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KN: 17-Tore-Wahnsinn

Bundesliga

KN: 17-Tore-Wahnsinn

Kiel. Da sind sie, die ersten Big Points des THW Kiel in der noch jungen Handball-Bundesliga-Saison. Am Donnerstagabend spielen sich die Zebras gegen die MT Melsungen phasenweise in einen Rausch und siegen am Ende hochverdient mit 37:20 (19:10, siehe THW-Spielbericht). Der Lohn eines "tollen Abends" (Sportlicher Leiter Viktor Szilagyi): Der Sprung auf Platz vier der Tabelle.

Der THW Kiel spielt sich in einen Rausch

Schon vor der zum Schlüsselspiel stilisierten Partie der beiden Verfolger war klar: Gewinnen würde am Ende das Team mit dem wirkungsvollsten defensiven Punch. Nach knapp vier Minuten, nach einem 2:0 Hendrik Pekelers (3.), das Finn Lemke (2,10 Meter) und Philipp Müller (1,96 Meter) wie Pappkameraden dastehen lässt, und einem 3:0 Lukas Nilssons so präzise wie mit dem Joystick an der Spielekonsole ist klar: Dieses Team wird an diesem frischen 27. September der THW Kiel sein.

Nach dem 7:1 (wunderbares Anspiel von Domagoj Duvnjak auf Magnus Landin; 11.) brandet Applaus auf, erfassen Standing Ovations das weite Rund der ausverkauften Arena. Im Angesicht der sich in scharfen Konturen abzeichnenden Niederlage greift MT-Coach Heiko Grimm tief in die Ideenkiste. Ab jetzt zieht er fast permanent den Torwart von seinem Gehäuse-Arbeitsplatz ab, bringt den siebten Feldspieler, lässt Linkshänder Michael Müller aus dem Rückraum an den Kreis auflösen, mit Mikkelsen, Lemke, Kühn drei Rechtshänder im Rückraum das Geschehen bestimmen. Doch der "kollektive Blackout" (MT-Trainer Heiko Grimm) der Nordhessen nimmt seinen Lauf. Was der THW in seiner 3:2:1-Deckung mit Duvnjak an der Spitze spielt, ist nicht weniger als Weltklasse. Besonders der kroatische Kapitän der Zebras selbst ist Weltklasse, ist "wieder der alte Duvnjak", wird Alfred Gislason später sagen. Melsungen verliert die Bälle, verdribbelt sich, wirft ins Aus oder - Lasse Mikkelsen mit dem Halbzeitpfiff - zur "Eckfahne". Da ist die Partie beim Stande von 19:10 längst entschieden.

Weil die Zebras torhungrig sind, vorne aus dem Positionsspiel heraus nach Belieben treffen, aber auch für die Außen abräumen. Aber auch, weil das leere Tor der MT nach desaströsen Fehlern der Gäste und THW-Ballgewinnen zum beliebten Ziel Kieler Würfe wird. Ganz kleinlaut, aber bemerkenswert ehrlich gesteht Heiko Grimm ein: "Wir hatten mit einer 6:0-Deckung gerechnet, hatten die offensive Abwehr nicht vorbereitet, uns verunsichern lassen." 1:0 Gislason; da ist er, der defensive Punch.

Ein Punch, der schnell zum Knock-out führt. Dieses Mal leistet sich der Rekordmeister keine Schwächephase, keine ominösen 15 Minuten, lässt den Gegner nicht herankommen, sondern im Netz zappeln wie eine einsame Forelle. "Irgendwann wollten die in der Nähe von Duvnjak und Nilsson schon nicht mehr dribbeln - das war ein psychologischer Vorteil", sagt Gislason. Michael Müller - Symbol für das MT-Unvermögen an diesem Abend - muss Simon Birkefeldt weichen. Doch auf diesem Spielfeld geht heute nichts für die Hessen. Zwischen dem 23:13 (37.) und 28:13 (45.) sieht das so aus: Schlagwurf Bilyk (37.), Tor Magnus Landin (39.), Tempogegenstoß Bilyk (40.), Kempatricktor Duvnjak nach feinem Anspiel von Weinhold (41.), Dreher Nilsson (45.). So fühlt sich Demütigung, Demontage an. "Ich habe mich geschämt", sagt Axel Geerken, Ex-Zebra und MT-Geschäftsführer. Weiter fußt alles auf Niklas Landins Paraden, die so flockig leicht aussehen wie im Training. Landin gegen Ignatow (49), Landin gegen Kunkel (52.), irgendein Arm, ein Bein ist immer im Weg. Gislason genießt den Rausch, lacht herzhaft an der Seitenlinie, lässt allein sechs Spieler an diesem Abend auf der Bank schmoren. "Ich wollte keinen Bruch, es lief wie geschmiert. Das ist Mannschaftssport, am Sonntag spielen wieder andere", sagt der Isländer. Der letzte Punkt dieses 17-Tore-Wahnsinns gelingt Hendrik Pekeler. Symptomatisch: Der Kieler Kreisläufer trifft das leere Tor der MT an einem Abend, an dem den Zebras fast alles gelingen wollte.

(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 28.09.2018, Foto: Archiv/Sascha Klahn)

Stimmen zum Spiel in den Kieler Nachrichten

Alfred Gislason, THW-Trainer, in den KN: Wir standen in den letzten Tagen schon sehr unter Druck, darum freue ich mich sehr. Unsere 3:2:1 hat überragend funktioniert, Niklas Landin hat 50 Prozent der Bälle in Zusammenarbeit mit der Abwehr gehalten. Das hat uns Selbstvertrauen und Druck nach vorne gebracht. Einige waren überragend. Wer? Duvnjak, Landin, Weinhold, Pekeler, Bilyk, Nilsson, Ekberg ...

Heiko Grimm, Melsungen-Trainer, in den KN: Um zu wissen, wie dieser kollektive Blackout meiner Mannschaft zustande kommt, müsste ich mehr Psychologe sein. Über 60 Minuten wurde es heute nicht besser. Das war unangenehm. Dabei wollten wir es hier in Kiel mit Lockerheit und Esprit angehen. Und die Erkenntnis dieses Abends ist schließlich, dass das so eben nicht funktioniert.

Nikola Bilyk, THW-Rückraumspieler, in den KN: Es hat vielleicht perfekt ausgesehen, aber wir haben trotzdem Fehler gemacht. Aber dann war Niklas (Torhüter Landin, d. Red. ) da. Er war überragend. Als es dann 7:1 stand, hatten wir schon ein gutes Gefühl. In der Kabine haben wir uns vorgenommen, mal richtig durchzuziehen und sind in die zweite Halbzeit genau wie in die erste reingegangen.

Tobias Reichmann, MT-Rechtsaußen, in den KN: Ich würde am liebsten heulen. Wir haben dem THW über 60 Minuten ein gutes Trainingsspiel geboten. Wir haben ihm Bälle in die Hände geworfen, ihm einfache Tore geschenkt. So gewinnt man nicht mal in der Zweiten Liga. Ich habe keine Ahnung, was das war - aber Handball war es bei weitem nicht. Es war eine Katastrophe. Hinten und vorne - einfach nur erbärmlich.

Steffen Weinhold, THW-Rückraumspieler, in den KN: Wir wollten die 3:2:1-Deckung spielen, hatten geahnt, dass sie Melsungen vor Probleme stellen würde. Dann sind wir schnell durch zwei, drei Ballgewinne mit sechs Toren davongezogen - da lässt es sich leichter spielen. Allerdings: Hätten die MT-Torhüter am Anfang ein paar Bälle mehr gehalten, hätte auch alles ganz anders aussehen können.