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Sieg mit der Sirene: THW Kiel überwintert nach Drama gegen Kolstad an der Tabellenspitze

Spielbericht

Sieg mit der Sirene: THW Kiel überwintert nach Drama gegen Kolstad an der Tabellenspitze

Der THW Kiel bleibt in der Machineseeker EHF Champions League in der Erfolgsspur - und wie: Am Mittwochabend sorgten die Zebras in einem wahrhaften Herzschlag-Finale für einen Jubel-Orkan an der Ostsee. 6811 Fans in der Wunderino Arena feierten den Buzzerbeater von Rune Dahmke, der nach seinem Siegtreffer nach feinem Anspiel von Nikola Bilyk unter einer Traube seiner Mitspieler begraben wurde. Das entscheidende Tor zum 26:25 (15:12) gegen Kolstad Handball war Höhepunkt eines intensiven Spiels mit großen Emotionen, in dem sich die Kieler nach einem Auf und Ab der Gefühle für die Hinspiel-Niederlage revanchierten. Durch den Erfolg überwintern die Zebras auf Platz eins in der Hammer-Gruppe A. 

Ein Abend mit vielen Kieler Helden

Domagoj Duvnjak und Rune Dahmke inmitten der Kieler Jubeltraube

Es war ein nervenaufreibender Handballabend, der viele Helden in Schwarz-Weiß hatte. Da war THW-Linksaußen Rune Dahmke, der in der Schlusssekunde sein Herz in beide Hände nahm. Da war aber auch Domagoj Duvnjak, der in der finalen Phase dieses intensiven Ringens einmal mehr das Zünglein an der Waage war. Vier Treffer erzielte der Kapitän und war dabei auch nicht von einem Schlag von Sander Sagosen zu stoppen: Das Ex-Zebra hatte Duvnjak bei hohem Tempo mit dem Unterarm im Gesicht getroffen und und zu Recht in der 54. Minute die Rote Karte gesehen. Da war auch ein Niclas Ekberg, mit 8/4 Treffern aus neun Versuchen erfolgreichster Werfer der Zebras. Da war der Mittelblock um Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Petter Överby, und da war Samir Bellahcene: Der THW-Franzose ließ die gegnerischen Angreifer ein ums andere Mal mit starken Paraden verzweifeln und hielt seine Farben im Spiel. 

Gäste finden besser in die Partie

Niclas Ekberg traf acht Mal

Die Kieler mussten auch gegen Norwegens Meister auf ihren bisher erfolgreichsten Rückraumschützen verzichten: Harald Reinkind fehlte gegen seine Landsleute, die Wade des Linkshänders zwickt immer noch. Ihren durchschlagkräftigsten Linkshänder hatten die Norweger ebenfalls nicht dabei: Magnus Röd fiel kurzfristig mit einer Zerrung aus. Die Partie begann mit einer herzlichen Umarmung zwischen THW-Kapitän Domagoj Duvnjak und Ex-Zebra Sander Sagosen, danach gingen beide Teams weniger herzlich zur Sache. Kolstad kassierte für das harte Zupacken in der Abwehr schon nach 20 Minuten drei Zeitstrafen, fand aber zunächst deutlich besser in die Partie als die Zebras. Setterblom traf zum 1:0, Sagosen war nach fünf Minuten zum 2:0 für Kolstad erfolgreich. Und der THW? Hatte zunächst Ladehemmungen, scheiterte zudem am gut aufgelegten Torbjörn Bergerud im Kolstad-Gehäuse. Ob Weinhold, Johansson, Ekberg oder Bilyk, Kiels Angreifer trafen einfach nicht ins Tor.

Kieler finden in die Partie

Brach den Bann: Petter Överby

Nur gut für die Gastgeber, dass die Gäste ebenfalls kein Wurfglück entwickelten, mehrfach das Kieler Gebälk trafen oder an Tomas Mrkva im THW-Tor scheiterten. Per Tempogegenstoß brach Petter Överby schließlich nach 8:33 Minuten den Bann, warf an Bergerud vorbei zum 1:2 ein. Direkt im Gegenzug nahm Sagosen Maß, erzielte die 3:1-Führung für Kolstad, wenig später erhöhte Gudjonsson gar auf 4:1. Aber das Kieler Angriffsspiel nahm Konturen an: Weinhold markierte nach einem Wackler das 2:4, Överby brachte Kiel nach Johansson-Zuspiel auf 3:4 heran. Weil Bergerud aber weiterhin großartige Reflexe zeigte, die Kieler Offensive nahezu allein aufhielt, zogen die Gäste durch Gudjonsson und Gullerud auf 7:4 davon. 14 Minuten waren gespielt, als der THW vorne konzentrierter agierte, mit einem 3:0-Lauf in der 17. Minute erstmals zum 7:7 egalisierte. Ekberg, Magnus Landin und noch einmal Ekberg trafen für die Zebras.

THW nimmt Drei-Tore-Vorsprung mit in die Pause

Übernahm Verantwortung: Eric Johansson

Minuten lang agierten beide Teams jetzt auf Augenhöhe, Kolstad legte vor, der THW zog nach. Die erste Kieler Führung erzwang dann Patrick Wiencek, der nach einem Lattentreffer von Lyse auf der anderen Seite genauer Maß nahm, vom Kreis zum Kieler 10:9 einwarf. Die Gäste indes erlebten die nächste personelle Schwächung: Göran Sögard humpelte raus, während auf der anderen Seite der gute Mrkva für Bellahcene Platz machte. Der Franzose bedankte sich sofort mit einer Parade gegen Lyse, Ekberg veredelte den Ballgewinn nach großartigem Zuspiel von Eduardo Gurbindo zum 12:10. Kolstad aber antwortete postwendend, traf in der 26. Minute durch Lyse und Gudjonsson zum 12:12. Die letzten drei Minuten der ersten Halbzeit gehörten dann ausschließlich den Zebras. Bellahcene nagelte seinen Kasten zu, und vorne trafen Johansson, Ekberg und fast mit dem Pausenpfiff Hendrik Pekeler, glänzend freigespielt von Elias Ellefsen á Skipagötu, der nach seiner Einwechslung für Tempo und Spielwitz sorgt

Kolstad setzt den THW unter Druck

Drei Tore Vorsprung nahmen die Kieler mit in den zweiten Abschnitt, der in der Anfangsphase zum Spiegelbild der ersten Halbzeit wurde. Johansson hatte Pech und traf die Latte. Wiencek scheiterte an Bergerud – Setterblom und Gudjonsson warfen Kolstad schnell auf 14:15 heran. Und die Zebras? Taten sich schwer gegen die zupackende, verdichtende Kolstad-Abwehr. Á Skipagötu hielt die Kieler mit zwei Treffern in Folge in Front. 17:15 leuchtete nach 35 Minuten auf dem Hallenwürfel. Doch die Norweger hielten dagegen, Sagosen traf zum 17:16, Aalberg zum 17:17. Das Spiel wurde noch härter: Eric Johansson wurde schwer von Aga gefoult, hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter. Der Norweger kassierte eine Zeitstrafe. Filip Jicha allerdings ebenfalls: Der THW-Trainer hatte sich während der Spielunterbrechung auf dem Feld regelkonform nach dem Befinden von Johansson erkundigt - warum er vom EHF-Delegierten dafür zwei Minuten erhielt, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. 

Neun torlose Minuten ohne großen Schaden

Hielt den THW Kiel im Spiel: Samir Bellahcene

Steffen Weinhold holte derweil den Hammer raus, wuchtete den Ball in der 38. Minute zum 18:17 in den Torwinkel. Es war für lange neun Minuten der letzte Treffer, der den Gastgebern gelingen sollte. Kurios: Trotz dieser Flaute gelangen den Gästen auch nur drei Treffer, weil Bellahcene den schwarz-weißen Schaden in Grenzen hielt. Aalberg traf bis zur 40. Minute zweimal für die Gäste, und als Gudjonsson Bellahcene in der 45. Minute überwand, lag Kolstad 20:18 vorn. Der THW-Torhüter verhinderte in der Folge mit Glanzparaden am Stück, dass die Norweger davonzogen. Per Unterarmwurf brachte Domagoj Duvnjak sein Team auf 19:20 heran, es war erst das vierte Kieler Tor in 17 Minuten. Kolstad-Coach Christian Berge griff zur Auszeit, Lyse erhöhte danach auf 21:19.

Finale furioso 

Zäh ging es in der Offensive weiter. Auf beiden Seiten. Duvnjak und Johansson ließen die Kieler Fans mit ihren Toren hoffen. Als Kiels Kapitän dann in der 54. Minute bei einem Tempogegenstoß von Sagosen unsanft ausgebremst wurde, zog das Schiedsrichterinnen-Gespann den Videobeweis zu Rate. Das Ergebnis: Rote Karte für Sagosen, der nicht nur in dieser Szene scheinbar überemotionalisiert zu Werke ging. So erwies Sagosen seiner Mannschaft auch noch einen Bärendienst: Den folgenden Strafwurf netzte Ekberg zum 22:23 ein, "Dule" glückte in Überzahl ein Ballklau, den er ins leere Kolstad-Tor beförderte. Der THW Kiel war zurück im Spiel! Wenig später schmetterte Johansson den Ball zum 24:23 in den Winkel. Doch die Norweger ließen nicht locker, antworteten durch Aalberg und Lyse zur erneuten Führung in der 58. Minute. Der Handball-Krimi steuerte seinem finale furioso entgegen: Wieder war Duvnjak zur Stelle, 25:25. Samir Bellahcenes letzte Aktion - mit dem Fuß machte der Franzose den Wurf von Setterblom unschädlich. Ballbesitz für den THW Kiel, 28 Sekunden vor dem Abpfiff versammelte Jicha seine Mannen um sich, besprach den letzten Spielzug. Alles lief dann nach Wunsch - Bilyk auf Dahmke, Tor, Sieg. Orkanartiger Jubel. Die Fans feierten ihren THW, der als Tabellenführer der Champions-League Gruppe A das Jahr 2024 begrüßt.

Schweres Auswärtsspiel am Samstag in Nürnberg

Nach zuletzt drei erfolgreichen Heimpartien in Folge steht bei den Kielern bereits am Samstagabend ein schweres Auswärtsspiel in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga auf dem Programm: Um 20:30 Uhr sind sie zu Gast beim HC Erlangen, der sich in der Arena Nürnberger Versicherungen auf das "Spiel des Jahres" freut. Der mobile Fanshop des THW Kiel reist ebenfalls nach Franken, und Dyn überträgt für alle, die zu Hause den Zebras die Daumen drücken möchten, live. Weiter geht’s beim HC Erlangen, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

Machineseeker EHF Champions League; 10. Spieltag: THW Kiel - Kolstad Handball 26:25 (15:12)

THW Kiel: Mrkva (1.-20., 3 Paraden), Bellahcene (20.-60., 11 Paraden); Ehrig (n.e.), Duvnjak (4), M. Landin (1), Øverby (2), Weinhold (2), Wiencek (1), Ekberg (8/4), Johansson (4), Dahmke (1), Gurbindo, Wallinius, Bilyk, Pekeler (1), á Skipagøtu (2); Trainer: Jicha
Kolstad Handball: Eggen (1 Siebenmeter, 1/1 Parade), Bergerud (1.-60., 14 Paraden); Aga, Sagosen (5), Rönning, Aalberg (2), Langeland, Limstrand, Setterblom (3), Gullerud (1), Kvam, Sögard (2), Lyse (5), Gudjonsson (5), Johnsen; Trainer: Berge

Schiedsrichter: Charlotte Bonaventura / Julie Bonaventura (FRA)
Siebenmeter: THW: 5/4 (Eggen hält Ekberg (40.)) / Kolstad: 0
Zeitstrafen: THW: 3 (2x Pekeler (24., 44.), Jicha (38.)) / Kolstad: 6 (Limstrand (18.), Sagosen (20.), Aga (38.), 2x Setterblom (23., 40.), Gudjonsson (51.))
Rote Karte: Sagosen (Kolstad, grobes Foulspiel (55.))
Spielfilm: 0:2 (5.), 1:2 (9.), 1:4, 3:4 (11.), 4:5, 4:7 (14.), 7:7 (17.), 8:9, 10:9 (21.), 10:10, 12:10 (25.), 12:12 (27.), 15:12;
2. Hz.: 15:14 (32.), 17:15 (35.), 18:17 (38.), 18:20 (45.), 19:21 (50.), 21:23 (53.), 24:23 (56.), 24:25 (58.), 26:25.
Zuschauer: 6811 (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Das war ein echtes Champions League-Match auf dem höchsten Level. Zwei starke Abwehrreihen haben den Angriff an den Rand gebracht. Es war eine Menge Kampf in diesem Spiel, eine Menge Adrenalin. Ich bin stolz auf meine Jungs, dass sie ruhig geblieben sind. Wir haben es trotz guter Möglichkeiten in der zweiten Halbzeit nicht geschafft, Tore zu erzielen. Aber mit einer Menge Feuer und Kreativität haben wir es trotzdem irgendwie noch geschafft. In der Schlussphase haben wir in der Abwehr auf die 3-2-1-Formation gewechselt, die uns einen wichtigen Steal bescherte. Dann war es eine offene Partie, beide Teams hätten gewinnen können und wir waren von zwei Mannschaften die glücklichere.

Kolstads Trainer Stian Gomo Nilsen: Glückwunsch an den THW Kiel für diesen starken Kampf und den Sieg. Die Kieler haben eine starke Abweghr gespielt und hatten eine Menge Paraden. Es hat Spaß gemacht, dieses Spiel zu erleben. Es war eine Menge Adrenalin im Spiel, wir haben auch eine großartige Abwehr gespielt. Einige dumme Fehler in den letzten fünf, sechs Minuten haben uns dann eine Menge gekostet. Ich bin stolz auf den Kampf meiner Mannschaft, unglücklicherweise fahren wir mit null Punkten nach Hause.

THW-Kreisläufer Petter Överby: Danke an Kolstad für dieses harte Spiel mit einer hohen Intensität. Es war ein wirklich harter Kampf, vor allem in der zweiten Halbzeit. 7 gegen 6, 6 gegen 6, offensive Verteidigung, 6:0-Verteidigung - in diesem Spiel wurde wirklich jede taktische Variante ausgereizt. Und natürlich waren unsere Zuschauer großartig. Es hat Spaß gemacht, heute hier zu spielen. Meine Vertragsverlängerung? Was soll ich dazu noch sagen? Ich bin einfach nur glücklich.

Kolstads Außen Sigvaldi Björn Gudjonsson: Wir haben uns einen großen Kampf geliefert. Wir haben mit einem Tor in Kiel verloren, einem Ort, an dem es wirklich schwer zu spielen ist. Ich bin zufrieden mit unserem Team Spirit, wir haben 60 Minuten gekämpft und haben uns am Ende durch unsere Fehler nicht belohnt. Aber wir haben auch ohne drei Schlüsselspieler auskommen müssen: Magnus Röd war vor dem Spiel raus, Göran Sögard in der ersten Halbzeit und Sander in den letzten Minuten. Wir haben einen guten Charakter gezeigt, stehen aber mit leeren Händen da.