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EM: Sieg gegen Russland: Der Halbfinal-Traum lebt weiter!

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EM: Sieg gegen Russland: Der Halbfinal-Traum lebt weiter!

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft sorgt bei der Europameisterschaft in Polen weiterhin für Furore: Am Sonntagabend besiegte die DHB-Auswahl - angeführt vom siebenfachen Torschützen Christian Dissinger - in einem echten Krimi zunächst ihre Nerven und dann den bärenstarken russischen Gegner. Am Ende wurde es noch einmal eng - nach dem finalen Fehlwurf von Zhitnikov und dem damit feststehenden 30:29 (17:16)-Erfolg rissen die deutschen Spieler und Fans die Arme hoch: Deutschland hat am kommenden Mittwoch die Chance, mit einem Sieg gegen Dänemark das Halbfinale zu erreichen!

Fehlstart und Fehlentscheidungen

Anders als beim klaren 29:19 gegen Ungarn verschlief die deutsche Mannschaft gegen Russland den Start komplett: Mit 0:3 lag das Team von Bundestrainer Dagur Sigurdsson zurück ehe einer der auffälligsten, Kreisläufer Erik Schmidt, nach etwas mehr als drei Minuten den ersten deutschen Treffer erzielte. Und der schien ein Brustlöser zu sein: Tobias Reichmann machte von Außen nach tollem Pass von Steffen Weinhold das 2:4, und Steffen Fäth markierte das 3:4 (6.). Die deutsche Mannschaft war im Spiel, auch wenn das portugiesische Schiedsrichter-Gespann bei der Verteilung von Zeitstrafen (5:1 für Deutschland) und Siebenmeter (5:2 für Russland) mit zweierlei Maß agierte, obwohl auch die russische Defensive keineswegs mit Samthandschuhen zupackte. Schlimmer noch: Beim Stand von 5:7 gaben sie ein Tor von Rune Dahmke nicht, obwohl der Ball deutlich die Linie überschritten hatte. Ein Missgeschick, das sich in Halbzeit zwei wiederholte: Jetzt war es Pekeler, dessen Gegenstoß hinter der Linie landete, ohne aber auf dem Tableau aufzutauchen.

Dissinger und Weinhold verletzt

In die Freude über den Erfolg mischten sich bei der deutschen Mannschaft aber auch große Sorgen: In der dramatischen Schlussphase verletzte sich Steffen Weinhold bei einer Abwehraktion im Adduktorenbereich, und auch Christian Dissinger konnte die letzten Minuten mit Hüftproblemen angeschlagen nicht mehr ins Spielgeschehen eingreifen. Ob die beiden Kieler Leistungsträger der deutschen Mannschaft am Mittwoch beim "Endspiel" gegen Dänemark zur Verfügung stehen werden, ist ungewiss. "Mit unserer Vorstellung, unserem Kampfgeist und unserem Teamspirit bin ich absolut zufrieden. Ich denke, am Ende haben die Abwehr und die bessere Torwartleistungen zu unseren Gunsten entschieden", sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson. "Was die Verletzungen von Christian Dissinger und Steffen Weinhold betrifft, müssen wir sehen, wie sich das entwickelt. Es sah nicht gut aus, deswegen werden wir wohl nachnominieren müssen."

Gruppe II: Deutschland - Russland: 30:29 (17:16)

Deutschland: Lichtlein (8 Paraden), Wolff (5 Paraden); Sellin, Lemke, Reichmann (5/2), Wiede (1), Pekeler,  Weinhold (4), Strobel, Schmidt (6), Fäth (4), Dahmke (2), Ernst, Pieczkowski, Dissinger (7), Kohlbacher (1) Russland: Bogdanov, Kireev; Shishkarev (1), Kovalev (2), Chernoivanov (2), Atman (3), Gorbok (3), Chipurin (5), Kalarash, Shelmenko (1), Dashko, Buzmakov (1), Dibirov (7/4), Soroka, Tcelishshchev, Zjitnikov (4) Schiedsrichter: Fonseca/Santos (Portugal) Zeitstrafen: 10:2 Minuten (Lemke, Reichmann, Pekeler, Schmidt, Dissinger– Buzmakov) Siebenmeter: 2/2:4/5 (Dibirov verwirft) Spielfilm: 0:3 (3.),  3:4 (6.), 4:7 (8.), 6:7 (15.), 9:10 (18.), 11:10 (21.), 13:13 (25.), 17:16;
19:16 (33.),  23:19 (40.),  24:19 (42.), 25:22 (48.), 26:25 (52.), 30:27 (58.) 30:29. Zuschauer: 6000 in Breslau

17:16 zur Pause

Die deutsche Mannschaft schienen diese Entscheidungen aber noch entschlossener werden zu lassen. Allen voran nahm sich Christian Dissinger ein Herz: Der Kieler Rückraumspieler traf immer dann, wenn es richtig nötig war. Zum 7:8 und zum 8:9 (17.) netzte "Disse" ein und erzielte insgesamt sieben Treffer. Nach 20 Minuten war es soweit: Deutschland glich nach Dahmkes Anschluss durch Erik Schmidt aus, Steffen Fäth erzielte die erste deutsche Führung. Dass sich die DHB-Auswahl nicht absetzen konnte, lag vor allem an Timur Dibirov: Der russische Außen verwandelte seine Siebenmeter im ersten Durchgang sicher, und wenn er nicht traf, erledigte dies Zhitnikov aus dem Rückraum. Trotzdem neigte sich das Spiel in Richtung der deutschen Mannschaft: Sie übernahm die Kontrolle, auch wenn sie nach zwei tollen Dissinger-Toren doch nur mit einer 17:16-Halbzeitführung in die Kabine ging.

24:19 nach 41 Minuten

Die zweite Halbzeit begann die DHB-Auswahl stark: Mit dem ersten Angriff setzte Fäth das 18:16, nach Dibirovs Fehlschuss legte Weinhold von der halblinken Position das 19:16 nach. Mehr als vier Minuten benötigten die Russen, um ihren ersten Treffer zu erzielen. Das war auch ein Verdienst von Carsten Lichtlein: Der Routinier, für den keinesfalls schlechten Andreas Wolff gekommen, hielt im zweiten Durchgang die wichtigen Bälle und verunsicherte die gegnerischen Angreifer. Vor allem in der stärksten Phase der deutschen Mannschaft nach Shishkarevs Anschluss zum 19:20 (37.). Dissinger erzielte aus neun Metern das 21:19, machte dann aus sechs Metern das 22:19, fing hinten den Ball ab und bediente Rune Dahmke, der den Gegenstoß zum umjubelten 23:19 (40.) einnetzte. Als Schmidt dann das 24:19 nachlegte, sah die DHB-Auswahl schon wie der sichere Sieger aus.

Dramatische Schlussminuten

Doch eine umstrittene Zeitstrafe gegen Dissinger und das nicht gegebene Gegenstoß-Tor von Pekeler brachte Unruhe in die deutsche Mannschaft - und die Russen zurück in die Partie. Sie verkürzten durch Pavel Atman auf 22:25, Gorbok legte das 23:25 (49.) nach - und nach 52 Minuten erzielte Kovalev den 26:26-Ausgleich. Eine 1:6-Negativserie schien die DHB-Auswahl um den Lohn der Mühen zu bringen. Kohlbacher und Weinhold sorgten für ein wenig mehr Ruhe: 28:26 (54.), doch Russland blieb dran. Auch nach Weinholds 30:27 (58.), was Zhitnikov postwendend konterte. Jetzt wurde es dramatisch: Fäth verlor den Ball an Kovalev, doch die deutsche Abwehr warf sich nun in jeden Ball. Atman erzielte 46 Sekunden vor dem Ende das 29:30 aus Sicht der Russen, die nun mit einer offensiven Deckung in Ballbesitz kommen wollten. Fabian Wiede verlor 16 Sekunden vor dem Ende tatsächlich den Ball, Russland brachte einen siebten Feldspieler, und Zhitnikov warf den letzten Wurf an die Oberkante der Latte - der Rest war Jubel!

"Endspiel" gegen Dänemark

Klar ist: Gewinnt die deutsche Mannschaft gegen den Vize-Europameister aus Skandinavien, steht sie im Halbfinale der EM! Anwurf ist am Mittwoch um 18:15 Uhr, live mitfiebern kann man bei der ARD und im Kieler Handballbahnhof. Für das kostenlose Public Viewing hat sich auch THW-Trainer Alfred Gislason angesagt: Ab 17:15 Uhr beginnt das Vorprogramm.

KN: Teuer erkaufter Sieg

Breslau. Kontraste in Breslau. Die deutschen "Eurofighter" träumen weiter von einer Medaille bei der Handball-Europameisterschaft. Am Sonntagabend besiegen sie Russland in einem Achterbahnspiel mit 30:29 (17:16). Jubelnd sprintet der starke Torhüter Carsten Lichtlein nach dem Abpfiff zum Bundestrainer. Dagur Sigurdsson hüpft auf und ab. Beide umarmen sich stürmisch. Wenige Minuten später bekommt die Euphorie einen empfindlichen Riss: Vor dem abschließenden Spiel der Hauptrunde am Mittwoch gegen Dänemark (18.15 Uhr/ARD) drohen Kapitän Steffen Weinhold und Christian Dissinger auszufallen. Julius Kühn (VfL Gummersbach) und Kai Häfner (TSV Hannover-Burgdorf) sind bereits auf dem Weg zur Mannschaft. Die Mienen von DHB-Vizepräsident Bob Hanning und Bundestrainer Sigurdsson sprechen Bände. Es sieht nicht gut aus. Wie soll das gehen gegen Dänemark? Die beiden Kieler Leistungsträger haben sich muskuläre Verletzungen an der Hüfte (Dissinger) und am Oberschenkel (Weinhold) zugezogen. Weinhold hat sich am Ende eines Spiels geopfert, wie es nur ein Kapitän tun kann. "Es war eine Schlacht", sagt Sigurdsson. Eine, die mit überlegenen Russen beginnt, die schnell mit 7:4 führen (8.). Andreas Wolff im Tor hat bis dahin keinen Ball angefasst. Erik Schmidt ersetzt den zunächst indisponierten Hendrik Pekeler am Kreis und in der Abwehr. Russland macht das Spiel breit, bringt die Deutschen in Bewegung. Dann erlebt der Kieler Christian Dissinger seinen Durchbruch bei dieser EM. Er, der so unzufrieden mit sich selbst war, trifft und trifft, wird mit sieben Toren bester Schütze. Fünfmal bis zur Pause, zum Teil aus zehn Metern. Russland kontert mit dem flinken Außen Timur Dibirov, Deutschland wiederum mit dem verlässlichen Tobias Reichmann. Zum ersten Mal Unentschieden (10:10; 19.), die erste Führung (11:10; 21.). Schmidt gibt eine tolle Figur am Kreis ab, wird von Steffen Fäth und Fabian Wiede traumhaft in Szene gesetzt. Das Kreisläuferspiel des Gegners ist noch besser. Für die Deutschen pfeifen die wieder schwachen Schiedsrichter aus Portugal nicht. Aber Qualität setzt sich durch. Deutschland stellt Russland nach der Pause mit einer 5:1-Deckung vor neue Aufgaben. Variabilität ist die eine Qualität, "Comebacker" Carsten Lichtlein (35) eine andere. Heute sind die Rollen vertauscht, und jetzt ist der Oldie im deutschen Team angekommen, pariert elf Bälle. Wiede und Martin Strobel im Rückraum, Jannik Kohlbacher am Kreis – bis zum 25:20 (45.) läuft es gut, doch die Russen lassen mit ihren wuchtigen Mittelblock-Bären nur vier deutsche Rückraum-Tore im zweiten Abschnitt zu. 26:26 (52.), jetzt flattern die deutschen Nerven. Das spürt der Kapitän, drischt den Ball zum 30:27 (58.) in den Winkel, übernimmt Verantwortung. Jetzt stehen die deutschen Bäume - Schmidt, Pekeler, Lemke - in der Deckung. Kippt das Spiel? Noch 27 Sekunden zu spielen - Auszeit! Wiede verliert den Ball, und jetzt passiert das, was den weiteren Verlauf dieser EM entscheiden könnte: Weinhold stürzt sich Dimitri Zhitnikov in den Weg, verletzt sich, humpelt vom Feld. Zhitnikov zieht den letzten Wurf über das Tor. Aus! Deutschland gewinnt und träumt von einer Medaille. Nach dem Fotofinish kommt raus, was geheim gehalten war: Die deutschen Spieler plagt eine Grippewelle. "Wir wollen ins Halbfinale", sagt Fabian Wiede. Fast trotzig ergänzt Tobias Reichmann: "Wir müssen die Ausfälle kompensieren." Am Mittwoch. Gegen Dänemark. Stimmen zum Spiel: Dagur Sigurdsson, Bundestrainer: Es sieht nicht gut aus bei Steffen Weinhold und Christian Dissinger. Aber wir haben heute mit viel Teamspirit bewiesen, dass wir nicht von einem oder zwei Spielern abhängig sind. Jammern hilft nicht. Für uns ist es ein Finale, für Dänemark ist das letzte Spiel in der Hauptrunde nur ein Spiel auf dem Weg ins Finale. Carsten Lichtlein, Nationaltorhüter: Dagur, unser isländischer Eisblock, ist explodiert, hat sich nach dem Schlusspfiff ohne Ende gefreut. Das Spiel stand auf des Messers Schneide, und ich freue mich, dass ich so wieder ins Turnier zurückgefunden habe. Jannik Kohlbacher, Kreisläufer: Das am Ende war kein Nervenflattern, die Russen haben eben eine unangenehme Mannschaft. Steffen hat am Ende bewiesen, dass alle aufopferungsvoll gekämpft haben. Rune Dahmke, Kieler Linksaußen: Am Schluss haben wir es unnötig knapp gemacht. Da schoss der Puls noch einmal um zehn Zähler mehr in die Höhe. Stefan Kretzschmar, Ex-Nationalspieler: Es wäre tragisch, wenn jetzt mit Weinhold der nächste Kapitän ausfiele. Und dann auch noch Dissinger zum ungünstigsten Zeitpunkt, der gerade gezeigt hat, was er kann. Schlimmer geht es echt nicht. Aber wenn eine Mannschaft das hinkriegt, dann die deutsche. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2016)