Schwarz-weißes Drama mit Happyend: THW Kiel wahrt mit Sieg bei Elverum alle Chancen

Champions League

Schwarz-weißes Drama mit Happyend: THW Kiel wahrt mit Sieg bei Elverum alle Chancen

Schwarz-weißes Handball-Drama mit Happyend: Bei der Rückkehr auf die europäische Handballbühne nach der EM gewann der THW Kiel am Donnerstagabend in einem nervenaufreibendem Schlussakt auch das Rückspiel in der EHF Champions League beim norwegischen Titelträger Elverum Handball mit 31:30 (14:15). Dadurch wahrten die Zebras in der Gruppe A mit 15 Punkten ihre Chance, einen der ersten beide Plätze der Vorrundengruppe zu erklimmen, die den direkten Einzug ins Viertelfinale garantieren. Matchwinner der Kieler war einmal mehr Torhüter Niklas Landin, der in der aufgeheizten Atmosphäre im Wintersport-Mekka Lillehammer insgesamt 17 Bälle hielt und in der Schlusssekunde bei zweifacher Unterzahl den Sieg mit einer Glanzparade gegen Elverums Rechtsaußen Kasper Lien sicherte. Bester Kieler Torschütze war Sander Sagosen, der in seiner norwegischen Heimat sechsmal ins Schwarze traf, für die Gastgeber zeichnete sich Rückraum-Ass Eric Johansson mit acht Toren aus. 

Handball-Spektakel in Norwegen

Nachwuchskoordinator Klaus-Dieter Petersen vertrat das Kieler Trainer-Gespann

Die phänomenale Hakons Hall im Olympia-Standort Lillehammer war ein würdiger Rahmen für das Handball-Spektakel zwischen dem unangefochtenen Spitzenreiter der norwegischen Liga und Deutschlands Rekordmeister. Es erinnerte zudem an Zeiten vor der Corona-Pandemie. Denn: Mehr als 8500 Fans veranstalteten ein Riesen-Spektakel, ließen ihrer Freude über das erste sportliche Großevent nach fast zwei Jahren ungezügelten Lauf, weil Norwegens Politik kurz vor der Partie Corona-Freiheiten verkündet hatte. Die Kieler hatten nach turbulenten Tagen erstmal aber keine große Lust, mitzufeiern, waren sie doch ohne Torhüter Dario Quenstedt, Abwehrboss Hendrik Pekeler und vor allem ihr Trainergespann Filip Jicha/Christian Sprenger angereist: Corona. Vertreten wurde das Duo durch THW-Jugendchef Klaus-Dieter Petersen, der das Team gemeinsam mit THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi im nördlichen Skandinavien coachte.

Temporeiche Begegnung

Bester Kieler Torschütze: Sander Sagosen

Die Gastgeber fanden zunächst besser ins Spiel hinein, den Torreigen eröffnete der bärenstarke Eric Johansson, Elverums schwedischer Rückraumakteur. Sander Sagosen glich postwendend zum 1:1 aus, Elverums 3:1-Führung durch Gröndahl und Moen egalisierten Niclas Ekberg und Steffen Weinhold in der siebten Minute zum 3:3. THW-Torhüter Niklas Landin war von Beginn an ein starker Rückhalt der Kieler Defensive, hielt die Zebras bereits mit neun Paraden in der ersten Halbzeit auf Augenhöhe mit den schnellen und gut spielenden Norwegern, die in der 15. Minute durch Hedberg eine erste Drei-Tore-Führung herauswaren. Doch der THW kämpfte sich zurück, bekam besseren Zugriff auf den Elverumer Angriff durch eine offensive Abwehr, zumeist mit Domagoj Duvnjak oder Magnus Landin als Speerspitzen. Die abermalige Drei-Tore-Führung der Gastgeber kurz vor dem Halbzeitpfiff verkürzten dann Miha Zarabec und Domagoj Duvnjak, die mit einem Doppelschlag zum 14:15-Halbzeitstand trafen.

Kieler übernehmen das Kommando

Voller Einsatz - wie immer: Domagoj Duvnjak

Der Start der zweiten 30 Minuten stand dann ganz im Zeichen überragender Paraden von Niklas Landin. Das brachte den Zebras, die im ersten Durchgang noch mit einer hohen Fehlerquote zu kämpfen hatten, Sicherheit. Die Folge: Niclas Ekberg traf in der 36. Minute zum 18:17 und damit zur ersten THW-Führung überhaupt, Duvnjak erhöhte auf 19:17. Urplötzlich waren es die rund 100 Kieler Fans in der gigantischen Halle, die für Stimmung sorgten - denn ihre Mannschaft war jetzt spielbestimmend. Sie hatte zwar Mühe mit Elverums überragenden Johansson, legte aber ständig eine Zwei- oder Drei-Tore-Führung zwischen sich und den norwegischen Meister. Patrick Wiencek traf in der 52. Minute zum 30:27 - doch diese Partie, die die Fans bereits zu diesem Zeitpunkt mit einem atemberaubenden Tempo aus dem Sitz gerissen hatte, sollte noch einen drauflegen. Es folgte eine Schlussphase, die ein gewisser Herr Hitchcock nicht besser hätte kreieren können...

Drama im letzten Akt

Weite Anreise, gute Stimmung: Die Kieler Fans trugen ihren Teil zu einem Handballfest bei

Denn die letzten fünf Minuten dieser insgesamt ausgeglichenen Partie wurden zu einem echten Krimi-Drama, dürften lange in den Köpfen von Zuschauern und Spielern haften bleiben. Elverum hatte in der 55. Minute den Kieler 30:27-Vorsprung egalisiert, und als Sander Sagosen von einem Gegenspieler in  THW-Kreisläufer Patrick Wiencek geschoben wurde und beide Zebras mit den Köpfen zusammenprallten, kassierte Wiencek nicht nur einen tiefen Cut und Sagosen eine kräftige Beule. Vielmehr mussten sie aufgrund der Behandlung auf dem Feld für die letzten drei Angriffe auf die Bank - ohne die beiden gerieten die Zebras in Not. Die Ereignisse überschlugen sich: Steffen Weinhold wurde durch ein Foul gebremst, doch Niclas Ekberg scheiterte mit dem fälligen Siebenmeter an Torhüter Thorsten Fries. Niklas Landin gab die Antwort mit einer Glanzparade gegen Lien, der anschließende Wurf von Duvnjak aufs leere Tor landete unglücklich am Pfosten.

Landins Großtat sichert zwei wichtige Zähler

Niklas Landin verschwand nach seiner letzten Großtat in einer Kieler Jubeltraube

Wieder hatten die Norweger, die konsequent mit dem siebten Feldspieler angriffen, Ballbesitz, Rune Dahmke flog auf die Strafbank. Doch die Kieler Abwehr hielt auch mit fünf Spielern dagegen, erkämpfte das Leder zurück. Großartig dann das Solo von Miha Zarabec, der sich durch Elverums Abwehr tankte, Torhüter Fries 40 Sekunden vor dem Schlusspfiff überwand, Kiel führte 31:30. Aber: Ballbesitz Elverum. Und als die portugiesischen Schiedsrichter Santos/Fonseca, die während der Partie eine klare Linie mehr als einmal vermissen ließen, auch noch Steffen Weinhold auf die Bank schickten, kämpften vier Kieler Feldspieler die letzten zehn Sekunden gegen sieben Angreifer um den Sieg. Erfolgreich, der Ball landete bei Rechtsaußen Lien, der Landin mit einem Leger ins kurze Eck überraschen wollte. Der Rest ist bekannt, Landins Glanzparade wurde mit der Kieler Jubeltraube belohnt.

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

EHF Champions League, 11. Spieltag: Elverum Handball (NOR) - THW Kiel: 30:31 (15:14)

Elverum Handball: Imsgard (1.-28., 30.-42., 10 Paraden), Fries (28.-30., 42.-60., 2/1 Paraden); Vidovic, Hedberg (1), Larsen, Moen Nilsen (3), Lien (3), Fingren, Gröndahl (4), Porkelsson, Langaas (1), Mathé (2), Johansson (8), Stafsted, Heldal (3), Solstad (5); Trainer: Lund
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 17/1 Paraden), Saggau (n.e.); Ehrig (1), Duvnjak (4), Sagosen (6), Reinkind (2), M. Landin (1), Weinhold (3), Wiencek (3), Ekberg (4/2), Ciudad (n.e.), Dahmke (4), Zarabec (2), Horak, Bilyk (1); Trainer: Petersen

Schiedsrichter: Duarte Santos / Ricardo Fonseca
Zeitstrafen: Elverum: 4 (2x Fingren (19., 24.), Hedberg (26.), Langaas (46.)) / THW: 7 (M. Landin (13.), 2x Weinhold (27., 60.), 2x Duvnjak (36., 42.), Wiencek (42.), Dahmke (59.))
Siebenmeter: Elverum: 1/0 (Landin hält Gröndahl (47.)) / THW: 4/2 (Ekberg an die Latte (11.), Fries hält Ekberg (58.))
Spielfilm: 1:1 (2.), 3:1 (4.), 3:3 (6.), 4:4, 6:4 (9.), 6.6, 7:7, 10:7 (16.), 11:8, 11:10 (21.), 13:12, 15:12 (26.), 15:14 ;
15:15, 17:16 (34.), 17:19 (35.), 19:21, 21:21 (40.), 24:24 (45.), 24:26 (47.), 27:30 (52.), 30:30 (55.), 30:31 (60.).
Zuschauer: 8532 (Hakons Hall, Lillehammer (NOR))

Stimmen zum Spiel: 

Patrick Wienceks Cut am Auge wurde vom Mannschaftsarzt Dr. Detlev Brandecker mit mehreren Stichen genäht

THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi: Wir haben sehr turbulente Tage hinter uns. Erst musste Filip passen, dann hat ‚Sprengi‘ übernommen und das klasse gemacht, bevor auch er nicht mehr mitmischen konnte. Deshalb geht ein großes Dankeschön an „Pitti“ Petersen, dass er das Coaching übernommen hat. Er hat das sehr gut gelöst. Aber wenn man das alles betrachtet, weiß man auch, worum es uns heute ging: Es ging nur um diese zwei Punkte. Großen Respekt für meine Mannschaft. Nicht alles war perfekt, aber sie hat trotzdem einen perfekten Job abgeliefert. Es war ein Riesen-Kampf bis zum Schluss, und am Ende hatten wir auch ein bisschen Glück. Das benötigen wir in dieser Phase auch. Jetzt sind wir sehr froh, den Sieg geholt zu haben. Ich hoffe, dass die Verletzung von Mathé nicht zu schlimm ist und wünsche ihm eine schnelle Genesung. Bei Patrick denke ich, dass es nicht so schlimm ist. Er hat eben in der Kabine schon wieder gelacht, und wäre auch bereit gewesen, nochmal ins Spiel zu gehen.

Elverums Trainer Börge Lund:
Glückwunsch an den THW. Wir haben ein richtig gutes Spiel abgeliefert und haben unsere Chance gespürt, gegen diese große Mannschaft etwas mitnehmen zu können. Jetzt bin ich natürlich enttäuscht, dass wir trotz der starken Leistung keinen Punkt geholt haben. Glück und Erfahrung haben letztlich die Partie zugunsten des THW Kiel entschieden.


Elverums Top-Torschütze Eric Johansson: Ich bin ein bisschen enttäuscht über das Ergebnis. Wir haben bis zum Ende für den Sieg oder zumindest ein Unentschieden gekämpft. Aber es war ein großes Spiel in einer großartigen Atmosphäre.

THW-Rückraumspieler Sander Sagosen:
Danke an alle, die diese große Handballparty in Norwegen möglich gemacht haben. Es war ein großartiges Gefühl, heute auf dem Feld zu stehen. Elverum war sehr stark – vorn wie hinten. Aber ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft, wir sind zusammen in einer schwierigen Zeit aufgestanden, haben zusammen gekämpft und die Punkte geholt. Aber es bleibt keine Zeit für eine Feier, es gibt keine Pause – die nächste Aufgabe steht an.