KN: Landin glänzt, Zebras punkten
Kiel. Ein Nordderby mit "Bämm!"-Effekt. In der Handball-Champions-League trennen sich der THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt am Sonntag mit einem 20:20 (9:7)-Unentschieden. Ein Spiel für Defensivliebhaber, emotional aufgeladen, spannend bis zur letzten Sekunde. So richtig glücklich sind am Ende nur Britta und Bøje Toft Hansen. Doch dazu später mehr.
Zebras in der Königsklasse gegen Flensburg
Das 94. Nordderby - langweilig wird's nie. Am Sonntagnachmittag wird es wieder einmal eine personal-puzzelige Taktik-Schlacht, in der THW-Trainer Alfred Gislason möglichst ohne Wechsel zwischen Abwehr und Angriff auskommen will, um Flensburger Tempo entgegenzuwirken und das eigene hochzuhalten. Lukas Nilsson (zwischen Christian Dissinger und Steffen Weinhold) beginnt auf der Spielmacher-Position. Der junge Schwede trifft brachial zum 2:2 (5.) und muss zunächst Dissinger in der Rückraum-Mitte weichen. Fünf weitere Minuten vergehen (es steht noch immer 2:2), und der offensiv ineffektive Nilsson muss ganz auf die Bank. Fünf weitere Minuten vergehen (es steht noch immer 2:2), und der für ihn eingewechselte und indisponierte (Gislason: "Er ist völlig neben der Spur") Nikola Bilyk sitzt auch schon wieder. Was für ein Spiel! Kompliment! Die "weiße Wand" auf den Rängen dröhnt bis nach Flensburg, feiert ihr Abwehrbollwerk frenetisch, das 16 Minuten lang zwischen dem 1:2 (4.) und 5:3 (20.) kein SG-Tor zulässt. Mit Alfred Gislason tauschen möchte trotzdem niemand. Der Isländer justiert und dirigiert und instruiert und sucht die richtige Mischung.
Und findet sie mit zwei Linkshändern im Rückraum. Marko Vujin (Halbrechts) und der klug spielleitende Steffen Weinhold - das passt! Fünf Minuten später steht es 8:3 durch einen tollen Vujin-Schlagwurf (25.). Doch ohne Niklas Landin im Kieler Tor wäre alles nichts. Der Däne hält und hält, und zwar - anders als sein Gegenüber Mattias Andersson - die ganz schweren Bälle. Landin entnervt die jungen Hampus Wanne und Neuzugang Simon Jeppsson, anfangs auch Lasse Svan und Kentin Mahé im Gegenstoß. Leider unterlaufen seinen Vorderleuten in der Offensive erneut Fehler, passieren Missverständnisse, stehen Fehlpässe zu Buche. Und ganz nebenbei haben ja auch nicht nur die Zebras einen Weltklasse-Mittelblock mit Patrick Wiencek und René Toft Hansen (oder Christian Dissinger). Wo Tobias Karlsson (an der Seite von Henrik Toft Hansen oder Jacob Heinl) deckt, bleibt kaum ein Auge trocken. Nur 20 Kieler Tore in der Sparkassen-Arena werden am Ende auch eine deutliche Sprache sprechen.
Zumindest die Spannung lässt nie nach. Beide Mannschaften kämpfen, und nach schönen (und ein bisschen glücklichen) Toren von Rune Dahmke, zweimal Dissinger und Vujin zum 14:11 (41.) scheint das berühmte Momentum auf Seiten des Gastgebers zu sein. Klappt jetzt alles? Christian Zeitz kommt ins Spiel und trifft nach 20 Sekunden prompt zum 15:13 (46.). Landin bekommt gegen den ewig druckvollen Holger Glandorf irgendwie noch die Hand an den Ball (48.). Emotionen borden über, doch der THW Kiel im Oktober 2017 ist noch nicht restlos stabil. Zeitz und Niclas Ekberg vertändeln im Gegenstoß, doch jetzt schlägt doch noch die Stunde von Lukas Nilsson. Der Schwede fasst sich ein Herz und trifft mit 107 km/h zum 18:16 (54.), trifft zum 19:17 (57.), Landin stoppt Glandorfs Kracher mit dem Gesicht, die Nase blutet, Dahmke macht das 20:19 (59.). Die Halle steht, noch einmal Mahé zum 20:20 (60.). Noch 17 Sekunden zu spielen, der THW ist im Angriff, das kann, das muss doch nur ein Sieg sein, ein Sieg für das so geschundene Selbstbewusstsein der Zebras. Ekberg setzt fast mit dem Schlusspfiff zum Wurf von Rechtsaußen an. Der Winkel ist schlecht, aber Mahé steht im Kreis, berührt den Schweden. Das muss Siebenmeter geben, doch der Pfiff der spanischen Schiedsrichter bleibt aus, auf der Anzeigetafel leuchtet ein 20:20-Unentschieden, das fünfte überhaupt erst in der Derby-Historie.
SG-Coach Maik Machulla beweist Größe: "Mahé steht im Kreis, über einen Siebenmeter dürfen wir uns nicht beschweren." Der an der Nase blutende Landin ist angefressen: "Ganz klar ein Punktverlust." Und ganz glücklich sind eben nur Britta und Bøje Toft Hansen. Für die Eltern von René (THW) und Henrik (SG) sei das erste Remis der Nord-Kontrahenten seit mehr als zehn Jahren sowieso, so der Kieler Abwehr-Riese, "das beste Ergebnis für Eltern überhaupt".
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 16.10.2017, Foto: Sascha Klahn)