Zebra-Journal: Marko Vujin, in Kiel zu Hause
Der 29-Jährige ist ein stets gut gelaunter Typ, einer, der ständig redet. Lange belustigte er mit Sätzen der Marke Eigenbau seine Kollegen beim THW Kiel, inzwischen hat auch sein Deutsch ein beachtliches Niveau erreicht. Er besuchte seit seinem Wechsel vom ungarischen Serienmeister MKB Veszprem brav die Sprachschule Berlitz, was für Neuzugänge der Zebras zum Pflichtprogramm gehört. Er tat aber noch viel mehr - er redete. "Ich bin hier Ausländer", sagt Vujin, "deshalb darf ich auch Fehler machen." So lernte er auch schon Ungarisch, eine Sprache, die nach Chinesisch die zweitschwierigste der Welt sein soll. Als 18-Jähriger verließ er sein Elternhaus im 50 000-Einwohner-Städtchen Backa Palanka, um bei Dunaferr SE in die Lehre zu gehen. Imre Vilmos, Trainer des ungarischen Erstligisten, entdeckte ihn bei einem Turnier in Örtchen Bekes, an dem er mit seinem serbischen Heimatverein RK Sintelon teilgenommen hatte. Ein Zufall, schließlich stellte ihn sein Vereinstrainer Zdravko Perleta bei diesem Turnier erstmals im rechten Rückraum auf. "Eigentlich war ich körperlich noch nicht weit genug", erinnert sich Vujin, der als Elfjähriger nur Handballer wurde, weil er hörte, dass dort linke Hände besonders begehrt sein sollen. In seiner Familie warf niemand Bälle, seine Eltern nicht, auch die älteren Schwestern nicht. Er trainierte schon damals hart, seine Schule kam ihm bei der Tagesgestaltung sehr entgegen. So übte er morgens von neun bis elf, anschließend besuchte er das Gymnasium, abends legte er zwei weitere Schichten ein. Nicht selten verließ er die Halle erst um 23 Uhr. Die Mühe wäre wohl vergeblich gewesen, wenn Sintelon nicht im Winter 2002 an diesem Turnier teilgenommen hätte. Neben Vujin sichteten die Verantwortlichen von Dunaferr unter anderem den ebenfalls blutjungen Mittelmann Gabor Csaszar, der mittlerweile für Paris St.-Germain spielt. Um dieses Duo bildete sich ein junges Team, das in der Lage war, den scheinbar übermächtigen Vereinen MKB Veszprem und Pick Szeged die Stirn zu bieten, Vujin wurde in der Saison 2005/06 Torschützenkönig in der ungarischen Liga. Ein Grund mehr für Veszprem, ihn und Csaszar zu verpflichten. Am Plattensee trat Vujin schnell aus dem Schatten des legendären Kiril Lazarov heraus, der mittlerweile für den FC Barcelona spielt. Bereits zur Saison 2009/2010 wollte der Vize-Europameister in die Bundesliga wechseln. Alfred Gislason, sein Wunschtrainer, arbeitete damals beim VfL Gummersbach. Ein Verein, bei dem mit Daniel Narcisse, Momir Ilic und "Goggi" Sigurdsson Stars unter Vertrag standen, die sich später alle bei den Zebras einfanden. Vujin wollte zu Gislason, doch es kam anders. Den Oberbergischen ging das Geld aus, die Kieler trennten sich von Noka Serdarusic - als wieder Ruhe einkehrte, konnte der VfL sich keine Weltklasse mehr leisten und Gislason war Serdarusic-Nachfolger geworden. Der Rekordmeister hatte in Andersson und Zeitz überragende Linkshänder, es gab keinen Platz für den Zwei-Meter-Hünen, der nun aber auch kein Gummersbacher mehr werden wollte. Csaba Hajnal, der mächtige Boss von MKB Veszprem, sprang ein und löste mit einer satten Abfindung an den klammen VfL den Vertrag wieder auf. Und Vujin? Der verlängerte beim ungarischen Serienmeister um drei Jahre. Während er im "Vapiano", seinem Lieblingsrestaurant in Kiel, Pasta isst und Espresso Macchiato trinkt, muss er an eines seiner ungewöhnlichsten Gespräche denken. Ungewöhnlich deshalb, weil der 107-malige Nationalspieler so gerne spricht. In jenem Gespräch, zu dem ihn Hajnal in sein Büro bat, sagte er allerdings eine Stunde lang kein Wort. Hajnal auch nicht. Keiner der beiden, die befreundet sind und nahezu täglich telefonieren, wusste, wie sie damit umgehen sollten, dass Vujin wieder bei einem Bundesligisten unterschrieben hatte - diesmal in Kiel. Schließlich, so erinnert sich Vujin, hätte Hajnal ihm gratuliert. "Er hat mich aber gebeten, bis dahin alles für den Verein zu tun." Das tat er so gut, dass Veszprem in den drei letzten Vujin-Jahren jeweils das Double gewann. Dann war es so weit: Im Sommer 2012 gehörte er endlich zum Kader von Gislason. "Wenn er sagt, dass ich nach Hamburg und zurück laufen soll, mache ich das sofort", sagt Vujin, der dem Isländer blind vertraut. "Er ist der beste Trainer der Welt." Warum? Weil er unter anderem seine Taktiken nach den jeweiligen Stärken ausrichte. "Wer aus zehn Metern werfen kann, den zwingt er nicht, sich in Eins-Gegen-Eins-Situationen durchzusetzen." Vujin ist einer, der sehr hart und genau aus großen Entfernungen trifft. Weil seine Qualitäten eher nicht in der Abwehrarbeit liegen, verteidigt Zeitz für ihn. Ein Paar, das auch abseits des Feldes harmonierte. Sie teilten sich auf Reisen ein Zimmer, Vujin, der den Wechsel von Zeitz nach Veszprem bedauert, nennt ihn seinen "Bruder". "Ich habe schon als Kind davon geträumt, einmal in Kiel zu spielen", sagt der 29-Jährige, der beim THW bis Juni 2016 unter Vertrag steht. Er vermisse nur die Sonne und Thierry Omeyer. Der Weltklasse-Torhüter, im Sommer nach Montpellier zurückgekehrt, war der ideale Gesprächspartner. "Wenn wir redeten, ging es nur um Sport." Stundenlang diskutierten sie sich durch alle Ligen und Disziplinen, Vujin ist die Festplatte des THW. Wer ist Zehnter der spanischen Liga Asobal? Wer Dritter der Balkan-Liga SEHA? Er weiß es. Sein Leben drehe sich nur um Handball, deshalb fühle er sich in Kiel so wohl. Er glaubt, dass die Disziplin, mit der hier gearbeitet werde, der Schlüssel zum Erfolg sei. Auch, dass jeder eine Aufgabe habe. Beispielsweise seine, die daran besteht, einen Fußball einzupacken, damit im Training gekickt werden kann. "Das hat mich sehr beeindruckt, dass auch so große Spieler wie Omeyer solche Dinge für die Mannschaft machen." Die Regeln, die sich die Zebras auferlegt haben, hält er für extrem wichtig. In Veszprem, so erzählt Vujin, dürfe der Ex-Kieler Ilic in Klamotten des THW-Sponsors Provinzial trainieren. "Wer bei uns die falschen Sachen anhat, der zahlt." In den ersten Monaten in Kiel wäre er eine solide Einnahmequelle für die Mannschaftskasse gewesen. Doch mittlerweile hat er die Paragraphen verinnerlicht. "Ich kenne keinen Verein, in dem das so gelebt wird", sagt Vujin. So sei es für ihn selbstverständlich, dass er sich mit seinem kroatischen Kumpel Domagoj Duvnjak, der im Juli aus Hamburg kommt, auf Deutsch unterhalten werde. Vujin kann sich gut vorstellen, seinen Vertrag zu verlängern. "Mehr als Kiel kann ein Handballer nicht erreichen." Auch privat fühlt er sich wohl. Seine Verlobte Tijana, die wie er aus Backa Palanka stammt, zögerte nicht, als er vor einigen Wochen in Berlin um ihre Hand anhielt. Was er nach seiner Karriere machen will? Vujin, der große Siege mit seinen THW-Kollegen in der Cocktailbar des Kieler Hotels "Atlantic" feiert, zuckt mit den Schultern. Ein Amt als Trainer und Manager käme nicht in Frage, die ewige Reiserei müsse irgendwann einmal auch ein Ende haben. "Ich möchte gerne mehr Zeit für die Familie haben." Er hofft, dass das dann in Serbien möglich sein wird. Seine Heimat sieht er auf einem guten Weg, die angestrebte Aufnahme in die EU hält er für den richtigen Schritt. "Wir Serben können gerade von den Deutschen noch viel lernen", sagt Vujin. "Beispielsweise diese große Arbeitsmoral." Allerdings: Auch der Deutsche wäre gut beraten, sich eine Scheibe von den Serben abzuschneiden. "Wir leben leichter", sagt Vujin, der beispielsweise die spielfreien Sonntage in Deutschland als echte Herausforderung versteht. "In meiner Heimat sind an einem solchen Tag alle Menschen auf der Straße, das ist hier ganz anders", sagt Vujin, "wahrscheinlich wäre eine Mischung aus Serben und Deutschen das Optimum." Ein Vujin quasi.