EM: Sieg gegen Russland: Der Halbfinal-Traum lebt weiter!
Fehlstart und Fehlentscheidungen
Dissinger und Weinhold verletzt
Gruppe II: Deutschland - Russland: 30:29 (17:16)
19:16 (33.), 23:19 (40.), 24:19 (42.), 25:22 (48.), 26:25 (52.), 30:27 (58.) 30:29. Zuschauer: 6000 in Breslau
17:16 zur Pause
24:19 nach 41 Minuten
Die zweite Halbzeit begann die DHB-Auswahl stark: Mit dem ersten Angriff setzte Fäth das 18:16, nach Dibirovs Fehlschuss legte Weinhold von der halblinken Position das 19:16 nach. Mehr als vier Minuten benötigten die Russen, um ihren ersten Treffer zu erzielen. Das war auch ein Verdienst von Carsten Lichtlein: Der Routinier, für den keinesfalls schlechten Andreas Wolff gekommen, hielt im zweiten Durchgang die wichtigen Bälle und verunsicherte die gegnerischen Angreifer. Vor allem in der stärksten Phase der deutschen Mannschaft nach Shishkarevs Anschluss zum 19:20 (37.). Dissinger erzielte aus neun Metern das 21:19, machte dann aus sechs Metern das 22:19, fing hinten den Ball ab und bediente Rune Dahmke, der den Gegenstoß zum umjubelten 23:19 (40.) einnetzte. Als Schmidt dann das 24:19 nachlegte, sah die DHB-Auswahl schon wie der sichere Sieger aus.
Dramatische Schlussminuten
"Endspiel" gegen Dänemark
KN: Teuer erkaufter Sieg
Breslau. Kontraste in Breslau. Die deutschen "Eurofighter" träumen weiter von einer Medaille bei der Handball-Europameisterschaft. Am Sonntagabend besiegen sie Russland in einem Achterbahnspiel mit 30:29 (17:16). Jubelnd sprintet der starke Torhüter Carsten Lichtlein nach dem Abpfiff zum Bundestrainer. Dagur Sigurdsson hüpft auf und ab. Beide umarmen sich stürmisch. Wenige Minuten später bekommt die Euphorie einen empfindlichen Riss: Vor dem abschließenden Spiel der Hauptrunde am Mittwoch gegen Dänemark (18.15 Uhr/ARD) drohen Kapitän Steffen Weinhold und Christian Dissinger auszufallen. Julius Kühn (VfL Gummersbach) und Kai Häfner (TSV Hannover-Burgdorf) sind bereits auf dem Weg zur Mannschaft. Die Mienen von DHB-Vizepräsident Bob Hanning und Bundestrainer Sigurdsson sprechen Bände. Es sieht nicht gut aus. Wie soll das gehen gegen Dänemark? Die beiden Kieler Leistungsträger haben sich muskuläre Verletzungen an der Hüfte (Dissinger) und am Oberschenkel (Weinhold) zugezogen. Weinhold hat sich am Ende eines Spiels geopfert, wie es nur ein Kapitän tun kann. "Es war eine Schlacht", sagt Sigurdsson. Eine, die mit überlegenen Russen beginnt, die schnell mit 7:4 führen (8.). Andreas Wolff im Tor hat bis dahin keinen Ball angefasst. Erik Schmidt ersetzt den zunächst indisponierten Hendrik Pekeler am Kreis und in der Abwehr. Russland macht das Spiel breit, bringt die Deutschen in Bewegung. Dann erlebt der Kieler Christian Dissinger seinen Durchbruch bei dieser EM. Er, der so unzufrieden mit sich selbst war, trifft und trifft, wird mit sieben Toren bester Schütze. Fünfmal bis zur Pause, zum Teil aus zehn Metern. Russland kontert mit dem flinken Außen Timur Dibirov, Deutschland wiederum mit dem verlässlichen Tobias Reichmann. Zum ersten Mal Unentschieden (10:10; 19.), die erste Führung (11:10; 21.). Schmidt gibt eine tolle Figur am Kreis ab, wird von Steffen Fäth und Fabian Wiede traumhaft in Szene gesetzt. Das Kreisläuferspiel des Gegners ist noch besser. Für die Deutschen pfeifen die wieder schwachen Schiedsrichter aus Portugal nicht. Aber Qualität setzt sich durch. Deutschland stellt Russland nach der Pause mit einer 5:1-Deckung vor neue Aufgaben. Variabilität ist die eine Qualität, "Comebacker" Carsten Lichtlein (35) eine andere. Heute sind die Rollen vertauscht, und jetzt ist der Oldie im deutschen Team angekommen, pariert elf Bälle. Wiede und Martin Strobel im Rückraum, Jannik Kohlbacher am Kreis – bis zum 25:20 (45.) läuft es gut, doch die Russen lassen mit ihren wuchtigen Mittelblock-Bären nur vier deutsche Rückraum-Tore im zweiten Abschnitt zu. 26:26 (52.), jetzt flattern die deutschen Nerven. Das spürt der Kapitän, drischt den Ball zum 30:27 (58.) in den Winkel, übernimmt Verantwortung. Jetzt stehen die deutschen Bäume - Schmidt, Pekeler, Lemke - in der Deckung. Kippt das Spiel? Noch 27 Sekunden zu spielen - Auszeit! Wiede verliert den Ball, und jetzt passiert das, was den weiteren Verlauf dieser EM entscheiden könnte: Weinhold stürzt sich Dimitri Zhitnikov in den Weg, verletzt sich, humpelt vom Feld. Zhitnikov zieht den letzten Wurf über das Tor. Aus! Deutschland gewinnt und träumt von einer Medaille. Nach dem Fotofinish kommt raus, was geheim gehalten war: Die deutschen Spieler plagt eine Grippewelle. "Wir wollen ins Halbfinale", sagt Fabian Wiede. Fast trotzig ergänzt Tobias Reichmann: "Wir müssen die Ausfälle kompensieren." Am Mittwoch. Gegen Dänemark. Stimmen zum Spiel: Dagur Sigurdsson, Bundestrainer: Es sieht nicht gut aus bei Steffen Weinhold und Christian Dissinger. Aber wir haben heute mit viel Teamspirit bewiesen, dass wir nicht von einem oder zwei Spielern abhängig sind. Jammern hilft nicht. Für uns ist es ein Finale, für Dänemark ist das letzte Spiel in der Hauptrunde nur ein Spiel auf dem Weg ins Finale. Carsten Lichtlein, Nationaltorhüter: Dagur, unser isländischer Eisblock, ist explodiert, hat sich nach dem Schlusspfiff ohne Ende gefreut. Das Spiel stand auf des Messers Schneide, und ich freue mich, dass ich so wieder ins Turnier zurückgefunden habe. Jannik Kohlbacher, Kreisläufer: Das am Ende war kein Nervenflattern, die Russen haben eben eine unangenehme Mannschaft. Steffen hat am Ende bewiesen, dass alle aufopferungsvoll gekämpft haben. Rune Dahmke, Kieler Linksaußen: Am Schluss haben wir es unnötig knapp gemacht. Da schoss der Puls noch einmal um zehn Zähler mehr in die Höhe. Stefan Kretzschmar, Ex-Nationalspieler: Es wäre tragisch, wenn jetzt mit Weinhold der nächste Kapitän ausfiele. Und dann auch noch Dissinger zum ungünstigsten Zeitpunkt, der gerade gezeigt hat, was er kann. Schlimmer geht es echt nicht. Aber wenn eine Mannschaft das hinkriegt, dann die deutsche. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2016)