32:19 gegen Lemgo: THW Kiel verabschiedet 2021 mit einem Kantersieg

Bundesliga

32:19 gegen Lemgo: THW Kiel verabschiedet 2021 mit einem Kantersieg

THW Kiel gegen den TBV Lemgo Lippe: Spiele der Traditions-Handball-Rivalen entwickelten sich zuletzt stets zu nervenaufreibenden Handball-Krimis. In den Abendstunden des Zweiten Weihnachtstages wurde die Partie allerdings zu einer einseitigen Angelegenheit. Die Zebras sprühten zum Rückrunden-Auftakt vor Energie und Spielwitz, während die Ostwestfalen nie ins Spiel fanden und kein Gegner auf Augenhöhe waren. So besiegte der Rekordmeister Altmeister Lemgo in der mit 5000 Fans gefüllten Wunderino Arena hoch und zugleich hochverdient mit 32:19 (16:9) Toren, nahm Revanche für das unglückliche 21:21-Hinrunden-Remis und verabschiedete sich mit einem Erfolgserlebnis in die Europameisterschafts-Pause.

Niclas Ekberg bester Torschütze 

Niclas Ekberg erzielte 9/3 Tore

Die THW-Fans feierten ihre Lieblinge anschließend mit stehenden Ovationen. Es war der 63. Sieg des Rekordmeisters im 96. Aufeinandertreffen mit dem aktuellen DHB-Pokalsieger. Bester Kieler Torschütze war einmal mehr Niclas Ekberg, der neunmal traf und mit Lemgos Bjarki Mar Elisson (5) in der Bundesliga-Torschützenliste gleichzog. Beide gehen als beste Schützen der Liga-Hinrunde mit jeweils 116 Treffern in die kurze Winterpause. Der Isländer Elisson war trotzdem angefressen: "Wir waren heute nicht bereit, den Kampf anzunehmen, standen auch in der Abwehr schlecht. Und einen Sieben-Tore-Rückstand aufholen? Das schaffst du wirklich nur einmal gegen Kiel."

Stimmungsvoller Weihnachts-Abend in Kiel

Michelle Dahlinger sorgte für besinnliche Weihnachts-Momente

Der Abend in der Wunderino Arena begann stimmungsvoll. Am Nachmittag hatten viele Fans verfolgt, dass der 68:0-Rekord des THW Kiel aus der Saison 2011/2012 eben doch unerreicht bleiben wird. Und vor dem Spiel stimmte Michelle Dahlinger, die einst mit ihrem Großvater und THW-Legende Hein Dahlinger die Zebras in der Kieler Arena anfeuerte, mit einem live gesungenen Weihnachts-Song auf 60 Minuten Top-Handball ein. Die Besinnlichkeit war daher auch schnell verflogen - noch einmal ging es im Jahr 2021 zur Sache.

STARKE ANFANGSPHASE DER GÄSTE

Patrick Wiencek lieferte eine überragende Partie ab

Die Zebras brauchten etwas, um in die Partie zu kommen. Zunächst bestimmten die Gäste das Geschehen, Torhüter Peter Johannesson parierte stark gegen Harald Reinkind, machte den ersten Siebenmeter von Niclas Ekberg unschädlich. So führten die Ostwestfalen durch Bobby Schagen und Tim Suton 2:0. Nach 4:45 Minuten waren auch die Zebras da - und wie: Patrick Wiencek und Steffen Weinhold glichen innerhalb von nicht einmal einer Minute aus, für Lemgos letzte Führung zum 3:2 in der siebten Minute war dann erneut Schagen verantwortlich.

THW Kiel übernimmt das Ruder

Das Bild täuscht: Zum Jahresabschluss waren Sander Sagosen und die Zebras obenauf

Zweimal Niclas Ekberg und ein Tempogegenstoß von Steffen Weinhold sorgten dann für das 5:3. Per Strafwurf brachte Elisson die Gäste in der 16. Minute noch einmal auf 5:7 heran, dann aber galoppierten die Zebras davon. Lemgo, das sein Heil in lang ausgespielten Angriffen suchte, rannte sich immer wieder in der THW-Abwehr fest, scheiterte zudem am guten THW-Schlussmann Niklas Landin, der den Gästen insgesamt zwölfmal im Weg stand, bevor er in der 50. Minute für Dario Quenstedt Platz zwischen den Pfosten machte. Erfolgreichster THW-Werfer in der ersten Halbzeit war Patrick Wiencek, hinten Bollwerk in der Abwehr, vorne extrem beweglich. Fünfmal netzte Kiels Kreisläufer ein, erzielte Kiels Treffer 14 bis 16 im Alleingang.

Hamburg-Drama wiederholt sich nicht

Wer erinnert sich nicht? Beim Pokal-Halbfinale 2020 in Hamburg startete der THW gegen das Team von Trainer Florian Kehrmann furios, lag zur Halbzeit mit 18:11 Toren vorn, um am Ende beim 28:29 dann doch das Finale zu verpassen. Sieben Tore hatten die Zebras nach bravouröser erster Halbzeit auch am Sonntag beim Halbzeitpfiff vorgelegt, führten dank einer großartigen Abwehrarbeit mit 16:9. Doch das Drama von Hamburg wiederholte sich nicht einmal in Ansätzen. 

Kieler Abwehr bestimmt das Spiel

Kein Duchkommen: Lemgo um Jonathan Carlsbogard biss sich an der THW-Abwehr die Zähne aus

Tim Suton ließ Lemgos Anhang gleich nach dem Wechsel mit dem 16:10 nur kurz auf eine Wiederholung der Pokalsensation hoffen, fortan zauberten ausschließlich die Zebras. Mit dem 4:0-Lauf durch Sander Sagosen, Hendrik Pekeler und zweimal Niclas Ekberg schraubten die Kieler das Ergebnis schon nach 37 Minuten auf 20:10. Auch, weil das Kieler Rückzugsverhalten vorbildlich war, Ekberg klaute einen Ball, Reinkind fing einen Pass ab, Sagosen ebenfalls. Die Kieler Defensive blieb spielbestimmend, ließ den TBV nicht mehr zur Entfaltung kommen. Die Gäste glänzten immerhin mit einer sportlichen Geste, als Elisson den Kielern einen Ball zurückgab, nachdem die Schiedsrichter gepfiffen hatten, weil das defekte Spielgerät auf die Füße von Hendrik Pekeler gefallen war.

Duvnjak: "Ihr seid uns wichtig!"

Domagoj Duvnjak wandte sich nach der Partie direkt an die Kieler Fans

Das Angriffsspiel der Zebras lief dagegen weiter auf Hochtouren, die Fans waren begeistert. 26:13 (47.) hieß es nach dem erneuten Tempogegenstoß von Niclas Ekberg, THW-Trainer Filip Jicha wechselte durch, der Spielrhythmus blieb erhalten. Harald Reinkind, mit sieben Treffern bester Feldtorschütze, traf in der 55. Minute zum 31:16: 15 Tore Vorsprung, der höchste im Spiel. Schagen und Hutecek schafften in der Schlussphase nur noch Ergebniskosmetik, ehe sich Domagoj Duvnjak an die Kieler Fans wandte: "Ihr seid uns wichtig - egal, wie viele da sein dürfen! Ich kann euch nicht versprechen, dass wir im Juni etwas zu feiern haben werden. Ich kann euch aber versprechen, dass wir auf dem Feld alles dafür tun werden!" 

LIQUI MOLY HBL, 18. Spieltag: THW Kiel – TBV Lemgo Lippe: 32:19 (16:9)

THW Kiel: N. Landin (1.-50., 12 Paraden), Quenstedt (50.-60., 1 Parade); Ehrig (1), Duvnjak, Sagosen (2), Reinkind (7), M. Landin, Weinhold (3), Wiencek (6), Ekberg (9/3), Ciudad, Dahmke, Zarabec (n.e.), Horak, Bilyk (2), Pekeler (2); Trainer: Jicha
TBV Lemgo Lippe: Zecher (48.-60., 4 Paraden), Johannesson (1.-48., 8/1 Paraden); Hutecek (1), Elisson (5/3), Kogut, Simak (1), Carlsbogard (2), Schagen (4), Schwarzer, Suton (2), Zerbe (3), G. Guardiola, Cederholm, Reitemann; Trainer: Kehrmann

Schiedsrichter: Nils Blümel / Jörg Loppaschewski
Zeitstrafen: THW: 4 (2x Weinhold (11., 18.), Ciudad (58.), Bilyk (60.)) / TBV: 2 (Suton (8.), Hutecek (21.))
Siebenmeter: THW: 4/3 (Johannesson hält Ekberg (5.)) / TBV: 3/3
Spielfilm: 0:2 (3.), 2:2 (6.), 3:3, 5:4 (14.), 7:4 (15.), 9:5, 9:7 (20.), 11:7 (22.), 14:8 (25.), 16:9;
16:10, 20:10 (37.), 23:11 (44.), 24:12, 26:13 (47.), 28:14 (49.), 31:16 (56.), 32:19.
Zuschauer: 5000 (ausverkauft) (Wunderino Arena, Kiel)

STIMMEN ZUM SPIEL:

THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin heute sehr zufrieden. Erstens, weil wir dieses Spiel gewonnen haben. Meine Jungs haben sich unglaublich bewegt und zu jeder Phase des Spiels gezeigt, dass sie heute unbedingt gewinnen wollen. Ich habe mich deshalb tierisch für die Jungs gefreut. Zweitens möchte ich meine Mannschaft für 2021 loben, für ihre Willensleistung, Höhen und Tiefen zu verkraften. Das, was die Jungs an jedem dritten Tag geleistet haben, macht mich unglaublich stolz, mit dieser Mannschaft arbeiten zu dürfen. Jetzt steht die EM vor der Tür, und jetzt werden die Karten neu gemischt. Ich hoffe, dass alle Spieler gesund von der Europameisterschaft zurückkommen. Die sechs, die ich in Kiel werde begrüßen können, steigen Mitte Januar wieder ins Training ein. Sie haben sich ihren Urlaub mehr als verdient. Dule hat es eben auf dem Feld gesagt: Wir können nichts versprechen, außer, dass wir alles auf diesem Feld da draußen liegen lassen werden, was in uns steckt. Wir werden alles reinhauen, um unsere Fans stolz zu machen. Ich möchte mich für die Wahnsinns-Stimmung heute bedanken – und ich freue mich auf 2022! Guten Rutsch!

TBV-Trainer Florian Kehrmann: Wir wussten um die Aufgabe hier in Kiel, wir wussten, dass das Weihnachtsspiel immer etwas besonderes für die Heim-Mannschaft ist, und wir wussten, dass die Kieler nach dem Ergebnis vom Nachmittag wieder Blut geleckt haben würden. Trotzdem sind wir gut in dieses Spiel gekommen, haben dann aber unsere Chancen liegengelassen. Kurz vor der Pause geben wir dann das Spiel weg, als wir dreimal frei vom Kreis nicht treffen. Heute war es nach dem Sieben-Tore-Rückstand zur Pause anders als im Pokal. Wir haben zu viele Fehler gemacht, und das Spiel war in der 38. Minuten bereits entschieden. Aber: Auch nach solch einer Abfuhr in Kiel halte ich meinen Mantel über meine Mannschaft. Was sie in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten geleistet hat, war Wahnsinn.