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Kampf. Hexenkessel. Drama: THW Kiel holt Fünf-Tore-Rückstand gegen Barça auf

Champions League

Kampf. Hexenkessel. Drama: THW Kiel holt Fünf-Tore-Rückstand gegen Barça auf

Was für ein Kampf. Was für ein Hexenkessel. Welch' ein Drama: Im "Clásico" der Machineseeker EHF Champions League gegen den Titelverteidiger Barça lagen die Kieler über weite Strecken deutlich zurück, gingen mit einer 14:18-Pausenhypothek in den zweiten Durchgang, führten am Donnerstagabend dann aber 58 Sekunden vor dem Schlusspfiff mit 30:28 Toren. Die Zebras hatten sich mit großartiger Moral in ein schon verlorenes geglaubtes Spiel zurückgefightet und ihre 9421 Fans von den Sitzen gerissen. Dann aber zerstörten zumindest anzuzweifelnde Pfiffe der litauischen Unparteiischen Mazeika/Gatelis den Traum vom möglichen Sieg über die favorisierten Spanier, die sich die ihnen bietenden Chancen nutzten und in den letzten Sekunden noch zum 30:30-Ausgleich kamen.

Jicha: "Ich bin sehr, sehr stolz auf meine Jungs"

Bester Torschütze: Niclas Ekberg

"Es war ein großartiges Spiel, ein echtes Highlight“, sagte THW-Trainer Filip Jicha, der bereits vor dem Anpfiff weitere Hiobsbotschaften verkraften musste: Denn neben den Langzeitverletzten Sven Ehrig und Sander Sagosen fiel auch Eric Johansson mit einem Mittelhandbruch aus, zudem konnte Nikola Bilyk nach einem grippalen Infekt kaum eingesetzt werden. Zudem brach sich Miha Zarabec nach 36 Minuten einen Finger der rechten Wurfhand, traf in der spannenden Schlussphase trotzdem mit der linken Hand zum 24:26. "Barcelona hat die erste Halbzeit eindeutig kontrolliert, aber in der zweiten Halbzeit sind wir zurückgekommen. Meine Jungs haben an sich und einen Sieg geglaubt. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Mannschaft, bin sehr, sehr stolz auf meine Jungs." Bester Kieler Torschütze war Niclas Ekberg (9/5). Barca führt die Gruppe B der EHF Champions League mit 13:1 Punkten an, die Kieler rangieren mit jetzt 6:8 Zählern auf Rang fünf, befinden sich auf gutem Weg, das Achtelfinale zu erreichen. Schon am kommenden Mittwoch treffen beide Teams im Rückspiel wieder aufeinander, dann im Palau Blaugrana in Barcelona.

Kieler starten mit Problemen

Die Wunderino Arena war im Clásico fast ausverkauft

Seit über einem Jahr ist Spaniens Handball-Ikone FC Barcelona in der Liga, im Pokal und in der Königsklasse ungeschlagen, die Gruppe B in der Königsklasse führte der elffache Champions-League-Sieger bis zum Spiel in Kiel unangefochten mit 12:0 Punkten an. Nach dem Triumph beim SC Magdeburg hoffte der THW-Anhang, dass ihre Zebras weiter auf der Erfolgswelle schwimmen - auch gegen die Übermannschaft aus Katalonien. Doch ausgerechnet im europäischen Handball-Clásico fielen mit Johansson und Bilyk jene Rückraumspieler aus, die der Partie in Magdeburg ihren Stempel aufgedrückt hatten. Die Zebras mussten also einmal mehr in dieser Saison improvisieren, und brauchten einige Zeit, um sich zu finden. Den besseren Start ins Duell der Giganten hatte daher zweifellos der Gast von der Mittelmeerküste, führte nach drei Minuten mit 3:1 Toren, nach elf Minuten durch Kreisläufer Fabregas gar mit 9:4. Der THW, bei dem der gute Tomas Mrvka in der ersten Halbzeit zwischen den Pfosten stand, tat sich gegen die kompakte Barca-Abwehr schwer, fand erst langsam in sein Angriffsspiel. Das lag auch an Barca-Torhüter Perez de Vargas, der mit neun Paraden vor dem Wechsel großen Anteil am souveränen Auftritt seiner Mannschaft hatte.

Klare Barca-Pausenführung

Mit zunehmender Spielzeit nahmen Kapitän Domagoj Duvnjak und Miha Zarabec dann aber das Zepter in ihre Hände. Hendrik Pekeler brachte den THW kurz nach seiner Einwechslung in der 15. Minute auf 7:9 heran, die Kieler Fans kamen auf Touren, in der Wunderino Arena wurde es lauter. Doch die Katalanen blieben vorerst herausragend cool und kompromisslos, antworteten mit Tempospiel, lagen nach 24 Minuten durch Cindric mit 15:10 vorn. Miha Zarabec brachte die Kieler kurz vor dem Wechsel auf 14:17 heran, die Seiten wurden nach Perez de Vargas Tor mit dem 18:14 für Barcelona gewechselt. 

Drei-Tore-Vorsprung Barcas in der 54. Minute

Purer Wille: Domagoj Duvnjak

Magnus Landin traf gleich nach Wiederanpfiff, deutete an, dass die Zebras sich noch einiges vorgenommen hatten. Noch aber hielt Barca seinen Erzrivalen auf Distanz, hielt den Abstand zumeist zwischen drei und fünf Toren und schien einem souveränen Sieg entgegenzustreben. Auch, weil die Zebras immer wieder das Momentum verpassten, zu verkürzen. Reizvoll blieb allerdings das Duell an der Siebenmeterlinie zwischen dem Kieler Toptorschützen Niclas Ekberg und Perez de Vargas: Fünfmal sahen sich die beiden Weltklasse-Handballer von der Siebenmeter-Distanz in die Augen, fünfmal blieb Ekberg eiskalt, verlud den Weltklasse-Schlussmann zwischen den Barca-Pfosten und sorgte für wichtige THW-Treffer. Doch noch in der 54. Minute sah alles nach einem Sieg des Titelverteidigers aus, brachte Barca-Linksaußen Arino seine Farben mit 28:25 in Front.

Zebras kämpfen sich zurück

Jeder für jeden: Die Kieler Abwehr leistete Schwerstarbeit

Die Fans hielt es aber schon da nicht mehr auf ihren Sitzen, sie waren mitgerissen vom Einsatzwillen, Kampfgeist und der Spielfreude ihrer Zebras. In der Defensive sprang nun jeder für jeden in die Bresche, und dann kam Niklas Landin: Parade gegen Gomez, Niclas Ekberg traf zum 26:28; Glanzparade gegen Dika Mem, Hendrik Pekeler traf nach großartigem Rückhand-Anspiel von Miha Zarabec zum 27:28. Die Halle kochte. Niclas Ekberg blockte einen Passversuch und traf auf der Gegenseite ins Netz zum 28:28. Ein Treffer, der die Grundfesten der Arena erschüttern ließ - und der Eindruck auf die Männer von Carlos Ortega machte. Barcas zuvor so coole, abgezockte Truppe wirkte plötzlich ungewohnt verunsichert. 

Dramatische Schlussphase

Niklas Landin blies mit seinen Paraden zur Aufholjagd

Dann war  erneut Niklas Landin zur Stelle und schnappte sich Arinos Heber, Steffen Weinhold kämpfte sich durch die Abwehr, traf zum 29:28. Die erste Kieler Führung der Begegnung setzte noch einmal Kräfte frei. Landin hielt gegen N'Guessan, Domagoj Duvnjak verwertete die Glanztat seines Torhüters zum 30:28. 80 Sekunden vor dem Ende hatten die Zebras die Partie gedreht, doch das komplette Happyend blieb aus. Doch dann wurde es bunt: Erst kassierte Patrick Wiencek eine Zeitstrafe, Janc nutzte den Raum zum 29:30. Dann wurde 22 Sekunden nach dem Gegentreffer dem Kieler Angriff bereits passives Spiel angedroht, was in einem Ballverlust mündete. Fabregas traf zum Ausgleich, auf der Gegenseite spielte Harald Reinkind Ekberg frei, der im Sprung auf das Barca-Tor jedoch jäh von einem Freiwurf-Pfiff gestoppt wurde. Dieser Kieler Wurf landete in der Barca-Mauer, ein gellendes Pfeifkonzert begleitete die Unparteiischen in die Kabinen, während die Zebras für ihren unglaublichen Kraftakt gegen Barca nach den schweren Spielen in Erlangen und Magdeburg noch minutenlang gefeiert wurden. 

Wichtiges Liga-Heimspiel am Sonntag

Für die noch einmal mehr dezimierte Zebraherde steht am kommenden Sonntag ein wichtiges Heimspiel in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga auf dem Programm: Am ersten Advent zu Gast ist der starke Aufsteiger VfL Gummersbach, der zuletzt mit einem Sieg gegen Flensburg bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Das Traditionsduell des Rekordmeisters gegen seinen Vorgänger wird um 14 Uhr in der Wunderino Arena angepfiffen, Sky überträgt live. Bei CITTI, in famila-Märkten mit Ticketservice, in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de gibt es für die Partie noch Eintrittskarten in diversen Kategorien. Die THW-FANWELT öffnet am Sonntag um 11 Uhr. Nach dem Klassiker ist vor dem Klassiker: Weiter geht’s gegen Gummersbach, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Nick Jürgensen/saschaklahn.com

Machineseeker EHF Champions League, 7. Spieltag: THW Kiel - Barça 30:30 (14:18)

THW Kiel: N. Landin (31.-60., 8 Paraden), Mrkva (1.-30., 5 Paraden); Duvnjak (5), Reinkind (3), M. Landin (3), Øverby, Weinhold (3), Wiencek, Ekberg (9/5), Fraatz (1), Dahmke, Zarabec (4), Schwormstede (n.e.) Wallinius, Bilyk, Pekeler (2); Trainer: Jicha
Barça: Perez de Vargas (1.-53., 14 Paraden, 1 Tor), Nielsen (53.-60., 1 Parade); Carlsbogard (1), Mem (4), Arino (3), Wanne (1), Janc (5), N’Guessan (5), Gomez (4/1), Petrus, Cindric (2), Makuc, Langaro, Richardson, Fabregas (3), Frade (1); Trainer: Ortega

Schiedsrichter: Vaidas Mazeika / Mindaugas Gatelis (LTU)
Zeitstrafen: THW: 3 (2x Wiencek (23., 59.), Øverby (38.)) / Barça: 2 (Mem (13.), Frade (49.))
Siebenmeter: THW: 5/5 / Barça: 1/1
Spielverlauf: 1:1, 1:3 (3.), 3:4, 4:6 (9.), 4:9 (11.), 7:9, 8:10 (17.), 8:12 (18.), 10:12, 10:15 (23.), 11:16, 13:16 (28.), 14:18;
16:19 (34.), 16:21 (36.), 19:22 (42.), 22:25 (45.), 24:26, 25:28 (54.), 30:28 (59.), 30:30.
Zuschauer: 9421 (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin sehr, sehr stolz auf meine Mannschaft. Nach den zwei schweren Spielen in Erlangen und Magdeburg und dem personellen Aderlass mit Eric, der sich die Hand gebrochen hat, mit Nikola, der in den letzten zwei Tagen mit Grippe ausgefallen war, und Miha, der sich wahrscheinlich heute im Spiel den Finger gebrochen hat, haben wir in den zweiten 30 Minuten richtig gekämpft. Meine Jungs haben an sich und einen Sieg geglaubt. Nachdem Barca die erste Hälfte komplett unter Kontrolle hatte, hatten wir am Ende sogar die Chance, zu gewinnen. Nach den ersten 30 Minuten wäre ich mit einem Unentschieden glücklich gewesen, nach den zweiten 30 Minuten bin ich ein bisschen traurig darüber, dass wir unentschieden gespielt haben. Aber es war ein großartiges Match für die Fans, ein echtes Highlight.

Barça-Trainer Carlos Ortega: Es war das große Spiel, das jeder von dieser Begegnung erwartet hatte. Wir haben die Partie lange Zeit kontrolliert, dann kamen zehn Minuten, in denen der THW Kiel eine super Verteidigung gespielt hat. Mit dem Druck des Publikums kam der THW Kiel dann zurück. Wir sollten mit dem Unentschieden glücklich sein. Wir haben 40 Minuten richtig gut gespielt, das letzte Drittel waren wir dann nicht mehr so stark, weil Kiel super war.

Barca-Kreisläufer Ludovic Fabregas: Das war ein echter Fight, ein echter Clásico of handball. Wir haben in der ersten Halbzeit richtig gut gespielt und konnten dank unserer starken Defense eine Menge Gegenstoß-Tore erzielen. In der zweiten Halbzeit hat Kiel dann besser gespielt, und sie waren effektiver im Angriff. Für mich war das Unenschieden deshalb logisch: Wir waren in Halbzeit eins besser, Kiel in der zweiten Halbzeit. Und in einer Woche sehen wir uns im Palau wieder.

THW-Rechtsaußen Niclas Ekberg: In der ersten Halbzeit hatten wir einige Probleme, in der zweiten Halbzeit haben wir dann wie eine andere Mannschaft gespielt. Wir haben Barca unter Druck gesetzt und hatten dank der Paraden von Niklas Landin einige einfache Tore. Ich bin stolz auf unseren Teamgeist: Barca hatte das Spiel völlig unter Kontrolle, aber wir sind zurückgekommen. Am Ende war es ein wirklich enges Spiel, das in beide Richtungen hätte kippen können.