Riesen-Kampf wird nicht belohnt: Zebras verlieren in Barcelona
Es hat Gründe, warum Barça in der Machineseeker EHF Champions League seit 1993 erst neun Heimspiele verloren hat. Immer hatten die Katalanen starke Mannschaften, die einen überragenden Handball spielen. Aber klar - es kommt die Atmosphäre im Palau Blaugrana hinzu. Diese hitzige Stimmung, die Hektik auf dem Feld verursacht. Bei der 24:26 (13:13)-Niederlage des THW Kiel beim Rekordsieger der Königsklasse am Mittwochabend konnte man dann noch einen weiteren, von Barca und dem THW Kiel nicht zu beeinflussenden Grund kennenlernen - einige umstrittene Schiedsrichterentscheidungen wie schon in der Vorwoche beim 30:30-Remis in Kiel. Zum Leidwesen des THW-Anhangs - 40 schwarz-weiße Fans waren ans Mittelmeer gereist und unterstützten ihr Team nach Leibeskräften - belohnten sich die Zebras nicht für einen couragierten Auftritt, der das Zeug zum Erfolg in Barcelona gehabt hätte, wenn sie etwas mehr Konsequenz im Abschluss gezeigt hätten. Aber Sport erlaubt keine Konjunktive - und so jubelten die blau-roten Fans über einen Sieg, bei dem die Kieler bis zur 51. Minute durchweg die Nase vorn gehabt hatten.
Ekberg bester Torschütze
"Schade", sagte Kiels Kreisläufer Petter Överby, "in einem Spiel auf absoluter Augenhöhe haben wir sehr unglücklich verloren. Wir haben gekämpft, alles gegeben." Niclas Ekberg war mit fünf Treffern bester Torschütze für die Zebras, Harald Reinkind und Nikola Bilyk trafen je viermal. Bei Barca überragte der Slowene Domen Makuc, der insgesamt sechsmal traf. Eine Hauptrolle nahmen - leider erneut - auch die Unparteiischen ein: Hatten den Katalanen merkwürdige Pfiffe schon im Spiel in Kiel geholfen, so war die Regelauslegung von Charlotte und Julie Bonaventura zumindest diskussionswürdig. Schon nach wenigen Ballkontakten hoben sie die Arme wegen Zeitspiel – allerdings fast nur, wenn sich weiße Trikots im Angriff befanden. Hinzu kam die Verteilung der Zeitstrafen: Während die Kieler insgesamt siebenmal auf die Strafbank mussten, erwischte es Barca nur einmal. "Krönung" war dann die Rote Karte gegen Patrick Wiencek in der entscheidenden Phase vor dem Abpfiff. Domen Makuc rannte in den Kieler hinein - und Wiencek sah Rot, Kiels Abwehr-Ass verließ kopfschüttelnd das Parkett, die Partie war in Unterzahl entschieden. "Das heute war sehr bitter, Barca war heute schlagbar, aber einige Pfiffe gegen uns waren schon komische", ärgerte sich Wiencek, um zu ergänzen: "Wir hätten es aber heute auch selbst hinbekommen können, einiges ging aber schief."
Starker Start der Zebras
Aber von vorn: THW-Trainer Filip Jicha hatte zwar seine lange verletzten Sorgenkinder, Hendrik Pekeler, Sander Sagosen und Magnus Landin, im europäischen Topspiel wieder dabei, musste jetzt aber auf den starken Steffen Weinhold verzichten, der gegen Gummersbach eine Teilruptur des hinteren Kreuzbandes erlitt. Zudem fehlten weiterhin Eric Johansson (Mittelhandbruch) und Sven Ehrig (Kreuzbandriss). Doch auch die dezimierte THW-Mannschaft, in der die Comebacker Pekeler und Sagosen natürlich noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Leistungsfähigkeit sind, startete klasse in die Partie. Allen voran Torhüter Niklas Landin. Parade gegen Dika Mem, vorne veredelt durch das 1:0 von Harald Reinkind. Siebenmeterparade gegen Gomez, anschließend gegen Kreisläufer Fabregas, vorne traf Bruder Magnus Landin, 2:0. Vierte Minute: Glanzparade gegen Dika Mem, Nikola Bilyk war zur Stelle, traf zum 3:0. Die Zuschauer verstummten, und auch die Stars von Barca wirkten vorübergehend verunsichert.
Kieler verpassen deutlichere Führung
Barcelona produzierte in der Folge viele technische Fehler, Ballverluste. Doch die Kieler nutzten die Geschenke nicht oft genug, hatten Pech mit Latten- und Pfostentreffern in Serie, außerdem steigerte sich auch Torhüter Perez de Vargas, hielt in der ersten Halbzeit neun schwere Würfe der Kieler auf. Zweimal Mem und Gomez waren zur Stelle: Ausgleich zum 3:3 nach zehn Minuten. Harald Reinkind hielt aber dagegen, traf gekonnt zum 5:4 und 6:5. Der Rest der ersten Halbzeit ist schnell erzählt: Der THW kämpfte unermüdlich, legte vor, versäumte aber, einen höheren Vorsprung herauszuwerfen, so blieb Barca in einem Duell der vergebenen Tormöglichkeiten dran: Der Ex-Flensburger Hampus Wanne glich die Kieler 13:12-Führung von Nikola Bilyk aus. Bei Halbzeit stand es 13:13.
Neun Minuten Barca-Torflaute
Kurios war dann der Start beider Teams in den zweiten Abschnitt. Niklas Landin und Perez de Vargas nagelten jeweils ihr Tor für Minuten zu. Landin hielt gegen Wanne, Mem, Gomez. Dann brach Rune Dahmke den Bann, traf in der 36. Minute zum 14:13, und weil sich die Katalanen auch weiterhin die Zähne an der THW-Abwehr ausbissen, an Landin scheiterten, sogar das leere Tor weit verfehlten, verwandelte Niclas Ekberg auch seinen dritten Siebenmeter zum 15:13 in der 37. Minute. Barca-Trainer Carlos Ortega griff zur Auszeit, ereiferte sich. Zwar scheiterte Wanne völlig frei vor Landin erneut am Pfosten, dann aber traf Gomez in Überzahl "endlich" ins Kieler Tor. Ins leere! 39 Minuten waren gespielt 15:14 für den THW. Jetzt folgte die beste THW-Phase, Nikola Bilyk schmetterte den Ball zum 17:16 an Perez de Vargas vorbei, Niklas Landin stoppte den Siebenmeter von Wanne, Kapitän Domagoj Duvnjak traf vom Kreis, und als Niclas Ekberg auch den vierten Siebenmeter nervenstark verwandelte, lagen die Kieler in der 44. Minute mit 19:16 vorne, befanden sich auf einem tolle Kurs Richtung Punktgewinn.
Kraftverlust und ein bitteres Ende
Doch ihnen war auch der zunehmende Kraftverlust anzumerken, und durch Miha Zarabec Wadenmuskel-Zerrung blieben auch nur noch wenige Wechseloptionen. Zudem steigerte sich die frische Barca-Abwehr und erzwang technische Fehler der Kieler. Ballverluste und der jetzt überragend agierende Makuc brachten die Hausherren Stück für Stück wieder heran. Auch mit Unterstützung fragwürdiger Pfiffe der Schiedsrichterinnen, die den THW Kiel im zweiten Durchgang allein elf Minuten in die Unterzahl zwangen. 20:20 hieß es nach 47 Minuten. Nach grandiosem Zuspiel von Harald Reinkind überlistete Hendrik Pekeler den Barca-Keeper dann mit einem großartigen Dreher, es war der Auftakt zu einer turbulenten Schlussphase: Langaro erzielte in der 50. Minute den ersten Führungstreffer für Barcelona, Niclas Ekberg und Rune Dahmke konterten in der 53. Minute zum 23:22. Barcas Antwort? Ein 3:0-Lauf zur eigenen 25:23-Führung. Zwei Minuten vor dem Abpfiff sah Wiencek dann Rot für ein Stürmerfoul von Makuc, in Unterzahl ging es für die Zebras in die alles entscheidenden Sekunden: Nikola Bilyks Treffer zum 25:24 ließ kurz Hoffnung aufkeimen, doch N'Guessan setzte den Schlusspunkt hinter ein Spiel, in dem sich die Zebras für ihre Leistung nicht belohnten. Aber es hat Gründe, warum Barca ... irgendwie passte dazu auch, dass Landin am finalen Wurf der Gastgeber dran war, den Treffer aber nicht verhindern konnte ...
Sonntag in Wetzlar
Nach der Rückkehr von der Mittelmeerküste am frühen Donnerstagabend satteln die Kieler beinahe schon den Mannschaftsbus für die Fahrt nach Wetzlar, wo die Zebras am Sonntag ab 14 Uhr (live bei Sky) zum ersten Mal seit Oktober 2019 bei der HSG wieder doppelt punkten wollen. Das nächste Heimspiel ist dann nicht mehr weit: Am Donnerstag, 8. Dezember (18:45 Uhr) kommt es zum direkten Duell um die Platzierungen in der Gruppe B gegen das starke Team von HBC Nantes. Bei CITTI, in famila-Märkten mit Ticketservice, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de gibt es für die Partie noch Eintrittskarten ab 14 Uhr. Weiter geht’s in Wetzlar, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Barça
Machineseeker EHF Champions League, 8. Spieltag: Barça – THW Kiel 26:24 (13:13)
Barça: Perez de Vargas (1.-60., 17 Paraden), Nielsen (2 Siebenmeter, keine Parade); Carlsbogard, Mem (4), Arino (3), Wanne (3/1), Janc (1), N’Guessan (3), Gomez (3), Petrus, Cindric, Makuc (6), Langaro (1), Richardson (1), Fabregas (1), Frade; Trainer: Ortega
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 13/2 Paraden), Mrkva (n.e.); Duvnjak (1), Sagosen (1), Reinkind (4), M. Landin (1), Øverby, Wiencek, Ekberg (5/5), Pabst (n.e.), Fraatz (1), Dahmke (2), Zarabec, Wallinius (1), Bilyk (4), Pekeler (3); Trainer: Jicha
Schiedsrichterinnen: Charlotte Bonaventura / Julie Bonaventura (FRA)
Zeitstrafen: Barça: 2 (Gomez (20.), Janc (50.)) / THW: (7 (2x Pekeler (11., 53.), Duvnjak (19.), Sagosen (30.), 2x Øverby (38., 42.), Dahmke (40.))
Disqualifikation: Wiencek (Foulspiel (59.))
Siebenmeter: Barça: 3/1 (Landin hält Gomez (2.) und Wanne (40.)) / THW: 5/5
Spielverlauf: 0:3 (4.), 3:3 (9.), 5:5, 7:7 (15.), 7:9 (17.), 9:9 (20.), 10:11 (24.), 12:13 (30.), 13:13;
13:15 (37.), 14:16, 16:16 (40.), 16:19 (43.), 18:19 (45.), 20:21 (48), 22:21 (50.), 22:23 (53.), 25:23 (56.), 25:24 (59.), 26:24.
Zuschauer: 5000 (Palau Blaugrana, Barcelona)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Wir wussten, dass das ein enorm schweres Spiel wird. Wir haben heute sehr gut gespielt, wir waren sehr fokussiert. Im Laufe des Spiels haben wir dann aber neben Eric, Sven und Steffen auch noch Miha verloren. Wenn man aber hier im Palau mit so einer Atmosphäre gewinnen will, dann muss man auch die besten Unparteiischen dabeihaben, das hätte dieses Spiel verdient gehabt. Die Jungs sind jetzt traurig in der Kabine, aber wir werden uns schütteln, gut regenerieren - und Sonntag geht’s weiter. Ich bin sehr stolz auf meine Jungs.
THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler: Wir haben alles auf dem Feld gelassen. Uns sind während des Spiels aber die Optionen ausgegangen, Miha hat sich nach zwei Angriffen leicht an der Wade verletzt und Niko am Oberschenkel. Ohne Steffen und Eric fehlt uns dann hinten raus die Dynamik aus dem Rückraum. Wir haben alle versucht, uns durchzusetzen, aber Barca hat eine unfassbar gute Abwehr gestellt. So werfen wir in der zweiten Halbzeit dann auch nur noch elf Tore, was am Ende nicht mehr gereicht hat. Es ist unheimlich bitter, dass wir hier heute verloren haben. Ich bin der Meinung, dass wir drauf und dran waren, hier heute einen Sieg zu holen. Und das wäre wahrscheinlich auch verdient gewesen.
THW-Rückraumspieler Nikola Bilyk: Kämpferisch waren wir auf jeden Fall da. In der Abwehr machen wir kein schlechtes Spiel, und bringen Barca so dazu, viele Fehler zu machen. Aber vorne machen wir selber auch zu einfache technische Fehler, verwerfen zu viele Bälle - das hat uns am Ende den Zahn gezogen. Ohne Steffen, Sven und Eric, die fehlen, und Sander, der erst zurückgekommen ist, und auch durch Mihas Verletzung fehlen uns einige Optionen. Es ist nicht so einfach, sich die Kräfte einzuteilen. Kämpferisch können wir uns nichts vorwerfen, wir haben es in der zweiten Halbzeit einfach nicht mehr geschafft, Barca spielerisch Paroli zu bieten.
THW-Kreisläufer Patrick Wiencek: Es ist sehr bitter. Ich glaube, Barca war heute schlagbar. Sicherlich waren einige Sachen dabei, die man hätte anders entscheiden müssen. In der Szene kurz vor Schluss habe ich, als die Schiedsrichterin den Arm nach vorne streckte, eigentlich damit gerechnet, dass Stürmerfoul gepfiffen wurde. Dann wurde auf einmal anders entschieden. Von meinem Gefühl her war es definitiv keine rote Karte. Im Großen und Ganzen hätten wir es aber abseits der Entscheidung selber hinbekommen können, haben aber hinten raus nicht mehr die Lösungen gefunden, wie wir sie über weite Strecken des Spiels hatten.
Wir haben gegen die stärkste Mannschaft Europas mitgehalten, wenn nicht sogar besser gespielt. Jetzt kommt am Sonntag unser "Angstgegner" mit Wetzlar. Der Kader wird definitiv nicht größer werden. Aber man hat gesehen, dass die, die da sind, alles umbiegen können.