Top-Spiel am Sonnabend: Die Füchse sind zu Gast
Berlin auf Berg- und Talfahrt
Für die Berliner glich der bisherige Saisonverlauf einer Berg- und Talfahrt. Er startete mit dem ersten Titelgewinn unter Neu-Coach Erlingur Richardsson, der dem Bundestrainer Dagur Sigurdsson nachfolgte: Bei der Vereinsweltmeisterschaft besiegten die Hauptstädter MVM Veszprem im Finale und holten damit sensationell den "IHF Super Globe" nach Berlin. Doch geplagt von einer ganzen Reihe schwerer Verletzungen, folgte bald die Ernüchterung: Im DHB-Pokal schied man bei den Rhein-Neckar Löwen bereits im Achtelfinale aus, und im EHF-Cup scheiterte der Titelverteidiger bereits in der Qualifikation zur Gruppenphase an Chambery.
Abstand zu den Top-Teams ist gering
Die größten Erfolge feierten die Berliner deshalb in der "stärksten Liga der Welt" - auch wenn im Liga-Alltag ebenfalls nicht alles glatt lief. Vor allem der Oktober mit nur zwei Punkten aus vier Spielen verhinderte den Durchmarsch der Füchse in die Tabellen-Regionen um die Champions-League-Plätze. Auf der Seite bewies der Hauptstadt-Club nicht nur beim unglücklichen 30:30 in Flensburg, sondern auch beim knappen 26:28 in Mannheim oder beim richtig engen 26:27 zu Hause gegen den Titelaspiranten aus dem Norden Schleswig-Holsteins, das der Abstand zu den Top-Teams der Liga nicht gerade groß ist.
Statistik spricht für den THW
Neuzugang Hans Lindberg
Große Hoffnungen setzt man an der Spree jetzt auf zwei "Neue". Der eine - Paul Drux - ist ein alter Bekannter, fehlte den Füchsen, deren Team wir Ihnen bereits im Vorbericht zum Hinspiel ausführlich vorgestellt hatten, nach seiner schweren Verletzung aber die komplette Serie bis zur EM-Pause. Der andere ist ein echter Neuzugang: Nach der Insolvenz des HSV holte sich Füchse-Manager Bob Hanning mit dem dänischen Rechtsaußen Hans Lindberg einen der begehrtesten Hamburger. "Ich habe noch große Ziele, und bei den Füchsen habe ich die Chance, Titel zu gewinnen", sagte der zweifache Torschützenkönig der DKB HBL, der in der Hauptstadt nun ein Außen-Gespann mit dem Zweitliga-Torschützenkönig 2015 Bjarki Elisson bildet.
Nenadic Top-Torschütze der Liga
Im Rückraum sorgt derweil Petar Nenadic für Furore: 166 Tore stehen bisher auf dem Konto des 29-jährigen Serben. Damit ist er der beste Werfer der Bundesliga und sorgt gemeinsam mit Drux und Europameister Fabian Wiede für Druck. Hinten räumt der Kroate Jakov Gojun ab. Der 29-Jährige ist 2,04 Meter groß und bringt 110 Kilogramm auf die Waage. Für Hanning ist er einerder besten Abwehrspieler der Welt, der die Berliner Defensive vor dem zuletzt stark haltenden Silvio Heinevetter organisiert. Und das man bei den Hauptstädtern Großes vor hat, zeigt der Blick nach vorn: Im kommenden Jahr wird auch Europameister Steffen Fäth von der HSG Wetzlar an die Spree ziehen. Auch für die Partie beim Rekordmeister haben sich die Füchse eine Menge vorgenommen: "Spiele in der altehrwürdigen Arena sind immer etwas Besonderes", sagt Paul Drux. " Da wurden schon einige wichtige Schlachten geschlagen. Wir wollen ein gutes Spiel machen, und wir wollen natürlich gewinnen. Wenn wir auf die bisher gezeigten Leistungen aufbauen, haben wir eine Chance!"
"Unterstützung setzt Kräfte frei"
KN: Jedes Spiel ein Endspiel
Kiel. Nach dem Geisterspiel die Fuchsjagd, nach türkischer Tristesse der höchste Adrenalinausschüttung provozierende Alltag in der Handball-Bundesliga. Heute (19 Uhr, Sparkassen-Arena) gastieren die Füchse Berlin beim THW Kiel, der im Meisterschaftsrennen nur vier Tore hinter den Rhein-Neckar Löwen auf Platz zwei liegt und zumindest bis Mittwoch die Tabellenführung erobern könnte. Die Füchse wollen nach Europa, die Zebras wollen die Schale. "Jetzt ist jedes Spiel ein Endspiel um die Meisterschaft", sagt Kiels Linksaußen Rune Dahmke. Dahmke und Fuchs Fabian Wiede - Wiedersehen zweier Europameister. Doch unterschiedlicher könnten die Rahmenbedingungen in den Klubs der Goldjungen nicht sein. Auf der einen Seite die Kieler, deren Verletzungspech durch die EM-Ausfälle Christian Dissinger und Steffen Weinhold eine bittere Krönung erfuhr. THW-Trainer Alfred Gislason will darum von EM-Euphorie nach dem deutschen Sensations-Coup nichts wissen: "Euphorie? Wir tragen mit unseren Verletzten doch die größte Last." Auf der anderen Seite die Berliner: Der Langzeitverletzte Paul Drux ist zurück im Rückraum. Trainer Erlingur Richardsson hat personell die Qual der Wahl. Allein die Situation auf Rechtsaußen verdeutlicht, wie sehr der Landsmann von Alfred Gislason in der Hauptstadt aus dem Vollen schöpfen kann. Mattias Zachrisson ist gesetzt. Während der EM-Pause unterschrieb Star-Außen Hans Lindberg vom insolventen HSV einen lukrativen Vertrag bis 2019, so dass Willy Weyhrauch und der Bosnier Faruk Vrazalic urplötzlich in die zweite Reihe abtauchten. "Aber um in Kiel punkten zu können, braucht man ein gutes Selbstvertrauen", weiß Richardsson vor seiner Premiere in der Kieler Arena. Im Hinspiel am 1. November bröckelte dieses Selbstvertrauen. 45 Minuten lang gestalteten die Füchse die Partie offen. Zwar war Petar Nenadic (Gislason: "Er ist der entscheidende Mann") - mit 160 Treffern noch immer Top-Torjäger der Liga - komplett abgemeldet. Stattdessen traf Fabian Wiede achtmal. Doch am Ende waren es jeweils acht Tore von Niclas Ekberg, Marko Vujin und Domagoj Duvnjak sowie fantastische 22 Paradenvon Niklas Landin, die den Berlinern das Genick brachen. Vor dem Rückspiel übte sich Füchse-Manager Bob Hanning in Galgenhumor: "Um in Kiel etwas zu holen, muss alles passen. In meiner ganzen Trainer- und Manager-Laufbahn ist mir das aber noch nie gelungen, deshalb habe ich auch beschlossen, zu Hause zu bleiben." Also startete der Berliner Bus am Freitag um 14 Uhr ohne den Manager, während die Zebras nach dem Videostudium ihre einzige Trainingseinheit zwischen Istanbul und Wochenende absolvierten. Umschalten nach dem Geisterspiel vor 80 Zuschauern, an das Rune Dahmke noch immer dachte: "Istanbul ist eine so coole Stadt, und in dieser Halle Handball zu spielen, wäre eigentlich ein Traum. Aber dieses Spiel war wirklich komisch." Jetzt gilt es, gegen die Füchse frisch zu sein. Dahmke: "Wir dürfen uns keine Fehler erlauben." Seit einer Woche fühle sich Dahmke "voll wieder da", sei die Post-EM-Müdigkeit vollständig überwunden. "Jetzt ist die Bundesliga die klare Nummer eins." Tabellenführung? Torverhältnis? Davon will vorerst indes noch niemand etwas wissen: "Erst einmal müssen wir unsere Spiele gewinnen. Und da wartet mit den Füchsen Berlin ein ganz harter Brocken auf uns", sagte Linkshänder Marko Vujin. Der Serbe konnte – ebenso wie Domagoj Duvnjak - in Istanbul wertvolle Minuten auf der Bank verschnaufen, Kraft sammeln. Mit der Kraft des Geisterspiels auf Fuchsjagd. (Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 27.02.16)