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KN: Der dritte Kieler Kreuzbandriss

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KN: Der dritte Kieler Kreuzbandriss

Köln/Kiel. Was am Sonntagabend noch schlimmste Befürchtung war, wurde am Montagvormittag zur niederschmetternden Gewissheit: René Toft Hansen, Kapitän des Handball-Rekordmeisters THW Kiel, wird den Zebras bis weit über das Saisonende hinaus fehlen. Nach einer MRT-Untersuchung diagnostizierte Mannschaftsarzt Dr. Frank Pries einen Riss des vorderen Kreuzbandes sowie des Innenbandes im rechten Knie. "René fällt damit acht bis neun Monate aus", sagt Pries, der den Dänen heute im Mare-Klinikum operieren wird.

Gislason: "Sehr, sehr schwierige Situation"

36 Minuten waren gespielt, als in der Kölner Lanxess-Arena nicht nur auf der Anzeigetafel die Zeit stillzustehen schien. Handballer sind harte Kerle, Kreisläufer wie Toft Hansen allemal. Sie humpeln, kriechen, schleppen sich irgendwie vom Feld. Wenn die Sanitäter kommen, eine Trage hereinrollen, dann muss wirklich etwas Schlimmes passiert sein. Das weite Rund hielt den Atem an, als sich der 31-jährige Kapitän und Abwehrchef, dieses personifizierte Immunsystem der Kieler Defensive, schreiend wälzte. Auf der Trage vergrub der dänische Zwei-Meter-Koloss sein Gesicht in einem Handtuch. "Alles im Knie kaputt" - so fühlte es sich für ihn zunächst an. Alles Hoffen und Zittern der Mannschaftskollegen war vergebens. Noch am Sonntagabend hatten sich Christian Dissinger ("Ein bitterer Sieg. Sind mit unseren Gedanken bei unserem Kapitän") und Joan Canellas (#allesguterene) bei Facebook geäußert. Domagoj Duvnjak ("Das wäre eine Katastrophe") hoffte noch, da ahnte Steffen Weinhold schon Schlimmeres: "Wir müssen jetzt sehen, welche Mannschaft wir in der Rückrunde überhaupt aufs Feld stellen können." Am Montag reiste Weinhold nach Berlin zur Nationalmannschaft - keine Zeit durchzuatmen. "Belastung? Silvester und Neujahr haben wir zwei Tage frei", sagt der erschöpfte Linkshänder. Das gilt auch für Christian Dissinger: "Ich bin ausgelaugt. Zu viele Spiele, keine Pausen." Linksaußen Rune Dahmke wird hingegen erst im Januar zum Team von Bundestrainer Dagur Sigurdsson stoßen, um in die EM-Vorbereitung einzusteigen. Bei dem 22-Jährigen hat Dr. Pries einen "Teilschaden der Außenbänder im linken Fuß" diagnostiziert. Der Arzt registriert "eine Saison mit ungewöhnlich vielen Verletzungen". Im Team des THW ist Toft Hansens Verletzung bereits der dritte Kreuzbandriss im Kalenderjahr 2015 nach denen von Dominik Klein und Patrick Wiencek. Für den Dänen, der nicht nur die Europameisterschaft im Januar verpasst, brach eine Welt zusammen. Auf Instagram postete der Kieler Spielführer: "Es war ein Traum, mit meinem Bruder bei Olympischen Spielen aufzulaufen. Dieser Traum ist gestern geplatzt." Und so wird es zwar zum Mantra, und doch sprachen sich THW-Geschäftsführer Thorsten Storm und Coach Alfred Gislason nach dem Spiel in Köln - sichtlich beeinflusst vom Schock des Ausfalls von Toft Hansen - erneut dafür aus, die Größe der Bundesliga-Kader pro Spiel von bislang 14 auf 16 Spieler zu erweitern. "Es ist eine sehr, sehr schwierige Situation für uns: Wir müssen den gesamten Innenblock und beide Kreisläufer ersetzen", sagt Alfred Gislason. "So langsam sollten die Klubs, die gegen 16 Spieler in der Bundesliga sind, ihre Haltung einmal überdenken. Sie fürchten angeblich, dass sie dann gegen die großen Mannschaften gar keine Chance mehr haben. Aber was bringt es, wenn dann nur noch kaputte Mannschaften Deutschland in den europäischen Wettbewerben repräsentieren?" Thorsten Storm ergänzt: "Mannschaften wie der THW Kiel füllen die Hallen der Bundesliga. Der Bergische HC lockt nur dann 13 000 Zuschauer nach Köln, wenn dort Topspieler auflaufen. Wir haben schon jetzt den Trend, dass immer mehr Stars eine Bundesligaflucht antreten - wegen der Belastung. Wir haben jetzt 35 Pflichtspiele hinter uns, das haben die meisten anderen Klubs vielleicht am vorletzten Spieltag. Unsere Spieler spielen immer auch gegen sich selbst. Eine Grenze ist überschritten. Ich kann nur dringend an die HBL (Handball-Bundesliga, d. Red.) appellieren, die mögliche Anzahl der Spieler für Bundesliga-Partien auf 16 zu erhöhen. Was hier auf dem Rücken der Sportler geschieht, ist Wahnsinn." Über eine mögliche, erneute Nachverpflichtung als Ersatz für Toft Hansen wollte Storm sich am Montag nicht äußern. "Wir müssen sehen, was wir machen. Mit Wiencek und Toft Hansen fehlen jetzt unsere zentralen Abwehrspieler. Aber noch ist keine Entscheidung gefallen." (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 29.12.2015, Foto: Angela Grewe)

KN-Hintergrund: Mörderischer Spielplan

Der Auftritt beim Bergischen HC war das 35. Pflichtspiel in dieser Saison, das den Zebras des THW Kiel in den müden Knochen steckt. Und es ist erst Saison-Halbzeit: mörderisch! Zwei Drittel der Handball-Bundesligisten, die nicht in einem europäischen Wettbewerb starten, wird am Saisonende kaum mehr Spiele absolviert haben als der THW jetzt schon. Zum Vergleich: Beim Bergischen HC werden es in der Summe aus Bundesliga (34) und DHB-Pokal (6) genau 40 Partien sein - vergleichsweise viele, weil der BHC das Pokal-Final-Four in Hamburg erreicht hat. Aufsteiger Leipzig, der HSV, Lemgo oder Wetzlar (alle Pokal-Aus in Runde zwei) kommen am Ende der Spielzeit 2015/2016 im Juni nur auf 36 Begegnungen, Neuling Stuttgart (Aus in Runde eins) sogar nur auf 35. Selbst wenn der THW Kiel "nur" das Viertelfinale der Champions League erreichen sollte, ertönt für das Team von Trainer Alfred Gislason 57-mal der Anpfiff in einem Pflichtspiel. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 29.12.2015)