Kein Durchkommen: THW Kiel letztlich ohne Chance im 110. Derby gegen Flensburg

Bundesliga

Kein Durchkommen: THW Kiel letztlich ohne Chance im 110. Derby gegen Flensburg

Rabenschwarzer Tag für den THW Kiel und seinen Anhang: Nach einer vor allem im Schlussdrittel der Partie schwachen und von technischen Fehlern geprägten Vorstellung verloren die Zebras das 110. Nordderby in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga mit 26:33 (10:13) gegen die SG Flensburg-Handewitt. Der Nordrivale festigte damit Rang drei in der Tabelle und feierte zugleich den höchsten Bundesliga-Sieg in der Derby-Geschichte. Während SG-Spieler um die beiden überragenden Akteure Johannes Golla und Kevin Möller sowie die Gästefans ihren Triumph ausgiebig feierten, schlichen die Zebras enttäuscht vom Parkett, haderten vor allen Dingen mit ihrer schlechten Chancenverwertung. Der Frust darüber brach sich dann auch in der Defensive Bahn.

Gäste dominieren das Derby

Die Vorfreude auf diesen Derby-Nachmittag war riesig in der mit 10.285 Zuschauern seit Wochen ausverkauften Wunderino Arena. Diese sorgten für Gänsehaut-Atmosphäre, erlebten aber einen überwiegend dominanten Gast, der das Spiel nahezu über die gesamte Zeit beherrschte. Nur kurz vor der Halbzeit und direkt nach dem Wechsel, als der THW einen 5:0-Lauf auf das Parkett zauberte und nach 32 Minuten zum 13:13 ausglich, schienen die Kieler das Heft in die Hand nehmen zu können. Flensburg aber blieb gelassen, nutzte die zahlreichen Paraden von Kevin Möller und Kieler Fehler und zog unaufhaltsam davon.

Hendrik Pekeler musste verletzt passen

Bester Spieler auf dem Parkett war SG-Kapitän Johannes Golla, der neun Tore erzielte und überragender Chef einer starken SG-Abwehr war. Überzeugend agierte auch SG-Torhüter Kevin Möller, der 13 wichtige Paraden zeigte - viele von diesen waren der Marke "Steckerzieher" für die Moral der Kieler. Ohne Abwehrchef Hendrik Pekeler, der sich am Training am Fuß verletzte und nicht mitwirken konnte, war bei den Kielern mehr Schatten als Licht. Auch das Glück fehlte den Zebras in zahlreichen Situationen, in denen Abpraller wieder beim Gegner landeten oder der Ball den Weg vom Innenpfosten nicht ins Tor, sondern direkt in die Arme der SG-Abwehrspieler fand. "Das war fast das perfekte Spiel in Abwehr und auch im Angriff", freute sich Johannes Golla mit breitem Lächeln im Gesicht über die Flensburger Gala-Vorstellung. "Wir wollten, dass der THW im Angriff keinen Spaß bekommt. Das ist uns eindrucksvoll gelungen."

Kieler erwischen einen guten Start

Auf beiden Seiten bestimmten die Abwehrreihen von Beginn an das Geschehen. Flensburg durfte sich dabei vor allem auf Golla verlassen, der Nationalmannschaftskapitän war überall zu finden, blockte Kieler Würfe, hielt die SG-Abwehr zusammen und sorgte auch vorne für viel Torgefahr. Hinter der SG-Abwehr stand mit Kevin Möller ein bärenstarker Torhüter, der den Zebras fünfmal vor dem Wechsel in Eins-gegen-Eins-Situationen den Schneid abkaufte. Er war maßgeblich am vergeblichen Anrennen der Zebras beteiligt, bei denen mit zunehmenden Angriffs-Misserfolg die Köpfe weiter runtergingen. Aber der Reihe nach. Die Flensburger legten gleich zu Beginn vor, Simon Pytlick warf die Gäste zum 1:0 in Front, doch Kiel antwortete prompt: Magnus Landin schloss eine sehenswerte Ballstafette über Nikola Bilyk und Eric Johansson zum 1:1 ab. Dann war Tomas Mrkva zur Stelle, entschärfte den Wurf des Dänen Pytlick. Auf der anderen Seite verwandelte Patrick Wiencek das Bilderbuch-Anspiel von Eric Johansson zum 2:1 für Kiel. Es sollte allerdings die einzige THW-Führung in der gesamten Partie bleiben.

Zebras verkürzen kurz vor dem Wechsel

SG-Rechtsaußen Johan Hansen avancierte in den folgenden Minuten zum auffälligsten Gästeakteur, war insgesamt dreimal zur Stelle und warf die Flensburger nach 15 Minuten mit 7:4 in Führung. Der Däne netzte jeweils souverän von der Außenposition ein, nutzte die glänzenden Anspiele seiner Mitspieler. Und Kiel? Die Zebras stemmten sich gegen den Rückstand, glänzten ebenfalls mit einer grandiosen Abwehrleistung, gestatteten den SG-Akteuren nur wenig Freiräume. Zudem wurde nun auch Mrkva zu einem Faktor, hielt einige Male glänzend. Einzig Nationalmannschaftskapitän Johannes Golla bekamen Wiencek, Överby und Co. nicht in den Griff. Golla war es auch, der den THW-Ambitionen nach den Anschlusstreffern von Harald Reinkind und Patrick Wiencek zum 7:8 einen Dämpfer versetzte, in der 21. Minute zum 9:7 traf, Jörgensen und Mensah Larsen erhöhten wenig später auf 11:7, die Flensburger waren erstmals vier Tore weggezogen. Als wiederum Golla und dann Zivkovic ihre Chancen nutzten, zog die SG kurz vor der Pause gar auf 13:8 davon. Karl Wallinius und Steffen Weinhold nutzten jedoch noch die Ballgewinne der THW-Abwehr, weckten mit ihren Treffern zum 10:13 Hoffnungen eine Wende in der zweiten Halbzeit.

THW kommt wie verwandelt aus der Kabine

THW-Manager Viktor Szilagyi haderte vor den ARD-Fernsehkameras vor allem mit der Kieler Chancenverwertung in der ersten 30 Minuten. „Kein schönes Spiel, aber ein großer Kampf“, sagte Szilagyi, „wir haben uns gute Chancen herausgespielt, aber sind zu oft freistehend gescheitert.“ Das änderte sich in den ersten Minuten der zweiten Hälfte dramatisch. Die Kieler kamen wie verwandelt aus der Kabine, erzielten drei Tore innerhalb von 90 Sekunden und hatten in der 32. Minute beim 13:13 den Gleichstand herausgeworfen. Rune Dahmke, der kurz darauf nach einem Stürmerfoul verletzt liegenblieb und die Partie trotz allem unter großen Schmerzen zuende spielte, Nikola Bilyk und Patrick Wiencek waren die Torschützen. Alle drei profitierten von vorangegangenen Glanzparaden von Tomas Mrkva. Jetzt war auch die "weiße Wand" wieder da, die THW-Fans machten die Wunderino Arena zum Hexenkessel.

Ein Unglück kommt selten allein

Doch an diesem Tag sollte es einfach nicht klappen. Erst bekam Patrick Wiencek nach einem im Vergleich zu anderen Aktionen der Partie harmlosen Zweikampf mit Golle eine Zwei-Minutenstrafe, dann machte Tomas Mrkva den folgenden Siebenmeter von Hansen: Dabei wurde er vom Dänen am Kopf getroffen und musste den Nachwurf passieren lassen. Eine Zeitstrafe gegen Hansen wäre angemessen gewesen, doch die Schiedsrichterpfeife blieb stumm. Dann traf Reinkind nur den Pfosten, was in Unterzahl doppelt ärgerlich ist: Golla traf ins leere Tor zum 16:14 und gab der SG damit wieder den Mut, der in den ersten Minuten abhanden gekommen zu sein schien.

Zebra-Fehler und Möller-Paraden

Mrkva glänzte bei Pytlicks Solo, hielt auch Hansens Wurf auf, und Niclas Ekberg verwandelte nach einem "Einläufer" in der 40. Minute zum 17:19. Alles schien in dieser Phase möglich. Dann aber mischte Kevin Möller im SG-Kasten wieder mit, entschärfte erst einen freien Wurf von Bilyk, kurz darauf einen Rückraum-Kracher von Reinkind. Die THW-Abschlussquote sank auf 51 Prozent. Flensburg nahm dankend an, zog durch die Tore von Golla, Mensah Larsen und Gottfridsson auf 22:17 davon. Der entscheidende Lauf, der den Kielern mental und sportlich den Stecker zog. Die Zebras verzettelten sich im Angriffsspiel, machten viele Fehler. Selbst der sonst so sichere Siebenmeterschütze Ekberg patzte, scheiterte zweimal an Möller. So luden die Kieler ihre Gäste regelrecht zum Torewerfen ein. Als Johannes Golla in der 48. Minute zum 28:20 traf, war die Vorentscheidung längst gefallen, der Rest ein Schaulaufen des Siegers und das Bemühen der THW-Spieler, das Ergebnis noch halbwegs erträglich zu gestalten. Am Ende bedankten sich die Schwarz-Weißen lange bei ihren Fans, die trotz des letztlich klaren Derby-Verlaufs die Kieler weiter unterstützen.

Nächste Partie am Ostersonntag

Das Spiel wird präsentiert von Dampland.

Nach der unglaublichen Terminhatz direkt im Anschluss an die Handball-Europameisterschaft haben die Zebras nun ein wenig mehr Zeit. "Leider", gestand THW-Kreisläufer Petter Överby nach dem Derby, "wir würden gerne direkt morgen wieder spielen, um alles besser zu machen, was wir heute nicht gut gemacht haben." Aber erst am Ostersonntag sind die Zebras wieder gefordert: Heute in acht Tagen empfängt dann der TBV Lemgo Lippe die Kieler zum Duell um zwei LIQUI-MOLY-HBL-Punkte. Anwurf in der Phoenix Contact Arena ist um 18 Uhr, der Handball-Streamingsender Dyn überträgt live aus der ausverkauften Halle im Herzen Ostwestfalens. Weiter geht’s in Lemgo, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn

LIQUI MOLY Handball-Bundesliga: THW Kiel – SG Flensburg-Handewitt 26:33 (10:13)

THW Kiel: Mrkva (1.-22., 31.-48., 9/1 Paraden), Bellahcene (22.-30., 48.-60., 3 Paraden); Ehrig (n.e.), Duvnjak (1), Reinkind (1), Landin (2/1), Øverby (4), Weinhold (1), Wiencek (4), Ekberg (2), Johansson (1), Dahmke (3), Gurbindo (n.e.), Wallinius (1), Bilyk (3), á Skipagøtu (3); Trainer: Jicha
SG Flensburg-Handewitt: Buric (n.e.), Möller (1.-60., 13/2 Paraden); Pytlick (4), Golla (9), Einarsson, Mensah (2), Gottfridsson (5), Jörgensen (1), Hansen (5), Horgen, Pedersen (1), Zivkovic (4), Jakobsen (1), Blagotinsek, Möller (1); Trainer: Krickau

Schiedsrichter: Marcus Hurst / Mirko Krag
Siebenmeter: THW: 3/1 (Möller hält 2x Ekberg (36., 51.)) / SG: 1/0 (Mkrva hält Hansen (33.), der den Nachwurf verwandelt)
Zeitstrafen: THW: 5 (Weinhold (10.), 2x Øverby  (27., 58.), Wiencek (33.), á Skipagøtu (52.)) / SG: 3 (Golla (14.), 2x Jakobsen (9., 19.))
Spielfilm: 1. Hz.: 0:1, 2:1 (5.), 3:3 (9.), 3:6 (12.), 5:8 (17.), 7:8 (20.), 7:11 (26.), 8:13 (29.), 10:13;
2. Hz.: 13:13 (32.), 14:14, 15:16 (36.), 15:18, 17:18 (39.), 17:22 (41.), 19:23, 19:25 (44.), 20:28 (48.), 22:31 (53.), 24:31 (55.), 26:33.
Zuschauer: 10.285 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Heute war für jeden Kieler Fan ein trauriger Tag, für mich war es ein brutal trauriger. Natürlich gratuliere ich den Flensburgern und meinem Kollegen zum verdienten Sieg, für mich persönlich war es heute eine sehr schmerzhafte Niederlage. Wir haben uns den Wind, mit dem wir dieses Spiel bestreiten wollten, von Kevin Möller aus den Segeln nehmen lassen. Für uns war es dadurch ein brutaler Kampf um jeden Abschluss, jedes Tor. Möller und die SG-Abwehr haben mit ihrem Zusammenspiel uns den Zahn gezogen. Dann haben wir in unserer Abwehr durch den Frust, den wir vor dem gegnerischen Tor aufbauten, Schritt für Schritt nachgelassen und SG eingeladen. Und die Flensburger haben diese Einladungen konsequent angenommen. An dieser Niederlage sind wir selbst schuld, man darf über seinen Frust nicht den Kopf verlieren und so agieren. Das muss die Mannschaft jetzt analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen.

SG-Trainer Nikolej Krickau: Es war heute das beste Spiel von uns in dieser Saison, für den THW Kiel war es das nicht. Das Torhüterspiel war heute einer der Gründe für unseren Sieg, Kevin war von Beginn an da. Und auch wenn Mrkva und Bellahcene einiges gehalten haben, waren wir im Angriff doch effektiv. In der ersten Halbzeit haben wir überragend in der Abwehr gestanden. Und von Johannes Golla war es das beste Spiel, das ich je von ihm gesehen habe. In der zweiten Hälfte hatten wir dann mehr Angriffsflow mit Jim Gottfridsson und Simon Pytlick, aber diesen Flow muss man dann auch in Tore ummünzen, wobei Boris Zivkovic uns heute sehr geholfen hat. Ich bin wirklich froh und sehr zufrieden mit uns.