Zu viele Chancen liegengelassen: THW Kiel verliert 112. Landesderby

Bundesliga

Zu viele Chancen liegengelassen: THW Kiel verliert 112. Landesderby

Der THW Kiel hatte seine Chancen, war nah` dran, das 112. Nordderby bei der SG Flensburg-Handewitt für sich zu entscheiden oder wenigstens einen Punkt mit auf die kurze Heimreise zu nehmen. Doch nach einem packenden, über weite Strecken ausgeglichenen Spiel mussten sich die Zebras letztlich mit 33:36 (17:19) Toren geschlagen geben. Dadurch rückten die Flensburger dem THW Kiel in der Tabelle der spannenden DAIKIN Handball-Bundesliga wieder bis auf einen Punkt auf die Pelle. In der hoch emotionalen Partie kämpften sich die Zebras nach Rückständen mehrfach wieder heran, versäumten es mit einer mangelnden Chancenverwertung aber, den Spieß umzudrehen.

Wiencek: "Wir hatten einige schlechte Phasen"

Bezeichnend für das erfolglose Bemühen der Zebras, den Bock in Flensburg nach zuletzt drei Derby-Niederlagen in Folge umzustoßen, war die 41. Minute: Hendrik Pekeler scheiterte frei vom Kreis am überragenden SG-Torhüter Kevin Möller, statt zum möglichen 25:25-Ausgleich zu treffen. Im Gegenzug holten sich die Flensburger mit der erneuten Zwei-Tore-Führung wieder Sicherheit. Besonders traurig über die entgangenen Punkte war Kiels Kapitän Patrick Wiencek, der am Sonnabend seinen 36. Geburtstag feierte und in der mit 6300 Zuschauern ausverkauften GP Joule Arena sein definitiv letztes Bundesliga-Nordderby bestritt: "Wir hatten einige schlechte Phasen, bekamen keinen Zugriff in der Abwehr", analysierte Wiencek. Das sei ärgerlich gewesen, erklärte Kiels Kreisläufer, "im Prinzip standen wir hinten nicht schlecht, aber mit einigen Fehlern haben wir den Flensburgern zu leichten Gegenstoßtoren verholfen. Das hätten wir besser machen müssen."

Emil Madsen bester THW-Torschütze

SG-Kreisläufer Lukas Jörgensen war nicht zu stoppen und mit zehn Treffern erfolgreichster Werfer der Partie. Sein dänischer Landsmann im THW-Trikot, Emil Madsen, zeichnete sich als erfolgreichster THW-Schütze aus. Er traf neunmal ins Flensburger Tor. Auffälligster Akteur auf dem Feld aber war SG-Schlussmann Kevin Möller, der 17 Bälle abwehrte und zum Matchwinner für sein Team wurde. Zuschauen musste unterdessen Nikola Bylik, der mit seiner Oberschenkelverletzung aber erneut passen musste. Zudem saß Harald Reinkind draußen, ihn hatte ein Magen-Darm-Infekt bis zum Abschlusstraining am Freitag außer Gefecht gesetzt. Angeschlagen ging Magnus Landin nach einem Trainingsunfall in die Begegnung, der dänische Weltmeister konnte aber spielen. Verletzungspech beklagten auch die Flensburger, die auf Kay Smits, Simon Pytlik und kurzfristig auch auf Torhüter Benjamin Buric verzichten mussten. Die Flensburger Fans mühten sich, die personellen Lücken mit großer Unterstützung zu kompensieren, saßen kaum auf ihren Plätzen und machten mächtig viel Lärm. Eine typische Derby-Stimmung eben.

Flensburg zieht davon, Kiel bleibt dran

Die Gastgeber legten dann auch die 1:0-Führung durch Jörgensen vor, die Pekeler - ebenfalls vom Kreis - und nach großartigem Anspiel von Eric Johansson egalisierte. SG-Rückraum-Ass Lasse Möller traf zur 2:1-Führung, die THW-Linskaußen Landin mit einem Doppelschlag zum 3:2 für die Kieler drehte. Die Gäste waren zu Beginn das bessere Team, legten durch Elias Ellefsen á Skipagötu die 4:3-Führung vor, wenig später jagte Lukas Zerbe den zweiten THW-Siebenmeter in der zehnten Minute zum 5:6 ins SG-Gehäuse, Madsen traf per Hüftwurf zum 6:6-Ausgleich. Doch dann zogen die Flensburger ihr Tempospiel auf, profitierten dabei von Möller-Paraden, aber auch einigen Kieler Fehlern im Angriffsspiel: Die Gastgeber zogen durch einen 3:0-Lauf durch Jörgensen (2) und Jakobsen auf 9:6 davon. Die Zebras ließen sich aber nicht beeindrucken, blieben dran und durch das feine Solo von "Skippy" in Schlagdistanz. 12:11 hieß es nach 21 Minuten für die Mannschaft von der dänischen Grenze, die sich in der Folge auf 16:13 absetzte. Wieder waren es Gegenstöße, die dem THW Kiel weh taten. Aber trotzdem blieben die Schwarz-Weißen geduldig: Madsen und Pekeler brachten die Gäste schnell wieder heran. 

Knapper Pausen-Rückstand

Als Kevin Möller kurz vor der Pause seine achte Parade auspackte, Madsens Wurf parierte, legte Flensburg im Gegenzug durch Hansen erstmals vier Treffer vor. Die Derby-Waagschale schien sich bereits vor dem Seitenwechsel in Richtung SG zu neigen, aber der permament ausgepfiffene Domagoj Duvnjak verkürzte mit seinem ersten Treffer auf 16:19, ehe Tomas Mrkva, in der 21. Minute für den glücklosen Andreas Wolff gekommen, wenige Sekunden vor dem Halbzeitpfiff hellwach war: Erst hielt er den Kirkelökke-Wurf, dann beförderte er den Ball quer übers gesamte Spielfeld ins leere Flensburger Gehäuse. So wurden die Seiten mit 19:17 für die Gastgeber gewechselt. Magnus Landin machte seinem Unmut über den unnötigen Rückstand vor den Dyn-Kameras Luft: "Wir machen viele unnötige Fehler im Angriff, laden Flensburg förmlich zu Tempogegenstößen und leichten Toren ein. Gut, ist aber, dass wir kurz vor der Pause noch zwei wichtige Tore erzielt haben. Das gibt Auftrieb für die zweiten Halbzeit."

THW verpasst den Ausgleich

In die starteten die Kieler mit einem Erfolgserlebnis: Madsen brachte seine Farben mit einem Kracher auf 18:19 heran, SG-Kreisläufer Jörgensen war dann aber mit einem Doppelschlag zum 21:18 erfolgreich. Kevin Möller hatte zuvor gegen Pekeler einen Hundertprozentigen gehalten. Die schwarz-weiße Antwort kam aber prompt: Lukas Zerbe überwand Möller per Siebenmeter zum 19:21. Doch die THW-Angreifer bissen sich weiterhin in der aggressiven SG-Deckung fest, Jörgensen bestrafte die Fehler mit seinem Tor zum 24:20. Filip Jicha reagierte, beorderte Domagoj Duvnjak als Speerspitze in die jetzt angeordnete 3:2:1-Deckung. Als SG-Linksaußen Jakobsen dann einen Siebenmeter per Aufsetzer übers THW-Tor beförderte, traf Madsen im Gegenzug zum 24:25. "Dule" Duvnjak erkämpfte sich den Ball dann mit grandiosem Einsatz im Bodenkampf mit Kirkelökke, ballte seine Faust. Doch ausgerechnet Pekeler scheiterte erneut an Kevin Möller, der seine 14. Parade feierte. 

Zwei Zeitstrafen trafen Kieler ins Mark

Der verpasste Ausgleich wog doppelt schwer, denn Jörgensen war zur Stelle, erhöhte auf 26:2. Und als die Unparteiischen Hurst/Krag Hendrik Pekeler nach einem Foul von Schlitzohr Gottfridsson wegen angeblicher Schauspielerei für zwei Minuten auf die Strafbank schickten, nutzten die Gastgeber ihre Überzahl durch eben den Schweden zum 27:24. Doch erneut ließen sich die Zebras nicht aus der Ruhe bringen, verkürzten durch den Siebenmeter von Zerbe in der 49. Minute auf 27:29. Eine fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidung erregte dann erneut Kieler Gemüter auf der Bank und auf den Zuschauerrängen: Gottfridsson stoppte Eric Johansson unfair mit einem "Kleidergriff", der Kieler befreite sich mit einem Schubser - und kassierte nach Videobeweis eine Zeitstrafe. Gottfriedsson ging leer aus, hatte damit aber den Weg frei gemacht für einen erneuten SG-Zwischenspurt.

Zwei Zeitstrafen trafen Kieler ins Mark

Denn Flensburg nutzte die personelle Überzahl, führte nach 51 Minuten und einem Doppelschlag von Golla mit 32:27. Als Lasse Möller dann zum 34:28 vollendete, schien die Partie entschieden. Die Zebras aber ließen nicht locker, kämpften um jeden Ball und durften nach dem 3:0-Lauf durch Tore von á Skipagötu, Madsen und Zerbe noch einmal Hoffnung auf Zählbares schöpfen. Pech, dass der Ballklau von Duvnjak in der 57. Minute mit viel Glück von Lasse Möller abgefangen wurden. So netzte Jakobsen im Gegenzug zum 35:31 ein. Die Entscheidung war gefallen, Flensburg feierte ausgelassen, die Kieler Spieler bedankten sich bei ihren lautstarken Fans und zogen enttäuscht und ohne Zählbares von dannen.

Nächstes Topspiel am Samstag bei der MT Melsungen

Doch für die Kieler hat der Topspiel-Marathon in der DAIKIN Handball-Bundesliga gerade erst begonnen. Am kommenden Wochenende sind die Zebras bei der zu Hause noch immer ungeschlagenen MT Melsungen in Kassel gefordert. Das Spiel bei den Nordhessen wird am Samstag um 16:05 Uhr angepfiffen, die Partie wird live bei DYN sowie im Free-TV im HR und im NDR zu sehen sein. Wiederum eine Woche später kann der THW Kiel im nächsten Spitzenspiel endlich wieder auf die Unterstützung seiner Fans setzen: Zu Gast ist am Samstag, 5. April, der VfL Gummersbach. Für das Traditionsduell gibt es noch Restkarten bei CITTI, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de. Weiter geht’s in Kassel bei der MT Melsungen, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Ingrid Anderson-Jensen

DAIKIN Handball-Bundesliga, 23. Spieltag: SG Flensburg-Handewitt – THW Kiel: 36:33 (19:17)

SG Flensburg-Handewitt: Haidu (n.e.), K. Möller (1.-60., 17/1 Paraden); Golla (4), Kirkelökke (3), Holst Jensen, Mensah (1), Gottfridsson (4), Jörgensen (10), Hansen (1), Horgen, Pedersen, Jakobsen (6/1), Knutzen, Kopljar, Blagotinsek, L. Möller (7); Trainer: Pajovic
THW Kiel: Mrkva (21.-48., 8/1 Paraden, 1 Tor), Wolff (1.-21., 48.60., 3 Paraden); Duvnjak (1), Reinkind (n.e.), Landin (3), Överby (2), Wiencek, Johansson, Dahmke, Zerbe (7/4), Kutz (n.e.), Madsen (9), Pekeler (5), á Skipagötu (5), Imre; Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Marcus Hurst / Mirko Krag
Zeitstrafen: SG: 2 (Hansen (4.), Kirkelökke (43.)) / THW: 2 (Pekeler (44.), Johansson (49.))
Siebenmeter: SG: 3/1 (Jakobsen über das Tor (40.), Mrkva hält Jakobsen (52.)) / THW: 5/4 (K. Möller hält Imre (8.))
Spielfilm: 1:0, 2:1 (2.), 2:3 (4.), 3:4 (6.), 6:4 (10.), 6:6 (12.), 9:6 (14.), 9:8, 11:8 (18.), 12:9, 12:11 (20.), 14:13, 16:13 (23.), 16:15 (25.), 19:15 (30., 19:17;
2. Hz:19:18, 21:18 (32.), 23:19 (35.), 24:20 (36.), 24:22 (38.), 25:24 (41.), 27:24 (44.), 29:27 (49.), 32:27 (51.), 34:28 (55.), 34:32 (58.), 36:33.
Zuschauer: 6.300 (ausverkauft) (GP Joule Arena, Flensburg)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Glückwunsch an Pajo zu den zwei Punkten. Wir hätten eine um einen Tick bessere Leistung benötigt, um hier zu gewinnen. Das haben wir nicht geschafft, das müssen wir akzeptieren und weiter langfristig denken. Wir haben zu viele leichte Tore kassiert, wir hätten diese Partie gerne unter 36 Gegentore gehalten. In der ersten Halbzeit haben wir zudem zu viele Tore aus der 2. Welle kassiert, das Rückzugsverhalten war in der zweiten Hälfte dann besser. Allerdings hätten wir in den Phasen, in denen wir wieder dran waren, besser abschließen müssen. Da haben wir gegen Kevin Möller vier, fünf gute Chancen liegengelassen. Wir haben alles versucht, haben die Abwehr umgestellt, sind auch vorne All-In gegangen. Aber es hätte ein Tick besser sein müssen.

SG-Trainer Ales Pajovic: Ich bin sehr, sehr froh. Das war ein super Derby mit dieser Kulisse, das erlebt man nicht jeden Tag. Ich war vorher skeptisch, weil Kiel zuletzt richtig gut war. Aber wir haben gewonnen. Lasse Möller hat richtig gut gespielt, Jim Gottfridsson hat den Positionsangriff gut gesteuert, mit viel Geduld. Die Abwehr war gut, wir hatten anfangs nur Probleme mit den Pässen zum Kreis. Kevin hat uns ein paar Mal mit Paraden gegen einhundertprozentige Chancen gerettet. Jetzt will ich in Lemgo die nächsten zwei Punkte holen, und dann konzentrieren wir uns auf Schritt für Schritt. Wir sind dran, nur noch ein Punkt hinter Kiel. Das war wichtig.

THW-Kapitän Patrick Wiencek: Wir hatten Phasen mit zu vielen technischen Fehlern und ausgelassenen Chancen, die Flensburg mit dem Tempospiel bestraft hat. Mein Eindruck war, dass wir bereit waren, wollten in einer der schwersten Hallen dagegen halten - aber wir wurden gerade im ersten Durchgang überrannt. Wir hatten uns viel für das Spiel vorgenommen und sind jetzt traurig. Aber es bleibt spannend, alles rückt immer enger zusammen. Wir werden weiter kämpfen, um alle Möglichkeiten zu haben. Allerdings muss man, wenn man oben dran bleiben will, die Big Points einsammeln. Und das haben wir heute nicht.