KN: Zebras erobern "Heimat des Handballs"
Gummersbach. Der THW Kiel hat nach der Niederlage gegen den SC Magdeburg wieder zurück in die Erfolgsspur gefunden. Am Donnerstagabend eroberten die Zebras beim 35:22 (20:8) in der Handball-Bundesliga (siehe THW-Spielbericht) das Revier des Altmeisters VfL Gummersbach im Sturm.
THW Kiel deklassiert den VfL Gummersbach
Immerhin taten die Kieler nicht weniger als im Bergischen Land ihre Flagge in der "Heimat des Handballs" zu hissen. Ein Slogan, mit dem der zwölfmalige Titelträger VfL - 1966 erster Meister vor Einführung der Bundesliga, 1967 erster Bundesliga-Champion - seine Marken-Strahlkraft erhöhen will. Der VfL ist eng verbunden mit den Siebziger-Jahre-Legenden wie Heiner Brand oder Joachim Deckarm, die in großer Sorge sehen, wie die Oberbergischen in der schnieken, erst fünf Jahre alten Schwalbe-Arena auf dem schicken Campus der 50 000-Einwohner-Stadt Richtung Zweite Liga schlingern.
Das Schreckgespenst Abstieg nimmt an diesem Abend in etwas mehr als zehn Minuten auf dramatische Weise Gestalt an. Angst bricht sich Bahn. Tradition im freien Fall. Beim Stande von 3:11 (12.) nimmt VfL-Coach Denis Bahtijarevic seine zweite Auszeit. 3:11!
Der THW geht mit verändertem Gesicht in die Partie, startet mit einer offensiven 3:2:1-Deckung mit dem an dieser Stelle grandiosen Domagoj Duvnjak an der Spitze (Ex-Zebra Christoph Schindler: "Das macht er so gut wie kein anderer weltweit"). Wichtigste personelle Änderung im THW-Gefüge: Der zuletzt ein wenig abgetauchte Nikola Bilyk beginnt neben Duvnjak und Steffen Weinhold im Rückraum. Und wie! Das 3:11 setzt sich zusammen aus fünf Gegenstößen (Niclas Ekberg, Duvnjak), drei beherzten Treffern Bilyks sowie zwei Toren Weinholds. Und aus einer traurigen Melange aus Gummersbacher Unvermögen, Abschlussschwäche und einem trostlosen Fehlpass-Festival.
In der zwölften Minute leistet sich der THW seinen ersten Fehlwurf (Magnus Landin an den Pfosten), in der 18. Minute gelingt dem für Carsten Lichtlein eingewechselten Matthias Puhle die erste VfL-Parade überhaupt (gegen Weinhold). Würden die Zebras nicht arg schlampig bei dem einen oder anderen Gegenstoß zu Werke gehen, sich der Lässigkeit hingeben - diese Begegnung, in der der Rekordmeister mit zwölf Treffern Vorsprung in die Kabine geht (8:20) wäre in seiner Anmutung irgendwo zwischen Abschlusstraining und Regions-Oberliga E-Jugend (Erster gegen Letzter!) einzuordnen.
Nach der Pause dürfen Marko Vujin, Rune Dahmke und Sebastian Firnhaber ran. Es entwickelt sich ein "Feelgood"-Spiel für alle Beteiligten auf Seiten des Tabellenzweiten - außer für Patrick Wiencek, dessen Jochbein mit der Schulter eines Gegenspielers Bekanntschaft macht. Wiencek verzichtet vorsichtshalber auf den Rest der Partie. Gebrochen ist nach erster Diagnose aber nichts.
Der THW jedenfalls macht "fast alles besser als gegen Magdeburg" (THW-Trainer Alfred Gislason), bleibt gierig im Tempospiel und schraubt den Vorsprung durch zwei Firnhaber-Tore sogar auf 15 in die Höhe (33:18/56.). Andreas Wolff ist ein sicherer Rückhalt zwischen den Pfosten, Gummersbach betreibt in den zweiten 30 Minuten immerhin Schadensbegrenzung vor 4022 Zuschauern. "Wir sind konzentriert in die Partie gegangen und haben den VfL dann schnell mit unserer Deckung zu Fehlern gezwungen", resümiert THW-Linkshänder Steffen Weinhold, der im 3:2:1-Konstrukt maßgeblichen Anteil am Kieler Blitzstart hatte.
Aus dem, so VfL-Coach Bahtijarevic, "leichtesten Spiel des Jahres" wird ein Gummersbacher Desaster. Der THW indes findet zurück in die Spur - die Überholspur. Die nächste Aufgabe wartet am Sonntag (15 Uhr, Sparkassen-Arena). Dann ist im EHF-Cup GOG Gudme aus Dänemark in Kiel zu Gast.
(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 22.02.2019, Foto: Archiv/Sascha Klahn)
Stimmen zum Spiel aus den Kieler Nachrichten:
Alfred Gislason, THW-Trainer: Ich bin sehr zufrieden. Wir wollten von Anfang an Vollgas geben und keine Stimmung aufkommen lassen wie bei unserer Niederlage hier in der Vorsaison. Das war eine super Reaktion nach dem Magdeburg-Spiel. Ich gehe davon aus, dass der VfL nicht absteigt.
Denis Bahtijarevic, VfL-Coach: Du solltest in einem solchen Spiel Spaß und Mut haben und lachend Handball spielen. Stattdessen: Stress, Angst, kein Mut. Wir machen bis zur Pause zwölf technische Fehler, und Kiel rennt wie eine absolute Top-Mannschaft.
Marko Vujin, THW-Linkshänder: Dass wir so aufgetreten sind, hatte auch mit der Niederlage gegen den SCM zu tun. Auch die Niederlage hier in der vorigen Saison war im Kopf. So müssen wir jetzt bis zum Saisonende spielen. Ich fühle mich von Tag zu Tag besser, freue mich über jede Minute im Angriff.
Christoph Schindler, VfL-Geschäftsführer: Momentan ist es schwer, Fan vom VfL zu sein. Unsere Spieler sind verunsichert, haben keinen Mut, glauben nicht an sich. Da müssen sie sich jetzt selber rausziehen. Aber es gab keine Pfiffe vom Publikum, obwohl die berechtigt gewesen wären.