Bis zur letzten Sekunde kämpfende Zebras verdienen sich 28:27-Sieg in Lemgo
Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen, ein Spiel das an Spannung kaum zu überbieten war. Am Ende aber setzte sich der THW Kiel in der hitzigen Atmosphäre in der mit 4520 Zuschauern komplett ausverkauften Phoenix Contact Arena mit 28:27 (14:13) durch. Die Zebras hatten dabei am Ende endlich auch einmal das Glück auf ihrer Seite: Fast mit dem Schlusspfiff scheiterte TBV-Rückraumspieler Niels Versteijnen nach einem Kempa-Trick an der Kieler Querlatte, verpasste das mögliche Remis und ließ so die dezimierte Zebraherde über zwei verdiente Zähler in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga jubeln.
Reinkind: "Wir haben gekämpft wie die Schweine"
So gewannen die Kieler das 101. Duell zwischen den Traditions-Klubs zum 67. Mal, die rund 50 mitgereisten Kieler Fans waren begeistert. "Glück gehört natürlich mit dazu, um hier in Lemgo gewinnen zu können", freute sich Kiels Linkshänder Harald Reinkind nach dem Handball-Krimi. "Wir haben gekämpft wie die Schweine. Jetzt ist es ein sehr gutes Gefühl mit zwei Punkten nach Hause fahren zu können." Als beste Kieler Torschützen zeichneten sich Reinkind und Patrick Wiencek aus, die beide sechsmal ins Lemgoer Tor trafen. Wiencek leistete mit Petter Överby zudem auch Schwerstarbeit im Innenblock der Zebras.
Dezimierte Zebraherde
Denn THW-Trainer Filip Jicha musste beim Auswärtsspiel in Lemgo auf gleich drei etablierte Kräfte verzichten: Für Abwehrchef Hendrik Pekeler kam die Begegnung nach seiner Fußverletzung zu früh. Linkshänder Eduardo Gurbindo blieb aus familiären Gründen in der Landeshauptstadt, für ihn rückte der 20-jährige Henri Pabst aus dem THW-Nachwuchs in den Kader. Und dann verletzte sich auch noch Linksaußen und Abwehrrecke Magnus Landin im Training: Er wird den Kielern mehrere Wochen wegen eines Bruches der Wurfhand fehlen (siehe Extra-Artikel). Für ihn reiste der erst 17-jährige Ben Szilagyi mit nach Ostwestfalen. Der Linksaußen aus dem THW-Nachwuchsbereich, normalerweise für die U19 des Rekordmeisters auf Torejagd, kam jedoch nicht zum Einsatz.
Lukas Zerbe erzielt vier Treffer gegen sein zukünftiges Team
Bemerkenswerte Personalien ergaben sich auch im Kader der Gastgeber, Trainer Florian Kehrmann weiß seit kurzem ein Zebra in seinen Reihen: Ben-Connar Battermann wurde ausgeliehen, der junge Rückraumspieler soll jene Lücke schließen, die der am Kreuzband verletzte Niederländer Thomas Houtepen in den TBV-Kader gerissen hat. Und: TBV-Rechtsaußen Lukas Zerbe startete ein letztes Mal gegen den THW ins Punkterennen, ab dem Sommer ist der 28-jährige aktuelle Nationalspieler Mitglied der Zebraherde. Gegen sein neues Team warf Zerbe noch einmal alles in die Waagschale, zeigte, dass der THW mit seinem baldigen Zugang eine gute Wahl getroffen hat, vier Tore gingen auf das Konto des Linkshänders, der zweimal auch von der Siebenmeterlinie einnetzte.
Starker Beginn der Zebras
Zerbe tat sich mit seinem TBV in den ersten 20 Spielminuten allerdings extrem schwer gegen seinen künftigen Klub, der das Geschehen schnell an sich riss. Niclas Ekberg, Reinkind und Överby drehten Lemgos 1:0-Führung in das 3:1 für Kiel. Der THW konnte sich vor allem auf seine Abwehr um den Mittelblock Wiencek/Överby verlassen. Tomas Mrkva war zudem als letzte Instanz ein großartiger Torhüter, glänzte im Duell Mann gegen Mann gegen Laerke, Zehnder oder Brosch und vereitelte in der 15. Minute auch einen Strafwurf: Zehnder scheiterte an Kiels Schlussmann. Die Zebras agierten variabel, machten viel Tempo und hatten zu diesem Zeitpunkt beim 9:5 vier Tore zwischen sich und den Altmeister gelegt. Dann aber kam Sand ins THW-Angriffsgetriebe. In nur drei Minuten warfen sich die Kehrmann-Schützlinge zurück ins Spiel: Brosch, Versteijnen und Zerbe sorgten für den 3:0-Lauf, der Lemgo nach 17 Minute auf 8:9 heranbrachte.
Erste Minuten der zweiten Halbzeit gehören den Kielern
Die Kieler ließen sich nicht beirren, auch nicht von der extrem stimmungsvollen Atmosphäre in der Lemgoer Arena: Rune Dahmke beendete die kurze Torflaute, warf überlegt zum 10:8 ein. Die Partie gewann jetzt weiter an Fahrt, es ging hin und her. Kiel behielt die Nase knapp vorn, führte nach dem Solo von Reinkind kurz vor der Halbzeitpause mit 14:12, kassierte dann fast mit dem Halbzeitpfiff aber noch den 13:14-Anschluss durch Leve Carstensen. Aus der Kabine kam dann erneut eine überlegene Kieler Mannschaft: Wiencek schloss eine grandiose Ballstafette zum 15:13 ab, Reinkind brachte die Lautstärke in der Arena mit einem sensationellen Kracher unter die Latte zum 16:13 kurz auf den Nullpunkt. Und als Eric Johansson mit einem großartigen Dreher traf, lagen die Kieler nach 36 Minuten erneut mit drei Toren vorne, führten 18:15. "Drei, vier Tore Vorsprung gegen Lemgo sind aber nicht viel. Das kennen wir", sagte Niclas Ekberg nach der Partie.
Zebras kontern Lemgoer Führung
Der Schwede lag richtig, nach 42 Minuten führte urplötzlich der TBV durch Hutecek mit 20:19. THW-Kapitän Domagoj Duvnjak traf wenig später nur das TBV-Lattenkreuz. Doch der neu ins Spiel gekommene Samir Bellahcene war zur Stelle, verhinderte gegen Brosch einen höheren Rückstand. Wiencek, glänzend von Reinkind bedient, glich aus. Jetzt ging es erneut hin und her, Lemgo legte vor, der THW Kiel zog nach - belohnte sich aber nicht für seine unermüdliche Abwehrarbeit. Erst zielte Överby am verwaisten Lemgoer Kasten, Kehrmann setzte lange Zeit auf den siebten Feldspieler, vorbei, wenig später traf Ekberg nur den Pfosten des leeren Lemgoer Tores. Es blieb das von allen erwartete Geduldsspiel, in dem den Kielern trotzdem die erneute Wende gelang.
Dramatische Schlussphase und ein verdienter Sieger
Initiiert durch Bellahcenes Glanzparaden starteten die Zebras den nächsten 3:0-Lauf. Vollendet durch die Tore von Reinkind, Duvnjak und Wiencek. Letztere trafen dann doch noch ins leere TBV-Tor. Die letzten Minuten gerieten dann vollends zum Handball-Krimi. Eric Johansson traf zwei Minuten vor dem Abpfiff zum 28:26, Brosch verkürzte wenig später auf 27:28. Die Arena kochte. 47 Sekunden vor dem Abpfiff nahm THW-Trainer Filip Jicha eine Auszeit, doch Sekundenbruchteile nach Wiederanpfiff ging bereits der Arm der Schiedsrichter hoch. Der Wurf von Harald Reinkind unter Druck verfehlte sein Ziel. Die Entscheidung war vertagt. Auszeit Lemgo, 29 Sekunden blieben den Gastgebern für das ersehnte Remis. Das Ende ist bekannt: Versteijnen scheiterte am Lattenkreuz, vergrub das Gesicht in seinen Händen. Die Zebras indes feierten mit ihren lautstarken mitgereisten Fans zwei Zähler, die sie sich mit viel Geduld, vriablem Spiel, Ruhe, Körpersprache und am Ende auch ein wenig Glück redlich verdient hatten.
Heimspiel am kommenden Samstag
Für die Zebras ging es direkt nach der Begegnung mit dem Mannschaftsbus wieder Richtung Heimat - das restliche Osterfest mit ihren Familien feiern. Weiter geht’s für die Zebras am kommenden Samstag, wenn der HC Erlangen mit seiner zupackenden Defensive zu Gast in der Wunderino Arena ist. Anwurf für die Partie gegen die Franken ist um 19 Uhr, der Handball-Streamingsender Dyn überträgt live. Für die Wochenend-Begegnung der Kieler Handballer gibt es noch Eintrittskarten bei CITTI, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de. Weiter geht’s gegen Erlangen, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Matthias Wieking / TBV Lemgo Lippe
LIQUI MOLY Handball-Bundesliga, 27. Spieltag: TBV Lemgo Lippe - THW Kiel 27:28 (13:14)
TBV Lemgo Lippe: Zecher (10.-60., 8 Paraden), Kastelic (1.-10., keine Parade); Hutecek (2), Theilinger, Zehnder (1), Brosch (5), Battermann, Simak (1), Laerke (6), Schagen, Carstensen (3), Zerbe (4/2), Versteijnen (4), Petrovsky (1); Trainer: Kehrmann
THW Kiel: Mrkva (1.-42., 7/1 Paraden), Bellahcene (42.-60., 3 Paraden); Ehrig (n.e.), Duvnjak (1), Reinkind (6), Øverby (2), Weinhold, Wiencek (6), Pabst (n.e.), Ekberg (5/2), Johansson (3), Dahmke (2), Szilagyi (n.e.), Wallinius (n.e.), Bilyk (2), á Skipagøtu (1); Trainer: Jicha
Schiedsrichter: Steven Heine / Sascha Standke
Siebenmeter: TBV: 3/2 (Mrkva hält Zehnder (16.)) / THW: 2/2
Zeitstrafen: TBV: 3 (Theilinger (39.), 2x Brosch (40., 46.)) / THW: 2 (Reinkind (12.), Duvnjak (46.))
Spielfilm: 1. Hz.: 1:0, 1:3 (3.), 3:4 (7.), 3:7 (10.), 5:9 (15.), 8:9 (17.), 10:12 (25.), 12:14 (30.), 13:14;
2. Hz.: 13:16 (35.), 15:18 (36.), 18:18 (39.), 18:19, 20:19 (41.), 23:22 (47.), 23:25 (52.), 24:27 (53.), 26:28 (55.), 27:28 (57.).
Zuschauer: 4520 (ausverkauft) (Phoenix Contact Arena, Lemgo)
Stimmen zum Spiel:
THW-Linkshänder Harald Reinkind bei Dyn: Wir haben gekämpft wie die Schweine. Wir hatten gute Phasen, dann war Lemgo wieder dran. Aber wir haben unser Spiel durchgezogen, haben auch ein paar Freie verworfen, das insgesamt aber trotzdem weiter gut ausgespielt. Ein wenig Glück gehört dazu, jetzt ist es einfach ein gutes Gefühl, mit zwei Punkten nach Hause zu fahren.
Lemgos Lukas Hutecek bei Dyn: Wir sind enttäuscht, haben ohne unseren Schlüsselspieler Tim Suton alles reingeworfen. Leider hat es nicht zum Punktgewinn gereicht. Im Sieben-gegen-Sechs haben wir ein, zwei Fehler zu viel gemacht, um das Spiel zu drehen. Und erst hat uns Mrkva einige Würfe weggenommen, später dann Bellahcene. Aber Hut ab vor unserer Leistung und Glückwunsch nach Kiel zum Sieg.
THW-Rechtsaußen Niclas Ekberg bei Dyn: Wir haben unseren Matchplan gut verfolgt, waren auf die hitzige Stimmung hier vorbereitet. Insgesamt haben wir unseren Plan gut runtergespielt und das Spiel mit ein bisschen Glück auch nach Hause gebracht, weil wir uns auf uns konzentriert haben. Die letzten Spiele der Saison werden an die Knochen gehen, aber wir wollen noch einmal alles reinwerfen, um die Spiele in beiden Wettbewerben zu gewinnen.
THW-Trainer Filip Jicha: Es war eine sehr spannende Partie, ein sehr intensives Spiel. Wenn ich ehrlich bin: Nichts anderes hatten wir heute erwartet. Ich bin sehr stolz auf meine Jungs, die wirklich alles auf der Platte gelassen haben. Wenn ich allein an unseren Mittelblock denke, was die beiden weggearbeitet haben…Ich bin froh, dass wir trotz unserer Ausfälle diese schwere Auswärtshürde genommen haben.
TBV-Trainer Florian Kehrmann: Wenn man mit einem Tor zu Hause verliert, ist es schwer, herauszufinden, woran es wirklich gelegen hat. Die ersten zehn Minuten haben wir uns vorn sehr schwer getan und haben das Kieler Tempospiel nicht in den Griff bekommen. Nach dem 4:8 ist es gegen solch eine Mannschaft schwer, sich wieder heranzukämpfen. Das haben wir trotzdem geschafft, weil wir sehr gut in der Abwehr gestanden und vorn ebenfalls gut gespielt haben. Dann kommen wir aber nicht gut aus der Pause, treffen schlechte Entscheidungen. Dann kam die Halle mit jedem Tor, und wir hatten sogar die Chance, mit zwei Toren in Führung zu gehen. Da fehlte uns dann aber dieses kleine Bisschen, die kleinen Zentimeter, die entscheiden. Das gipfelte dann am letzten freien Wurf, der ans Lattenkreuz krachte. Wir haben einer Spitzenmannschaft die Stirn geboten, trotz allem sind wir stolz auf eine gute Leistung.