30:39 In Montpellier: THW Kiel braucht im Rückspiel ein kleines Handball-Wunder
Der THW Kiel braucht am kommenden Donnerstag in der Kieler Wunderino Arena nichts weniger als ein Handball-Wunder, um noch das Truckscout24 EHF Final4 in Köln zu erreichen. Die Kieler erlitten in Teil eins des Viertelfinales der Machineseeker EHF Champions League bei Montpellier HB einen Schiffbruch. Sie verloren im Hexenkessel der kleinen, engen FDI-Arena beim Tabellendritten der französischen Liga mit 30:39 16:20) Toren und benötigen nun im Rückspiel einen Zehn-Tore-Sieg, um die Wende noch zu schaffen.
Montpellier feiert Handballfest
THW-Rückraumspieler Nikola Bilyk hat den Traum von Köln allerdings noch nicht aufgegeben. „Unsere Abwehr stand nicht, und vorne haben wir zu viele Chancen ausgelassen“, analysierte Kapitän Nikola Bilyk direkt nach dem Schlusspfiff. „Aber aufgegeben haben wir uns noch nicht. Wir werden alles versuchen, alles tun, um gemeinsam mit unserer ‚weißen Wand‘ das Final4 in Köln noch zu erreichen.“ Um Bilyk herum tobte bei diesen Worten ein Tollhaus: Die Fans in Montpellier feierten ein großes Heimspielfest, waren nach den besten 60 Saison-Minuten ihrer Mannschaft völlig aus dem Häuschen.
Desbonnet entnervt THW Kiel
Beim Sieger stand der beste Spieler zwischen den Pfosten: Frankreichs Nationaltorwart Remi Desbonnet entnervte die Kieler Angreifer mit vielen Glanzparaden, machte zwei Siebenmeter von Niclas Ekberg unschädlich, hielt insgesamt 17 Bälle und verzeichnete am Ende die glänzende Quote von 37 Prozent. Im Angriff verteilten die Franzosen die Tore quer durch die Mannschaft, am erfolgreichsten waren der Schwede Lucas Pellas und Frankreichs Nationalspieler Yanis Lenne, die beide siebenmal trafen. Beste Kieler Schützen waren Eric Johansson, der achtmal traf, Nikola Bilyk steuerte sieben Tore auf der THW-Habenseite bei.
Verletzungsprobleme beim Rekordmeister
Die Kieler traten allerdings auch mit erheblichen Personalproblemen an. Magnus Landin fällt mit einem Handbruch schon länger aus, am Mittwoch gesellte sich der junge Färinger Elias Ellefsen á Skipagötu dazu. Trotz aller Bemühungen der medizinischen THW-Abteilung wurde „Skippy“ nach seiner Verletzung aus der Berlin-Partie nicht mehr spielfähig, die Schmerzen im Knie ließen seinen Einsatz nicht zu. Außerdem klagt Harald Reinkind schon seit Wochen über eine schmerzhafte Fersenprellung, Rune Dahmke war zudem nach einem Infekt geschwächt.
Bellahcene zurück in der Heimat
Aber Klagen ist nicht die Sache der Zebras, die sich nur wenige Stunden nach dem 32:32-Achtungserfolg vom Sonntag im Berlinger Fuchsbau auf den Weg nach Südfrankreich gemacht hatten. In die Geburtsstadt übrigens von THW-Torhüter Samir Bellahcene, der dort auch das Handballspielen erlernte und vor der Partie von den französischen Fans lautstark und freundlich begrüßt wurde. THW-Trainer Filip Jicha startete mit der Rückraumachse Nikola Bilyk, Eric Johansson und Steffen Weinhold. Anders als beim völlig missglückten Beginn bei den Füchsen fanden die Kieler zunächst gut in die Partie. Ekberg egalisierte die Führung der Gastgeber zum 1:1, Bilyk brachte den THW auf 2:1 nach vorn, und nach dem 2:2 durch Konan war Johansson zweimal zur Stelle, sorgte für die Kieler 4:2-Führung nach sieben Minuten. Bellahcene hatte zuvor den Siebenmeter von Skube pariert.
Guter Start in die Partie
Doch die Gastgeber ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, nutzten die Stimmung im Hexenkessel von Montpellier, setzten auf eine blitzschnelle zweite Welle und lagen nach einem 4:0-Lauf durch Konan, Porte, Pellas und Nacinovic mit 6:4 Toren vorn. Ekberg war zuvor per Siebenmeter an Torhüter Desbonnet gescheitert, Bilyk warf am Kasten von Montpellier vorbei – das berühmte „Momentum“ wechselte die Seiten.
Frühe rote Karte für Panic
Den Kielern war bewusst, dass neben der stimmungsvollen Halle, dem MHB-Tempospiel auch die Härte der Franzosen eine wichtige Rolle spielen würde. Brutal erfuhr das ausgerechnet Kiels Bester, Eric Johansson, der bei einem Abspiel an Rune Dahmke beim Stand von 11:8 in der 15. Minute mit einem Kopftreffer der rechten Hand von Marko Panic niedergestreckt wurde. Das nicht immer glücklich leitende Schiedsrichtergespann Lah/Sok aus Slowenien lag in diesem Fall mit der Roten Karte gegen den Montpellier-Rüpel allerdings goldrichtig.
Vier-Tore-Rückstand zur Pause
Einen Bruch erlitt der Spielfluss der Südfranzosen durch die Dezimierung ihres Kades indes nicht. Montpellier HB setzte auf brutales Tempo, war auch über den Kreis erfolgreich und durfte sich vor allem auf Torhüter Desbonnet verlassen. So machte MHB weiter Dampf, setzte die THW-Abwehr unter Druck und führte nach 17 Minuten mit 14:9 Toren. Grund genug für Filip Jicha, seine erste Auszeit zu nehmen. Allerdings blieb es beim Kieler Chancenwucher: Trotz Ekbergs zweitem verworfenen Siebenmeters kämpften sich die Zebras aber wieder heran. Den nächsten Strafwurf verwandelte Johansson zum 14:10, Rune Dahmke traf von Linksaußen sehenswert in den rechten oberen Torgiebel, und Harald Reinkind verkürzte in der 23. Minute auf 12:14. Die Zebras waren wieder auf Augenhöhe. Allerdings nur bis zum Pausenpfiff. Nach dem 16:20 durch Pellas wurden die Seiten gewechselt, alles schien machbar.
Kein Zugriff in der Abwehr
Die wenigen THW-Fans, die die Reise in den Süden mitgemacht hatten, freuten sich dann über das 17:20 von Eric Johansson, der seinen sechsten Treffer unterbrachte. Dann aber fanden die Zebras in der Abwehr nur noch wenig Zugriff, fielen Tor um Tor zurück. 26:19 lagen die Südfranzosen nach 37 Minuten vorne. Tomas Mrkva zeigte dann zwei Glanzparaden, Basis für Hoffnungen auf eine Wende. Karl Wallinius traf an ehemaliger Wirkungsstätte in der 43. Minute zum 23:28. Dann ging es ganz schnell. Als Pellas seinen Siebenmeter in der 48. Minute zum 34:25 verwandelte, kochte die Arena. Montpellier gelang nun alles, dem THW schwammen die Felle davon. Filip Jicha stellte die Abwehr ein ums andere Mal um, versuchte es offensiv. Sieben Tore Rückstand waren es dann nach dem 29:36 von Eric Johansson. Domagoj Duvnjak erzielte wenig später das 30:37, doch nach zwei weiteren ausgelassenen Chancen kassierten die Kieler weitere zwei Tore. Ausgerechnet MHB-Torhüter Desbonnet versenkte den letzten Ball im Kieler Tor, ins leere – fast mit dem Schlusspfiff.
Rückspiel am 2. Mai
So oder so – die Zebras brauchen im Rückspiel am kommenden Donnerstag, 2. Mai, ein kleines Handball-Wunder zum Weiterkommen. „Es gibt dieses Wunder, auch wenn direkt nach dem Spiel die Enttäuschung überwiegt“, sagte THW-Kapitän Patrick Wiencek. „Aber wir können es besser, und unsere Fans werden uns riesig unterstützen. Da bin ich mir sicher.“ Auch Rune Dahmke setzt auf die berühmt-berüchtigte „weiße Wand“: „Unsere Fans werden ein wichtiger Faktor sein. Wenn von den Tribünen Druck für den Gegner kommt und wir den Rückenwind der ‚weißen Wand‘ spüren, wird uns das enorm helfen.“ Noch gibt es einige freie Plätze in der Wunderino Arena für das Spiel, das um 18:45 Uhr angepfiffen wird: Karten sind bei CITTI, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de erhältlich. Weiter geht’s in zu Hause gegen Montpellier, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Montpellier HB
Machineseeker EHF Champions League, Viertelfinale Hinspiel: Montpellier HB - THW KIEL: 39:30 (20:16)
Montpellier HB: Bolzinger (n.e.), Desbonnet (1.-60., 17/2 Paraden, 2 Tore); Karlsson (2/1), Simonet (3), Pellas (6/4), Fernandez, Panic, A. Lenne, Skube (7), Prat, Konan (2), Cornette, Monte dos Santos (4), Porte (3), Y. Lenne (6), Nacinovic (4); Trainer: Canayer
THW Kiel: Mrkva (16.-47., 7 Paraden), Bellahcene (1-16., 47.-60., 3/1 Paraden); Ehrig (1), Duvnjak (1), Reinkind (1), Øverby (3), Weinhold (1), Wiencek (3), Ekberg (1), Johansson (8/2), Dahmke (2), Szilagyi, Wallinius (1), Bilyk (7), Pekeler (1); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Bojan Lah / David Sok (SLO)
Siebenmeter: MHB: 6/5 (Bellahcene hält Skube (6.)) / THW: 4/2 (Desbonnet hält 2x Ekberg (9., 19.))
Zeitstrafen: MHB: 3 (Nacinovic (15.), Fernandez (29.), Monte dos Santos (56.)) / THW: (Wiencek (12.), Dahmke (23.), Wallinius (45.), 2x Johansson (51., 59.))
Rote Karte: Panic (MHB, grobes Foulspiel (15.))
Zuschauer: 3000 (ausverkauft) (FDI Arena, Montpellier (FRA))
Spielfilm: 1. Hz.: 1:0, 1:2 (4.), 2:4 (7.), 6:4 (11.), 8:7 (13.), 10:8 (15.), 13:8 (17.), 14:9, 14:12 (22.), 16:12 (24.), 18:14 (28.), 19:16 (30.), 20:16;
2. Hz.: 20:17, 21:18 (32.), 24:19 (37.), 26:19, 26:21 (40.), 28:23 (43.), 31:23 (45.), 32:25 (47.), 34:25 (50.), .
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich möchte Patrice und seiner Mannschaft zu diesem Sieg gratulieren. Ich bin sehr enttäuscht, es war unser wichtigstes Königsklassen-Match in dieser Saison. Und wir haben eine wirklich harte Niederlage zu schlucken. Wir haben Montpellier genau so erwartet, wie das Team aufgetreten ist. Am Ende konnten wir diesem Druck nicht standhalten. Wir haben gut im Angriff gespielt, aber wir haben nicht getroffen. Und wir wussten, dass genau das tödlich ist gegen Montpelliers große zweite Welle. Am Ende ist jetzt Halbzeit, ich glaube an eine magnische Nacht in Kiel. Wir werden alles dafür tun, viel besser zu performen. Im Angriff, in der Deckung, und wir brauchen Torhüter. Wir wissen aber auch: Wir brauchen ein kleines Handball-Wunder, und ich kann versprechen, dass wir bereit sein werden.
Montpelliers Trainer Patrice Canayer: Ich bin natürlich sehr zufrieden mit unserer Leistung und dem Resultat. Die größte Differenz war im Ende, und das wünscht man sich natürlich. Wir haben in beiden Halbzeiten die letzten Tore gemacht, wir haben mit einer hohen Energie und mit viel Leidenschaft 60 Minuten lang abgeliefert. Da ist eine große Zufriedenheit mit der Leistung. Unglücklicherweise passieren Wunder in der Champions League, deswegen werden wir nächste Woche vor einer großen Herausforderung stehen.
Montpelliers Stas Skube: Es war eine großartige Atmosphäre. Das war unser bestes Spiel in dieser Saison. Wir haben heute mit neun gewonnen, wenn du mich aber fragst, welche Mannschaft mit neun oder zehn Treffern Unterschied zu Hause gewinnen kann, würde ich sofort THW Kiel sagen. Der THW ist eine der besten Mannschaften der Welt, und die Kieler Fans werden auch eine Menge Druck machen. Heute ist Feierabend, aber ich erwarte ein sehr hartes Spiel in Kiel.
Steffen Weinhold: Das war nicht das Resultat, dass wir erreichen wollten. Wir haben zu viele Würfe verschossen und Montpellier damit zu Gegenstößen eingeladen. Sie wurden dann immer selbstbewusster, und es wurde für uns dadurch noch schwieriger. Es ist nicht leicht, an ein Wunder zu glauben. Aber wir werden jeden Tag hart dafür arbeiten, dass wir eine fantastische Nacht in Kiel erleben werden.