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37:40 in Kielce: Zebras belohnen sich nicht für ihre beste Saisonleistung

Champions League

37:40 in Kielce: Zebras belohnen sich nicht für ihre beste Saisonleistung

Was für ein Handballspiel in der Machineseeker EHF Champions League zwischen Lomza Industria Kielce und dem THW Kiel! Rasse, Klasse, Tempo: 60 Minuten lang eine Partie auf Augenhöhe, allerbeste Werbung für die Sportart. Doch das bessere Ende fanden die Polen für sich. Ex-Zebra Andreas Wolff machte mit seinen Paraden vor allen Dingen in der Schlussphase den Unterschied und hielt für den Vorjahresfinalisten den 40:37 (19:19)-Erfolg fest. Die Zebras indes lieferten ab, belohnten sich nach einem großartigen Handball-Spektakel aber nicht für ihren Einsatz. Er habe ein wirklich bittersüßes Gefühl, erklärte Kiels Trainer Filip Jicha nach den 60 aufwühlenden Minuten: "Wir haben heute unsere beste Saisonleistung gezeigt, aber dennoch verloren."

Überragender Eric Johansson

Bester Kieler Torschütze und überragender Akteur auf Kieler Seite war Eric Johansson, der neunmal ins Schwarze traf, zudem glänzende Anspiele an seine Kameraden aus den Händen zauberte. Magnus Landin traf wie Nikola Bilyk und Niclas Ekberg sechsmal ins Schwarze. Beim Sieger war Torhüter Andreas Wolff der auffälligste Akteur, der Ex-Kieler machte 21 Bälle unschädlich, wurde zum Matchwinner für sein Team. Beste Torschützen für das Team von Trainer Talant Dujshebaev waren Alex Dujshebaev und Szymon Sicko, die jeweils siebenmal ins Kieler Tor trafen.

Kielce lebt Handball

4200 Zuschauer, mehrheitlich in Gelb, verwandelten die ausverkaufte "Hala Legionow" schon vor dem Anpfiff in den berühmten Kielcer Hexenkessel. Kielce ist unangetastet die Handball-Hauptstadt Polens, seit 2014 wird die Mannschaft von derDujshebaev-Dynastie, Trainer Talant und seine Söhne Alex und Daniel, gelenkt, das Team feierte 18-mal die Meisterschaft, von 2012 bis 2022 ununterbrochen. Und Bürgermeister der Stadt? Heißt seit 2018 Bogdan Wenta, polnischer Handball-Heiliger, der auch einen deutschen Pass besitzt, 50-mal den Bundesadler trug und den alten Bürgermeister-Amtsträger mit über 62 Prozent bei der Direktwahl aus dem Amt katapultierte. Die 200 000-Einwohnerstadt Kielce lebt Handball auch außerhalb ihrer Sporthalle.

Steffen Weinhold nach Corona zurück im Team

Viele THW-Fans waren als Unterstützung für die Zebras in der Arena nicht zu entdecken, allerdings drückten mit den Gesandten Robert Rohde und Valerio Trabandt, Stellvertretender Leiter des Kulturreferats, zwei hochrangige Vertreter der deutschen Botschaft dem THW die Daumen. Beide hatten sich kurz vor dem Anpfiff von Geschäftsführer Viktor Szilagyi die wichtigsten Informationen zur Top-Partie des vierten Königsklassen-Spieltags geben lassen. Dazu gehörte auch die Nachricht, dass sich Steffen Weinhold nach seiner Corona-Infektion am Donnerstagmorgen in Kiel freigetestet und umgehend auf den Weg nach Kielce gemacht hatte. Am Nachmittag war der Linkshänder wieder zur Mannschaft gestoßen, in der mit Sven Ehrig, Sander Sagosen und Hendrik Pekeler aber weiterhin drei Langzeitverletzte fehlen. Weinhold konnte für ein paar Minuten helfen, dem starken Reinkind ein bisschen Luft zu verschaffen.

Torspektakel von der ersten Sekunde an

Beide Mannschaften legten ein atemberaubendes Tempo vor, boten den Fans, die das Spiel fast ausschließlich im Stehen verfolgten, eine mitreißende Partie, überwiegend nach dem Muster: Kielce legt vor, Kiel zieht nach. Die ersten Minuten gehörten Arkadiusz Moryto, der dreimal an der Gastgeber-Führung zum 4:3 beteiligt war. Magnus Landin von Linksaußen, Petter Överby vom Kreis und Harald Reinkind mit einem Hammer aus dem Rückraum hielten dagegen. Dann traf Nikola Bilyk, Niklas Landin hielt gegen Karacic, und Niclas Ekberg erzielte per Tempogegenstoß in der achten Minute das 5:4 - es war die erste Kieler Führung. Doch Kielce war nie um eine Antwort verlegen, glich aus, machte nach Kieler Erfolgserlebnissen sofort selbst Tempo und traf. Dabei waren nahezu alle Spieler des polnischen Serienmeisters beteiligt. Kiels jungen Schweden Eric Johansson bekam die Heimmannschaft jedoch so gut wie nie in den Griff. Drei Treffer, einer sehenswerter als der vorherige, hielten den THW Kiel auf Augenhöhe. 11:11 stand es nach 16 Minuten, die Tore fielen fast so schnell wie der Sekundenzeiger sich bewegte.

38 Treffer zur Pause

Beide Angriffsreihen stellten die Defensivreihen deutlich in den Schatten. Filip Jicha rief seine Mannen zur Auszeit zusammen, machte Mut: Ich will, dass wir Spaß haben. Los, Leute!" Und die Kieler hatten ihren Spaß. Zweimal mussten sie den Gegner mit zwei Toren ziehen lassen, beim 13:15 in der 23. Minute und beim 14:16 nach 26 Minuten. Doch die Zebras blieben locker, hielten auch das eigene Tempo hoch, Patrick Wiencek verwandelte einen über fünf Stationen angelegten Angriff mit viel Geduld zum 16:16 (27.), Nikola Bilyk schweißte den Ball mit Wucht zum 17:17 ins Kielcer Netz, Rune Dahmke sorgte mit seinem Treffer zum 19:19 schließlich für das Halbzeitresultat. Teil eins der Hetzjagd war beendet, die Zuschauer waren angesichts des großartigen Sports mit 38 Treffern nach 30 Minuten schier aus dem Häuschen.

Kielce mit besserem Neu-Start

Die ersten Minuten der zweiten Halbzeit gehörten Wolff, der gegen Överby, Dahmke und Reinkind glänzte, Remili und Sicko brachten ihre Farben mit 21:19 in Front. Zur Pause war Mrkva für Landin gekommen, und der Kieler Neuzugang startete, hielt gleich gegen Remili und Niclas Ekberg überwand Wolff per Siebenmeter. Nach grandiosem Wackler traf Johansson zum 21:21, und als Rune Dahmke nach tollem Johansson-Anspiel zum 22:21 traf, hatten die Kieler einen 3:0-Lauf fabriziert, lagen wieder vorn. Für Dahmke war es aber die letzte Aktion, Kiels Linksaußen schied mit Verdacht auf einen Muskelfaserriss aus. 

Entscheidung in den Schlussminuten

Die Kieler waren dennoch in ihrem Element, drehten das Geschehen, lagen zumeist mit einem Tor vorn, Nikola Bilyk traf sehenswert, Magnus Landin überwand Wolff mit einem zauberhaften Dreher aus spitzem Winkel. Eric Johansson blieb der Motor einer mit Volldampf agierenden Mannschaft, die nach dem verwandelten Siebenmeter von Magnus Landin in der 50. Minute gar mit 32:30 in Front ging. Doch Kielce ließ sich nicht abschütteln, schon gar nicht in den eigenen vier Wänden. Alex Dujshebaev und Nahi glichen aus, das Kopf-an-Kopf-Rennen ging weiter. Nikola Bilyk erzwang in der 58. Minute mit seinem sechsten Treffer das 37:37, alles schien jetzt möglich. Doch die Waagschale mit dem Glück kippte auf die Seite der Blau-Gelben: Alex Dujshebaev verwandelte zum 38:37, und dann scheiterte Magnus Landin mit dem Strafwurf am linken Bein von Andreas Wolff. Die Entscheidung in einem Spiel, das eigentlich keinen Sieger verdient gehabt hätte - und ihn doch in den Gastgebern fand.

Sonntag Spitzenspiel in Berlin

Die Ballung an Top-Spielen vor der Länderspielpause sorgt beim THW Kiel für eine geänderte Reiseplanung. Für die Zebras ging es nach dem Königsklassen-Kracher in Kielce nicht zurück in die Landeshauptstadt, sondern in ein Flughafenhotel in Krakau, um den Spielern ein wenig Schlaf nach der harten Partie zu ermöglichen. Von Krakau reisen die Zebras Freitagmittag in die deutsche Hauptstadt, wo am Abend und Samstag je eine Trainingseinheit und am Sonntag das Spitzenspiel bei den Füchsen Berlin auf dem Programm steht. Anwurf ist um 14 Uhr, Sky überträgt diese Begegnung live. Weiter geht’s in Berlin, Kiel!

Text: Reimer Plöhn / Fotos: Lomza Industria Kielce

Machineseeker EHF Champions League, 4. Spieltag: Lomza Industria Kielce – THW Kiel 40:37 (19:19)

Lomza Industria Kielce: Kornecki (n.e.),Wolff (1.-60., 21/2 Paraden); Sanchez (2), Olejniczak, Kounkoud (3), Sicko (7), A. Dujshebaev (7), Tournat (2),Karacic (3), Moryto (6/2), D. Dujshebaev (1), Thrastarson (1), Remili (4), Paczkowski, Karalek (2), Nahi (2); Trainer: T. Dujshebaev
THW Kiel: N. Landin (1.-30., 45.-60., 7 Paraden), Mrkva (31.-45., 2 Paraden);Duvnjak (1), Reinkind (3), M. Landin (6/2), Øverby (2), Weinhold, Wiencek (2), Ekberg (6/2), Pabst (n.e.), Johansson (9), Dahmke (2), Zarabec, Schwormstede (n.e.), Wallinius, Bilyk (6); Trainer: Jicha

Schiedsrichter: Matija Gubica / Boris Milosevic (CRO)
Zeitstrafen: Kielce: 2 (Kounkoud (22.), Sanchez (37.)) / THW: 4 (Wallinius (9.), Reinkind (20.), Øverby (50.), M. Landin (54.))
Siebenmeter: Kielce: 2/2 / THW: 7/4 (Ekberg an den Pfosten (3.), Wolff hält Ekberg (37.) und M. Landin (57.))
Spielverlauf: 2:0 (3.), 3:1, 3:3 (6.), 4:5 (8.), 6:5, 7:7 (11.), 9:7 (13.), 9:9 (15.), 11:11 (16.), 13:13 (18.), 15:13 (20.), 16:14 (25.), 16:16 (27.), 18:18 (29.), 19:19;
21:19 (33.), 21:21 (35.), 22:23 (37.), 25:26, 27:28 (43.), 30:30 (37.), 30:32 (49.), 32:32 (50.), 34:35 (53.), 36:35, 37:37 (57.), 40:37.
Zuschauer: 4200 (ausverkauft) (Hala Legionow, Kielce)

Stimmen zum Spiel: 

THW-Trainer Filip Jicha: Glückwunsch an Talant und sein Team zu diesem Sieg. Ich bin sehr stolz auf mein Team, es war Wahnsinn, was die Jungs gespielt haben. Das mag seltsam klingen, weil wir verloren haben - aber das war heute unsere beste Saisonleistung was Willen, Präzision und Intensität angeht. Eric war sensationell, unsere Rückraumreihe mit Eric, Niko und Harald hatte einen unglaublichen Lauf, bei dem es Spaß gemacht hat, zuzuschauen. Unglücklicherweise verlieren wir die letzten 6 Minuten mit 2:6, das war der Schlüssel. Es war ein großartiges Handballspiel, beide Mannschaften waren unglaublich im Angriff, am Ende hat Andy ein paar wichtige Bälle gehalten. Es ist ein bittersüßer Abend, wir haben stark gespielt, aber wir haben verloren. Aber es geht weiter: Wir werden da sein in Berlin!

Kielces Rückraumspieler Daniel Dujshebaev: Zwei der besten Teams der Welt haben heute auf einem sehr hohen Level gespielt. Andy hat den Unterschied gemacht, wir hatten 60 Minuten lang Probleme in der Abwehr.

Kielces Trainer Talant Dujshebaev: Es gibt drei Mannschaften auf der Welt, vor denen ich solch einen großen Respekt habe: Barcelona, Kiel und Veszprem. Ich bin sehr glücklich, dass wir gewonnen haben. Andy Wolff war unglaublich. Er hat uns mit seinen Paraden die Möglichkeit gegeben, am Ende zu gewinnen. Und dann hat er das Spiel für uns gewonnen. Ich hätte eine Bitte an den Weltverbandspräsidenten: Bitte stoppen Sie das Sieben-Gegen-Sechs (er lacht).

THW-Rückraumspieler Steffen Weinhold: Glückwunsch an Talant, die Mannschaft und den Kielcer Club. Es war ein hartes, schnelles Spiel, ein fantastisches Match für die Zuschauer. Kleinigkeiten haben den Ausschlag gegeben, die waren aber leider nicht auf unserer Seite. Aber wir nehmen die guten Dinge mit nach Berlin, um dort ein starkes Match zu zeigen.