THW Kiel gewinnt im Tollhaus Wunderino Arena das Top-Spiel gegen die Rhein-Neckar Löwen
Einen Hexenkessel hatten sich die Kieler Handballer vor dem Spitzenspiel der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga von ihren Fans gewünscht. Sie bekamen ein ohrenbetäubendes Tollhaus, wie man es in Kiel lange nicht mehr erlebt hat. "Wir haben zusammen mit unseren Fans den Sieg geholt", jubelte ein überragender Niklas Landin nach 60 Minuten Dramatik, Einsatz, Kampf, Leidenschaft und Handball auf Weltklasse-Niveau. Der THW Kiel gewann am Sonntagnachmittag gegen die Rhein-Neckar Löwen mit 32:29 (18:18) und stürzte den bisher verlustpunktfreien Spitzenreiter von der Tabellenspitze der stärksten Liga der Welt. Noch Minuten nach dem Schlusspfiff gab es Standing Ovations, feierten die total begeisterten Fans ihren THW, der vor allem in der zweiten Halbzeit trotz der vielen verletzungsbedingten Ausfälle eine großartige Leistung auf das Parkett zauberte, den starken Spitzenreiter verdient in die Knie zwang.
Überragendes dänisch-schwedisches Duo
Herausragender Akteur in Reihen der Zebras war Torhüter Niklas Landin, der eine absolute Weltklasseleistung bot, insgesamt 19 Bälle gegen die Spieler seines ehemaligen Teams hielt, den Mannheimern vor allem serienweise im Duell Mann gegen Mann den Schneid abkaufte. Patrick Groetzki schüttelte nach dem Spiel resigniert den Kopf. "Wahnsinn, so kann man nicht gewinnen", sagte der Löwen-Rechtsaußen. "Wir haben ziemlich viel richtig gemacht, ein gutes Spiel geboten, aber Niklas war einfach großartig, hat uns viele freie Bälle abgekauft." In die gleiche Kerbe schlug THW-Kapitän Domagoj Duvnjak, der sich vor allem über "die geile Stimmung in der Arena" freute. "Das war totaler Wahnsinn. Genauso wie die Leistung von Niklas. Irre, was er heute gehalten hat. Nach einer schwierigen ersten Halbzeit war unser Sieg am Ende verdient." Landin überstrahlte mit seinem Auftritt sogar noch die Leistung des zweiten überragenden Zebras: Eric Johansson, gerade erst 22 Jahre alt, ließ es gegen die Löwen richtig krachen, glänzte als Anspieler und Vollstrecker: Mit neun Toren war er erfolgreichster Kieler Werfer.
Kieler Verletzungssorgen
Für die Löwen war Uwe Gensheimer am erfolgreichsten, der Linksaußen traf siebenmal, war in den letzten zehn Minuten aber nicht mehr dabei, nachdem er mehrfach frei an Landin gescheitert war, am Kieler Schlussmann verzweifelte. Die THW-Fans fanden's gut: Gensheimer ist nicht der Liebling des Kieler Anhangs, wurde schon bei der Vorstellung ausgepfiffen. THW-Trainer Filip Jicha musste neben seinen Langzeit-Verletzten Sander Sagosen und Hendrik Pekeler auch auf beide Linksaußen, Magnus Landin (Leber) und Rune Dahmke (Muskelfaserriss), verzichten. Kurzfristig sprang Malte Voigt ein: Der 29-Jährige stand direkt in der Startaufstellung. Am Sonntag stand der Altenholzer wie schon vor zwei Jahren gegen die Löwen im THW-Dress auf dem Parkett der Wunderino-Arena. Damals traf Voigt siebenmal ins Schwarze, dieses Mal begnügte er sich mit einem Treffer, in der Abwehr aber war erneut Verlass auf den Spieler, der anonsten in der dritten Liga auf Torejagd geht.
Löwen überrollen den THW mit Tempo
Die Angriffsreihen bestimmten die ersten 30 Minuten des Bundesliga-Spitzentreffens, 36-mal landete der Ball dabei in den Tornetzen beider Torhüter, gleichmäßig verteilt. Erster Torschütze der Partie war ein Zebra: Johansson traf nach 50 Sekunden zum 1:0, begann damit seinen furiosen Start ins Spiel. Beim 7:7 in der 12. Minute war Kiels junger Schwede bereits zum fünften Mal erfolgreich. Patrick Wiencek und Nikola Bilyk sorgten für die restlichen Tore zum Zwischenstand. Jungnationalspieler Juri Knorr und Jannik Kohlbacher brachten die Gäste dann mit 9:7 in Front, leiteten eine Phase der Mannheimer Überlegenheit ein. Die Gäste überzeugten vor allem mit ihrem Tempospiel, waren nach THW-Erfolgen ruckzuck vor dem Kieler Gehäuse, setzten die Zebras mit unfassbarem Tempo unter Druck. Albin Lagergren erzielte in der 19. Minute die erste Drei-Tore-Führung für die Löwen, traf vom Kreis zum 13:10. Vier Tore wurden es gar, als Groetzki in der 22. Minute zum 16:12 einnetzte.
Zebras egalisieren Vier-Tore-Rückstand
Aber die Kieler wurden in der Abwehr stärker, Niklas Landin fand mehr und mehr ins Spiel, stoppte nacheinander Gensheimer, Helander und erneut Gensheimer. Vorne nutzten Domagoj Duvnjak und zweimal Steffen Weinhold die Ballgewinne, brachten den THW in der 25. Minute auf 15:16 heran. Der Ausgleich wollte trotz bester Chancen aber zunächst nicht gelingen. Groetzki erzielte wenig später das 18:16, die Antwort kam von Niclas Ekberg. Mit einem Heber verwandelte der Schwede seinen zweiten Siebenmeter zum 17:18, das 18:18 ließ er von Rechtsaußen folgen - die Fans riss es von den Sitzen, und die Kieler nahmen das positive Gefühl mit in die Kabine, einen Vier-Tore-Rückstand innerhalb von acht Minuten egalisiert zu haben.
Partie auf Augenhöhe
In der zweiten Halbzeit waren dann die Zebras Herren im eigenen Haus, legten durch Patrick Wiencek, der erneut in Angriff und Abwehr beispielhaft schuftete, das 19:18 vor. Die Gäste blieben dennoch lange auf Augenhöhe, hatten jetzt in Olle Forsell Schefvert ihren torgefährlichsten Spieler. Der quirlige Schwede erzielte fünf der insgesamt nur noch elf Tore seiner Mannschaft in der zweiten Hälfte. Und die Kieler? Durften vor allem wieder auf Eric Johansson bauen. Der junge Schwede ließ seinen fünf Toren aus der ersten Halbzeit weitere vier in Hälfte zwei folgen, bejubelt wurde vor allem sein Kracher zum 26:24 in der 44. Minute bei drohendem Zeitspiel. Sein grandioses Anspiel auf Petter Överby hatte in der 50. Minute dann einen sehenswerten Rückhandwurf des Norwegers und mit dem 29:26 die erste Kieler Drei-Tore-Führung zur Folge.
Zebras holen sich den Sieg
Und dann? Immer wieder Niklas Landin! Der Däne trieb die gegnerischen Angreifer mit Glanzparaden am Stück in die Verzweiflung, bereitete mit seinen Taten gleichzeitig den Weg in die Kieler Glückseligkeit. Außerdem Patrick Wiencek: Kiels Kreisläufer, der kurz vor dem Spiel bekanntgab, dass er seinen laufenden Vertrag bis 2025 verlängert hatte, wurde zum Torgarant in den letzten wichtigen Minuten, erzielte die letzten drei THW-Tore vor dem Abpfiff vom Kreis, nach einem Abpraller und per Tempogegenstoß zum 32:28 in der 59. Minute. Das abschließende 29:32 durch Mannheims Juri Knorr ging dann im Jubelchor der 10285 vollauf begeisterten THW-Fans unter - Schlussakkord im Kieler Tollhaus.
Weiter geht's in Nantes
Am kommenden Donnerstag sind die Zebras auswärts in der Machineseeker EHF Champions League gefordert: Beim HBC Nantes wollen sie die ersten Auswärtspunkte der aktuellen Saison holen. Die H-Arena in der französischen Stadt ist ausverkauft, die Kieler wird ein echter Hexenkessel erwarten. Anwurf ist um 20:45 Uhr, DAZN überträgt live. Am Mittwoch, 2. November, kommt es dann in Kiel zum deutsch-dänischen Weltklasse-Duell mit Aalborg Handbold um seine beiden genialen Rückraumspieler Aron Palmarsson und Mikkel Hansen. Für diese Partie gibt es in der THW-FANWELT, bei CITTI, in famila-Märkten mit Ticketservice und online unter www.thw-tickets.de noch Karten. Weiter geht’s in Nantes, Kiel!
Text: Reimer Plöhn / Fotos: Sascha Klahn
LIQUI MOLY HBL, 8. Spieltag: THW Kiel – Rhein-Neckar Löwen 32:29 (18:18)
THW Kiel: N. Landin (1.-60., 19 Paraden), Mrkva (n.e.); Duvnjak (1), Reinkind (1), Øverby (1), Weinhold (4), Wiencek (5), Ekberg (6/3), Pabst (n.e.), Fraatz (n.e.), Johansson (9), Zarabec (1), Voigt (1), Schwormstede (n.e.), Wallinius (1), Bilyk (2); Trainer: Jicha
Rhein-Neckar Löwen: Appelgren (37.-60., 8 Paraden), Birlehm (1.-37., 8/1 Paraden); Gensheimer (7/2), Kirkelökke, Knorr (2), Helander (1), Ahouansou, Lagergren (3), Groetzki (5), Forsell Schefvert (4), Michalski, Horzen, Gislason, Jaganjac (4), Kohlbacher (3); Trainer: Hinze
Schiedsrichter: Marcus Hurst / Mirko Krag
Zeitstrafen: THW: 3 (Johansson (15.), Weinhold (26.), Duvnjak (31.)) / RNL: 4 (2x Jaganjac (17., 39.), Gensheimer (21.), Kohlbacher (35.))
Siebenmeter: THW: 4/3 (Birlehm hält Ekberg (21.)) / RNL: 2/2
Spielverlauf: 1:0, 1:2 (3.), 3:2, 5:4 (7.), 5:7 (9.), 7:7, 7:9 (13.), 10:11 (16.), 10:13, 12:14, 12:16 (22.), 15:16 (25.), 16:18 (26.), 18:18;
19:18, 23:22 (37.), 24:24 (41.), 26:24 (43.), 27:26 (46.), 30:26 (52.), 31:28 (57.), 32:29.
Zuschauer: 10285 (ausverkauft) (Wunderino Arena)
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Filip Jicha: Ich möchte zunächst ein Riesenlob an die Rhein-Neckar Löwen aussprechen: Das war ein echtes Spitzenspiel mit allem, was den Handballfan begeistert. Die Löwen sind zu einem echten Spitzenteam gereift, und es ist schön, sie wieder in solch einer Verfassung zu sehen – auch wenn das Rückspiel im nächsten Jahr unfassbar schwer werden wird. Die Löwen haben so sehr aufs Gaspedal gedrückt, wie es aktuell keine andere Mannschaft in Europa macht. Wir hatten in der ersten Halbzeit Probleme im Rückzugsverhalten, die du dir in dieser Saison gegen die Löwen nicht erlauben darfst. Hinzu kam im ersten Durchgang eine durchschnittliche Abschlussquote. Wir haben uns dann da rausgearbeitet, auch wenn uns nie bis kurz vor der Pause nie der Ausgleich gelungen ist. In der zweiten Halbzeit wollten wir die Löwen, die selten aus dem Rückraum werfen, zu Abschlüssen aus Positionen zwingen, mit denen Niklas Landin arbeiten kann. Er hat sich dann zur Weltklasse-Leistung gesteigert. Eric Johansson hat zudem heute ein unglaubliches Spiel gemacht, er war von Anfang an präsent. Ein Sonderlob möchte ich auch Malte Voigt aussprechen: Der Junge spielt sonst dritte Liga und bringt heute solch eine Qualität mit – das war klasse.
Löwen-Trainer Sebastian Hinze: Glückwunsch an Filip und den THW Kiel zum sicherlich am Ende verdienten Sieg. Dazu gehören viele Sachen – auch ein Niklas Landin, der in der zweiten Halbzeit von einem kleinen Faktor zu einem großen Faktor wurde und uns wichtige Bälle weggenommen hat. Ich habe 16 freie Würfe gezählt, die wir uns haben wegnehmen lassen. Und das nach eine ersten Halbzeit, in der wir vom Tempospiel ein bisschen besser als die Kieler waren, das aber nicht mitnehmen konnten. Der THW Kiel war ein klein wenig besser heute, und wir haben ein Riesen-Spiel gemacht. Insgesamt war es ein Riesen-Spiel von beiden Mannschaften mit allem, was den modernen Handball ausmacht.
THW-Torhüter Niklas Landin: So eine Stimmung kitzelt immer noch ein paar Prozente mehr aus uns heraus - die Kulisse hat uns heute sehr geholfen! Wir haben immer stark gekämpft, haben aber in der ersten Halbzeit keine Lösungen gefunden und wurden einfach überrollt. Ich finde trotzdem stark, dass wir mitgehalten haben. Nach der Pause hat dann ein neues Spiel begonnen. Wir haben zusammen mit dieser Kulisse den Sieg geholt. Es ist viel schöner, den Jubel von den Rängen zu hören, als sich wie bei den letzten Duellen gegen die Löwen zu Pappfiguren umzudrehen.
Löwen-Linksaußen Uwe Gensheimer:
Es war 60 Minuten lang ein tolles Spiel von uns - aber der "THW Niklas Landin Kiel" hat das Spiel heute gewonnen. Das ist bitter für uns, das tut einfach weh. Landin war das Problem. Er hat eine überragende Leistung gezeigt und bewiesen, warum er zurecht Welthandballer ist. Er war nicht zu überwinden. Wir haben eigentlich ein gutes Spiel gemacht, aber der Mann mit den Krakenarmen hat unseren Sieg heute verhindert.
X: