
Kieler Mentalitätsmonster holen Auswärtspunkt beim heimstarken VfL Gummersbach
Was für ein Spiel, was für ein Kampf, welch' eine Dramatik: Der Bundesliga-Kracher zwischen dem VfL Gummersbach und dem THW Kiel bot am Donnerstagabend in der mit 4132 euphorischen Fans ausverkauften Schwalbe-Arena in Gummersbach alles, was das Handball-Herz begehrt. Die Zebras entpuppten sich nicht einmal 48 Stunden nach der Heimpartie gegen Ostrow Wielkopolski und in Spiel fünf in zwölf Tagen als wahre Mentalitätsmonster. Am Ende einer Partie, in der den Kielern bei Pfostentreffern und Abprallern das Glück nicht hold war und sie lange Zeit in Unterzahl aggieren mussten, trennten sich die beiden Mannschaften in der DAIKIN Handball-Bundesliga unentschieden. Nach einer nervenraubenden Schlussphase, in der die Kieler mit zwei Toren zurücklagen, gewannen sie beim 25:25 (15:13)-Unentschieden einen wichtigen Punkt.
á Skipagötu übernimmt Verantwortung
Die Zebras feierten ihren Färinger Turbo Elias Ellefsen á Skipagötu, dessen Motor in den ersten 50 Minuten von der brettharten Gummersbacher Abwehr unsanft ausgebremst wurde. Aber in der entscheidenden Phase übernahm er wieder Verantwortung, drehte in den letzten zehn Minuten auf und traf dreimal. In den letzten fünf Sekunden der Partie war es á Skipagötu, der den Ball zum hochverdienten 25:25 in die VfL-Maschen wuchtete. Vfl- Kreisläuder Vidarsson, der in der Schlussphase mit zwei Riesen-Chancen am starken Andreas Wolff und den eigenen Nerven gescheitert war, warf den Anwurf über das leere Tor - die Kieler rissen die Arme hoch, während die VfL-Fans kurze Stille einkehren ließen und dem Kieler Fanblock den Jubel überließen. Die Zebras kämpften auch im dritten Spiel innerhalb von fünf Tagen um jeden Zentimeter Hallenboden, ließen sich nicht unterkriegen, als in der Schlussphase nicht alles nach Wunsch lief.
"Gefühlt das halbe Spiel in Unterzahl"
Sie überstanden die Riesen-Druckphase der Gastgeber zu Beginn des Spiels, als sie - angetrieben von Bald-Kieler Julian Köster - den THW Kiel überrollen wollten. Großer Rückhalt: Andreas Wolff, der in den entscheidenden ersten und letzten Minuten wichtige Bälle aufhielt. Ein weiterer Rückschlag war die frühe zweite Zeitstrafe gegen den bärenstarken Veron Nacinovic, noch einer die Rote Karte gegen Lukas Laube. Der Schweiter traf Köster unabsichtlich an der Schulter, sah trotzdem rot (54.). Da durch die Verletzung von Petter Överby kein weiterer Kreisläufer im Kader stand, schlug die Stunde von Kapitän Domagoj Duvnjak: Er übernahmLaubes Part, die Zebras rückten noch mehr zusammen. Auch als Harald Reinkind zwei Minuten vor Schluss ebenfalls fragwürdig mit einer Zeitstrafe vom Feld geschickt wurde. "Wir laufen fast das gesamte Spiel hinterher“, analysierte THW-Linksaußen Rune Dahmke, "waren gefühlt das halbe Spiel in Unterzahl gegen eine Gummersbacher Mannschaft, die mit ungeheurer Intensität gespielt hat. Aber wir haben gegengehalten. Großartig war, dass Elias in der Schlussphase Verantwortung übernommen hat, da war, als er gebraucht wurde. Das zeigt wo er inzwischen steht, welche Entwicklung er gemacht hat."
Kieler ohne vier gegen VfL in Bestbesetzung
Die vier verletzten Kieler Spieler Överby, Gonzalo Perez de Vargas, Hendrik Pekeler und Emil Madsen sahen vor dem TV eine hinreißende erste Halbzeit. In der demonstrierte zunächst der in Bestbesetzung angetretene VfL Gummersbach eindrucksvoll seine bekannte Heimstärke: Von den letzten 15 Heimspielen verloren sie nur eines gegen den Champions-League-Sieger aus Magdeburg, in dieser Saison gewannen sie bis dato alle Partien in der Schwalbe-Arena. Die Zebras hatten vor allem Probleme gegen die dichtgestaffelte Gummersbacher Abwehr, aber auch Pech mit Holztreffern.So traf Eric Johansson, mit sechs Treffern bester Torschütze der Zebras, nach 30 Sekunden den Pfosten. Auf der anderen Seite war es vor allem Kapitän Köster, der dem Spiel seiner Gummersbacher den Stempel aufdrückte. Er erzielte zunächst mit einem Sprungwurf das 1:0 erzielte, spielte per frechem Dreher Vidarsson glänzend zum 2:1 an netzte in der 5. Minute zum 3:1 ein. Die Schwalbe-Arena kochte früh auf hohen Temperaturen, war der gewohnt lautstarke, Druck machende und damit großartige Rückhalt für das Heimteam.
Gummersbach will den THW Kiel überrollen
Und der THW? Die Rückraum um Mittelmann Elias Ellefsen á Skipagötu rannte sich zunächst weiter im dichten Abwehrgestrüpp fest, lediglich Johansson fand in der Anfangsphase Löcher, traf zum 2:4 und 3:5 in der neunten Minute. Gut, dassWolff ebenfalls von Beginn an Bestform abrief, starke Paraden gegen Smits, Einarsson, Schluroff und Häseler zeigte, die Zebras auf Tuchfühlung hielt. Die Abpraller landeten aber oft auf Umwegen wieder beim VfL - hier fehlte den Zebras ein Stückweit die Spritzigkeit angesichts des kleinen Kaders und der hohen Spiel- und Reisebelastung der vergangenen zwei Wochen. Johansson blieb anfangs Alleinunterhalter im THW-Angriff, auch wenn der Schwede ebenfalls nicht ohne Fehler blieb. Aber er nahm sich ein Herz und verkürzte in der neunten Minute mit seinem dritten Treffer zum 3:5. Die Gastgeber, getragen von der großartigen Arena-Atmosphäre, setzten sich auch nach Laubes-Hinter-dem-Rücken-Wurf-Traumtor weiter ab, profitierten vom starken Rückraum um Köster, Schluroff oder Smits, lagen nach 15 Minuten mit 9:5 in Front.
Zwei-Tore-Rückstand zur Pause
Filip Jicha reagierte sofort, ließ fortan offensiv 3:2:1 mit Domagoj Duvnjak als Speerspitze decken. Im Angriff brachte Nikola Bilyk Rückraum-Druck: Der Österreicher traf zweimal sehenswert, war ein guter Antreiber, außerdem glänzte Johansson mit Torgefahr aus dem Rückraum. Der Doppelschlag des Schweden brachte die Zebras nach 22 Minuten auf 9:11 heran. Jicha sah dann kurz vor dem Wechsel die gelbe Karte. Grund? Die Zeitstrafe gegen "Dule", der seinen Gegenspieler nicht berührte, dann aber kopfschüttelnd Richtung Bank laufen musste. Doch die Zebras ließen sich nicht beirren: Veron Nacinovic schnappte sich gedankenschnell einen Abpraller, verkürzte auf 13:14, nach Kodrins Treffer zum 15:13 wurden die Seiten gewechselt.
Zebras gehen erstmals in Führung
Johansson eröffnete die Torjagd der zweiten Hälfte mit seinem sechsten Treffer zum 15:14, der Stoß gegen ihn wurde allerdings nicht geahndet. Auch Reinkind zeigte Präsenz, drosch den Ball zum 15:16 in die VfL-Maschen, und als Nikola Bilyk in der 40. Minute nur per Foul zu bremsen war, verwandelte Lukas Zerbe den fälligen Siebenmeter nervenstark zum 17:17. Der lang ersehnte Ausgleich wirkte wie ein Brustlöser: Die THW-Abwehr packte jetzt noch bissiger zu, auch in der Rückwärtsbewegung sammelten die Kieler Pluspunkte. Die Folge: Rune Dahmke traf zur ersten Kieler Führung, verwandelte das Anpiel von á Skipagötu zum 18:17. Vujovic glich per Siebenmeter aus, Harald Reinkind konterte, die letzte THW-Führung in der Partie erzielte dann Nikola Bilyk: 20:19 in der 45. Minute. Alles war bereitet für die grandiose, spannungsgeladene Schlussphase.
Endspurt zum Punktgewinn
Und die begann erneut mit einer fragwürdigen Zeitstrafe gegen "Dule", weil Köster tief in seine Hand fiel. Von den letzten zehn Minuten spielten die Kieler sechs in Unterzahl, der Doppelschlag von Smits brachte den VfL wieder in Front. 23:21 hieß es nach 51 Minuten. Jicha rief erneut zur Auszeit, Lukas Zerbe ließ einen Tempogegenstoß ungenutzt, Harald Reinkind warf nach Laube-Steal gar übers leere VfL-Tor. Doch im THW-Kasten gab's Hilfe für die leidenschafttlich kämpfende THW-Defensive: Wolff parierte Köster, war auch gegen Häseler erfolgreich. Dann platzte der Knoten bei Mittelmann á Skipagötu: Der Färinger netzte nach gelungenem Solo zum 22:23 ein. Es folgte die Rote Karte gegen Lukas Laube, Häseler erhöhte auf 24:22, Filip Jicha nahm die letzte Auszeit. "Riskiert alles, wir haben nichts zu verlieren.“ Gesagt, getan: Zerbe verwandelte auch den dritten Siebenmeter sicher, und als Schluroff seine Farben zum 25:23 warf, alle im Rund an den VfL-Sieg glaubten, kamen die letzten Glanzminuten des THW Kiel - die Zebras bejubelten das Unentschieden, die Arena verstummte.
Nationalmannschaft-Woche voraus
Nach der Terminhatz der vergangenen Wochen mit fünf Spielen in zwölf Tagen ist für die vielen Nationalspieler des THW Kiel vor der Nationalmannschafts-Woche: Bis auf Domagoj Duvnjak, Rune Dahmke, Youngster Jesse Dahmke sowie die verletzten Petter Överby, Gonzalo Perez de Vargas, Emil Madsen und Hendrik Pekeler werden alle Kieler Handballer im Einsatz für ihre Heimatländer sein. Ein geordneter Trainingsbetrieb wird also nicht möglich sein, ersetzt wird dieser durch individuelle Trainings- oder Reha-Einheiten. Nach der Nationalmannschafts-Zeit geht es für die Kieler direkt weiter mit dem Wahnsinns-Programm: Am Montag, 3. November, wird die Zebraherde abends erstmals wieder im Trainingszentrum zusammen sein, am Mittwoch steht dann das DHB-Pokal-Achtelfinale in Balingen an. Weiter geht’s Anfang November auf der Schwäbischen Alb, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: VfL/Photo Ising
DAIKIN Handball-Bundesliga, 10. Spieltag: VfL Gummersbach - THW Kiel: 25:25 (15:13)
VfL Gummersbach: Kuzmanovic (1.-60., 10 Paraden), Obling (1 Siebenmeter, keine Parade); Gomes, Vidarsson (3), Kodrin (3), Vujovic (2/2), Köster (5), Häseler (3), Einarsson (1), Schuroff (4), Mahé, Pregler, Horzen, Kiesler, Smits (4), Zeman; Trainer: Sigurdsson
THW Kiel: Nowottny (n.e.), Wolff (1.-60., 13 Paraden); Duvnjak , Reinkind (3), Landin, J. Dahmke (n.e.), Laube (2), Johansson (6), Ankermann (n.e.), R. Dahmke (2), Zerbe (4/3), Bilyk (3), á Skipagötu (3), Imre (n.e.), Nacinovic (2); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Leonard Bona / Malte Frank
Zeitstrafen: VfL: 3 (Zeman (16.), Smits (22.), Kiesler (56.)) / THW: 6 (á Skipagötu (14.), 2x Nacinovic (20., 29.), 2x Duvnjak (24., 49.), Reinkind (57.))
Rote Karte: Laube (THW, grobes Foulspiel (54.))
Siebenmeter: VfL: 2/2 / THW: 3/3
Spielfilm: 1:1 (1.), 4:1 (5.), 6:3 (11.), 6:5 (12.), 9:5 (15.), 9:7 (17.), 11:7 (21.), 11:9 (22.), 14:11 (26.), 14:13 (28.), 15:13;
2. Hz.: 15:14 (32.), 17:15 (37.), 17:18 (42.), 19:20 (45.), 21:20 (47.), 23:21 (50.), 24:22 (54.), 25:23 (57.), 25:25.
Zuschauer: 4132 (ausverkauft) (Schwalbe-Arena, Gummersbach)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Wir haben ein sehr intensives Bundesligaspiel gesehen. Wer heute etwas anderes erwartet hatte, ist irgendwie aber auch fehl am Platz. Ich bin sehr zufrieden, wie meine Mannschaft in dieser Woche gearbeitet und wie sie heute die ganz kritische Phase überstanden hat. Wir sind trotz des VfL-Dauerdrucks ruhig geblieben. Wir waren die Mannschaft, die den Abprallern hinterhergelaufen ist. Allein vier, fünf dieser Bälle landeten wieder beim Gegner. Wir waren die Mannschaft, das dank der unglaublichen Präsenz der Gummersbacher viel in Unterzahl agieren mussten. Und wir waren die Mannschaft, die sieben bis acht Technische Fehler produziert hat. Normalerweise verlierst du dann hier bei dieser unglaublich heimstarken Mannschaft. Aber wir haben auch nach der roten Karte gegen Lukas Laube weiter daran geglaubt, die Crunshtime für uns gestaltet und uns mit einem Punkt belohnt. Es hat mich gefreut, wie Elias in der Crunshtime Verantwortung übernommen hat. Es war ein schweres Spiel für ihn, die Gummersbacher Abwehr hat ihm das Leben richtig schwer gemacht. Es ist schön, seine Entwicklung zu sehen. Ein großes Lob an meine gesamte Mannschaft!
VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson : Es war ein tolles Spiel mit zwei starken Teams, zwei sehr starken Abwehrreihen und zwei starken Torhütern. Unsere 50-Prozent-Quote im 6:5-Überzahlspiel war sehr, sehr teuer in diesem Spiel. Wir sind schlecht ins Tempospiel gekommen und haben uns von der Kieler 3-2-1-Deckung irritieren lassen, wodurch uns die Tiefe gefehlt hat. Die erste Halbzeit war eine gute, wir haben gut gedeckt und waren effektiv. Dann geht Kiel in Führung. Am Ende tut es weh, wenn du mit zwei Toren führst und zwei freie Chancen hast, die aber nicht reinmachst. Aber wir haben es nicht geschafft, den Sack zuzumachen. Gegen Kiel mit dieser Qualität muss man da einfach zugreifen, denn so eine Chance bekommt man nicht so oft.













