13-Pausenstand aus SG-Sicht. Die Partie hatte Fahrt aufgenommen, hielt alle Fans auch in den zweiten 30 Minuten in Atem.
Flensburger drehen die Partie
Diese wurden durch den Treffer von Steinhauser zum 13:13 für Flensburg eröffnet. Kiels Antwort? Der gehaltene Siebenmeter von Niklas Landin, der Hampus Wanne in seinem neunten und letzten Flensburger Jahr die Freude an der Straflinie verdarb. Sander Sagosen und Miha Zarabec brachten den THW auf 15:13 nach vorn. Doch die Flensburger ließen nicht locker. Natürlich: Nordderby! Gingen nach dem insgesamt sechsten Treffer von Sagosen (39.) zum 19:17 in der 45. Minute durch Golla und Steinhauser selbst 22:20 in Führung. Welche eine Dramatik, kaum ein Zuschauer hielt es mehr auf seinem Sitz. Dann aber traf auch Kiels Linkshänder im rechten Rückraum, Harald Reinkind. Zunächst zum 21:22, dann in der 51. Minute zum erneuten Kieler Ausgleich: 23:23. Zwischendurch hatten die Kieler aber auch Glück, weil Wanne erst über das leere Tor zielte und dann einen Gegenstoß vertändelte - aber auch das ist Derby!
Dramatische Schlussphase
Als Niklas Landin wenig später einen "Unhaltbaren" von Jim Gottfridsson aus dem Torwinkel fischte, erntete Kiels Welthandballer die Geste des "Hutziehens". Absender: Jim Gottfridsson selbst. Handball eben. Und eine Szene, die die dramatische Schlussphase mit wechselnden knappen Führungen einläutete. Schließlich jubelte Kiels Bank über Harald Reinkinds 27:26 (58.), Mads Mensah glich wenig später aus, ehe Sander Sagosen im Gegenzug den Ball zum zehnten Mal im Flensburger Tor unterbrachte. War es das? SG-Trainer Maik Machulla nahm bei gespielten 59:14 Minuten seine letzte Auszeit, schwor sein Team auf das jetzt erhoffte Remis ein. Doch wieder und wieder warfen sich Kiels Abwehrspieler dazwischen, machten die Räume eng. Vier Sekunden vor dem Abpfiff dann der letzte Freiwurf für Flensburg: Der Ball landete final bei Gottfridsson - und rauschte oben rechts übers THW-Tor. Derby-Jubel in Schwarz-Weiß, Trauer auf der anderen Seite.
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
LIQUI MOLY Handball-Bundesliga, 31. Spieltag: SG Flensburg-Handewitt – THW Kiel: 27:28 (12:13)
SG Flensburg-Handewitt: Buric (1.-15. und 2 Siebenmeter, 1/1 Parade), Möller (15.-60., 13 Paraden); Adam, Golla (6), Hald, Hasenkamp, Svan, Wanne (2/1), Steinhauser (7), Mensah (2), Sögard (1), Gottfridsson (5), Einarsson (4), Lindskog; Trainer: Machulla
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 12/1 Paraden) Quenstedt (n.e.); Ehrig, Duvnjak, Sagosen (10/4), Reinkind (3), M. Landin (2), Weinhold, Wiencek (4), Ekberg (2), Ciudad (n.e.), Dahmke (1), Zarabec (3), Horak, Bilyk (3); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Ramesh Thiyagarajah / Suresh Thiyagarajah
Zeitstrafen: SG: 3 (2x Hald (5., 55.), Steinhauser (36.)) / THW: 4 (2x M. Landin (8., 21.), Weinhold (22.), Sagosen (42.))
Siebenmeter: SG: 2/1 (Landin hält Wanne (33.)) / THW: 5/4 (Buric hält Ekberg (4.))
Spielfilm: 2:0 (5.), 2:2 (7.), 4:2, 4:4 (11.), 6:6 (13.), 8:8 (16.), 8:10 (19.), 11:13 (28), 12:13;
13:13 (31.), 13:15 (33.), 15:15 (34.), 15:17, 18:20 (40.), 22:20 (45.), 23:21 (45.), 23:23 (51.), 25:24, 25:26 (57.), 27:28
Zuschauer: 6300 (ausverkauft) (Flens Arena, Flensburg)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Das ist ein sehr emotionaler Moment für mich. Ich bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, in Flensburg zu gewinnen. Beide Mannschaften haben am Donnerstag im Champions-League-Viertelfinale unglaublich viel Kraft gelassen, deshalb ein Kompliment an beide Teams, solch ein Nordderby auf die Platte gezaubert zu haben. Es war ein komplett ausgeglichenes Spiel, in dem beide Seiten hätten gewinnen können. Wir hatten am Ende ein Tor mehr als Flensburg, deshalb bin ich überglücklich. Es ist etwas Besonderes, hier zu gewinnen.
SG-Trainer Maik Machulla: Ich bin emotional genau das Gegenteil von Filip, sehr enttäuscht. Unser Ziel war es natürlich, dieses Spiel zu gewinnen mit unseren Zuschauern, die die Müdigkeit der letzten Woche wettmachen können. Beide Mannschaften haben – vor allem, wenn man den letzten Donnerstag berücksichtigt, ein klasse Derby gezeigt. Von der taktischen Einstellu ein klasse Derby gezeigt. Von der taktischen Einstellung her, von der Energie auf der Platte – beide Mannschaften haben bis zur letzten Sekunde gekämpft. Der THW Kiel ist seit Wochen in einer unglaublichen Form, dass wir gegen diese Mannschaft in der zweiten Halbzeit soviel Druck machen können, hat mich beeindruckt. Allerdings haben zwei Situationen von Hampus Wanne – der Wurf über das leere Tor und die fehlende Kontrolle beim Gegenstoß – dazu geführt, dass wir diesen Druck auf die Kieler nicht noch größer werden lassen konnten. Am Ende war es dann ein Kampf um jedes Tor, jeden Zentimeter, den der THW Kiel nach einem hochklassigen und dramatischen Derby für sich entscheiden konnte.