Kieler Nachrichten: Zu Hause in Islands Sagas
THW-Feldspieler Aron Palmarsson hat er vor einiger Zeit mal ein Buch von Einar Karason in die Hand gedrückt. Die Barackentrilogie über das Leben im Arbeiterviertel von Reykjavik ist auch hierzulande Kult. "Karason ist relativ kurz, spannend und findet einen jüngeren Zugang zu Islands Geschichte und Geschichten", sagt Alfred Gislason, "und ich finde es wichtig, dass meine Spieler auch lesen." Bei ihm selbst liegen Bücher selten lange herum. Der THW-Trainer liest, wann immer es die Zeit hergibt. Das kann im Mannschaftsbus zum Auswärtsspiel sein oder in den zehn Minuten vor und nach dem Training. Das macht den Kopf frei, sagt er: "Die besten Ideen kommen, wenn man sich mit etwas vollkommen anderem beschäftigt." Also taucht er ab in Bücherwelten, die nichts mit Handball, Toren, Spielern und Titeln zu tun haben. Lesen findet der 54-Jährige ganz allgemein wichtig. "Damit lassen sich viele Bildungslücken schließen", sagt er. Lakonisch, schalkhaft. Viele Worte macht er nicht, was Gislason sagt, kommt ganz direkt rüber. Ipad und Computer sind für ihn Zeitfresser, und dass das Lesen weniger wird, nicht mehr so selbstverständlich geschieht, findet er "eine erschreckende Entwicklung". "Lesen bedeutet Spracherhalt", sagt er, "ich sehe das doch an meinen drei Kindern: Da wird gesmst und abgekürzt. Das ist ein Gemisch aus Englisch, Isländisch und Deutsch. Da geht die Sprache rasant verloren."
Meistens zieht es den studierten Historiker zu geschichtlichen Themen - Island, der Finanzcrash oder ganz tief in die Vergangenheit zu den Wikinger-Sagas, die im 13. Jahrhundert Islands Literatur begründet haben und der Sprache bis heute ihre Gestalt geben. Ihrer Entstehung und Geschichte forscht der Handballer nach. Dabei ist er damals als Nationalspieler eher zufällig beim Geschichtsstudium gelandet: "Ich hatte keine Ahnung, was ich studieren soll. Geschichte hatte meine Freundin und jetzige Frau belegt. Und das Fach erschien mir halbwegs mit dem Sport kompatibel. Ich dachte, den Stoff kann ich gut nachholen. Eigentlich bin ich also durch den Handball zur Geschichte gekommen." Am liebsten liest er die Njals-Saga, die Geschichte einer Familienfehde, die mit einer üblen Brandstiftung endet. "Die erzählt von Island, wie es damals war", sagt Gislason, "und überhaupt vom Leben. Tragisch, abenteuerlich, spannend." Letztens hat er eine antiquarische Ausgabe der Saga-Edition von Halldor Laxness gekauft; sonst kann er mit dem Literaturnobelpreisträger und seiner weitschweifigen Prosa weniger anfangen. An der Ausgabe mag Gislason aber auch den griffigen Lederrücken: "Da spürt man das Handwerk." Irgendwie ist er auch ein Bibliophiler, der im Internet und Antiquariaten nach alten Schätzen stöbert. Ein E-Book würde er nie in die Hand nehmen: "Ich lese nur auf Papier. Ich brauche das Handfeste des Buchs. Und ich muss Dinge, die ich wichtig finde, unterstreichen können oder am Rand Anmerkungen machen." Zwischendurch greift er auch mal zum Krimi, Arnaldur Indridasson oder so. Einar Karason, der so etwas ist wie ein moderner Saga-Erzähler, kennt er persönlich, auch Andri Snaer Magnason, der zum Literatursommer nach Kiel kommt. Man kommt schließlich aus einem 330000-Einwohner-Land. "Magnasons Traumland war ziemlich genial", sagt Gislason, "er hat die Krise in Island schon ein Jahr vor dem Finanzcrash gesehen und beschrieben." Den Film, den Magnason zum Buch gedreht hat, will er sich auf jeden Fall ansehen (18. August). Zur Eröffnung kommt er sowieso, und auch den Vortrag zu den Island-Sagas von Skandinavistik-Professor Klaus Böldl (1. August) findet er spannend. "Die Sagas sind Islands Geschichte", sagt er, "und für die, die sie gesammelt und erzählt haben, war das ein Beruf - wie heutzutage eine Mischung aus Nachrichtenmann und Entertainer." Gibt es eigentlich Schnittpunkte zwischen seinem Sport und den Geschichtsbüchern? "Natürlich versuchen wir beim THW auch, Geschichte zu schreiben", schmunzelt der Trainer, "aber nein - das sind zwei unterschiedliche Spielfelder. Ich finde es einfach wichtig, dass man ein Gefühl für Werte bekommt, offen ist für andere Dinge. Sonst steckt man irgendwann in seiner Nische und kommt nicht mehr heraus." (von Ruth Bender, aus den Kieler Nachrichten vom 25.07.2014)