Pokal-Drama in Hamburg: THW Kiel verliert nach Verlängerung eine packende Partie
Packender Pokalkrimi mit ganz bitterem Ende für den THW Kiel: Nach großem Kampf und einer erfolgreichen 5:0-Aufholjagd im DHB-Pokal-Viertelfinale gegen den SC Magdeburg retteten sich die Zebras am Sonntagnachmittag in der Hamburger Barclays Arena in allerletzter Sekunde durch einen verwandelten Strafwurf von Magnus Landin zum 29:29-Unentschieden und in die Verlängerung. In dieser ging es dann um jede Aktion, der SCM bestrafte THW-Fehler eiskalt und gewann das Handball-Drama vor der Kieler Heimspiel-Rekordkulisse von 12 523 Zuschauern letztlich glücklich, aber trotzdem verdient mit 35:34 (32:31, 29:29, 19:14). Bester Werfer bei den Kielern war Rückraum-Ass Eric Johansson, der neunmal ins Magdeburger Gehäuse traf, beim Sieger zeichnete sich Kay Smits aus, der ebenfalls neunmal traf und bester Werfer für Magdeburg war und die gut 1500 Magdeburger Fans über die Qualifikation für das REWE Final4 jubeln ließ.
Magdeburger erwischen den besseren Start
Trotz der unglaublichen Kulisse starteten die Magdeburger unbeeindruckt in den Handballkracher zwischen dem amtierenden Meister gegen den aktuellen Pokalsieger, überzeugten vor allem mit großem Kampfgeist und einer hart zupackenden Abwehr. Zielwasser hatte in den ersten Minuten vor allem der Niederländer Kay Smits getrunken, der Linkshänder traf zum 1:0 und 2:1 für seine Farben. Kiel hielt zunächst dagegen, antwortete durch schnelle Tore von Magnus Landin, Sander Sagosen und Harald Reinkind, und als Kreisläufer Hendrik Pekeler in der 6. Minute zum 4:3 traf, gingen die Zebras zum letzten Mal in dieser Partie in Front. Das lag auch an der hohen Fehlerquote der Zebras, die der SCM konsequent ausnutzte: Smits traf bereits nach zwölf Minuten zum fünften Mal ins Kieler Tor, sorgte für die 7:5-Führung, die die Magdeburger Tor um Tor weiter ausbauten.
Klare Pausenführung für die Gäste
Auch, weil die THW-Defensive zunächst überhaupt keinen Zugriff bekam und die SCM-Außen anfangs sicher verwandelten: 12:8 hieß es nach dem Treffer von Rechtsaußen Hornke in der 19. Minute, Smits erhöhte zwei Minuten vor der Pause auf 16:11. Und die Kieler? Mühten sich, hatten aber Pech im Abschluss oder scheiterten an Torhüter Nikola Portner. Filip Jicha versuchte viel, wechselte seinen Kader durch, brachte im Tor auch Tomas Mrkva für Niklas Landin, doch die entscheidenden Impulse blieben zunächst noch aus. Sander Sagosen verkürzte wenige Sekunden vor dem Pausenpfiff auf 14:18, doch Weber stellte den Fünf-Tore-Vorsprung fast mit dem Pausenpfiff wieder her. 19:14 für die Gäste aus der Börde.
Zebras kommen mit Biss aus der Kabine
Angefeuert von der riesigen Kieler Fangemeinde in der Barclays Arena starteten die Zebras dann furios in die zweite Hälfte. Niklas Landin parierte spektakulär gegen Kristjansson, Eric Johansson traf im Gegenzug zum 15:19, Patrick Wiencek erkämpfte den Ball in der Abwehr, schickte Niclas Ekberg auf die Reise, und der Schwede verkürzte auf 16:19 - ein Bilderbuchstart in die zweiten 30 Minuten. Doch Magdeburg hatte Antworten, ließ sich auch durch den Siebenmeter zum 19:21 von Magnus Landin nicht aus der Ruhe bringen. Dabei profitierten die Sachsen-Anhaltiner nicht nur von technischen Unzulänglichkeiten der Kieler, sondern auch von dem ein oder anderen umstrittenen Pfiff des Unparteiischen-Gespanns. Wie vor dem 22:19, als Reinkind sich den Ball sicherte, ein Magdeburger in ihn hereinrutschte, der Ball aber in grün-rote Hände gelegt wurde. Der SCM lag nach dem 3:0-Lauf durch Hornke, Musche und Weber in der 43. Minute erneut mit 24:19 in Front. Als dann Wiencek beim Gegenstoß von Smits gefoult wurde, statt des überragenden Linkshänders aber Hornke für zwei Minuten vom Platz "durfte", schien das die Geister der Zebras neu zu wecken, die nicht resignierten, letzte Reserven mobilisierten und ihre Abwehr zur Festung umbauten.
Zebras kämpfen sich in die Verlängerung
Die verbesserte Defensive war dann die Grundlage für die packende Endphase, in der die Kieler nach dem 23:29 in der 52. Minute alles in die Waagschale warfen und eine unglaubliche Aufholjagd starteten. Niklas Landin wurde zum Turm in der Schlacht, der komfortable Vorsprung der Magdeburger schmolz Minute um Minute wie Butter in der Sonne. Tore erzielten jetzt nur noch die Zebras: Sander Sagosen das 24:29, dann war Eric Johansson zur Stelle, Magnus Landin blieb eiskalt von der Strafwurflinie, Hendrik Pekeler schnappte sich einen Abpraller, verwandelte, und als Eric Johansson zum 28:29 in die SCM-Maschen warf, war 42 Sekunden vor dem Ende urplötzlich wieder ein kleines Wunder möglich. Das gab es dann auch im längst zum schwarz-weißen Tollhaus gewordenen Pokal-Tempel zu Hamburg, weil Niklas Landin den Siebenmeter von Smits großartig parierte. Mit dem Schlusspfiff hielt Magnus Landin den Ball in seinen Händen. An der Siebenmeterlinie des SCM, weil Hendrik Pekeler gefoult worden war. Landin behielt die Nerven, schmetterte die Kugel unter dem Jubel der THW-Fans ins linke obere Eck des Magdeburger Tores.
Kleinigkeiten entscheiden das Pokal-Drama
Es gab die ersehnte Verlängerung, doch der Triumph blieb aus. Das Momentum schlug wieder um auf Magdeburger Seite, weil Portner zunächst gegen Bilyk und kurz darauf gegen den Wurf aus schwierigem Winkel von Magnus Landin die Kieler Führung verhinderte. Stattdessen traf Kristjansson, und nach Smits verwandeltem Siebenmer nahmen die Magdeburger eine knappe 32:31-Führung mit in die zweite Hälfte der Verlängerung. Ein technischer Fehler des THW brachte direkt nach Wiederanpfiff den SCM vorentscheidend in Front: O'Sullivan bedankte sich mit dem 33:31, fortan liefen die Zebras wieder einem Rückstand hinterher und standen unter Druck. Nach Saugstrups schwerer Verletzung, der Kreisläufer schied mit Verdacht auf eine Knieverletzung aus, sprang Meister in die Bresche und konterte Reinkinds und Sagosens Anschluss. Doch noch einmal kam der THW Kiel zurück: 54 Sekunden vor dem Ende traf Magnus Landin zum 34:35, doch zum erneuten Ballgewinn sollte es nicht mehr kommen: Den letzten Angriff spielte der SCM herunter, die Zebras belohnten sich nicht für ihren großartigen Kampf, standen am Ende mit leeren Blicken auf dem Parkett, auf dem der SCM einen Jubelreigen zelebrierte.
Weiter geht’s mit dem nächsten Top-Spiel
Zweites Heimspiel 2023, erstes Mal Wunderino Arena: Am Donnerstag empfängt der THW Kiel den zuletzt aufgrund von Finanz-Problemen in die Schlagzeilen geratenen polnischen Weltklasse-Klub Industria Kielce. Die Mannschaft um den deutschen Nationaltorhüter Andreas Wolff gewann im vergangenen Jahr Silber in der Machineseeker EHF Champions League, in dieser Saison soll es erneut nach Köln gehen. Doch auch die Zebras brauchen im Kampf um die Platzierungen jeden Punkt und setzten auch am Donnerstag ab 18:45 Uhr auf die Unterstützung ihrer Zuschauer. Karten für diese Begegnung gibt’s an allen bekannten Vorverkaufsstellen, online unter www.thw-tickets.de und in der THW-FANWELT direkt an der Arena. Weiter geht’s gegen Kielce, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
DHB-Pokal, Viertelfinale: THW Kiel – SC Magdeburg 34:35 n.V. (29:29, 14:19)
THW Kiel: N. Landin (1.-15., 31.-70., 10/1 Paraden), Mrkva (15.-30. und ein Siebenmeter, 1 Parade); Duvnjak, Sagosen (6), Reinkind (4), M. Landin (6/4), Øverby, Weinhold, Wiencek, Ekberg (3/1), Fraatz (1), Johansson (9), Dahmke, Zarabec, Bilyk, Pekeler (5); Trainer: Jicha
SC Magdeburg: Jensen (40.-54., 1 Parade), Portner (1.-40., 54.-70., 10/1 Paraden); Meister (2), Chrapkowski, Lipovina, Musche (5), Kristjansson (3), Pettersson, Hornke (6), Weber (4), Mertens, Saugstrup (5), O’Sullivan (1), Bezjak, Smits (9/5), Damgaard; Trainer: Wiegert
Schiedsrichter: Fabian Baumgart / Sascha Wild
Zeitstrafen: THW: 3 (M. Landin (9.), Weinhold (20.), Reinkind (46.)) / SCM: 4 (Lipovina (23.), Bezjak (41.), Saugstrup (45.), Hornke (54.))
Siebenmeter: THW: 7/5 (Portner hält Ekberg (14.), Sagosen überweg (16.)) / SCM: 7/5 (Smits an den Pfosten (21.), Landin hält Smits (60.))
Spielverlauf: 0:1, 1:2 (4.), 3:2 (5.), 4:3, 4:6 (10.), 6:8, 6:10 (15.), 7:11, 11:14 (26.), 11:16 (27.), 13:17, 14:19;
16:19 (32.), 19:21 (37.), 19:24 (43.), 21:24, 22:27 (48.), 23:29 (52.), 29:29
Verlängerung: 30:30, 31:31 (65.), 31:32; 31:33 (66.), 33:34 (67.), 33:35 (68.), 34:35 (70.).
Zuschauer: 12523 (Barclays Arena, Hamburg)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Vorweg Glückwunsch an den SC Magdeburg zum Sieg und alles Gute und eine schnelle Genesung für Magnus Saugstrup. Bei aller Rivalität ist solch eine Verletzung nichts, was man in so einem Spiel braucht, und letztlich wollen die Fans doch immer die Besten spielen sehen.
Zum Spiel: Wir hatten heute in der ersten Halbzeit leider nicht die Qualität und brauchten nach der langen Pause sehr viel mehr Anlauf als der SCM: Wir hatten Probleme im Rückzug, hatten keine Torwart-Paraden und haben im Angriff zu viel verschossen. Der hohe Rückstand war eine Riesen-Hypothek. In der zweiten Halbzeit fangen wir dann an, so zu arbeiten, wie wir uns das vorgenommen hatten, kommen heran, haben Überzahl und verlieren wieder zweimal den Ball. Trotzdem kämpfen sich meine Jungs noch einmal heran, noch einmal so zurückzukommen, verdient Respekt. Plötzlich waren wir wieder da, der Wille war da, und die Spieler haben Verantwortung übernommen und es in die Verlängerung geschafft. Da macht dann der SCM ein Tor mehr als wir und ist deshalb weiter. Wir müssen jetzt den Mund abwischen, trainieren, weiter arbeiten und in den nächsten fünf Monaten alles geben.
THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi: Wir sind sehr enttäuscht, denn es war eines unserer großen Ziele, nach Köln zu fahren. Riesen-Kompliment an beide Mannschaften, die ein großartiges Spiel gezeigt haben, mit allem, was unseren Sport so ausmacht. Wir haben allerdings zu lange gebraucht, um an unser Leistungsmaximum zu kommen. Bei unserem 5:-0-Lauf zur Verlängerung haben wir dann die Abwehr gespielt, die wir uns eigentlich schon von Beginn an gewünscht hätten. In der Verlängerung entscheidet dann jede Aktion, und wir gratulieren dem SCM zum Weiterkommen. Die Verletzung von Saugstrup hat uns dann leider wieder einmal die Schattenseite unseres Sports vor Augen geführt, wir wünschen ihm alles Gute.
Danke an alle, die sich auf den Weg nach Hamburg gemacht haben. Egal, ob aus Kiel, Magdeburg, Luxemburg, Süddeutschland oder Skandinavien – jeder einzelne hat mit dafür gesorgt, dass das heutige Spiel zu einem echten Pokalkracher in einer Riesen-Atmosphäre wurde. Mein Dank geht auch an die Mitarbeiter der Arena, ein besonderer Dank an die Mitarbeiter unserer Geschäftsstelle, die in den vergangenen Wochen Großartiges geleistet haben, um das alles auf die Beine zu stellen, was wir heute erlebt haben. Es war die richtige Entscheidung, in dieser speziellen Situation hier nach Hamburg zu kommen.
SCM-Trainer Bennet Wiegert: Aktuell fühle ich mich leer und nicht so, als ob wir gerade die Qualifikation zum REWE Final4 geschafft hätten. Die Verletzung von Saugstrup war ein Nackenschlag, was meine Mannschaft danach gemacht hat, war aller Ehren wert. Sie hat das Spiel allein zu ende gebracht. Ein Riesen-Kompliment an mein Team, ich bin sehr stolz darauf, wie wir gespielt haben. Wir waren 50 Minuten lang überragend und haben die Partie dominiert. Dann haben wir es allerdings versäumt, den Sack zuzumachen.