THW Kiel verliert ein wildes Spiel in Leipzig
Der THW Kiel in Leipzig. Es war ein wildes Spiel der verpassten Möglichkeiten: Über weite Strecken war der THW Kiel am Sonnabend in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga beim SC DHfK Leipzig die spielbestimmende Mannschaft. Am Ende aber hatten die Sachsen hauchdünn die Nase vorn, gewannen verdient mit 35:34 (16:15) Toren und fügten den Zebras die vierte Saison-Niederlage in der stärksten Liga der Welt bei. 5309 Zuschauer in der Quarterback Immobilien Arena in Leipzig feierten damit den zweiten Sieg ihres Teams in diesem Kalenderjahr gegen den THW Kiel. Daran ändern konnte auch der herausragende Tomas Mrkva im Kieler Tor nichts: Er hielt zwar 18 Würfe der Gastgeber. Allerdings ließ die insgesamt nicht so präsent wie zuletzt spielende Kieler Abwehr zu, dass sich Leipzig die Abpraller sicherte und so oft im zweiten Versuch noch zum Torerfolg kam.
Technische Fehler und Unaufmerksamkeiten in der Abwehr
Als bester Kieler Torschütze zeichneten sich Elias Ellefsen á Skipagötu und Kapitän Nikola Bilyk aus. Der Färinger und der Österreicher trafen achtmal ins Leipziger Tor. In einer turbulenten Schlussphase hielt Bilyk auch noch die letzte, vage Freiwurf-Torchance in seinen Händen. Doch der Wurf aus elf Metern landete in der Leipziger Mauer - irgendwie sinnbildlich für diesen wilden Nachmittag, nach dem die Zebras enttäuscht vom Parkett schlichen. "Wie haben mit einer offensiven Abwehr begonnen, in der Hoffnung auf Ballgewinne gegen die Leipziger Angreifer", sagte THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler. "Das mit den Ballgewinnen hat auch ganz gut geklappt. Aber wir haben dann genauso viele Bälle weggeworfen. Zweiter Knackpunkt waren die Paraden von Tomas. Die Abpraller sind reihenweise bei Leipzig gelandet. So konnten wir die Paraden nicht für uns nutzen und der SC DHfK hatte immer eine zweite Chance, ein Tor zu werfen."
Òffensive Deckung sorgt für Ballgewinne
THW-Trainer Filip Jicha setzte im Tor auf Tomas Mrkva. Das war eine goldrichtige Entscheidung. Der Tscheche zwischen den Pfosten wurde zum starken Rückhalt der THW-Abwehr, hielt schon in den ersten 30 Minuten elf Bälle auf. Mrkva stand hinter einer Abwehr, die zunächst offensiv in der 3:2:1-Formation mit Domagoj Duvnjak oder Magnus Landin als Speerspitze startete. So schnappten sich die Kieler auch einige Bälle, ließen vorne allerdings auch Chancen wegen einer Vielzahl technischer Fehler liegen. Viggo Kristjansson brachte Leipzig in Front, Magnus Landin glich aus, und Patrick Wiencek traf nach fünf Minuten zum 2:1 für Kiel. Die Zebras waren die deutlich aktivere Mannschaft, doch beide Teams blieben auf der Ergebnistafel komplett auf Augenhöhe. Kristjansson brachte die Gastgeber mit seinem dritten Treffer in der zehnten Minute mit 5:4 nach vorn. Es folgte die stärkste Phase von Elias Ellefsen á Skipagötu, der Leipzigs Abwehr mit Soloeinlagen schwindlig spielte. In der 18. Minute erzielte der 21-Jährige bereits sein fünftes Tor, nach starkem Eins-gegen-Eins traf er zum 9:9. Gewiss ein Grund, dass Leipzigs Trainer Runar Sigtryggsson eine Auszeit nahm, seine Mannschaft besser auf Kiels Angreifer einstellen wollte.
Knapper Pausenrückstand
Es gelang - sehr zum Leidwesen der Kieler. Kristjansson, Binder und der Ex-Kieler Sunnefeldt trafen. Nach 22 Minuten lag Leipzig mit 12:10 Toren vorn. Sehr zum Ärger von Tomas Mrkva, der mehr und mehr zum Kieler Rückhalt wurde. Die Früchte seines Schaffens wurden aber nicht geerntet. 41 Prozent aller Bälle, die auf sein Tor kamen, hatte er bis zu diesem Zeitpunkt gehalten, allerdings leisteten sich seine Vorderleute neben den verpassten Abprallern acht technische Fehler. Hoffnung auf eine Wende noch in Halbzeit eins keimte bei den Kieler Fans kurz vor dem Pausenpfiff auf, als der THW Kiel einen 3:0-Lauf aufs Parkett zauberte. Hendrik Pekeler und zweimal Nikola Bilyk trafen für Kiel, nach 28 Minuten holten sich die Zebras mit 14:13 die Führung zurück. Erneute Abspielfehler und Unaufmerksamkeiten bescherten der DHfK dann aber die schmeichelhafte 16:15-Halbzeitführung - in jeder Statistik hatten die Zebras zu diesem Zeitpunkt vorn gelegen, aber die Anzeigetafel log nicht.
Kieler Abwehr lässt zu viel zu
Nikola Bilyk glich dann schnell nach Wiederbeginn zum 16:16 aus. Leipzig legte wieder vor, doch per Doppelschlag brachten Bilyk und Niclas Ekberg die Zebras ein weiteres Mal in Front. Nach 35 Minuten stand es 20:19 für Kiel. Ruhe kehrte dennoch nicht ein ins THW-Spiel. Auch nicht durch den sehenswerten Treffer von Rune Dahmke zum 22:21. Es war das 500. Bundesliga-Tor für den Kieler Linksaußen, der insgesamt viermal bei vier Versuchen traf, auch im Rückzugsverhalten eine großartige Leistung bot und wichtige Bälle in der Abwehr erkämpfte. Allein, das Bemühen wurde nicht belohnt. Die THW-Abwehr blieb ungewohnt löchrig, Kristjansson und Co. hatten so oft leichtes Spiel, um zu Toren zu kommen. In der Schlussphase war es dann vor allem Matej Klima, der wichtige Treffer für sein Team erzielte. So nach dem letztmöglichen Pass vor dem Zeitspiel, als Klima den Ball zum vorentscheidenden 33:30 und die Latte jagte (57.).
THW verpasst Ausgleich
Im Angriff klappte es weiterhin beim THW Kiel: die Kieler hatten auf jedes Leipziger Tor eine Antwort. Doch der SC DHfK traf ebenfalls. Als Klima den Ball in der 58. Minute zum 35:32 ins THW-Tor schmetterte, schien die Entscheidung gefallen. Doch die Kieler kämpften sich wieder heran: Sven Ehrig erzielte das 33:35, Rune Dahmke schnappte sich den Ball mit großartiger Rettungsaktion, im Gegenzug traf Elias Ellefsen á Skipagötu zum 34:35. Dann folgte der letzte große Auftritt von Tomas Mrkva mit einer Doppelparade gegen Klima und Preuss. Den Kielern blieben 30 Sekunden für den möglichen Ausgleichstreffer. Doch die Leipziger kämpften klug in der Abwehr, der THW Kiel kam nicht mehr zum Abschluss. Ende, Aus, 34:35-Niederlage nach wirklich wilden 60 Minuten.
THW Kiel reist nächste Woche nach Norwegen
Für die Kieler steht in der kommenden Woche ein mit Spannung erwartetes Auswärtsspiel auf dem Programm: Am Donnerstag empfängt das zuletzt durch finanzielle Schwierigkeiten aufgefallene norwegische Millionenprojekt Kolstad Handball den THW Kiel. Anwurf in Trondheim ist um 18:45 Uhr, DAZN und Dyn übertragen die Partie der Kieler gegen die Star-Truppe um Ex-Zebra Sander Sagosen live. Das nächste Heimspiel der Kieler ist am kommenden Sonntag, 22. Oktober. Dann geht es in der Wunderino Arena gegen den TBV Lemgo Lippe. Für diese Partie, die um 15 Uhr startet, gibt es noch Tickets unter www.thw-tickets.de , in der THW-FANWELT und bei CITTI. Weiter geht’s in Norwegen, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Marco Wolf
LIQUI MOLY HBL, 9. Spieltag: SC DHfK Leipzig - THW Kiel 35:34 (16:15)
THW Kiel: Mrkva (1.-49., 51.-60., 18 Paraden), Bellahcene (49.-51., keine Parade); Ehrig (2), Duvnjak (1), Reinkind (2), Landin (2), Øverby, Wiencek (2), Ekberg (1), Johansson, Dahmke (5), Gurbindo, Wallinius (n.e.), Bilyk (8), Pekeler (3), á Skipagøtu (8); Trainer: Jicha
SC DHfK Leipzig: Ebner (38.-60., 5 Paraden), Saeveras (1.-38., 5 Paraden); Runarsson, Ernst, Krzikalla, Binder (4), Klima (6), Mamic, Peter (2), Preuss (2), Sunnefeldt (6), Gebala, Mattes, Semper (5), Sajenev (1), Kristjansson (9/2); Trainer: Sigtryggsson
Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies
Siebenmeter: Leipzig: 2/2 / THW: 0
Zeitstrafen: Leipzig: 3 (Peter (16.), Runarsson (32.), Semper (40.)) / THW: 4 (Duvnjak (15.), Øverby (24.), Wiencek (51.), Pekeler (54.))
Spielfilm: 1:0, 1.2 (5.), 3:4 (9.), 5:4 (11.), 5:.6, 6:7 (14.), 8:7 (16.), 9:9, 11:9 (22.), 13:11 (25.), 13:14 (28.), 14:15, 16:15;
2. Hz.: 16:16, 19:18, 19:20 (35.), 21:22 (37.), 23:22, 23:24 (44.), 26:24 (46.), 27:26, 29:26 (51.), 35:32 (58.), 35:34 (60.).
Zuschauer: 5309 (Quarterback Immobilien Arena, Leipzig)
Stimmen zum Spiel:
Leipzigs Trainer Runar Sigtryggsson: Es war ein wildes Spiel. Wenn man in die Statistik schaut, weiß man nicht, wer gewonnen hat. Verworfene Bälle, gehaltene Bälle, technische Fehler – es ging hin und her. Vielleicht hatten wir weniger Druck heute und wollten den Sieg ein bisschen mehr. Wir sind in Flensburg richtig auf die Schnauze gefallen, darauf wollten wir eine Antwort geben. Manchmal blockiert dieses Wollen. Heute nicht. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass wir die letzten Minuten etwas sicherer nach Hause gebracht hätten. Wenn man Kiel den kleinen Finger gibt, nehmen sie die ganze Hand. Es ist aber gut gegangen. Und es ist gut, dass wir gewonnen haben.
THW-Kapitän Nikola Bilyk bei Dyn: Wir haben es in der zweiten Halbzeit einfach keinen Zugriff in der Abwehr mehr bekommen. Leipzig konnte viel zu einfach Tore machen. Egal, ob wir in der 3-2-1 oder in der 6-0 standen: Irgendwie hat es Leipzig immer noch geschafft, einfache Tore zu machen. Auch beim Zeitspiel, was doppelt wehgetan hat. Wir selbst werfen 34 Treffer, das ist - gerade auswärts - vollkommen ok. Aber wir kriegen 35, das ist für unsere Verhältnisse einfach zu viel.
Leipzigs Oskar Sunnefeldt bei Dyn: Das war heute unser Tag, an dem alles geklappt hat. Dann ist es einfach, so ein Spiel zu gewinnen. Wir sind sehr zufrieden, wir haben den Kopf jetzt oben und eine Menge Selbstvertrauen getankt.
THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler bei Dyn: Es ist unser Anspruch, hier zu gewinnen. Das haben wir leider nicht geschafft. Wir hatten uns Ballgewinne durch die offensive Abwehr erhofft. Das hat in den ersten 10, 15 Minuten auch gut geklappt. Leipzig hat die Fehler gemacht, die wir im Videostudium bereits gesehen hat. Aber wir haben dann genauso viele Bälle weggeworfen. Zweiter Knackpunkt waren die Paraden von Tomas. Die Abpraller sind reihenweise bei Leipzig gelandet. So konnten wir die Paraden nicht für uns nutzen und der SC DHfK hatte immer eine zweite Chance, ein Tor zu werfen.
Leipzigs Matej Klima bei Dyn: Nach dem Spiel gegen Flensburg war das heute die richtige Antwort. Wenn man Kiel schlägt, ist das natürlich besser als mit einer Niederlage nach Hannover zu fahren. Ich bin einfach glücklich, dass wir das Spiel gewonnen haben. Wir lagen in der zweiten Halbzeit die meiste Zeit vorn und haben uns am Ende belohnt.
THW-Trainer Filip Jicha: Herzlichen Glückwunsch an Runar und seine Mannschaft zu den zwei Punkten, die sie sich erkämpft haben. Wir haben mit einer offensiven Abwehr begonnen und gleich relativ viele Ballgewinne gehabt. Diese haben wir dann dankend und sehr uncool gleich wieder an Leipzig zurückgegeben. Dadurch konnten wir von dem Momentum der offensiven Abwehr nicht profitieren. Im Laufe des Spiels hat sich gezeigt, dass Leipzig sehr „wild“ reingegangen ist ohne Rücksicht auf Verluste. Damit hatten wir Probleme. Vor allen Dingen, wenn wir eine Aktion gut verteidigt haben und Tomas gehalten hat. Abpraller bekommt man im Handball aber nur, wenn man hellwach und bereit ist. Insgesamt war meine Mannschaft sehr unclever heute. Wir haben 30 Sekunden für den letzten Angriff und uns fehlt in diesem Moment die Lockerheit, noch einmal zum Abschluss zu kommen. Dieses THW-Trikot wiegt schwer, manchmal kommen wir an Grenzen, dass einige nicht jeden dritten Tag diesem Druck standhalten können. Das ist ein teurer Preis, den wir zahlen. Aber das ist auch ein Prozess.