Atemberaubende Torejagd: Die Zebras feiern ihren ersten Sieg gegen den HBC Nantes
Die Schmach der 30:38-Niederlage vom 27. Oktober aus dem Hinspiel der Machinenseeker EHF Champions League bei HBC Nantes saß tief, hatte die Spieler des THW Kiel tief getroffen. Am Donnerstag machten sich die Zebras vor 6204 völlig begeisterten Fans Luft: Sie gewannen die Revanche gegen die Franzosen mit 37:33 (20:18) Toren, feierten im vierten Duell endlich den ersten Sieg überhaupt gegen Nantes und zogen in der Vorrundengruppe B an Aalborg, das am Abend 26:32 in Barcelona den Kürzeren zog, vorbei auf Platz vier. Beste Kieler Schützen in dieser atemberaubenden Torejagd waren Nikola Bilyk, der insgesamt zehnmal ins Schwarze traf, und Karl Wallinius. Der junge Schwede traf trotz seiner Kniebeschwerden siebenmal für den THW. Für die Gäste war Thibaud Briet mit sechs Toren am besten.
Dahmke: "Auf dem Parkett stand heute eine echte Mannschaft"
Gast der Partie war Dominik Klein, ehemaliges THW-Idol, das seine Karriere vor vier Jahren mit HBC Nantes im Finale der EHF Champions League beendet hatte. Klein, der auch in der Ahnengalerie der verdientesten Zebras unter der Wunderino-Arena-Decke hängt, hatte Vertrauen in seine ehemaligen Kieler Mitspieler, tippte vor dem Spiel unter dem Jubel der Fans auf einen THW-Sieg. Er sollte recht behalten: Absoluter Kampf, Willen und Spielkunst waren die Zutaten für den Sieg der Zebras, die sich nach Spielschluss zu Recht von ihrer begeisterten Kulisse feiern lassen durften. Was anders war im Rückspiel der beiden Teams? Rune Dahmke brachte es mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf den Punkt: "Vom Kopf her sind wir anders rein in die Partie, haben trotz erneuter Ausfälle alles in die Waagschale gelegt. Auf dem Parkett stand eine echte Mannschaft, alle haben ihren Teil zu diesem tollen Erfolg beigetragen."
Sorgenfalten auf Jichas Stirn
Filip Jicha trieb die personelle Situation bei den Zebras einmal mehr die Sorgenfalten auf die Stirn: Er musste von Beginn an erneut auf drei Verletzte verzichten: Sven Ehrig, Eric Johansson und Steffen Weinhold sind noch längere Zeit nur Zuschauer. Hinzu kam der Ausfall von Kapitän Domagoj Duvnjak, der das Spiel aus dem heimischen Bett verfolgte - ein grippaler Infekt hatte "Dule" in die Waagerechte gezwungen. Hinzu kamen weitere angeschlagene Spieler. Aber: Jichas ehemals Langzeitverletzten Sander Sagosen und Hendrik Pekeler sind zurück im Team, mischten bereits kräftig wieder mit. Sander Sagosen war es dann auch, der das Torfestival der ersten 30 Minuten mit dem 1:0 einläutete. Die Abwehr von HBC, die ohne ihren verletzten Torhüter Hallgrimsson auskommen musste, war machtlos gegen den Tordrang des Norwegers.
Temporeicher Start
Doch die Franzosen drückten, wie schon im Hinspiel, mächtig aufs Tempo, lagen nach sieben Minuten durch Kreisläufer Toto 4:3 vorn, der Doppelschlag von Nikola Bilyk und Sander Sagosen drehte die Führung. Überhaupt Bilyk: Der Österreicher machte ein grandioses Spiel, war Stütze der Abwehr und als Regisseur im Angriff Anspieler und Torschütze zugleich. Fünf Tore steuerte Bilyk bereits in den ersten 30 Minuten bei, hielt sein Team gemeinsam mit Sander Sagosen stets auf Augenhöhe mit dem Team aus der Bretagne, das in den ersten Minuten dominant war. Aber auf der Platte stand ein anderes Kieler Team als jenes, das sich vor wenigen Wochen in der Nähe des Atlantik schwer düpieren ließ.
Wallinius kommt herein und trifft am Fließband
7:9 stand es nach 14 Minuten, als Filip Jicha Karl Wallinius ins Rennen schickte. Und der 23-Jährige nahm von Beginn an Fahrt auf, erzielte die folgenden fünf (!) THW-Tore quasi im Alleingang, war von der hart zu Werke gehenden Abwehrreihe der Franzosen nie zu bändigen. 8:9, 9:9, 10:10, 11:11 und 12:11 – Torschütze für den THW Kiel jeweils: Karl Wallinius! Ein grandioser Auftritt des jungen Schweden. Doch die gesamte Mannschaft zog an einem Strang, fightete, warf sich den torhungrigen Franzosen, die es pro Spiel fast nie unter 30 Toren machen, in den Weg. Es war der unbändige Siegeswille, der die Zebras antrieb, die Zuschauer immer wieder von den Sitzen riss. Gezaubert wurde obendrein auch noch: die Anspiele von Miha Zarabec waren eine Augenweide, ebenso das Tor von Rune Dahmke zum 14:13, prima vorbereitet von Wallinius. Kuriosum am Rande: Dahmkes Treffer in der 21. Minute war das erste THW-Tor eines Nicht-Rückraumspielers...
THW nimmt Führung mit in die Pause
Die Franzosen gaben nicht einen Deut nach, zogen ihr Tempospiel weiter durch, legten in der 26. Minute eine erneute Führung durch Persson zum 16:15 vor. Allerdings: Es sollte die letzte Führung des Gastes in diesem Spiel sein. Hendrik Pekeler nutzte seine Chance vom Kreis zum Ausgleich, traf wenige Sekunden später spektakulär im Nachsetzen auch zum 17:16, Briet egalisierte noch einmal auf 17:17, ehe der 3:0-Lauf kurz vor dem Wechsel den Kielern die erste Drei-Tore-Führung zum 20:17 bescherte: Niclas Ekberg mit dem einzigen Siebenmeter der Partie, Miha Zarabec nach einer furiosen Mrkva-Parade und Patrick Wiencek nach Ekberg-Steal waren die Torschützen. Odriozola verkürzte mit der Sirene auf den 20:18 Halbzeitstand.
Zebras haben auf alles eine Antwort
Die zweiten 30 Minuten waren dann ein Handballfest für alle Beteiligten, die in Weiß auf dem Parkett standen oder den Zebras die Daumen auf der Tribüne drückten. Karl Wallinius gab den Startschuss mit einem großartigen Solo zum 21:18 für Kiel, Harald Reinkind reihte sich mit seinem ersten Tor - einem grandiosen Hammer in den Torwinkel - in die Reihe die Torschützen ein. Nantes war oft nahe dran, sich wieder zurückzumelden. Aber eben nur nahe dran. Die Zebras hatten auf alles eine Antwort. Eine laute oder auch eine filigrane. Sensationell das Rückhand-Tor von Överby zum 26:24 in der 41. Minute. Weltklasse der Treffer von Nikola Bilyk zum 27:25 - in Unterzahl und mit Zeitspieldruck. Zum Zungeschnalzen das Anspiel von Zarabec auf Petter Överby der zum 28:26 traf. Mit einem strammen Stemmer jagte Zarabec den Ball in der 50. Minute zum 31:28 in die Maschen. Aber dieses furiose Spiel war noch lange nicht entschieden: Briet und Cavalcanti bestraften Kieler Fehler dann noch einmal zum 30:31.
Die Arena steht Kopf
Doch der THW ließ sich nicht mehr von der Siegerstraße drängen. Harald Reinkind und Yannick Fraatz nach tollem Bilyk-Anspiel waren zur Stelle, stellten auf 33:30 in der 53. Minute. Als Hendrik Pekeler wenig später zum 35:31 einwarf, Rune Dahmke in der 57. Minute nach einer Traumkombination bei drohendem Zeitspiel ein ganz frecher Leger zum 36:32 gelang, war die Partie dann doch entschieden. Die Kirsche auf die THW-Siegertorte zauberte schließlich Nikola Bilyk aus seiner rechten Wurfhand, schmetterte den Ball zum 37:32 in die Maschen. Es war das zehnte Tor des Österreichers, die Arena stand Kopf.
Nächstes wichtiges Spiel bereits am Sonntag
Die Zebras bleiben nach dem ersten Sieg überhaupt gegen den HBC Nantes in eigenen Gefilden, denn bereits am Sonntag steht das nächste Heimspiel an: Die Partie gegen die wiedererstarkte MT Melsungen wird um 16:05 Uhr angepfiffen. Rund um die Partie, für die es in der THW-FANWELT (Sonntag ab 13 Uhr geöffnet) bei CITTI, famila und online unter www.thw-tickets.de Karten gibt, wird mit einem umfangreichen Programm auf den Schutz der Meere und der Küsten hingewiesen. Zum Themenspieltag "För de Küste" in Kiel wird die Mannschaft des THW Kiel erstmals seit einem Vierteljahrhundert nicht in Schwarz oder Weiß auflaufen, sondern in einem Sondertrikot, das es ab Sonntag in der THW-FANWELT zu kaufen gibt. Weiter geht’s gegen Melsungen, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
Machineseeker EHF Champions League, 9. Spieltag: THW Kiel – HBC Nantes 37:33 (20:18)
THW Kiel: N. Landin (1.-22., 48.-60., 5 Paraden), Mrkva (22.-48., 5 Paraden); Sagosen (3), Reinkind (2), M. Landin, Øverby (2), Wiencek (1), Ekberg (1/1), Pabst (n.e.), Fraatz (1), Dahmke (3), Zarabec (2), Schwormstede (n.e.), Wallinius (7), Bilyk (10), Pekeler (5); Trainer: Jicha
HBC Nantes: Hofmann (1.-60., 10 Paraden, Belbrahim (n.e.); Marchan (1), Briet (6), de la Breteche (1), Persson (3), Rivera (4), Cavalcanti (3), Shkurinskiy, Ovnicek (4), Damatrin-Bertrand, Portela (1), Maqueda (2), Toto (4), Monar, Odriozola (4); Trainer: Cojean
Schiedsrichter: Mirza Kurtagic / Mattias Wetterwik (SEW)
Zeitstrafen: THW: 5 (2x M. Landin (10., 18.), Fraatz (25.), 2x Sagosen (41., 47.)) / HBC: 4 (2x Monar (21., 47.), 2x Toto (28., 39.))
Siebenmeter: THW: 1/1 / HBC: 0
Spielverlauf: 2:2 (2.), 3:3, 5:3 (8.), 5:5 (9.), 6:6, 6:8 (14.), 7:9, 9:9 (17.), 10:11, 13:11 (19.), 13:13, 14:15 (24.), 17:17 (27.), 20:17 (30.), 20:18;
21:18 (31.), 23:20 (33.), 23:22, 25:24 (40.), 27:26 (43.), 29:28 (49.), 31:28 (50.), 31:30 (52.), 33:30 (54.), 35:31 (56.), 37:32, 37:33.
Zuschauer: 6204 (Wunderino Arena, Kiel)
Stimmen zum Spiel:
HBC-Trainer Gregory Cojean: Wir haben heute zu viele Dinge vermissen lassen, um hier zu gewinnen. Wir haben gut begonnen, dann aber zu viele Fehler gemacht. Der Sieg für den THW Kiel ist verdient.
THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft. Wir hatten in den vergangenen Tagen eine Menge Trouble: Wir wussten nicht, wer überhaupt spielen kann oder verletzt oder krank ist, wie Dule, der das Bett hüten muss. Aber diejenigen, die heute auf dem Feld standen, waren bereit. Anfangs war es ein sehr nervöses Spiel mit einer Menge Fehlern, dann war ich aber sehr glücklich damit, mit wieviel Freude und fighting spirit wir in diesem gerade für deutsche Mannschaften mit harten Matches gespickten Dezember agiert haben. Jetzt haben wir zum ersten Mal in der Geschichte des THW Kiel gegen Nantes gewonnen, machen weiter und starten morgen mit der Vorbereitung auf das nächste schwere Spiel.
THW-Toptorschütze Nikola Bilyk: Wir sind sehr glücklich, dieses Spiel gewonnen zu haben. Wir wussten alle, was uns im Hinspiel in Nantes passiert ist. Das war in unseren Köpfen. Am Anfang hatten wir mit ein paar Problemen zu kämpfen, dann haben wir besser gespielt. Wir waren bereit, wir wollten gewinnen und das allen zeigen. Und wir hatten den Spirit, dieses Spiel zu gewinnen.
HBC-Rückraumspieler Linus Persson: Wir sind richtig gut in die Partie gekommen. Aber wir hatten große Probleme im 6-5, und dann ist es immer schwierig, hier in dieser fantastischen Atmosphäre zu gewinnen. Wir hatten die Möglichkeit dazu, hatten dann aber in den letzten 10, 15 Minuten nicht die Energie, um das Spiel zu Ende zu bringen.